Etwas Philosophie übers Hobbybräu

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afri
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Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#1

Beitrag von afri »

Eben hatte ich den direkten Vergleich Hobbybräu-Industriebier. Das eigene Bier war OK, kein Überflieger, aber gewohnt gut. Das Industriebier ist ebenfalls OK und kein Überflieger. Das brachte mich zum Nachdenken.

Manche hier versuchen, mit nachkommagenauer Schüttung, teuerstem Messequipment und möglichst exakt getroffenen IBUs die Industrie zu imitieren. Warum ist das so? Mein Bier hat Ecken und Kanten, mal ist es zu bitter oder zu trocken, mal zu dick und mal eine Idee zu dunkel/hell/trüb/whatever. Genau das ist es doch aber (zumindest für mich), was es vom Radebitsteiner unterscheidet. Man hat was anderes im Glas, das nicht wie "deutsches Pils" schmeckt und riecht.

Vergleich Burger vom goldenen M und aus eigener Küche ebenso, das eine schmeckt immer gleich gut/schlecht, das andere meist besser, aber vermutlich niemals gleich, je nach Zutaten. Also ähnlich dem Bier aus eigenem Keller; jedenfalls schaffe ich es nicht, stets gleiche Erzeugnisse zu fabrizieren, was allerdings auch an ständig verändertem Equipment und unbändiger Experimentierlust liegen mag.

Also nochmals konkret: warum sind manche Brauer locker mit Rezepten und Methoden (Bier wird's immer) und andere versuchen beinahe manisch, vorgegebene Rezepte nachzubrauen, ohne dies jemals vergleichbar zu können (weil jede Anlage und jedes Wasser individuell andere Biere hervorbringen wird)?
Achim (sich nicht zutrauend, zweimal das gleiche Bier herstellen zu können)
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chaos-black
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#2

Beitrag von chaos-black »

Ich denke es geht darum, nicht irgendein Zufallsprodukt zu erstellen. Wenn ich Bier braue, gehe ich zwar auch davon aus, dass sich das gleiche Rezept an zwei Brautagen im Ergebnis leicht unterscheidet, aber dennoch will ich versuchen, so viel Kontrolle wie möglich über das Bier zu haben, das ich da produziere. Deswegen steckt man doch auch so viel Zeit und Gedanken in die Konstruktion von Rezepten, weil man ein bestimmtes Bier vor Augen hat, das man brauen will. Wenn ich einfach zufälliges Malz und Hopfen in nen Bottich werfe kann ich zwar sagen "Bier wirds immer" aber zielgerichtet ist was ganz anderes.
Ich finde, dass es kein besonders positiver Unterschied zwischen der Industrie und uns Hobbybrauern ist, dass die Kontrolle über den Brauprozess unterschiedlich tief geht. Das heißt aber nicht automatisch pasteurisiertes und totgefiltertes Bier.
Zuletzt geändert von chaos-black am Freitag 14. April 2017, 00:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Ladeberger
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#3

Beitrag von Ladeberger »

Da kann ich mich chaos-black nur anschließen! Für mich geht es beim Brauen auch gerade darum, eine geschmackliche Vorstellung möglichst genau ins Glas zu bringen.

Um mal den Spieß herumzudrehen: Wenn es egal ist, was z.B. bei einem IPA-Brauversuch herauskommt, warum dann nicht einfach ein IPA-Themenpaket im Biershop bestellen? Da ist doch dann die Trefferwahrscheinlichkeit wesentlich höher und für die Craftbierszene ist auch noch was getan.

Gruß
Andy
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Biermensch
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#4

Beitrag von Biermensch »

Ich denke die Hauptproblematik ist, das insbesondere am Beginn der HB-Karriere viele verschiedene Biere ausprobiert werden, (was aufgrund der Faszination auch normal ist), aber eher selten an einem Rezept gearbeitet wird. Und da wird das dazulernen schwierig, da man nie den direkten Vergleich zu seinem eigenen Erzeugnis hat. Deine Frage hat vermutlich etwas mit der Dauer zu tun, mit der das Hobby betrieben wird.

Edith: also ich meine nicht, dass das rumexperimentieren irgendwann aufhören soll, oder gar schlecht ist, sondern dass man halt irgendwann anfängt, der Sache genauer auf den Zahn zu fühlen und das kann ich eigentlich nur mit dem gleichen Rezept, denke ich...
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flying
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#5

Beitrag von flying »

Warum? Diese Frage ist in der Tat hochphilosophisch. Weil wir uns mitten in der industriellen Revolution 4.0 und auf dem Weg zur technologischen Singularität befinden. Wenn der große technologische Big Bang kommt, also wenn die Menschen aufgrund der intellektuellen Fähigkeiten der Maschinen überflüssig werden, dann kommt die Stunde unserer Bewegung. Der Hobbybrauer, winzer, metzger, wurster, seifer, käser, gärtner usw. Leuten die sich mit etwas zutiefst menschlich-essentiellen, archaisch- urtümlichen befassen. Wir können mit unseren Töpfen, Pfannen und Maischehölzern noch ein Weilchen um das schwarze Loch kreisen bevor wir verschlungen werden, wie bei jeder Singularität zwangsläufig so üblich..

Philosophisch genug..? :Wink :P
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afri
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#6

Beitrag von afri »

flying hat geschrieben: Philosophisch genug..?
Durchaus, danke bisher. So habe ich das noch nicht betrachtet.
Achim
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Scheibelhund
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#7

Beitrag von Scheibelhund »

Ich brau so wie man zuhause kocht. Man hat eine ungefähre Vorstellung wie es werden soll, aber hat niemals eine Punktlandung im Kopf.

Wenn es dann allen geschmeckt hat und die Stimmung dementsprechend ist, ist allen geholfen.

Brauprotokolle brauche ich keine, genaue Kennzahlen wie IBU auch nicht.
Im Winter trink' ich und singe Lieder
aus Freude, daß der Frühling nah ist,
und kommt der Frühling, trink' ich wieder,
aus Freude, daß er endlich da ist.
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Boludo
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#8

Beitrag von Boludo »

Was ist so falsch daran wenn man versucht, sein Handwerk möglichst gut im Griff zu haben?
Murksen kann jeder.

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ctiedtke
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#9

Beitrag von ctiedtke »

flying hat geschrieben:Warum? Diese Frage ist in der Tat hochphilosophisch. Weil wir uns mitten in der industriellen Revolution 4.0 und auf dem Weg zur technologischen Singularität befinden. Wenn der große technologische Big Bang kommt, also wenn die Menschen aufgrund der intellektuellen Fähigkeiten der Maschinen überflüssig werden, dann kommt die Stunde unserer Bewegung. Der Hobbybrauer, winzer, metzger, wurster, seifer, käser, gärtner usw. Leuten die sich mit etwas zutiefst menschlich-essentiellen, archaisch- urtümlichen befassen. Wir können mit unseren Töpfen, Pfannen und Maischehölzern noch ein Weilchen um das schwarze Loch kreisen bevor wir verschlungen werden, wie bei jeder Singularität zwangsläufig so üblich..

Philosophisch genug..? :Wink :P
:goodpost:

Sehr schön geschrieben. Ich denke was uns alle eint, damit meine ich nicht nur uns Hobbybrauer sondern auch die von flying o.g. Handwerke, die Bäcker würde ich auch noch nennen wollen, ist doch der "Schöpfungsakt" mit den eigenen Hände was zu schaffen das ist das faszinierende. Zumindest für mich. In wie weit ich dann die Perfektion auslebe das bleibt ja einen selbst überlassen. Ein gewisse Kontrolle über das was ich da mache finde ich auch gut um hinterher nach zu vollziehen wo evtl. Fehler im Prozess sein können um diese beim nächsten mal vielleicht zu erkennen und auszumerzen. Dafür bedarf es aber das ich mich immer wieder mit dem gleichen Rezept versuche und dort von Sud zu Sud an unterschiedlichen Stellschrauben drehe. Ich muss gestehen ich als Anfänger bin noch nicht soweit weil ich gerne erst einiges an Rezepten ausprobieren möchte. Ich hoffe das war auch philosophisch genug? :Grübel :Smile
---
Gruß Christian

Bier ist nicht die schlechteste Variante um Wasser zu sich zu nehmen :Drink
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Kobi
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#10

Beitrag von Kobi »

afri hat geschrieben: Also nochmals konkret: warum sind manche Brauer locker mit Rezepten und Methoden (Bier wird's immer) und andere versuchen beinahe manisch, vorgegebene Rezepte nachzubrauen, ohne dies jemals vergleichbar zu können (weil jede Anlage und jedes Wasser individuell andere Biere hervorbringen wird)?
Achim (sich nicht zutrauend, zweimal das gleiche Bier herstellen zu können)
Ich scheitere immer an der Wirklichkeit... Mein Anspruch ist schon, den Prozess weitestgehend reproduzierbar zu machen; wenn ich dann aber in der konkreten Rezeptplanung bin, fallen mir immer alle möglichen Parameter ein, an denen ich noch nicht herumgeschraubt habe. Da ich aus Lager-, Leber- und Zeitgründen nur rund drei- oder viermal im Jahr zum Brauen komme, habe ich auch kaum die Möglichkeit, alles schnell mal auszuprobieren.
So ist dann der Ursprungsplan, das Hafer-Ale mit 36 IBU und Fuggles und East Kent Goldings möglichst genau nachzubrauen. Herauskommen wird dann ein Weizenbock mit Saphir und Saazer und 27 IBU... :Ahh
Viele Grüße
Andreas
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#11

Beitrag von Unfiltered »

Hallo zusammen,

ich denke, beim Vergleich Hobbybräu-Industriebier sind einfach die Ziele völlig unterschiedlich. Beim Industriebier versucht man ein Massenprodukt in Rezept und Herstellung so zu verfeinern, das es immer billiger wird, aber noch verkauft werden kann.

Ich habe mit dem Brauen angefangen um Biere herzustellen, die mir schmecken, egal ob es einen Euro mehr kostet. Bei den besonders gut gelungenen Bieren versuche ich die Rezept zu verfeinern, allerdings habe ich nicht die Messinstrumente Nachkommastellen genau zu messen, daher ist hier eher Erfahrung und Gefühl gefragt. Ich mag die Dekoktion, die ist auch schon fast archaisch.

Das Burgerbeispiel trifft es, das Ergebnis ist meist besser aber nicht exakt.

Gut Sud
Holger
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Ladeberger
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#12

Beitrag von Ladeberger »

Welche Zutaten genau machen denn dein Hobbybrauer-Pils edler als ein Industrie-Pils? Gut abgelagerte Malze, Hopfen und Hefe?

Gruß
Andy
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cyme
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#13

Beitrag von cyme »

Es ist einfach nur ein Hobby, wir machen das, weil es Spaß macht. Da hat jeder halt seine anderen Ansprüche - wie der eine versucht, Beethoven-Sonaten perfekt zu interpretieren, dudelt der andere ziellos auf der E-Gitarre rum, Hauptsache laut.

Ich persönlich mag ein gutes US-IPA, aber halte es für Blödsinn, Wasser um den halben Globus zu karren - und Bier ist zu ~90% Wasser. Also bezieh ich halt den Hopfen aus den Staaten, Wasser und Malz gibt es auch vor Ort, und brau selbst.
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#14

Beitrag von Fauntleroy »

afri hat geschrieben:Also nochmals konkret: warum sind manche Brauer locker mit Rezepten und Methoden (Bier wird's immer) und andere versuchen beinahe manisch, vorgegebene Rezepte nachzubrauen, ohne dies jemals vergleichbar zu können (weil jede Anlage und jedes Wasser individuell andere Biere hervorbringen wird)?
Ist das nicht Psychologie (statt Philosophie)?

Gruß - Martin
Eigentlich ist alles schon gesagt - aber noch nicht von jedem! (frei nach K. Valentin)
Schwabsibräu
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#15

Beitrag von Schwabsibräu »

Dere, Hobbybrauen ist ein Hobby wie jedes andere den Aufwand den man betreibt liegt an jedem selbst denn jeden Menschen gibt es nur einmal.
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gulp
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#16

Beitrag von gulp »

Schwabsibräu hat geschrieben:Dere, Hobbybrauen ist ein Hobby wie jedes andere den Aufwand den man betreibt liegt an jedem selbst denn jeden Menschen gibt es nur einmal.
Was heißt denn "dere"? Und wenn du noch ein paar Kommas machst, versteht man vielleicht auch was du sagen willst. :Greets

Gruß
peter
>>Impfung rettet Leben und Kultur!<<

Ein Bayer ohne Bier ist ein gefährlich Thier!

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Michael Wendt
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#17

Beitrag von Michael Wendt »

afri hat geschrieben:Mein Bier hat Ecken und Kanten, mal ist es zu bitter oder zu trocken, mal zu dick und mal eine Idee zu dunkel/hell/trüb/whatever.)
Ecken und Kanten sind das eine. Wenn sie gewollt sind: gut! Aber du schreibst ja selbst, dein Bier ist dir mal zu dies, mal zu das - also nicht so gut, wie du es gerne hättest. Und wenn man es dann besser machen will, arbeitet man halt so reproduzierbar wie möglich. Das macht ja bei Sachen wie dem Wiegen und Auslitern auch keine Mühe. Andere Parameter sind schwieriger, deshalb sollte man das leicht zu Reproduzierende m.E. so genau wie möglich machen.

Ich selbst bin nach weniger als zehn Suden noch in der Experimentierphase, es gibt ja sooo viele Rezepte! Ich habe mit dem Amarillo Weizenbock von MMuM aber schon ein Rezept, das ich nochmal brauen werde. (Je früher, desto längere Reifemöglichkeit bis zum Winter.) Dann wird es spannend, ob es nochmal so gelingt wie aktuell. Auch dieser Vergleich kann reizvoll sein. Für mich ist er reizvoller, als wieder mal Ecken und Kanten in Form von DMS, Schwefel oder zu geringer Karbonisierung zu haben.

Schöne Ostern
Michael
„Ah, das schmeckt wie ein richtiges Vierzehnzwanziger“

Meine Anlage: viewtopic.php?f=20&t=12052
Meine Vorstellung: viewtopic.php?f=50&t=11885
Haus, Auto und Frau zeig ich nicht.
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#18

Beitrag von Schwabsibräu »

Dere heißt habe die Ehre (Oberpfalz).
Komma braucht es nicht.
Jeder ist so wie er ist und so übt er auch sein Hobby aus, mit oder ohne Ehrgeiz, mit etwas zufrieden sein ist genauso gut wie immer besser werden wollen.
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#19

Beitrag von Florianro »

Ich glaube es ist beim brauen ähnlich wie beim kochen:

- zuerst lernt man, man geht nach Rezept vor
- wenn man eine gewisse Erfahrung hat fängt man an ein bisschen abzuweichen
- noch später kommt dann vielleicht noch die Rezeptentwicklung dazu: man hat einen Geschmack im Kopf und entwirft das Bier dazu

Allerdings ist das aus meiner Sicht ganz personenbezogenen: manche gehen immer nur exakt nach dem Rezept vor, manche nie....

Ich mache seit fast 20 Jahren Pizza und wollte immer eine perfekte pizza neapoletana machen: hab viel experimentiert und recherchiert... Inzwischen bin ich ganz zufrieden damit.... Auch wenn es vielleicht nicht immer eine pizza neapoletana ist...

Heute haben wir Osterpinze gebacken... Und haben davor noch schnell drei Pizzen eingeschossen:
Pizza
Pizza
Mahlzeit äh prost,
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#20

Beitrag von afri »

Ladeberger hat geschrieben:Welche Zutaten genau machen denn dein Hobbybrauer-Pils edler als ein Industrie-Pils? Gut abgelagerte Malze, Hopfen und Hefe?
Falls du mich meintest, nicht die Zutaten, sondern eher die Begleitumstände. Mein Bier wird beispielsweise nicht groß bewegt, zwischen Coldcrash und Trinken wandern die Kisten einmal von der Kühlkiste in den dunkelsten Raum im Haus. In meinen Augen verliert Bier irgendwie an Qualität, wenn es durch Transport bewegt/geschüttelt wird, aus welchem Grund auch immer.

Dann die relative Frische, ich kann das noch junge Bier trinken oder das, was schon ein halbes Jahr in besagter Ecke steht. Meist war bislang das länger gelagerte Bier besser, als das ganz frische welche. Meine Jährlinge und auch Zweijährlinge unterstützen dies auch fast immer. Dass besagte Langzeitbiere nicht wissenschaftlichen Gesichtspunkten standhalten, ist mir durchaus klar; eine Flasche nach zwei Jahren zu testen lässt sicherlich keinerlei Rückschlüsse zu, die dazu raten, jedwedes Bier möglichst jahrelang stehen zu lassen (außer die relative Glanzfeinheit, die mich nach so langen Lagerzeiten immer wieder zu überraschen vermag).

Erneut danke für die rege Diskussion, es sind viele nette Gedanken dabei, das wollte ich mit diesem Thread auslösen.
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#21

Beitrag von glassart »

@ Florian
etwas abseits vom Thema aber bzgl. Philosphie ähnlich gelagert
-ich bin seit 35 Jahren auf den Spuren der richtigen Neapolitana
-seit einem Jahr bin ich verdammt nahe dran und das nicht nur durch Zufall sondern sehr viel Experiment , Analsyse und Misserfolge.
-Pizza wird es immer aber ...... :Bigsmile
-ein gutes Bier dazu kann natürlich einiges kaschieren :Smile
- Florian, welchen Ofen hast du da - sieht fast wie meiner aus?

nun aber wieder zurück zum Bier :Greets

Vg Herbert
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#22

Beitrag von afri »

Boludo hat geschrieben:Was ist so falsch daran wenn man versucht, sein Handwerk möglichst gut im Griff zu haben?
Murksen kann jeder.
Daran ist nichts verkehrt, im Gegentum. Mich interessieren halt die Gegenentwürfe, also die Sude, die zufällig gut wurden, wie so viele. Warum brauen denn so viele aufwändig selbst, wenn das Kaufbier doch viel einfacher und preisgünstiger zu haben ist? Und warum ist nicht jedes selbst gemachte Bier wie das andere bzw. ist das überhaupt nötig?

Mögliche Antwort: weil es schon beinahe automatisch besser schmeckt, als gekauft (und hier kommt sicherlich auch eher die Psychologie als die Philosophie in's Spiel). Selbst gekochte Hühnerbrühe schmeckt auch nicht immer gleich, jedenfalls bei mir nicht, aber immer noch besser, als Instant. Ist das vielleicht vergleichbar?
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#23

Beitrag von diapolo »

Hi,
ich gehöre zu der Gruppe die seit mehreren Jahren versuchen ein "Industrie" Helles zu brauen. Ich verbraue immer die gleiche Malzmischung und ändere nur die anderen Parameter wie Prozesstechnik Wasser usw...Nur so bin ich der Meinung den Brauprozess richtig in den Griff zu bekommen.
Ich versuche bewusst die "Ecken und Kanten" zu eliminieren. Dieses gelingt mir immer besser, dieses ist mein Anspruch ans Hobby.

Jeder wie er mag, für mich ist das der Weg...

mfg

Bernd
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#24

Beitrag von Griller76 »

flying hat geschrieben:Warum? Diese Frage ist in der Tat hochphilosophisch. Weil wir uns mitten in der industriellen Revolution 4.0 und auf dem Weg zur technologischen Singularität befinden. Wenn der große technologische Big Bang kommt, also wenn die Menschen aufgrund der intellektuellen Fähigkeiten der Maschinen überflüssig werden, dann kommt die Stunde unserer Bewegung. Der Hobbybrauer, winzer, metzger, wurster, seifer, käser, gärtner usw. Leuten die sich mit etwas zutiefst menschlich-essentiellen, archaisch- urtümlichen befassen. Wir können mit unseren Töpfen, Pfannen und Maischehölzern noch ein Weilchen um das schwarze Loch kreisen bevor wir verschlungen werden, wie bei jeder Singularität zwangsläufig so üblich..

Philosophisch genug..? :Wink :P
Das finde ich eine wirklich gute Erklärung. Ich selber bin im Hauptberuf ja auch Handwerker und in der Handwerkskammer aktiv. Echtes Handwerk liefert hohe Qualität, kann aber keine 100%ig gleiche Produkte im Vergleich untereinander liefern, da auch mit Maschinenunterstützung das menschliche Auge das Zielmaß bleibt. So sehe ich das auch beim Hobbybrauen: Wir sollten nicht versuchen 100%ige Kopien von etwas herzustellen, denn das klappt nicht, aber gutes Bier. Wie das Pizzabeispiel zeigt, macht es aber Sinn bei Lieblingsrezepten nach Verbesserungen zu tüfteln. Als Mensch zu versuchen einer seelenlosen computergesteuerten Maschine nachzueifern ist weder sinnvoll, noch gut.

Ein anderes lobenswertes Beispiel ist das riesige Schaukelmotorrad für meine Tochter welches ich gebraucht gekauft habe, das ein Schreiner als Meisterarbeit verfertigt hat. Klar, es ist nach industriellen Standards gesehen nicht perfekt, aber es hält mich und unsere Tochter zusammen aus und ist sogar ein Zweisitzer. Das würde mir die Industrie nicht bieten!
Iss was gar ist, trink was klar ist und sag was wahr ist. (Luther)

Ich bin: Der Seelenbräu – Himmlisches Bier vereint Herz und Seele!
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Sura
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#25

Beitrag von Sura »

Sehr interessanter Thread. Wenn auch Philosophisches in meinen Ingenieur-Gehirnwindungen nie lange bestand hat: Irgendwann schlägt dann doch der Durst nach Fakten und Erklärungen wild um sich und schmeisst die Weltanschauungen erstmal raus.
Trotzdessen begleitet es das brauen auch immer. Momentan befinde ich mich auf einen augenzwinkernden "Weg zur Erkenntnis." .... es wird nicht mehr ziellos sondern gezielt ausprobiert. Das Ergebnis im großen ist in den Hintergrund gewandert, die kleinen Unterschiede sinds die mich momentan interessieren und antreiben. Und die Suche nach dem Minimalismus: Nach jedem Brauvorgang schau ich was in der Schublade zurückgeblieben ist, und sortiere einen Teil davon aus. Grade der Minimalismus ermöglicht es mir die für den "Weg zur Erkenntnis" notwendigen Multisude fahren zu können.
Falls es denn mal endlich was wohlschmeckendes werden soll oder muss (je nach Füllstand im Kühlschrank), erschlägt mich immer noch die Fülle an Hopfen. Und schon steht dann die Frage im Raum, ob ich nicht doch lieber zwei-drei SMaSH mache.....

Das Gute oder sogar das Beste am Hobby "Bierbrauen" ist einfach, das es unendliche Möglichkeiten gibt: Sobald ich bei einer Sache weiß wie sie funktioniert, wirds mir sonst schlagartig langweilig. Ich glaube allerdings nicht, das ich mich jemals langweilen werde. Ein fantastisches Hobby. :)

Gruß,
Kai
"Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem."
(Karl Valentin)
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#26

Beitrag von emjay2812 »

In meiner Anfangszeit war jeder Sud ein anderes Bier. Die Folge davon war, dass ich keinerlei Möglichkeiten hatte, ein Bier zu verbessern oder zu vergleichen wenn ich nach langer Zeit ein Rezept nochmals braute.

Mittlerweile habe ich ein Standardrezept, dass nur durch Hopfen und Hefe verändert wird. Obwohl es immer das gleiche Rezept ist, und eigentlich reproduzierbar sein sollte, ist das nie der Fall. Die Stammwürze schwankt grne mal um ein, zwei Grad, die Gärtemperatur kann nicht immer gleich sein etc.

Es kommt also immer ein dem vorherigen Bier sehr ähnliches - aber niemals das gleiche Produkt heraus.
Absolute Reproduzierbarkeit halte ich im Hobbybereich für kaum möglich - oder aber man ist ein Technikfreak, der jede kleinste Stellschraube kontrollieren kann.

Den Vergleich zum Kochen finde ich gut, hier variiert der Geschmack auch immer leicht, trotz gleichem Rezepts.
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Burkhart
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#27

Beitrag von Burkhart »

Hallo Achim,
ich finde diese Diskussion sehr interessant! Und ich muß Dir (und allen bisherigen Diskussionsteilnehmern) ein großes Lob aussprechen, weil es noch zu keinerlei Anfeindungen und Grabenkriegen gekommen ist.
Mich fasziniert immer wieder, wie unterschiedlich die Ansätze unserer Hobbykollegen sind.
Ich käme nie auf die Idee ein 'Industriebier', dass ich in angemessener Qualität für einen ordentlichen Preis kaufen kann 'nachzubrauen'.
Ich käme auch nicht wirklich auf die Idee meine Brauanlage soweit zu perfektionieren & zu automatisieren, wie es hier einige tun.
Mir würde etwas fehlen, wenn der Brautag nicht damit beginnen würde, erstmal Feuer unter dem Kessel zu machen....
Mir gefällt auch der Gedanke, dass ich jederzeit in der Lage wäre auch ohne Strom (den ich nur für meine Pumpe brauche) zu brauen. Dafür nehme ich gerne in Kauf, dass jedes Bier etwas anders ausfällt auch wenn es sich um das gleiche Rezept handelt. Es ist eben ein sehr ursprüngliches, handwerkliches Produkt.
Trotzdem finde ich Beiträge, die zum Teil vollautomatisierte, selbstgebaute Hobbybrauanlagen vorstellen auch immer sehr spannend, aber das wäre nicht mein Hobby...
Ich denke es gibt hier soviele Ansätz, wie es Hobbbrauer gibt. Das ist ein sehr individualistisches Hobby und das ist gut so!
Cheers
Burkhart
Rabenbräu Hunsrück

"Trink deine Cervisia. Sie wird sonst kalt!"
(Berühmtes gallisches Zitat)
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aegir
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#28

Beitrag von aegir »

afri hat geschrieben:Mein Bier hat Ecken und Kanten, mal ist es zu bitter oder zu trocken, mal zu dick und mal eine Idee zu dunkel/hell/trüb/whatever. Genau das ist es doch aber (zumindest für mich), was es vom Radebitsteiner unterscheidet. Man hat was anderes im Glas, das nicht wie "deutsches Pils" schmeckt und riecht.
Man hat was anderes im Glas, das wieder wie "deutsches Pils" schmeckt und riecht.
Dabei sollte es die Zielvorstellung schon möglichst genau erfüllen. Zum Glück kommt es nur noch sehr selten vor, dass ich den Bierstil nachträglich ...ähh... korrigieren muss :Angel
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Bierjunge
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Re: Etwas Philosophie übers Hobbybräu

#29

Beitrag von Bierjunge »

Meine eigene Braukarrire zerfällt rückblickend in vier Abschnitte:
  • Zunächst habe ich etablierte Rezepte aus der Literatur nachgebraut (v.a. Ales und Weißbier), um laufen zu lernen. Und freute mich, wenn man erkennen konnte, was es sein sollte.
  • Dann kam die Phase des wilden Herumprobierens (andere Hopfen, andere Stärketräger wie Maronen, Polenta, Kürbis und Linsen, Gewürze und ähnlich wildes Zeug, durchgeknallte Maischverfahren uvm). Das macht eine Zeit lang Spaß, auch wenn (oder gerade weil?) jegliche Vergleichsbasis fehlt. Man freut sich, dass es gar nicht schlecht ist, aber mit welchem anderen Linsenbier soll man es nun vergleichen?
  • Mittlerweile braue ich zunehmend gerne klassische untergärigie Stile, zum einen, weil ich die gerne trinke (an einem noch so gelungenen Pumpkin Spice Ale hat man sich dagegen sehr schnell über), aber auch, weil ich mir ein Loch in den Bauch freue, dass ich es inzwischen reproduzierbar beherrsche, und den Vergleich mit manchen käuflichen Bieren nicht scheuen zu brauchen meine.
  • Und hat man sich erst einmal eine Reproduzierbarkeit schlanker untergäriger Biere erarbeitet, ist das eine wundervolle Ausgangsbasis, davon ausgehend wieder kreativ zu werden. Zum Beispiel mit verschiedensten Hopfen dezent zu stopfen oder Whirlpoolgaben zu machen. Und dann zieht auch das Argument nicht mehr, solche Biere könne man leichter, besser und billiger im Getränkemarkt kaufen!
Moritz
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