Theorie hinter der Eiweissrast

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Ras Tafaric
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Theorie hinter der Eiweissrast

#1

Beitrag von Ras Tafaric »

Moins,
Wie die Optima bei Amylasen liegen, dürfte jedem nicht ganz blutigen Anfängerbrauer einigermaßen bekannt sein. Was die Amylasen sind, wie sie auf Stärke wirken, wo und wie man die Wirkung mit verschiedenen Rasttemperaturen beeinflussen kann.

Normal bekannt ist (mir zumindest), dass man eine Eiweissrast einbaut, wenn man helles Malz verwendet oder Rohfrucht verwendet, da hier Aminosäuren im Defizit sind, nicht oder schwach denaturierte Proteine aber gut vorhanden. Man verwendet so um die 57°C und erhält damit einen etwas stabileren Schaum da Eiweisse in mittellange Proteinketten gespalten werden. Aminosäuren (FAN) fallen dabei für die Hefenahrung auch ab, da die Proteasen bzw welche Enzyme auch immer dort noch zum Einsatz kommen, die Eiweisse auch kleiner zerhacken.

57°C scheint dabei eine Art Kombirast zu sein, bei der beides abfällt und sich die Balance hält. 10-15 Minuten das allgemein anerkannte Normlevel.

Ich habe für meinen Maibock entsprechend ein Maischprogramm ausgelegt. Ich hatte als Basis Pilsner mit einem Anteil Münchner für die Farbe und den Geschmack. Dabei scheint durch die hohe Stammwürze bedeutend zu viel langkettige Proteinreste vorzuliegen, da der Schaum viel zu stabil ist und das Glas zu 2/3 Schaum enthält, der nur sehr langsam kollabiert und gut am Glas anhaftet. Das Bier ist klar, Eiweisstrübung ist durch Irish Moss keine sichtbar. Andere Braufehler und Einschenkfehler schließ ich jetzt mal aus.
Die Theorie sagt, dass je niedriger die Temperatur bei der Proteaserast, desto feiner zerhackt das Eiweiss, heisst mehr Aminosäuren. Je wärmer, desto mehr größere schaumstabilisierende Stücken.

Kann man also wie folgt planen?
Bockstammwürze bei hellen Malzen - Eiweissrast bei 52°C 10-15 Minuten
Ziel der Übung: Übermäßigen Schaum reduzieren, FAN freisetzen für die Hefe

Viel Rohfrucht oder Weizenanteil - Eiweissrast bei 57 für 5-10 Minuten
Überschüssiges Protein abbauen und Eiweisstrübung reduzieren.

Stammwürze um die 12°P bei hellen Malzen, bzw bei allen anderen Schüttungen - Eiweissrast bei 57°C für 5-15 Minuten (je nach Schüttung)
FAN erzeugen. Ggf kann man darauf verzichten, wenn keine Rohfrucht, Weizen oder ähnliches dabei ist, da die Malze gut gelöst sind.

Ich habe bei der Recherche gelesen dass es Proteaserasten um die 60°C gibt. Wie passen die da rein? Wie legt man für seine Schüttung das Proteinprofil aus und was macht das mit dem Geschmack?
Haben wir einen Brauer hier der sich mit der Theorie auskennt?
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Commander8x
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Re: Theorie hinter der Eiweissrast

#2

Beitrag von Commander8x »

Interessant wäre mal zu hören, wie die Gärung bei deinem Maibock verlaufen ist.
Das gesamte Maisch-Schema zu kennen wäre auch nicht schlecht.

Gruß Matthias
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Ras Tafaric
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Re: Theorie hinter der Eiweissrast

#3

Beitrag von Ras Tafaric »

Die Schüttung war relativ unspektakulär mit 70% PiMa, 12,5 WiMa, 12,5 MüMa, 5% CaraHell, alles aus Barke Gerste.
pH Wert wurde mit Milchsäure auf 5,4 eingestellt. Wasser war sehr weiches Kaufwasser im Pilsnerprofil.
Maischschema hatte eine kurze 57°C Rast von 7 Minuten, dann an ein trockenes Pils angelehnt eine dreistufige Infusion (64-67-73).
StW ging auf entspannte 17,5°P hoch, es wurde auf 32 IBU gebittert und mit S189 vergoren. Gärung war unspektakular, normaler Kräusenauf und -abbau, leichtes Schwefeln in den ersten 2 Tagen, was für die Hefe aber im ganz normalen Rahmen war.
Beim Abfüllen konnte man schon eine sehr stabile Schaumentwicklung sehen, was sich in ziemlich zeitraubendem Abfüllen geäußert hat. Flaschengärung verlief wiederum sehr normal, Rezensentwicklung ist perfekt im Rahmen.
Geschmack ist wie gewünscht, keinerlei saure, muffige oder ähnliche Noten feststellbar. Diacetyl ist ebenso nicht feststellbar, wie Schwefelnoten oder ähnliches. Kurzum ein Maibock wie bei Rezepterstellung geplant. Schmeckt gefährlich lecker.
Deswegen der Ansatz mit dem Protein.
Zuletzt geändert von Ras Tafaric am Dienstag 30. April 2024, 12:33, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Theorie hinter der Eiweissrast

#4

Beitrag von OS-Schlingel »

Hallo zusammen,

superinteressantes Thema! Hab gerade nochmal im Braumagazin.de nachgeschaut.
https://braumagazin.de/article/malzanalyse
Der Artikel bringt hier viele Variable ins Spiel, die ich so schnell nicht zusammengefasst bekomme.

Prinzipiell maische ich auch auf Zieltemperatur 57°C. Das Erfordernis zu tieferen Temperaturen kann sich durch eine Malzanalyse ergeben.
Die Malzanalyse findest sich mindestens bei Avangard Malz.

Ich muss erst mal weiterlesen.

Gruß Stephen

Nachtrag zum Abfüllen:
Kannst Du mit den Temperaturen beim Abfüllen weiter runter gehen? Damit würde sich das CO2 besser im Bier binden und Du könntest schon fast druckfrei (ca. 0,3 bar) über GDA abfüllen.
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Ras Tafaric
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Re: Theorie hinter der Eiweissrast

#5

Beitrag von Ras Tafaric »

Abgefüllt wurde bei ca 10°C Jungbiertemperatur. Der Gärbottich kam direkt aus der Kühlung. Allerdings wurde drucklos abgefüllt. Für Spunden und GDA fehlt mir das Equipment.
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Re: Theorie hinter der Eiweissrast

#6

Beitrag von Colindo »

Ich füge mal zwei Grafiken aus einem Paper an, die das Ganze etwas beleuchten. Untersucht wurde ein Enzymauszug aus Malz, dem man verschiedene Proteine zu "fressen" gab und es wurde untersucht, unter welchen Bedingungen welche Proteine wie schnell zerlegt werden.
Eiweißrasten.png
Eiweißrasten.png (127.94 KiB) 292 mal betrachtet
Dass die Enzyme bei über 65°C schnell kaputt gehen, konnten wir uns wahrscheinlich alle denken. Aber dass es für die drei Hauptgruppen, nämlich Hordeine, Gluteline und Hämoglobine, sehr unterschiedliche Optimaltemperaturen gibt, ist glaube ich den wenigsten bekannt. Das Ganze ist auch stark vom Maische-pH abhängig.
Eiweiß-pH.png
Eiweiß-pH.png (52.02 KiB) 292 mal betrachtet
Hier die gleichen drei Eiweißgruppen wie im Graph mit den Temperaturoptima, nur mit anderen Symbolen, weil die Autoren anscheinend Lesbarkeit verachten :puzz

Wer sehr langkettige Eiweiße aus der Gruppe der Hämoglobine zerlegen möchte, kann dies bei 60°C tun. Es dauert nur sehr lange, weil das pH-Maximum sehr weit weg von unseren 5,5 ist. Ich habe mal ein paar positive Resultate erhalten, also ich 15 min bei 60°C gerastet habe, verglichen mit einer ausschließlichen Kombirast bei 67°C. Bei letzterer war immer etwas Trübung im Bier. Bei meinen (wenigen) untergärigen Suden mit langer 62°C-Rast gab es diese Trübung nie. Wer also mit Stufenrasten braut, macht diese Hämoglobin-Rast unter Umständen stets mit.
Auf Youtube: The British Pint
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Re: Theorie hinter der Eiweissrast

#7

Beitrag von OS-Schlingel »

10°C, mmhhh, dann würde ich mit der Temperatur noch tiefer gehen, wenn möglich.

Unter Druck/ Gegendruck in der Flasche könnte man auch wärmer abfüllen.
Ich kenne jetzt Deine Abfülleinrichtung nicht, aber vielleicht kannst Du es so einrichten, dass Du beim Füllen bis auf den Flaschengrund kommst, statt das Jungbier "reinsprudeln" zu lassen. (Sorry, ich meine das nicht so hart wie es vielleicht klingt). Da gibt es auch Füllsysteme mit Fußventil im Röhrchen.

Die Frage ist ja wirklich, hast Du ein Eiweißproblem oder eher ein Abfüllproblem!

Gruß Stephen
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Re: Theorie hinter der Eiweissrast

#8

Beitrag von Ras Tafaric »

:P Ich hab ein Abfüllrohr um nicht zu sprudeln und nen kurzen Weg vom Bottich in die Flasche (ca 0,75m Schlauchlänge).
Keine Sorge, darauf ist geachtet..
Deswegen sag ich ja, ich schließe die ganzen üblichen Verdächtigen aus. Ausserdem würde das die starke Schaumstabilität im Glas nach 8 Wochen Reifung nicht erklären.

@Colindo
Ich glaub dass die beiden Enzyme Endopeptidase und Carboxypeptidase die beiden Schlüsselspieler sind. Die anderen Enzyme würde ich wegen der geringen Temperaturbeständigkeit und dem basischen pH Optimum ausschließen.
Endopeptidase zerlegt Proteine in Peptide und Aminosäuren, Carboxypeptidase zerlegt Proteine und auch Peptide in Aminosäuren.
Gehen wir vereinfacht davon aus, dass Peptide langkettiger sind und den Schaum stabilisieren, Aminosäuren nicht, höhermolekulares Eiweiss sorgt für stärkere Trübung.
Beide Enzyme haben ihr Temperaturoptimum um die 50°C und deaktivieren knapp unter 60°C. Es ist eine Art Wettlauf zwischen Enzymlösung in der Würze und Zerfall, der bei 50° stabil hält. Will ich Proteinüberschuss zerlegen, leg ich es auf Carboxypeptidase und Endopeptidase parallel an, um als Endprodukt auf Aminosäuren zu kommen. Eins zerlegt die Proteine, das andere spaltet sie auf die Bausteine runter. Also ähnlich wie die Amylasen.
Leg ich es auf Schaumstabilität und FAN an, brauch ich nur Endopeptidase und will Carboxypeptidase deaktiviert haben.

Die Theorie hinter dem ganzen sagt, dass die Proteasen bei langsamer Erwärmung und tieferer Starttemperatur länger stabil bleiben bevor sie denaturieren, Das könnte der Knackpunkt sein, da das bei Endopeptidase stärker auftritt als bei Carboxypeptidase.

Maische ich bei 50°C ein und halte eine Rast bei um die 52°C bevor ich zur Maltoserast heize, habe ich beide, Maische ich bei 60°C ein und halte dann eine 57°C Rast, hab ich mehr von der einen.
Damit hat man eine Stellschraube, wie man den Peptidgehalt in der Würze justieren kann.

Das Ganze würde auch die stärkere Eiweisstrübung bei reiner Kombirast von 67°C und heißem Einmaischen erklären, da beide Proteasen ziemlich sofort deaktiviert wären und man eine Menge hochmolekulares Protein in die Würze bekommt.
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