An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie oft?

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Sudfink
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An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie oft?

#1

Beitrag von Sudfink »

Mal so in die Runde der erfahrenen Praktiker gefragt – wie und wie oft messt ihr während der Gärung den Restextraktgehalt? Ich will einerseits verfolgen können ob die Gärung zu Ende geht (am liebsten würde ich sie sogar über die gesamte Dauer verfolgen, das aber eher um meine Neugier zu befriedigen), andererseits bin ich ein ziemlicher Konataminations-paniker, also versuche ich das Risiko zu minimieren bei der Probenentnahme. (Ich bilde mir eigentlich ein, sehr vorsichtig zu arbeiten was die Hygiene angeht, habe aber schon zweimal in meiner noch kurzen Karriere Probleme gehabt. Ich glaube das liegt daran, dass im Keller, in dem die Gärungen dann stattfinden, sehr viel herumsteht, Holz gelagert wird und Wein, ein bisschen Bier beim Abfüllen ist auch mal ausgelaufen, auch wenn das weggewischt ist - da schwirrt insgesamt sicher einiges rum, was sich über so eine halbvergorene Würze riesig freuen würde.)
Anfangs habe ich das nur per Hydrometer gemacht, ich habe diese weißen Gäreimer verwendet und unten aus dem Hahn was rausgelassen. In der Hoffnung dass die ausfließende Würze verhindert, das was in den Bottich gelangt. Wenn man das aber etliche Male macht, weiß man zwar wie das Bier geworden wäre, hat aber am Ende keins mehr. Ja, übertrieben, aber es geht in Summe doch eine Menge drauf bis man endlich festgestellt hat, dass sich der Extraktgehalt über 2-3 Tage nicht mehr ändert. Außerdem macht ja manchmal das CO2 Probleme.
Also habe ich zum Refraktometer gegriffen. Da lasse ich dann nur ein kleines bisschen Würde ab, aber zunehmend wird der Hahn ja siffig und klebrig - und richtig reinigen kann ich den innen nicht solange die Gärung läuft. Also reiße ich dann jedesmal den stramm sitzenden Deckel von diesem Bottich ab und hole mit einer desinfizierten Pipette was raus. Dass da nicht auf die Dauer alles Mögliche reinfliegt, kann ich mir nicht vorstellen. Inzwischen verwende ich eher diese durchsichtigen Plastikflaschen ohne Hahn, die haben nur einen engen Hals, dafür kommt man da auch leicht dran bei der Entnahme, der Stopfen liegt ja auch irgendwo rum und so weiter. Außerdem kann ich, wenn die in der Kühlung steht, nicht einfach oben was abziehen, muss das Ding also kippen – das kann ja auch nicht optimal sein.

Vielleicht nehme ich das auch zu ernst – wenn ich hier so lese, machen die Leute zT ja recht wilde Sachen (hin- und herschütten kalter Würze zum Belüften beispielsweise) ohne dass viel über Kontaminationen geklagt wird. Aber meine beiden müssen ja irgendwoher gekommen sein, daher bin ich vorsichtig..

Kurzum (und sorry dass das so wortreich war) – ich wollte mal ein Gefühl dafür bekommen, wie Ihr das so haltet mit dem Messen, wie und wie oft.

Dank & Gruß,
Georg
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Kurt
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#2

Beitrag von Kurt »

Ich messe maximal 1 mal und warte lieber 2-3 Tage länger mit dem Abfüllen. Das ist mit Sicherheit nicht der Königsweg, funktioniert bei mir aber gut.
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purudin
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#3

Beitrag von purudin »

Ich schaue einfach, einen Tag nach dem anstellen, ob Hochkräusen vorhanden sind.
Wenn ja (Ist immer so) messe ich nach 5 Tagen, und wieder nach 2 Tagen.
Hat es sich nicht geändert wird abgefüllt.
Hat bisher immer geklappt!
Ich war am Anfang auch so ein Kontrollfreak, aber man wird ruhiger.

Dies bezieht sich natürlich auf obergärig.
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gerhard63
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#4

Beitrag von gerhard63 »

Ich warte ab bis die Kräusen verschwunden sind und Messe dann zum ersten mal. Danach täglich.
Meist ändert sich dann am Restextrakt nichts mehr.
Bier ist der Beweis, dass Gott uns liebt und will, dass wir glücklich sind.
Benjamin Franklin (1706-1790)
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#5

Beitrag von Boludo »

Finger weg vom Hahn!
Ich nehme eine Probe oben mit der Kunststoffpipette raus und das manchmal täglich weil ich neugierig bin. Nötig ist das aber nicht.
Man darf nicht reinspucken und es dürfen keine Fliegen rein. Dann passiert da nichts.

Stefan
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#6

Beitrag von Bronkhorst »

Ich messe zum ersten mal 2-3 Tage nach Hochkräusen, in Abhängigkeit des gemessenen Wertes schaue ich fast täglich nach.
Ich belasse die Spindel ab dann im Gärbottich.

Bis jetzt ohne Probleme.

Jens
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DevilsHole82
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#7

Beitrag von DevilsHole82 »

Was spricht dagegen die Proben am Hahn zu entnehmen?
Gruß, Daniel

Was von Herzen kommt gelingt, weil's einen gibt, der die Kelle schwingt. Heute back ich, morgen brau ich, wer heimlich nascht, den verhau ich.
Bronkhorst
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#8

Beitrag von Bronkhorst »

Wie schon erwähnt lässt sich der Hahn im eingebauten Zustand nur schwer zuverlässig reinigen. Es gibt einige die es so machen. Ist eher eine Frage womit man sich "wohler fühlt" :Wink

Jens
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#9

Beitrag von Sudfink »

Toll wie schnell hier immer Antworten kommen - Danke!

@ Jens - Spindel im Gärbottich klingt gut - aber gibt's da keine Probleme mit CO2? Schon ein paar Bläschen dürften ja verfälschen. oder bilden die sich nur wenn ich Würze entnehme, schüttle, etc?
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#10

Beitrag von Pepsin »

Hallo,
beim Messen verfahre ich wie Kurt. Eine Messung mit dem Refraktometer nach geraumer Zeit (etwa drei Wochen). Das Ergebnis vergleiche ich mit meinem Erwartungswert. Hier gibt´s dann meist grünes Licht zum Um- und Abfüllen. Ich sollte zusätzlich sagen, dass die Prozedur nicht optimal zu sein scheint, aber ich nie Probleme hatte seit ich so verfahre (6-7 Sude). An Hefen benutze ich US-05, Nottingham und mal die S-04. Letztens auch die Mangrove Jack´s British Ale. Also keine Schnarchnasen-Hefen...
Grüße,
Stefan
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#11

Beitrag von Alt-Phex »

DevilsHole82 hat geschrieben:Was spricht dagegen die Proben am Hahn zu entnehmen?
Weil man den nicht richtig sauber bekommt, dann fängt es innen drin an zu gammeln und
schon fängt man sich was ein. Besser von oben entnehmen.

Ich mache das mit einer sauberen Suppenkelle die ich vorher mit kochendem Wasser
"sterilisiere". Zum spindeln benutze ich diese MiniSpindel+Standzylinder. Da sind die
Verluste nicht so groß.

Ich lass mein Bier generell lange im Gärbottich, einerseits brauche ich dann nicht so oft zu
spindeln und andererseits klärt es sich schon gut. 2-3 Wochen kann das bei mir schon stehen.

Ich benutze die Gärfasser aus dem Baumarkt und die sind erstaunlich dicht. Daher sehe ich an
der Gärglocke ob noch Aktivität vorhanden ist oder nicht. Gegen Ende der Gärung lege ich die
Glocke täglich wieder grade auf, ist die am nächsten Tag verschoben gärt da nochwas. Bleibt
die über zwei Tage in Position kann ich mal übers spindeln nachdenken.

Dann, und erst dann, mache ich das Gärfaß überhaupt zum ersten mal auf.
So komme ich auf gerade mal zwei Spindelproben bevor ich abfüllen kann.

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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#12

Beitrag von Bronkhorst »

Sudfink hat geschrieben: @ Jens - Spindel im Gärbottich klingt gut - aber gibt's da keine Probleme mit CO2? Schon ein paar Bläschen dürften ja verfälschen. oder bilden die sich nur wenn ich Würze entnehme, schüttle, etc?
Nein, kein Problem. Ich drehe die Spindel an. Gegen Ende ist eh das Wichtigste, ob sich der Wert ändert und das ist auf diese Weise ohne Weiteres festzustellen. Funktioniert seit geschätzten 15 Suden.

Jens
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#13

Beitrag von gulp »

Man muss da gar nichts messen, wenn man in Fässer abfüllt. Beim Flaschenabfüllen würde ich das wie Kurt machen und genau einmal messen. Ich habe heute ein Ale und ein Saison abgefüllt. Das Ale ist zwei Wochen gestanden, das Saison 3. Bei beiden konnte ich die Hochkräusen von außen sehen und ebenso die Temperatur ablesen. Anhand der Temperatur kann man den Gärverlauf gut abschätzen. Gemessen habe ich dann nach der Abfüllung und die Belle hat wieder ganze Arbeit geleistet, runter auf 0,2 % Restextrakt. :Bigsmile

Gruß
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#14

Beitrag von Bronkhorst »

Wenn man schon viel Erfahrung und Fässer hat und dazu noch auf einem hohen Level der Brauertiefenentspannung angelangt ist, so wie du Peter, kann man nach der "Temperaturmethode" arbeiten ( komisch, weckt irgendwelche Assoziationen).

Braunovizen wie unsereins müssen die nötige Gelassenheit erst noch erlernen! :Bigsmile

:Drink
Jens
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#15

Beitrag von aegir »

Bronkhorst hat geschrieben:Wenn man schon viel Erfahrung und Fässer hat und dazu noch auf einem hohen Level der Brauertiefenentspannung angelangt ist, so wie du Peter, kann man nach der "Temperaturmethode" arbeiten ( komisch, weckt irgendwelche Assoziationen).

Braunovizen wie unsereins müssen die nötige Gelassenheit erst noch erlernen! :Bigsmile

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Jens
Und wenn man meint der Abfüllzeitpunkt ist gekommen und dann noch eine Woche wartet, kommt man auch vom dem Zentimeter Sediment in den Flaschen weg :P

Gruß Hotte
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#16

Beitrag von NiCoSt »

0,2%?? Du meinst eher 2%, oder?
~~~Bier wird's immer!~~~
~~~Der Brauer macht die Würze, die Hefe macht das Bier~~~
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gulp
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#17

Beitrag von gulp »

0,2%?? Du meinst eher 2%, oder?
Ich meine schon 0,2, was einem Endvergärgrad von 98,6 % entspricht. Die Belle Saison ist ein "Vieh".

Und Jens, Merci und Prost. :Drink

Gruß
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olibaer
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#18

Beitrag von olibaer »

Hallo Georg,

ich spindle so oft wie nötig und so wenig wie möglich.

Während der Hauptgärung(HG) orientiere ich mich an der Kräusendecke und die Spindel kommt erst dann zum Einsatz, wenn ich das "Gefühl" habe, dass die HG abgeschlossen ist(der Vergleich zum Endvergärungsgrad und die Berechnung der Speisegabe ist der Hintergrund). Ausnahmen bilden Probleme während der HG, die aber selten sind.

Anmerkung:
Generell bestimme ich den Abfüllzeitpunkt aus der Differenz von Es und EsEnd(->) und der Trübung die ich wahrnehme. Zu viel "Trübung" darf "Endvergärung erreicht" jederzeit "übersteuern"(ich warte noch 1- x-Tage mit der Abfüllung, obwohl endvergoren), der umgekehrte Fall ist ausgeschlossen(Das Bier ist klar, aber noch nicht endvergoren). In diesem Umfeld kommt, je nach Bedarf, die Spindel zum Einsatz.


Gruß
Oli
Gruss
Oli
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afri
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#19

Beitrag von afri »

Wenn ich langsam und kalt vergären lasse, messe ich gern auch mal täglich, denn dann kann ich mit den Messwerten eine schicke Grafik im Sudplaner erstellen, also eine Gärverlaufkurve. Ich entnehme die Proben wie auch den Sud nie durch den Hahn, sondern immer von oben. Wie jemand schon schrub, wenn man nicht gerade hineinniest oder eine Horde Fruchtfliegen dort einsperrt, passiert unterhalb der CO2-Decke nix am Sud.

Außerdem entnehme ich die Proben (fürs Refrakto) mit einer gewöhnlichen Plastikpipette, die kalt abgespült wird. Steril arbeiten geht im Hobbymaßstab nicht und ist auch nicht nötig. Müsste ich spindeln, ich ließe die Spindel im Gärfass schwimmen, was ich trotz Refrakto-Messung dennoch manchmal mache (zweiter Wert zusätzlich zum umgerechneten Refrakto-Ergebnis). Das vergorene Jungbier entnehme ich ebenfalls von oben mit einer Art schwimmendem Schlauchende, das habe ich anderswo hier schon mal beschrieben.
...ohne dass viel über Kontaminationen geklagt wird. Aber meine beiden müssen ja irgendwoher gekommen sein, daher bin ich vorsichtig.
Löblich, aber wie schon geschrieben, du musst die Tiefenentspannung erst noch lernen. Woher deine Infektionen gekommen sind, das kann geschätzt 1001 Ursachen haben. Die Probenentnahme ist es üblicherweise nicht.

Was die Entnahme aus dem Hahn angeht, so bin ich der Meinung, dass man das machen kann, aber nicht sollte. Am Jungbier passiert so nix, aber der Hahn ist dann für die Abfüllung versaut, da würde ich keine 30 Liter mehr durchlaufen lassen, wenn ich den seit zwei Wochen täglich mit Bier benetze und ungereinigt stehen lasse. Abhilfe: mit Wasser und Isoprop nach der Entnahme halbwegs reinigen (Desinfektion würde ich sowas nicht nennen wollen). Das machen einige hier; mir wäre das zu viel Aufriss, die Entnahme von oben ist für mich viel einfacher bzw. mit weniger Aufwand verbunden.
Achim
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klostersander
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#20

Beitrag von klostersander »

Hallo Georg,

ich messe auch mit einer Spindel. Fülle aber nichts ab in einen Messzylinder. Einfach die Spindel in den Gäreimer. Natürlich reinige ich die Spindel vor der Verwendung mit 70%igem Alkohol. So habe ich bei der Messung auch keine Würzeverluste zu beklagen. Infektionen hatte ich damit noch nie. Wenn man nur eine Spindel hat und in der nächsten Zeit keinen weiteren Sud ansetzten will, kann man die Spindel einfach im Sud während der gesammten Gärung schwimmen lassen.

Gruß Matze
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hiasl
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#21

Beitrag von hiasl »

Ich messe möglichst täglich mit Refraktometer, dann wird die Kurve schöner. Nötig wäre es nicht unbedingt.
Obergärig wird so lange gemessen, bis die Werte sich nicht mehr unterscheiden. Dann ist ja die Gärung durch. Untergärig mache ich mit Schnellgärprobe, die sollte eigentlich nach 48 h bei RT durch sein, dann wird sicherheitshalber nochmal nach 72 h gemessen. Wenn man dazu eine gute Gärkurve hat, kann man den Grünschlauchzeitpunkt gut abschätzen. Ich schlauche aber immer bei mehr Restextrakt und verwende ein Spundventil. Nach der Lagerung wird beim Abfüllen/Umdrücken das fertige Bier auch nochmal gemessen.

Bezüglich der Probenahme am Hahn (mache ich schon lange so - ohne Probleme):
Einfach nach der Probenahme mit 50-70%igem Isopropanol einsprühen, auch innen rein, und anschließend mit einem Papiertuch grob wieder trocknen. Übrige Desinfektionslösung verdampft restlos. Da gammelt bei mir nix.
Gruß
Matthias
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#22

Beitrag von Ursus007 »

Ich messe entweder wenn die HG vorbei ist (Kräusendecke weitestgehend weg) oder nach ca. einer Woche das erste Mal. Dann ca. aller 2...3 Tage, bis keine Veränderung mehr.

Ich nutze dazu mein Alkohol-Thermometer (also das lange, schlanke Ding aus Glas mit einem alkoholgefüllten Kapillarröhrchen), wische das mit 70% Isoprop ab und wenn es trocken ist, stippe ich das kurz ins Jungbier. Die 2 dran hängen bleibenden Tropfen reichen für mein Refrakto völlig aus.

Ich habe gerade wieder ein 6l Experimantalsud am Gären, da wären mir mehrfach 100ml zum Spindeln zu viel Verlust. Und die Spindel schwimmen lassen kann ich diesmal auch nicht, sie hätte Bodenkontakt und Schräglage (aber nicht vom Alkohol ;-) ).

Ursus
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#23

Beitrag von cyme »

Mit ein Argument für die Schnellgärprobe, auch bei Flaschenabfüllern oder obergärigem:
Von der Anstellwürze 200ml abzwacken, mit großzügig Hefe warm (ggf gerührt) vergären lassen und messen. Gärfass das erste Mal nach 2 Wochen öffnen und ebenfalls messen. Wenn die Werte im Rahmen meiner Messgenauigkeit (0-20°P Spindel) identisch sind, kann abgefüllt werden.
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#24

Beitrag von Boludo »

Eine Schnellvergärprobe entnimmt man eigentlich nach dem Anstellen.
Dann stimmt wenigstens die Pitching Rate überein.

Stefan
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#25

Beitrag von cyme »

Da gibt's verschiedene Theorien. Mit der Methode der großzügigen Hefedosierung (siehe hier) stelle ich sicher, dass der maximale Vergärgrad erreicht wird und ich ggf Probleme die durch Unterpitching enstehen, diagnostizieren kann. Wenn mal ein Sud bei, sagen wir, 55% scheinbarem Vergärungsgrad stehen bleibt, ist ansonsten das Rätselraten groß, ob da jetzt genug Hefe dabei war oder nicht.
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#26

Beitrag von Boludo »

Starkes Overpitching kann aber auch dazu führen, dass die Gärung stockt. Die Hefe vermehrt sich dann nicht mehr und besteht nur noch aus alten Zellen.

Stefan
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#27

Beitrag von Ulrich »

Wie oft man misst, ist abhängig davon, was man wissen will und welche Messinstrumente man hat. Spindel: man kann die Spindel im Gärbottich belassen. Die angezeigten Werte sind vielleicht nicht ganz genau (Produktanhaftungen, CO2 Auftrieb) aber trotzdem sehr gut geeignet um tendentiell die Gärung zu beobachten. Proben zu entnehmen, CO2 ausschütteln um in einem externen Messzylinder zu messen ist Zeit und Produkt- Aufwändig.
Refraktometer: Vorteil: kleine Probemenge, wenig bis gar keine Probenvorbereitung. Nachteil: Man muss Probe entnehmen und ggf umrechnen.
Wenn die Gärung über "Raumtemperatur" (Keller, Dachboden, Kühlschrank, Kühlraum, usw) "gesteuert" (mehr oder weniger) wird:
- kann man zB ein kleines „Gär-Gefäß“ (zB Flasche mit Wattestopfen, zu 70 % mit Würze aus dem Gärbottich füllen) in einen Eimer mit Wasser neben der Gärbottich stellen und anstelle des Gärbottichs die "Parallelgärung" messen. Verschiedene Volumen regieren unterschiedlich empfindlich auf Temperaturschwankungen, => das "Wasserbad" kompensiert. So kann man täglich messen (wenn man will) ohne den Gärbottich anzurühren.
Die Notwendigkeit einer Messung, hängt von jedem selber ab.
Theoretische Notwendigkeit:
Nach Befüllung und 24h nach Befüllung: => Bewerten der Gäraktivität der Hefe durch Vergleich dieser beiden Werte. (hohe Vergleichbarkeit)=< ggf reagieren! (Weitere Hefegabe, wiederholtes Belüften, erhöhen oder senken der Gärtemperatur, usw)
Alle 24h: Bewerten der Gärung (Extraktabbau/24h), => Erstellen einer Gärkurve, bzw anpassen des Gärverlaufs durch zB Temperatur an einen vorgegebenen Gärverlauf. (nur bei gleichem Gärverlauf auch gleiches Bier)
Kurz nach Hochkräusenstadium: Wenn Extraktabbau/24h abnimmt, mit Temperaturerhöhung gegensteuern. Oder/und Abpassen des richtigen Momentes zum „Grünschlauchen“.
Ende der HG: Ist die Gärung abgeschlossen? (Nach ersten Anzeichen (Kräusenbild, bzw Draufsicht Produktoberfläche) oder Ausbleiben von weiteren Gäraktivitäten (Blubbern des Gärröhrchens) den Restextraktgehalt kontrollieren, ob der der Vorgabe entspricht.
Zuletzt geändert von Ulrich am Donnerstag 22. Oktober 2015, 19:26, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#28

Beitrag von chri »

Ich bring hier mal das verpönte Gärröhrchen ins Spiel :Angel .
Solange das Blubbern noch nicht weitgehendst verstummt ist, wird das Fass generell nicht geöffnet. Danach wird gespindelt und mal mit den zu erwarteten EVG abgeglichen.
Die nächste Probe zur Sicherheit nach 3-5 Tagen, vor dem Abfüllen. Meist gibt es hier keine Überraschungen mehr. :Drink
Verlust: 2 x 80 ml.
Gruß,
Chris
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DrG
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#29

Beitrag von DrG »

Hallo,

ich habe meine Versuche zum Temperaturverlauf während der Gärung und Ableitungen für den Kühlleistungsbedarf (viewtopic.php?p=198490#p198490) etwas weitergeführt und habe versucht, wie auch schon von Peter weiter oben in diesem Thread (viewtopic.php?p=81900#p81900) angemerkt, mir die Temperaturentwicklung bei der Gärung etwas genauer anzuschauen.

Versuchssetup ist der 60l-ZKG von Speidel mit Isolation aus Armaflex (25mm, lambda < 0.03 W/(m*K) ) und der Inhalt ist diesmal nicht nur Wasser, sondern Würze mit stolzen 21 °P Stammwürze. Die Mantelkühlung wird durch die Gärsteuerung des CraftBeerPi (nochmals vielen, vielen Dank an Manuel für die gute Arbeit!) mit dem gleichen Setup wie hier viewtopic.php?p=201960#p201960 beschrieben geregelt. Solltemperatur ist 17°C mit einer Hysterese von +/- 0,25 K.

Ich habe mir den Temperaturverlauf nach dem Anstellen mal genauer angeschaut und erhalte zunächst folgenden Temperaturverlauf:
imperial_stout_gaerverlauf_gesamt.png
imperial_stout_gaerverlauf_gesamt.png (43.42 KiB) 7147 mal betrachtet
1) Was man gut erkennen kann ist, dass am Anfang mit Einsetzen der Kühlung bei 17,25 °C die Temperaturkurve nach unten erheblich "durchschwingt". Ich führe das darauf hinaus, dass während der Lag-Phase nach dem Anstellen noch keine gärungsbedingte Konvektion stattfindet und am unteren Rand des Zylinders (~ oberer Rand des Konus) der eingeführte Temperatursensor keine repräsentative Stichprobe "sieht" und die Kühlung entsprechend (zu) spät ausgeschaltet wird.

2) Im mittleren Bereich des Graphen, also zwischen etwa 1200-2800 min nach Anstellen scheint die Konvektion durch Gärung so gut zu sein, dass eine relativ homogene Durchmischung der Würze erfolgt. Die Minimalwerte nach Beendigung des aktuellen Kühlzyklus liegen ziemlich genau auf einer Linie bei 16.5 °C.

3) Ab etwa 1200-2800 min nach Anstellen nehmen die "Durchschwinger nach unten" wieder zu, was durch ganz aktuelle Messergebnisse (ohne aktuaiisiertes Bild) bestätigt wird.

4) Der zeitliche Abstand zwischen den Kühlzyklen, also "Beginn Absinken der Temperatur" oder "Beginn Wiedererwärmung nach Abkühlen" wird ab etwa 1200 min nach Anstellen kürzer und scheint sich ab ca. 3000 min nach Anstellen wieder zu verlängern. Dies interpretiere ich zusammen mit Punkt 3) so, dass mit zunehmender Gäraktivität bei sonst gleichen Umweltbedingungen die Gärungsenthalpie zunimmt und zusätzlich zur Umgebungstemperatur ein gärungsbedingter Wärmeeintrag beobachtbar ist.

Auf Grundlage dieser ersten Beobachtungen habe ich mir die Temperaturkurve genauer angeschaut und für jede der "Aufwärm-Abschnitte" den Temperaturgradienten dT/dt (Temperaturänderung pro Zeiteinheit) als Steigung durch die Aufwärmbereiche bestimmt. Hier ein Beispiel, für dass man einen Gradienten von 0,0041 K/min erhält:
imperial_stout_gaerverlauf_steigung.png
imperial_stout_gaerverlauf_steigung.png (28.01 KiB) 7147 mal betrachtet
Das habe ich dann für alle Aufwärmphasen bis zum Einsetzen des nächsten Kühlzyklus gemacht und erhalte dann folgenden Verlauf des Temperaturgradienten über der Zeit nach Anstellen:
imperial_stout_temperaturgradient_raw.png
imperial_stout_temperaturgradient_raw.png (21.5 KiB) 7147 mal betrachtet
Man kann hier erkennen, dass in den ersten 10 h wenig passiert, dann der Temperaturgradient (also der Wärmeeintrag ins System) stark ansteigt und dann von 25-45 h nach Anstellen recht konstant ist und dann beginnt wieder abzunehmen.
Das ist auch plausibel: nach einer ersten Lag-Phase spring die Gärung richtig an und erreicht im Stadium des Hochkräusen ein Maximum. Danach geht die Gäraktivität wieder leicht zurück und hat vielleicht sogar im zuge der Umstellung des Hefestoffwechsels kurzzeitige Aktivitätsminima, um danach wieder anzusteigen oder auf ählichen Niveau zu verharren (weiterführende Untersuchungen folgen....)

Man kann jetzt die Annahme machen, dass die Erwärmung kurz nach dem Anstellen noch nicht durch die Gärungsenthalpie verursacht wird, sondern durch Wärmeaustausch mit der Umgebung. Diese umgebungsbedingte Erwärmung kann man dann quasi als Offset abziehen und erhält dann diese Temperaturgradienten:
imperial_stout_temperaturgradient_netto.png
imperial_stout_temperaturgradient_netto.png (8.69 KiB) 7147 mal betrachtet
Ich habe diesen Temperaturgradienten mal rechnerische Wärmeleistungen zugeordnet und komme hier auf ca. 8 W, was konsistent zu meinem Abschätzungen zuvor (viewtopic.php?p=201960#p201960) ist.

Jetzt kann man die pro Zeiteinheit durch die Gärungsenthalpie eingebrachte Wärmemenge=Energie berechnen und für den vorhandenen Temperaturverlauf aufsummieren/integrieren:
imperial_stout_gaerungsenthalpie.png
imperial_stout_gaerungsenthalpie.png (28.49 KiB) 7147 mal betrachtet
Wenn man jetzt noch die rechnerische Gärungsenthalpie pro mol bzw. g Glukose heranzieht und die Stammwürze von 21°P als Ausgangspunkt nimmt und davon ausgeht, dass etwa 30% des Gesamtextrakts am Ende in Alkohol umgesetzt wird, dann erhält man folgenden rechnerischen Schätzer für die Abnahme des Extrakts (Extrakt habe ich nicht parallel gemessen, das wird der nächste Versuch!) nur auf Grundlage einer Temperaturmessung eines gekühlten und sehr gut isolierten Gärbehälters:
imperial_stout_schaetzer_extrakt.png
imperial_stout_schaetzer_extrakt.png (8.25 KiB) 7147 mal betrachtet
Ich finde, dass sieht jetzt nicht unplausibel aus :Pulpfiction und vielleicht lohnt sich eine weiterführende und detailliere Betrachtung mit präziseren Annahmen für ein Modell.

Das ist jetzt nur ein erster Schuss, aber ich habe das Gefühl, dass man da noch was rauskitzeln kann.

Beste Grüße aus dem Technikum,

Gero
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olibaer
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#30

Beitrag von olibaer »

Hallo Gero,
DrG hat geschrieben: Ich finde, dass sieht jetzt nicht unplausibel aus :Pulpfiction und vielleicht lohnt sich eine weiterführende und detailliere Betrachtung mit präziseren Annahmen für ein Modell.
Das ist jetzt nur ein erster Schuss, aber ich habe das Gefühl, dass man da noch was rauskitzeln kann.Gero
Einfach nur toll.
Ich könnt mich in dein hier erhobenes Zahlenmaterial einfach nur "reinlegen". Super, super, super ....

Gruß
Oli


P.S.: Der gesamte Kontext, nebst den von Dir an anderer Stelle erfassten Threadinhalten, "riecht" nach einem Artikel für das Brau!Magazin.
Gänzlich frei nach Udo Lindenberg: "das beschäftigt uns alle, nur wir kommen viel zu selten dazu".
Einfach melden :-)
Gruss
Oli
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#31

Beitrag von Bierjunge »

:Shocked
Die Idee, aus den Erwärmungs-Intervallen über die Wärmemenge auf den Extraktabbau aufzuintegrieren, ist schlichtweg genial!
Funktioniert aber wohl nur in annähernd adiabaten Bottichen, und bedarf sicherlich der individuellen Kalibration anhand begleitender Dichtemessungen. Trotzdem - die Kurve des geschätzten Extraktabbaus sieht schon mal sehr vertrauenserweckend aus. :thumbup

Könnte auf jeden Fall eine äußerst elegante Methode sein, ohne jede Probenentnahme (und ohne Funkspindel) kontinuierlich zumindest abzuschätzen, wo die Gärung gerade steht. Und dass man bei Dir aus den Unterschwingern sogar ablesen kann, wie stark die Konvektion ist, ist natürlich der Clou.

Ich kann daher Oli Wunsch nach einem Artikel nur inbrünstig unterstützen! :Angel

Moritz
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#32

Beitrag von flos »

Super! Ich bin auch sehr beeindruckt und absolut interessiert an weiteren Ausführungen zum Thema. Habe die letzten Tage beim Beobachten der Graphen meines Brewpi während des Gärverlaufs eines Pils im Kühlschrank ähnliche Annahmen gemacht.
Bildschirmfoto 2017-05-04 um 15.43.19.png
Man sieht ganz gut, wie am Anfang auf 10°C runtergekühlt wird, die dann ebenfalls mit einer Hysterese von +/- 0,25 K gehalten werden. Wenn man sich nun die Entwicklung des Soll-Werts für den Kühlschrank (Orange, Fridge Setting) und die tatsächliche Kühlschranktemperatur (Blau, Fridge Temp) anschaut, sieht man, wie die Regelung immer stärker kühlen muss, um der (angenommenen) Wärmeentwicklung im Gärfass entgegenzuwirken.

Leider bin ich alles andere als ein Fachmann oder Theoretiker, der das so fundiert erläutern könnte wie Gero, trotzdem lese ich es gerne und wenn irgendwer eine einfach anwendbare Formel oder Excel-Tabelle zusammengebaut kriegt, die es ermöglicht, die Entwicklung des Extrakts unter Zuhilfenahme bereits bekannter Werte für die eigenen Systeme (ähnlich der „Kalibrierungstabelle“ für die iSpindel) wenigstens grob einzuschätzen, wäre das sehr sehr spannend.

Liebe Grüße
Flo
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DrG
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#33

Beitrag von DrG »

Hallo!

Vielen Dank für die positiven Rückmeldungen; ich war die letzten Tage verreist und komme erst jetzt zu einer kurzen Rückmeldung. Ich war auch ein wenig überrascht und ein wenig angetan, dass bei diesem Analyseversuch etwas halbwegs Stimmiges bei herausgekommen ist.

@Oli: Der Einladung, einen Artikel für das Braumagazin zu verfassen komme ich sehr gern nach, brauche aber vermutlich etwas Zeit, um das alles strukturiert und redaktionell aufbereitet auszuarbeiten. Schicke mir doch einfach eine PN mit den wichtigsten Randbedingungen (Umfang, Format, Zeitschiene, etc.)

@Moritz: MIt der Annahme eines halbwegs adiabatischen Systems hast Du vollkommen recht und das ist bei meinem Gärtank in guter Näherung gegeben. Mit der aktuellen "Rundherum-Isolierung" habe ich bei 2-3 k Temperaturdifferenz zwischen Tankinhalt und Umgebung (17-18 °C Gärtemperatur vs. 20-21°C Umgebungstemperatur) eine Erwärmungsrate von ca. 1K in etwa 10 Stunden. Das ist so schlecht nicht. Und wenn man keine Kondensation an der Behälterwand hat, was ja mein "Problem" bei meiner ersten Messreihe war, ist selbst der Wärmeaustausch mit der Umgebung kein großes Problem, da man den ggf. sogar halbwegs verlässlich rauskalibrieren kann.
Ich hatte bei den bisherigen Versuchen beobachtet, dass man für Hysteren ab +/- 0.5 K auch optisch erkennen kann, dass die Temperaturkurve nicht die oben zu sehende "Dreiecksform" hat, sondern die Steigung bei höheren Temperaturen etwas abnimmt. Das ist auch nachvollziehbar, das mit kleinerem Abstand zur Umgebungstemperatur der den Wärmefluss treibende Temperaturunterschied zwischen Gärtank (innen) und Umgebung (außen) kleiner wird. Wenn man genau genug misst und die Daten geeignet auswertet müsste man folgendes sehen können:

Der lokale/aktuelle/momentane Temperaturgradient nimmt mit zunehmender Temperatur linear ab. Trägt man also den Temperaturgradienten über der Temperatur bei der er ermittelt wurde auf, so sollte sich in guter Näherung eine Gerade ergeben, die die x-Achse (also Temperaturgradient = 0) bei der momentanen Umgebungstemperatur schneidet. Denn wenn Tankinnentemperatur und Umgebungstemperatur gleich sind, dann sind sie im thermodynamischen Gleichgewicht und sollten keine Netto-Wärmemengen austauschen.

Das kann man theoretisch auch noch weiter treiben. Wenn man die Umgebungstemperatur ausreichend genau messen kann, dann kann man die Ausgleichsgerade für die Datenreihe momentaner Temperaturgradient über Temperatur bis zur Umgebungstemperatur extrapolieren. Wenn der Wert an dieser Stelle entgegen obiger Erwartung größer Null ist, dann deutet das auf einen zusätzliche Wärmequelle, vermutlich die Gärungsenthalpie, hin. Mit der Würzemasse und der spezifischen Gärungsenthalpie, kann man dann wieder einen Schätzer für die momentane Wärmeleistung und für den momentanen Extraktumsatz ermitteln.

Die Veränderung des Temperaturgradienten erkenne ich aktuell nur für größere Hysteresen und folglich längere Erwärmungszyklen. Ich muss mal schauen, ob auch die momentanen Temperaturgradienten zu vernünftigen Ergebnissen führen; es hätte aber den Charme, dass man die Erwärmung nicht nur einmal aus den Temperaturen während der Lag-Phase und der Annahme, dass man da nur Wärmefluss durch die Tankwand hat ermittelt, sondern etwas sauberer abgeleitet für jeden einzelnen Erwärmngszyklus unter Berücksichtigung der momentanen Außentemperatur.

@Flo: Ein einfaches Tool wäre in der Tat schön. Ich habe zunächst nur eine Erstauswertung mit Hilfe einer Exceltabelle und sehr viel Handarbeit (insbesondere Auswahl der Temperaturabschnitte mit rein steigendem Verlauf) vrogenommen, um zu schauen, was dabei rauskommt. Langfristiges Ziel wäre es, ein Python-Skript zu schreiben, was die Datenlogs vom CraftbeerPi halbwegs automatische mit einigen Parametern auswertet und im Ergebnis eine Graphik und Schätzwerte auswirft. Aber das ist erstmal Zukunftsmusik. Ich schaue mal, wann ich Zeit finde, das ein wenig systematischer aufzuschreiben, prorgrammiertechnisch umzusetzen und mit Messdaten zu validieren. Wenn das soweit ist, dann werde ich das hier auch zur Verfügung stellen. Vielleicht kann das Manuel dann auch als Modul in die CraftBeerPi-Gärungssteuerung mit einbauen, falls die Auswertung halbwegs vernünftig funktionieren sollte.
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DrG
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Re: An die Praktiker: Restextraktgehalt messen –wie und wie

#34

Beitrag von DrG »

Hallo liebe Technikfreunde,

ich habe nochmal etwas mit den Daten, die bei der Gärung des "Imperial Stout" entstanden sind gearbeitet und noch weitere Ergebnisse erhalten.

Aber erstmal bin ich heute endlich zum Abfüllen des Sude gekommen und habe sogar das erste Mal (bzw. das zweite Mal nach Bestimmubg der Stammwürze) gemessen:

Stammwürze war sogar noch höher (hatte ich mir falsch gemerkt): 24,4 % Brix
Restextrakt Jungbier (Refraktometer): 13 % Brix
Scheinbarer Vergärungsgrad: 76 % (Wyeast #1084 "Irish Ale" in 3. Führung)
Alkohol: 10,3 Vol. % (nach Standard-Formel)

Ich hätte zwar gern noch 2-3 Vol. % mehr Alkohol gehabt für das Imperial Stout, aber das ist schon i.O. so.
Geschmacklich erinnert es eher an einen Kräuterlikör (Rigas Balzams oder Unicum). Ich bin mal gespannt, wie sich das entwickelt und werde ganz geduldig sein. Die erste Kostprobe gibt es vermutlich erst zu Weihnachten....

Aber zurück zur Technik:

a) Am Verlauf der Gärtemperatur über der Zeit, d.h. an dem Maß, wie die Würzetemperatur nach dem Betrieb der Mantelkühlung unter die untere Hystere "durchsackt" kann man tatsächlich bereits auf die Gäraktivität schließen. Zwischen 20 h und 55 h nach Anstellen findet man die bereist beschriebene relativ konstante untere Würzetemperatur, die nach Abschluss des Kühlintervalls erreicht wird. Nach 55 h beobachtet man - so wie während der ersten 20 h nach Anstellen - ein Durchsacken der Würzetemperatur mit zunehmender Amplitude.
Ich habe gerade gesehen, dass die x-Achsenbezeichnung nicht korrekt ist, die Einheit sind hier natürlich Stunden, nicht Minuten.
Gärtemperatur bei Umgebungstemperatur ca. 21-22 °C
Gärtemperatur bei Umgebungstemperatur ca. 21-22 °C
b) die Temperaturgradienten, die ich bestimmt habe, während sich die Würze nach einem Kühlintervall wieder erwärmt (wegen des Temperaturdifferenz der Würze zur Umgebung und dem Wärmeeintrag der Gärung), habe ich weitergeführt und die ersten Gradienten bis 11h nach Anstellen als den Anteil angenommen, der noch keine Temperaturerhöhung durch Gärungswärme beinhaltet und diesen Gradienten bei den darauf folgenden Messwerte als Offset abgezogen, da wir ja nur an der Temperaturerhöhung interessiert sind, die die alkoholische Gärung hier beiträgt. Das Ergebnis ist das folgende:
Temperaturgradient
Temperaturgradient
Temperaturgradient.png (35.05 KiB) 6320 mal betrachtet
Man erkennt sehr schön, wie sich der Temperaturgradient ab 10-20h nach Anstellen deutlich erhöht und sich binnen der nächsten 10h etwa verfünfacht. Ab etwa 45 Stunden, also ca. 2 Tagen, nimmt der Temperaturgradient ab und somit auch der Wärmeeintrag durch die Gärung. Nach etwa 72 Stunden ist der Nettobeitrag durch die Gärung verschwunden bzw. nicht mehr durch die Methode nachweisbar.

c) Ich hatte die mit dem Netto-Temperaturgradienten verbundene Wärmemenge, die man benötigt, um bei der gegebenen Würzemenge von ca. 30 kg, diese Temperaturzunahme zu erzeugen für jeden Zeitpunkt berechnet und dann über die so gewonnenen "Stützstellen" numerisch integriert, so dass man einen Schätzer für die durch die Gärung umgesetzte Gesamtenergie erhält:
Integrierte Gärungswärme
Integrierte Gärungswärme
integrierte_Wärmemenge.png (26.32 KiB) 6320 mal betrachtet
d) und daraus wiederum hatte ich versucht die Veränderung des Restextrakts und des Alkoholgehalts im Sinne eines Schätzers zu berechnen:
Verlauf Restextrakt und Äthanol
Verlauf Restextrakt und Äthanol
Restextrakt_Alkoholgehalt.png (31.86 KiB) 6320 mal betrachtet
In meinem ursprünglichen Post sah das qualitativ und auch quantitativ noch etwas besser aus. Ich habe bei meiner weiteren Analyse festgestellt, dass ich bei der numerischen Integration versehentlich überlappende Intervalle verwendet hatte, wodurch das Integral etwa doppelt so groß war, wie es korrekt gewesen wäre. Das war mir aber anfangs nicht aufgefallen, weil das Ergebnis ja so schön plausibel war... Holzauge sei wachsam!

Mir fehlt jetzt also etwa ein Faktor 2 im Ergebnis und habe schon einige Fehlerquellen identifiziert:

- Würzevolumen nicht genau genug bestimmt (30 Liter oder doch 33 Liter? 10% Fehler)
- Würzevolumen 30 Liter hat natürlich nicht 30 kg Masse - insbesondere nicht bei 24,4 % Brix :Ahh
- spezifische Wärmekapazität muss Zuckeranteil im Wasser mit berücksichtigen (auch so 5-10%)
- Umgebungslufttemperatur muss mitgemessen und nicht durch Raumthermometer einmal abgelesen werden! (Bei 17°C Würzetemperatur macht es schon einen Unterschied ob in der Küche 20 °C, 22 °C oder 23°C herrschen, also die Temperaturdifferenz, die den Wärmeaustausch zwischen Gärbehälter und Umgebung treibt 3 K oder 5 K ist. Da hat man ganz schnell 60-80% Fehler in der Abschätzung des Wärmeaustausches mit der Umgebungsluft.

Der letzte Punkt zeigt aber auch, dass der Ansatz, die ersten Gradienten vor Einsetzen der Gärung als konstanten Offset zu betrachten und daraus einen ebenfalls konstanten Wärmefluss in den Behälter zu berechnen, nicht belastbar ist. in einem kühlen Keller mag das während der relevanten Zeiträume von einigen Tagen vielleicht gelten. In meiner Küche (mit Dachschräge = Wärmeeintrag bei Sonnenschein), wo der Herd auch mal an ist, gelüftet wird und die Sonne vormittags reinscheint etc. muss man die Änderung der Umgebungstemperatur ohne Frage mit einbeziehen.

Ich werde daher einerseits am Ball bleiben, um das Auswerteverfahren weitgehend zu automatisieren (am liebsten in Python) und bei der nächsten Gärung die Umgebungstemperatur parallel mit Aufzeichnen, um den Wärmestrom noch besser modellieren zu können. Vielleiicht setzte ich auch zu reinen Messzwecken eine Zuckerlösung mit etwas Apfelsaft (wegen der Aminosäuren) an, um schnell neue Messungen durchführen zu können. Zum Brauen fehl mir aktuell etwas die Zeit.

ich habe übrigens meinen Behälter inklusive Isolierung analytisch modelliert (ganz old-school mit klassischer Wärmelehre und einem einfachen geometrischen Ansatz) und erhalte für das Modell bei 5K Temperaturdifferenz eine Wärmeleistung von ca. 3,3 W durch Wärmeaustausch mit der Umgebung. Aus Messdaten hatte ich im Rahmen meiner ersten Messungen mit dem isolierten Behälter bei 17 °C und 22°C Umgebungstemperatur eine Wärmeleistung von etwa 3,5 W bestimmt. Gar nicht so schlecht, oder? Und die verbleibenden 0,2 W Differenz kommen bestimmt daher, dass ich die nicht isolierten Wärmebrücken bei Temperaturhülse, Probennahmehahn, Klarablauf und Totalablauf nicht mit berücksichtigt habe. Aber die kriege ich auch noch :P

Hach macht das einen Spaß. Ich habe schon lange nicht mehr so schön praktische Physik gemacht....

Beste Grüße,

Gero

PS: Ich habe übrigens nochmal etwas recherchiert und tatsächlich ein etwas älteres Paper aus "Grundl. Landtechnik", Band 32 (1982), Nr.4 mit dem Titel "Mikroprozessorsteuerung der Äthanolgärung" gefunden:
http://440ejournals.uni-hohenheim.de/in ... ad/317/265
Darin ist mein Ansatz als ein eingeschränkter Spezialfall mit enthalten. Die gehen sogar noch weiter, dass sie aus den Anfangswerten, wesentlichen Parametern und den Differenzialgleichungen, die den Gärungsverlauf beschreiben, den gesamten Gärungsverlauf modellieren und somit vorherberechnen :Shocked
So weit möchte ich es ja nicht treiben, zumal da auch noch weitere Messungen zur Verifizierung im Spiel waren. Ich fände es weiterhin sehr cool, wenn man nur aus Temperaturmessungen einen Einblick in den Gärungsverlauf erhalten kann; selbst wenn man noch die Umgebungstemperatur mit erfassen muss (auf die 5 Euro für zwei weitere Ds18b20 kommt es auch nicht drauf an)
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