Frage an die Dekoktionsspezialisten

Antworten
Hobrau
Posting Klettermax
Posting Klettermax
Beiträge: 133
Registriert: Dienstag 6. Juni 2017, 23:26

Frage an die Dekoktionsspezialisten

#1

Beitrag von Hobrau »

Hallo zusammen,

bevor ich im Forum meine erste Frage poste, möchte ich mich erstmal recht herzlich bei allen Aktiven hier bedanken.
Bis jetzt habe ich 11 Sude in verschiedenen Konstellationen, Größen und Orten hinter mir, lese seit etwa 1,5 Jahren mit und bin seit diesem Jahr auch im Forum angemeldet. Ohne diese großartige Plattform wäre ich längst nicht so weit gekommen. Nun aber zu meiner Frage, deren Antwort ich hier noch nicht gelesen habe:
Bisher habe ich immer mit der typischen Kesselinfusion (aufsteigende Temperaturen und Rasten) gebraut. Seit 2 Suden probiere ich das Dekoktionsverfahren. Dabei habe ich mich an das vorgestellte Verfahren aus dem sehr guten Artikel im Braumagazin gehalten (http://braumagazin.de/article/verkocht-und-zugebrueht/)
Dabei wird Dickmaische gezogen, verzuckert (72°C) und gekocht. Beim anschließenden zubrühen soll dann die Gesamtmaische auf 62° für eine Maltoserat erhitzt werden. Sinn dieser umgekehrten Temperaturfolge ist ja, dass die Dextrine, die bei der Verzuckerungsrast der Dickmaische entstehen, anschließend von den β-Amylasen während der Maltoserast weiter zu vergärbaren Zuckern zerteilt werden.
Das Verfahren hat super in der Praxis geklappt und das bereits fertig vergorene Bier schmeckt schon nach 2 Wochen richtig gut und vollmundig. Bis jetzt eigentlich mein bestes Bier, obwohl sich die Schüttung lediglich aus PiMa und WiMa (75/25) zusammensetzt.
Jetzt habe ich mal andere Dekoktionsrezepte studiert und konnte feststellen, das sehr viele diesen Schritt nicht gehen, sondern dass die erste Kochmaische genutzt wird, um von z.B. 62° auf 72° zu kommen. (Zum Beispiel hier: https://www.maischemalzundmehr.de/index ... ktoberfest oder auch im Hanghofer-Buch) Weiss jemand, warum das so gemacht wird? Der Vorteil der Dekoktion ist doch gerade, dass man die Rasten in umgekehrter Reihenfolge fahren kann.
Was für geschmakliche Auswirkungen wird das haben? Hat jemand Erfahrung mit unterschiedlichen Temperaturstufen bei der Dekoktion? Gibt es da auch gewisse "Faustregeln"?
Und: Wie sieht das aus bei Rezepten, die eigentlich typische Kombirasten verwenden (Pale Ale oder belgische Biere etc.). Hat da schon mal jemand von Euch mit solchen Dekoktionsverfahren herumprobiert?

Ich hoffe, ich konnte mich einigermassen verständlich ausdrücken. Für Eure Antworten herzlichen Dank und viele Grüße

Chris
Schöne Grüße
Chris :Greets
Benutzeravatar
schlupf
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1697
Registriert: Sonntag 5. Juni 2016, 15:51
Wohnort: Lentföhrden

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#2

Beitrag von schlupf »

Hallo,
Bei der Frage schließe ich mich gleich an.
Über Dekoktion findet man leider im Netz wirklich wenig abseits von Moritz' Artikel, der Seite von Braukaiser und ein paar tiefgehender aber schwer nachvollziehbarer Threads aus dem alten Forum (Stichwort Maischereste).

Dekoktion ist ja wirklich ein sehr weites Feld. Man hat die Qual der Wahl schon bei der Einmaischtemperatur und dann lässt sich jede erdenkliche Temperaturstufe per Dekoktion erreichen und das wahlweise mit Normal-, Dick-, Dünn- oder Lautermaische oder per Zubrühen.

Eine vernünftige Übersicht von klassischen Verfahren habe ich noch nicht gefunden.
Im Hanghofer wird viel angerissen, aber so gesammelt erklärt nicht. Spontan fallen mir das Münchner Zweimaischverfahren, das Wiener Zweimaischverfahren, Hoch-Kurz-Dekoktion und das Pilsener Dreimaischverfahren ein, zu denen die Informationen relativ dünn sind.

Wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre das noch ein weiterer Artikel von Moritz über die verschiedenen Prozesse und ihre Anwendbarkeit mit modernen Malze im Hobbybereich.

Das Zweimaischverfahren von Moritz hat meiner Auffassung nach den Vorteil, dass es relativ zeitsparend ist und tatsächlich die gesamte Schüttung vorverzuckert und physikalisch durchs Kochen aufgeschlossen wird und die Rasten "andersrum" durchläuft. Theoretisch könnte ich mir vorstellen, dass die Biere damit eher schlank werden.

Sehr interessant fände ich auch noch mehr Infos über die "angedeutete Dekoktion" als Ersatz für das Herrmann-Verfahren, was letzens mal irgendwo erwähnt wurde.
Wenn ich mich recht erinnere, sollte man kalt und dünn Einmaischen, und die Dickmaische irgendwo im Kombirastbereich verzuckern, dann nicht kochen und zurückmaischen, so dass man dann bei der Maltaserast landet. Aber wie macht man von da aus weiter? Ich stelle mir das zumindest weniger aufwändig vor, als das doppelte Einmaischen...

Wird das Thema eigentlich in dem kommenden Buch von Jan besprochen?

Ich hoffe, nicht noch unnötig Verwirrung gestiftet zu haben. Ich finde das Thema sehr interessant und wüsste gerne viel mehr, als ich bisher finden konnte.

Viele Grüße,
Sebastian
Benutzeravatar
Johnny H
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3996
Registriert: Donnerstag 31. Januar 2013, 22:08
Wohnort: Graz, Österreich

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#3

Beitrag von Johnny H »

Es geht ja meines Erachtens bei der Dekoktion nicht nur um das umgekehrte Fahren der Rasten, sondern auch um eine geschmackliche Änderung, eine Zunahme des kernigen Charakters etc., wobei es auch da Stimmen gibt, die das bestreiten.

Im Grunde genommen ist alles erlaubt. Abraten würde ich persönlich aber von den Verfahren, bei denen die Maische länger bei einer Eiweißrasttemperatur steht. Da kann sich der dadurch gesteigerte Proteinabbau kontraproduktiv auf die Schaumstabilität auswirken.

Hier auch noch ein ganz toller alter Thread zum Thema. Hier noch einer. Und hier eine Referenz zu einem Geschmackstest bei Pilsner Urquell mit verschiedenen Dekoktionsverfahren.

Wenn ich selbst mit Dekoktion braue, nehme ich oft ganz einfache Schüttungen (manchmal nur 100% Basismalz). Die Geschmackszunahme bzw. -abrundung durch die Dekoktion sorgt da meist für den Rest, und man erhält ein wunderbar komplexes Bier. Da ist weniger oft mehr.

In Pale Ales habe ich es noch nicht probiert, aber ich habe schon mal eine 100% Maris Otter-Schüttung per Dekoktion verbraut und untergärig vergoren. Das war auch ganz wunderbar.
Jubel erscholl, als sich die Trinker von dem schneidigen, köstlichen, bei dem früher in Pilsen erzeugten nie wahrgenommenen Geschmack überzeugten. Die Geburt des Pilsner Bieres!
(E. Jalowetz, Pilsner Bier im Lichte von Praxis und Wissenschaft, 1930)
Benutzeravatar
Bergbock
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1474
Registriert: Mittwoch 17. Dezember 2008, 22:07
Wohnort: Baselbiet

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#4

Beitrag von Bergbock »

Ich habe den Eindruck, bei der Fragestellung nach Sinn und Zweck geht ein bisschen was durcheinander. :Bigsmile
Sinn der Dekoktion war ursprünglich, einen möglichst genauen Temperatursprung zu erzielen. Weiterhin war der eigentliche Braukessel oft aus Holz und damit nicht beheizt, zum anderen wäre sogar im Falle eines beheizten Braukessels aus Metall eine Steuerung der Temperatur bei einer direkten Befeuerung schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Durch genaues Berechnen (thermische Masse, Mischkreuz) konnte man durch definiertes Zubrühen einer Kochmaische sehr genau eine Wunschtemperatur einstellen.

Das ist mal das eine, der zweite Punkt betrifft nun, welche Rasttemperaturen durch Kochmaischen überbrückt werden. Hier gibt es eben sehr viele Varianten, z.B. das bekannte Dreimaischverfahren, das bei Pilsner Urquell und etlichen Bock-/Doppelbockbieren heute noch zum Einsatz kommt.
Ich persönlich fahre Einmaisch- und evtl. Zweimaischverfahren, das Dreimaischverfahren ist mir zu langwierig und zum anderen - wie hier bereits erwähnt - ist eine lange Rast der Restmaische bei 52 °C mit heutigen Malzen eher kontraproduktiv.

Ich fahre also bis zur 62 °C Rast "ganz normal", nach 20 - 30 min Rast wird die Dickmaische entnommen, auf 72 °C erhitzt, 10 min gerastet und dann gekocht. In diesem Teil kommen erst durch das Kochen neue Dextrine hinzu, die hinterher in der resultierenden 72 °C Rast problemlos noch verzuckert werden. Die Rasten laufen nicht "andersrum", sonder ganz "normal", immer von unten nach oben - auch wenn ich weiss, wie Du das gemeint hast. Jede Teilmaische wird ja sukzessive erhitzt.
Den letzten Sprung auf 72 °C mache ich - wenn überhaupt - mit Dünnmaische.

Als Nebeneffekt dieser Kochmaischen erhält man einen geschmacksverstärkenden Effekt (der von einigen bestritten wird) weil durch das Kochen eben Aromen herausgelöst werden. Bei den früher üblichen, schlecht gelösten Malzen, hatte das Kochen auch einen wichtigen, aufschliessenden Effekt.

Ich bin grosser Fan der Dekoktion, mache sie aber nur bei Starkbieren und bei böhmischen Pilsnern. Ich finde die resultierenden Biere hier deutlich vollmundiger, malziger und schmackhafter als früher, wo ich reine Infusion gefahren bin.

Frank
Benutzeravatar
Bierjunge
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3452
Registriert: Mittwoch 28. Oktober 2009, 15:54

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#5

Beitrag von Bierjunge »

schlupf hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 08:56 Wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre das noch ein weiterer Artikel von Moritz über die verschiedenen Prozesse und ihre Anwendbarkeit mit modernen Malze im Hobbybereich.
Na schön, der Wunsch ist angekommen. :Greets
Ich nehme das mal auf meine to-do-Liste fürs nächste Braumagazin.
Übrigens gibt es im Narziss sehr viel über die unterschiedlichen klassichen Verfahren, allerdings hat nicht jeder das Buch, und auf Hobbybedingungen ist auch nicht alles 1:1 übertragbar. Ich kann ja mal versuchen, das etwas zu ordnen und garniert mit eigenen Erfahrfungen ein wenig zusammenzufassen.
Sofern Jan das nicht eh schon in seinem Buch getan hat (was ich nicht weiß).
Johnny H hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 09:42 Im Grunde genommen ist alles erlaubt. Abraten würde ich persönlich aber von den Verfahren, bei denen die Maische länger bei einer Eiweißrasttemperatur steht. Da kann sich der dadurch gesteigerte Proteinabbau kontraproduktiv auf die Schaumstabilität auswirken.
Sehe ich auch so. Genau das war ja der Grund, im von mir bevorzugten Zweimaischverfahren die lange Proteinrast des urspr. Dreimaischverfahrens komplett zu überspringen.

Zur ursprünglichen Frage:
Hobrau hat geschrieben: Mittwoch 1. November 2017, 22:14 Jetzt habe ich mal andere Dekoktionsrezepte studiert und konnte feststellen, das sehr viele diesen Schritt nicht gehen, sondern dass die erste Kochmaische genutzt wird, um von z.B. 62° auf 72° zu kommen. (...) Weiss jemand, warum das so gemacht wird? Der Vorteil der Dekoktion ist doch gerade, dass man die Rasten in umgekehrter Reihenfolge fahren kann.
Ich könnte mir vorstellen, dass man damit auch mit modernen Malzen ganz bewusst vergleichsweise viel Restextrakt erzielen könnte, indem die Kochmaische eben nicht mehr in Kontakt mit beta-Amylasen kommt.
Wie oben schon geschrieben, kann man durch Variation der Schüttung, der Konsistenz der Kochmaischen und der Zubrüh-Temperaturen unglaublich viel herumspielen. Wobei ich inzwischen zur Ansicht tendiere, dass der Einfluss all dieser Spielereien aufs Endergebnis, etwa verglichen mit einer anständigen Gärführung, relativ überschaubar ist. Zumindest mit modernen Malzen, denen man eigentlich nur noch "warmes Wasser zu zeigen" braucht, damit sie augenblicklich vollständig verzuckern (überspitzt ausgedrückt).

Spaß machen tut es trotzdem!
Hobrau hat geschrieben: Mittwoch 1. November 2017, 22:14 Und: Wie sieht das aus bei Rezepten, die eigentlich typische Kombirasten verwenden (Pale Ale oder belgische Biere etc.). Hat da schon mal jemand von Euch mit solchen Dekoktionsverfahren herumprobiert?
Es soll ja sogar Hobbybrauer geben (hallo Morpheus! :Greets ), die so angefixt davon sind, dass ihnen mittlerweile kein Bier mehr auf die Hefe kommt, ohne wenigstens eine Dekoktion gesehen zu haben. Ob es im Einzelfall stiltypisch oder gar sinnvoll ist, sei mal dahingestellt.
Bei dunklen Ales (Porter) oder auch sehr malzigen Ales (heftige IPAs) mache auch ich hin und wieder aus purem Spaß an der Freud' Dekoktionen. Ob es allerdings einen merklichen Unterschied macht, im Angesicht starker Hopfen- oder Röstnoten, glaube ich eher weniger.

Moritz
Benutzeravatar
schlupf
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1697
Registriert: Sonntag 5. Juni 2016, 15:51
Wohnort: Lentföhrden

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#6

Beitrag von schlupf »

Ich bin ja erst seit Anfang des Jahres in der Bottichfraktion und sammel so meine ersten Erfahrungen.
Gute Ergebnisse hatte ich mit dem, was beim Hanghofer als Münchner Zweimaischverfahren geführt wird. Kurz gefasst:
Einmaischen auf 57°,
Nach 10 Minuten Zubrühen auf 63°,
Dekoktion mit Dickmaische auf 72°
und dann Dekoktion mit Dünnmaische auf 76° Abmaischtemperatur.

Ich finde das passt ganz gut für malzige Biere wie Festbier und Märzen. Die vorverzuckerten Teilmaischen kommen dabei ja nicht nochmal in der Bereich der Maltoserast.

Eine schlechte Erfahrung hatte ich, als ich den Rehauer Doppelbock nachbrauen wollte. Da wird auf 55° eingemaischt, aufgeheizt (in meinem Fall zugebrüht) auf 60°, dann mit der ersten Dekoktion auf 68° und der zweiten auf 78°.
Das Bier hatte einen relativ niedrigen Vergärgrad gehabt und war meinem Empfinden nach fies süß und hat fast nach Würze geschmeckt, obwohl ich es schon stärker gebittert hatte, als das Original.

Ich würde mir das dadurch erklären, dass bei der 60° Rast zwar die Beta-Amylase motiviert war, aber vermutlich die Stärke doch nicht verkleistert und zugänglich war. Dann kam erschwerend hinzu, dass ich die 68° Rast nicht auf Anhieb getroffen hatte und die Maische schnell mit kaltem Wasser von 70° wieder runtergekühlen musste. Und bei 78° dürfte eigentlich auch nicht mehr viel passieren im Hinblick auf vergärbare Zucker.

Kann das sein, oder hat vielleicht einer der Experten eine andere Erklärung?

Zum Glück hat das Gebräu im Bekanntenkreis einen regelrechten Fan gefunden, dem ich den Großteil gerne überlassen habe. Mir war das viel zu süß...

Dieses Wochenende will ich zum ersten Mal für ein böhmisches Pilsner ein, an Moritz' Verfahren angelehntes, Dreimaischverfahren ausprobieren (Einmaischen auf 38°, Dickmaische auf 64° (vielleicht mit kurzem Zwischenstopp bei 55°?), Dickmaische auf 72° und Dünnmaische auf 76° Abmaischtemperatur). Theoretisch sollte da doch ein relativ schlankes Bier rauskommen, weil die vorverzuckerte, große, erste Teilmaische nach dem Kochen nochmal im Beta-Amylase-freundlichen Temperaturbereich rastet.
Oder bin ich da auf dem Holzweg?

Viele Grüße,
Sebastian
Benutzeravatar
Ladeberger
Moderator
Moderator
Beiträge: 7287
Registriert: Dienstag 20. November 2012, 18:29

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#7

Beitrag von Ladeberger »

schlupf hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 11:28 Das Bier hatte einen relativ niedrigen Vergärgrad gehabt und war meinem Empfinden nach fies süß und hat fast nach Würze geschmeckt, obwohl ich es schon stärker gebittert hatte, als das Original.

Ich würde mir das dadurch erklären, dass bei der 60° Rast zwar die Beta-Amylase motiviert war, aber vermutlich die Stärke doch nicht verkleistert und zugänglich war. Dann kam erschwerend hinzu, dass ich die 68° Rast nicht auf Anhieb getroffen hatte und die Maische schnell mit kaltem Wasser von 70° wieder runtergekühlen musste. Und bei 78° dürfte eigentlich auch nicht mehr viel passieren im Hinblick auf vergärbare Zucker.

Kann das sein, oder hat vielleicht einer der Experten eine andere Erklärung?
60 °C ist tatsächlich etwas niedrig angesetzt, da die Verkleisterungstemperaturen vieler aktueller Gerstenmalze etwas höher liegt. Eine sensorisch prägnante Restsüße erklärt das aber nur bedingt, stammt diese doch vorranging von vergärbarem Extrakt. Besonders im Zusammenhang mit einem "Würzegeschmack" deutet für mich hier mehr auf Probleme bei der Gärung hin.
schlupf hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 11:28 Dieses Wochenende will ich zum ersten Mal für ein böhmisches Pilsner ein, an Moritz' Verfahren angelehntes, Dreimaischverfahren ausprobieren (Einmaischen auf 38°, Dickmaische auf 64° (vielleicht mit kurzem Zwischenstopp bei 55°?), Dickmaische auf 72° und Dünnmaische auf 76° Abmaischtemperatur). Theoretisch sollte da doch ein relativ schlankes Bier rauskommen, weil die vorverzuckerte, große, erste Teilmaische nach dem Kochen nochmal im Beta-Amylase-freundlichen Temperaturbereich rastet.
Oder bin ich da auf dem Holzweg?
"Böhmisches Pilsener im Dreimaischverfahren" und "schlank" habe ich auch noch nicht in einem Satz gesehen.

Gruß
Andy
Benutzeravatar
schlupf
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1697
Registriert: Sonntag 5. Juni 2016, 15:51
Wohnort: Lentföhrden

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#8

Beitrag von schlupf »

Also schlank verglichen mit einem Märzen oder Festbier...

Naja ich denke, die niedrige Maltoserasttemperatur in Verbindung mit der nicht ganz getroffenen 68° Rast waren schuld. Ist aber nur ne Vermutung.

Angestellt hatte ich das Bier (23L 18,5P) mit ca. 350ml am Vortag geerntetem Hefebrei (Erbslöh BrewMaster Lager) von einem Märzen. Belüftet per Schneebesen, angestellt bei 9°, Gärung bei 12° und ab 60% VG täglich 1° erhöht bis 16°. Nach Cold Crash (testweise mit Gelatine) abgefüllt und per Dosierhilfe karbonisiert. Danach längere Zeit in Opas kühlem Keller reifen gelassen.
Ideal ist die Gärführung wahrscheinlich nicht, aber auch die letzten Flaschen waren jetzt nach der langen Zeit nicht überkarbonisiert oder so. Ich denke mal, dass alles was an Vergärbarem da war, auch vergoren worden ist...
Oder nicht?

Edith sagt, ich hatte die Hefe jetzt schon öfter (zwar nicht geerntet) und die anderen Biere damit waren ganz "normal".
Benutzeravatar
Ladeberger
Moderator
Moderator
Beiträge: 7287
Registriert: Dienstag 20. November 2012, 18:29

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#9

Beitrag von Ladeberger »

Dafür wäre die Angabe des Restextraktes wohl hilfreich. Aber vielleicht besser in einem eigenen Thread.

Gruß
Andy
Hobrau
Posting Klettermax
Posting Klettermax
Beiträge: 133
Registriert: Dienstag 6. Juni 2017, 23:26

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#10

Beitrag von Hobrau »

Hallo zusammen,
erstmal vielen Dank für Eure ausführlichen und hilfreichen Antworten und auch die Literatur, bzw. die verlinkten Forumsbeiträge zur Dekoktion. Ich habe ein wenig gebraucht, um alles zu sichten und war außerdem (leider) anderweitig eingespannt.

Und dann nochmal im Einzelnen:
Johnny H hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 09:42 Es geht ja meines Erachtens bei der Dekoktion nicht nur um das umgekehrte Fahren der Rasten, sondern auch um eine geschmackliche Änderung, eine Zunahme des kernigen Charakters etc., wobei es auch da Stimmen gibt, die das bestreiten.
Ja, die Diskussionen finde ich echt sehr interessant. Scheint wohl auch zum Großteil eine Glaubensfrage zu sein....

Bierjunge hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 10:12
Ich könnte mir vorstellen, dass man damit auch mit modernen Malzen ganz bewusst vergleichsweise viel Restextrakt erzielen könnte, indem die Kochmaische eben nicht mehr in Kontakt mit beta-Amylasen kommt.
Wie oben schon geschrieben, kann man durch Variation der Schüttung, der Konsistenz der Kochmaischen und der Zubrüh-Temperaturen unglaublich viel herumspielen. Wobei ich inzwischen zur Ansicht tendiere, dass der Einfluss all dieser Spielereien aufs Endergebnis, etwa verglichen mit einer anständigen Gärführung, relativ überschaubar ist. Zumindest mit modernen Malzen, denen man eigentlich nur noch "warmes Wasser zu zeigen" braucht, damit sie augenblicklich vollständig verzuckern (überspitzt ausgedrückt).

Spaß machen tut es trotzdem!
Die Erhöhung des Restextraktes kling einleuchtend. Dann sollte ich mal das gleiche Rezept nur mit einer Kochmaische allein zur Verzuckerungsrast probieren.....Allerdings hat man doch dadurch auch weniger Maische gekocht (1/3 statt 1/2), da ein geringerer Temperatursprung (63 auf 72 statt 35 auf 62) notwendig ist. Wirkt sich das dann nicht auch geschmacklich aus, also weniger Dekoktionscharakter?
Die Herumspielerei mag ich übrigens auch sehr. Viel Hobbybrauer stehen (zurecht) auf totale Automatisierung, ich finde (zumindest in meinem Anfangsstadium), dass Schöne daran ist ja die Handarbeit mit dem Produkt und die Erfahrung, wie sich das Ganze während des Prozesses verändert. So eine Mischung aus Kochen und Labor....
Bergbock hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 10:09
Ich persönlich fahre Einmaisch- und evtl. Zweimaischverfahren, das Dreimaischverfahren ist mir zu langwierig und zum anderen - wie hier bereits erwähnt - ist eine lange Rast der Restmaische bei 52 °C mit heutigen Malzen eher kontraproduktiv.
Danke nochmal für die historische Einordnung. Das mit der zu langen Rast ist logisch. Die 2 Biere, die ich bis jetzt mit Dekoktion gemacht habe, und bei denen die Eiweißrast übersprungen wurde (35° auf 65 °) zeichnen sich durch einen sehr stabilen Schaum aus....
Bergbock hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 10:09 Ich fahre also bis zur 62 °C Rast "ganz normal", nach 20 - 30 min Rast wird die Dickmaische entnommen, auf 72 °C erhitzt, 10 min gerastet und dann gekocht. In diesem Teil kommen erst durch das Kochen neue Dextrine hinzu, die hinterher in der resultierenden 72 °C Rast problemlos noch verzuckert werden. Die Rasten laufen nicht "andersrum", sonder ganz "normal", immer von unten nach oben - auch wenn ich weiss, wie Du das gemeint hast. Jede Teilmaische wird ja sukzessive erhitzt.
Den letzten Sprung auf 72 °C mache ich - wenn überhaupt - mit Dünnmaische.

Ich dachte immer, dass die Dextrine, die bei der Verzuckerung entstehen, durch Grenzdextrinasen im Temperaturbereich bei etwa 60 -62 Grad zu vergärbaren, kürzer kettigen Zuckern umgebaut werden und dass diese Enzyme ab etwa 65 °C inaktiv werden, steht so zumindest im Narziß (Kap. 3.1)?

Auf jeden Fall ist das ein sehr spannendes Thema, dass ich bestimmt weiter verfolge. Und so ein Fortsetzungsartikel von Moritz im Braumagazin fände ich auch richtig toll!

So, das war's erstmal


Es grüßt herzlich
Chris
:Drink
Schöne Grüße
Chris :Greets
Benutzeravatar
Baschelder
Posting Junior
Posting Junior
Beiträge: 47
Registriert: Montag 25. April 2016, 19:15
Wohnort: Koblenz - Hunsrück

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#11

Beitrag von Baschelder »

Hallo zu
Ich hänge mich auch mal mit meiner Dekoktionsfrage hier dran:
Ist folgendes Maischverfahren so sinnvoll: https://brauerei.mueggelland.de/rezeptd ... 11495.html

Vorgehensweise:
+++ Maischverfahren +++
+ 1. Teilmaische +
In einem kleinem Kessel 36% des Malzes (außer Röstmalz) und 31% des Hauptgusses bei 50°C einmaischen und direkt auf 72°C aufheizen und 15 Minuten 15 Minuten bei 72°C rasten. Dann weiter hochheizen und 15 Minuten kochen. Direkt nach Kochbeginn der Teilmaische zeitgleich den Hauptguss einmaischen. (Siehe 2.)
+ 2. Hauptguss +
Restliches Malz (außer Röstmalz) und restliches Hauptgusswasser bei 53°C einmaischen und bei 50°C rasten.
+ 3. Teilmaische zubrühen +
Unter rühren der Hauptmaische wird die Teilmaische langsam in die Hauptmaische gebrüht (Vorsichtig, Sauerstoffeintrag vermeiden!).
+ 4. Hauptmaische rasten +
Hauptmaische sollte jetzt 63°C haben. 10 Minuten bei 63°C rasten. Röstmalz zugeben.
+ 5. Zweite Teilmaische ziehen +
Entnahme von Dünnmaische. Auf 72° aufheizen und 15 Minuten rasten. Dann weiter hochheizen und 15 Minuten kochen. Unter rühren der Hauptmaische wird die Teilmaische langsam wieder in die Hauptmaische zurück gebrüht (Vorsichtig, Sauerstoffeintrag vermeiden!).

Ziel/Zweck:
- Durch separates früheres einmaischen der 1. Teilmaische kann ich die Dickflüssigkeit (Dickmaische) gut beieinflussen, weil man nicht aus der Hauptmaische abschöpfen muss.
- Die Hauptmaische steht nicht lange bei Eiweißrasttemperaturen
- Die Teilmaische hat eine "absteigende Rast", erst 72°C dann 63 °C.

Ich würde gerne ein vollmundiges (nicht pappsüßes) schwarzes Bier brauen.

Gruß Dave
Benutzeravatar
Sura
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3489
Registriert: Montag 2. November 2015, 22:37

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#12

Beitrag von Sura »

Würde ich persönlich nicht so machen.

Dadurch, daß man zuerst mal alles zusammen einmaischt, lösen sich die Enzyme aus der gesamten Malzmenge im Dünnflüssigen. Diese Enzyme behält man wenn man die erste Dickmaische rauszieht. Deine Hauptmaische steht im übrigen nicht auf der Einweissrast: Dickmaische ist ja (wie schon der Name sagt) das dicke der Maische.
Du musst auch keine Dickmaische rauslöffeln. Es ist viel schlauer im Kochtopf einzumaischen, und dann die Dünnmaische nach der kurzen Rast bei 50°C (oder wo auch immer) rauszulöffeln und dann einfach loszukochen. Ich würde bei der Maltoserast nach der Dickmaische auch länger als 10min rasten. Unter 30min würde ich mich echt schwertun. Vor allem wenn du, wie im Rezept angedacht, schonmal 30% der Enzyme über den Jordan schickst.
Die Rast der Dünnmaische bei 72°C kann ich nicht nachvollziehen.

Sauerstoffeintrag ist natürlich auch immer ein Reizthema. Bei einem schwach gehopften, dekoktierten Schwarzbier musst du dir aber darum vor allem im Temperaturbereich des maischens jetzt nicht übermäßig viele Gedanken machen.

Orientiere sich mal an diesem Artikel.
"Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem."
(Karl Valentin)
Benutzeravatar
Baschelder
Posting Junior
Posting Junior
Beiträge: 47
Registriert: Montag 25. April 2016, 19:15
Wohnort: Koblenz - Hunsrück

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#13

Beitrag von Baschelder »

Dadurch, daß man zuerst mal alles zusammen einmaischt, lösen sich die Enzyme aus der gesamten Malzmenge im Dünnflüssigen. Diese Enzyme behält man wenn man die erste Dickmaische rauszieht.
OK, das leuchtet mir ein! Da hatte ich nicht drüber nachgedacht.
Deine Hauptmaische steht im übrigen nicht auf der Einweissrast: Dickmaische ist ja (wie schon der Name sagt) das dicke der Maische.
Wenn ich erst alles zusammen bei 50°C einmaische und dann erst die erste Teilmaische abziehe, steht die restliche Maische über 1 Stunde bei 50°C. Und das ist gemäß dieser Quelle die Eiweißrast: http://hobbybrauer-kompendium.de/e/eiwe ... irast.html
Du musst auch keine Dickmaische rauslöffeln. Es ist viel schlauer im Kochtopf einzumaischen, und dann die Dünnmaische nach der kurzen Rast bei 50°C (oder wo auch immer) rauszulöffeln und dann einfach loszukochen.
Das Problem bei mir ist, dass mein zweiter Topf für die Teilmaischen nur 12 Liter fasst. Die Teilmaische koche ich auf meiner Küchenherdplatte. Wenn ich 2/3 Dünnmaische abziehe um die restliche 1/3 zu kochen, ist der Schöpfaufwand größer und ich bräuchte ein Gefäß wo ich 2/3 Maische zwischenbunkern kann. In Plastikeimern will ich das nicht.
Ich würde bei der Maltoserast nach der Dickmaische auch länger als 10min rasten.
Die restliche Maische bleibt ja noch etwa 70 Minuten Minuten auf den 63°C bis dahin ist das doch längst verzuckert? Und die Teilmaische wird ja auch nochmal bei 72°C gerastet. Jan Brücklmeier schlägt in seinem Buch (S. 138) zum Zweimaischverfahren vor, direkt nach dem zubrühen wieder die zweite Teilmaische zu entnehmen. Ich dachte mit der von mir eingefügten 10minütigen Maltoserast, hätte ich mir sogar noch einen "Puffer" eingebaut.
Die Rast der Dünnmaische bei 72°C kann ich nicht nachvollziehen.
Warum? das ist die Verzuckerungsrast. Wird in vielen Quellen z.B. Brücklmeier auch so gemacht, dass die Teilmaische im Alphaamylasebereich verzuckert wird (im Buch 10 Minuten bei 70°C).
Orientiere sich mal an diesem Artikel.
In meinem letzten Dekoktionsbier hatte ich ziemlich lange Schwefelgeruch. Ich habe das so verstanden, dass man bei untergärigen genügend FAN für die Hefe haben sollte. Das würde durch die Eiweißrast gefördert werden, sofern ich das richtig verstanden habe. Bei dem Verfahren oben fällt die Eiweißrast aber komplett aus?!
Benutzeravatar
Sura
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3489
Registriert: Montag 2. November 2015, 22:37

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#14

Beitrag von Sura »

Stelle dir gedanklich die Dünnmaische größtenteils ohne, und die Dickmaisch größtenteils mit Malz vor. Dann ist da keine nennenswerte Menge Malz bei der Temperatur der Eiweissrast bzw. des einmaischens dabei (das ist bei denem Rezept und bei Moritz´ Vorgehen verschieden, daher vielleicht etwas Verwirrung), und bei der Verzuckerung der Dünnmaische ist nicht sehr viel vorhanden was Verzuckern kann.

Mit "orientieren" meine ich übrigens nicht "machs genauso", sondern "lese und denke nach". Niemand schreibt dir vor, daß du bei 50°C keinen Stopp mit deiner Dickmaische einlegen darfst wenn du dort unbedingt einen Halt machen möchtest.
"Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem."
(Karl Valentin)
Benutzeravatar
Baschelder
Posting Junior
Posting Junior
Beiträge: 47
Registriert: Montag 25. April 2016, 19:15
Wohnort: Koblenz - Hunsrück

Re: Frage an die Dekoktionsspezialisten

#15

Beitrag von Baschelder »

OK, dann hab ich das jetzt verstanden. :thumbup Der große Unterschied ist ja, dass Moritz die Hälfte Dickmaische abzieht und somit so ziemlich das ganze Malz kocht, während die Enzyme unbeschadet bleiben. Ich könnte hergehen und statt 1/3 auch die Hälfte abziehen, dann müsste ich neben meinem nicht isolierten 12-Liter-Topf jedoch zwei weitere Töpfe von 5-Liter Volumen nehmen und die auf dem Herd bei geringer Wärmezufuhr auf Temperatur halten. Das ist natürlich etwas aufwändiger und ich sollte zumindest gelegentlich rühren. Ich werde nochmal drüber nachdenken.
Antworten