Und es geht auch generell um freie Aminosäuren im Bier, denn diese können über Umami hinaus den Geschmack beeinflussen.
Hintergrund: ich habe erst kürzlich gelernt, dass es bei der geschmacklichen Wahrnehmung von Umami einen synergistischen Mechanismus gibt aus
1) Glutamat (Glu) (und auch noch ein paar anderen Aminosäuren und kurzkettigen Peptiden), und
2) sog. Nucleotiden, z.B. GMP, IMP etc., z.T. aus RNA oder dem ATP-Stoffwechsel.
Diese Nucleotiden in 2) sind der Hauptgrund, warum man z.B. mit Sardellen oder Shiitake-Pilzen den Umami-Geschmack in einem Gericht sehr stark "boostern" kann und so für ein erfüllenderes Geschmackserlebnis bei entsprechenden Mahlzeiten sorgen kann. Durch den synergistischen Mechanismus wird die Wahrnehmung von Glu immens verstärkt und die Wahrnehmungsschwelle (wenn ich das richtig lese) um mindestens den Faktor 100 gedrückt!!
Umami aus Glu kommt eigentlich nur durch Hefeautolyse ins Bier (Ausnahmen wären z.B. Oyster Stouts oder seltene Stouts, die mit Algen gebraut werden), aber der synergistische Mechanismus eröffnet hier vielleicht neue Möglichkeiten für Foodpairings.
Mir sind zu diesem Thema einige hochinteressante Studien in die Hände gefallen, aus denen sich Erkenntnisse und Fragestellungen ergeben, die auch für uns relevant sind oder sein könnten.
Eine beschäftigt sich mit dem Foodpairing Champagner-Austern und kommt zu dem Schluss, dass man durch GMP/IMP in den Austern durch den synergistischen Mechanismus die Wahrnehmungsschwelle von Umami (Glutamat) im Champagner drückt und deswegen diese Kombi so gut funktioniert. Mit anderen Worten: durch den Kontakt mit IMP/GMP im Mundraum bekommt der Champagner "Umami" - so zumindest der Gedankengang der Autoren! Champagner enthält etwas Umami in der Form von Glutamat, aber normalerweise nicht genug, um über die Wahrnehmungsschwelle von etwa 30 mg/100g zu kommen! Weiters wird eine empirische Formel vorgestellt und diskutiert, wie stark sich welches Nukleotid (also IMP/GMP etc.) auf die Gesamtwahrnehmung von Umami auswirkt!
Umami synergy as the scientific principle behind taste-pairing champagne and oysters
Eine weitere, etwas neuere Studie der gleichen Autoren (leider nicht frei verfügbar, aber ich habe sie gelesen) untersucht auch andere Getränke (u.a. auch Sake und Bier). Lt. dieser enthält Bier im Schnitt und im Einzelfall sogar etwas mehr Glu (d.h. Umami) als Champagner, d.h. es sollte da auch Kombinationen von manchen Bieren mit z.B. Fisch oder Shiitake-Pilzen geben, die zumindest bezüglich Umami gut funktionieren sollten. Die Autoren nehmen als Quelle ebenfalls die Autolyse der Hefe an und gehen davon aus, dass vor allem langer Hefekontakt den Glu-Gehalt nach oben drückt. Die gleiche empirische Formel wie in der vorigen Veröffentlichung wird diskutiert.
Umami potential of fermented beverages: Sake, wine, champagne, and beer
Hier ein Zusammenfassung der Studie:
New study: Which beverages burst with umami potential?
Interessant auch die Erkenntnisse zu Sake: dieser enthält die höchsten Konzentrationen an Glutamat (Glu), in lange gereiften und gelagerten Sorten sogar oberhalb der Wahrnehmungsschwelle (die Autoren beziehen sich im Text auf eine Sake-Probe mit 120 mg/100 ml (!!), also deutlich oberhalb der Wahrnehmungsschwelle).
Hier ein paar Tabellen, die die Aminosäurengehalte in diversen Getränken aufzeigen, auch aufgeschlüsselt nach Auswirkungen auf Umami, süß und bitter. Auch der Gesamtgehalt an freien Aminosäuren scheint wichtig!
Sake: Champagner: Bier: (Tabellen aus Copyright-Gründen sehr stark bearbeitet)
Beim Bier sind auch die untersuchten Sorten / Marken interessant!
Ich finde das Thema hochspannend. Der naheliegende Schluss ist schon mal, dass allein in Bezug auf Umami / Foodpairing diverse Biere (Sake natürlich als allererstes) ebenso wie Champagner für das Foodpairing mit Austern geeignet sein müssten. Wit oder Berliner Weiße könnte ich mir gut vorstellen, natürlich vor allem ungefilterte / unpasteurisierte Varianten.
Interessant bei diesem Thema ist generell auch der Gehalt freier Aminosäuren im Bier. Diese können (s.o.) nämlich durchaus neben Umami (vor allem Glu aber auch Asp) auch noch süße (Pro etc.) oder bittere Aromen geschmacklich verstärken. Hier ein Überblick über die ca. 20 Aminosäuren, die für den Menschen relevant sind:
Aminosäuren
Weitere interessante Quellen zum Thema:
Determination of free amino acids in beers: A comparison of Czech and foreign brands
(leider nicht frei verfügbar, ich habe auch nur die hier verfügbaren Ausschnitte gelesen)
Die Autoren haben hier diverse tschechische Biere mit internationalen Vertretern abgeglichen und fanden mehr Aminosäuren in tschechischen Bieren - evtl. wg. längerem Kontakt mit Hefe??? Möglicherweise eine Erklärung, warum tschechische Biere (auch die Leichtversionen) sehr aromaintensiv rüberkommen???
Außerdem enthält die Studie einen interessanten Kurzüberblick, welche Aminosäuren wie schnell durch die Hefe aufgenommen werden. Letztere benötigt ja FAN für das Wachstum bzw. den Aufbau eigener Proteine. Unter anderem wird Glu sehr schnell aufgenommen (was erklärt, warum man z.B. Hefeextrakte als Umami-Zutat verwenden kann), Pro hingegen fast gar nicht, was m.E. ein sehr wichtiger Grund dafür sein dürfte, warum Bier sehr reich an Pro ist (s. Tabelle oben).
Hier noch eine weitere Studie zum Thema Aminosäuren in Bier:Amino acids have been categorized into four groups in ale yeast on the basis of their assimilation patterns (Jones and Pierce, 1964; Basarova and Cerna, 1972; Lekkas et al., 2007): group A (Glu, Asp, Asn, Gln, Ser, Thr, Lys, Arg)—fast absorption; group B (Val, Met, Leu, Ile, His)—intermediate absorption; group C (Gly, Phe, Tyr, Trp, Ala)—slow absorption and group D (Pro)—little or no absorption. This pattern has not been confirmed for every brewing strain nor for lager yeast in general (Basarova and Cerna, 1972; Perpete et al., 2005; Lekkas et al., 2007).
A UHPLC method for the simultaneous analysis of biogenic amines, amino acids and ammonium ions in beer (ebenfalls nicht frei verfügbar)
Dreht sich leider nur ums Analyseverfahren, Resultate würden mich trotzdem interessieren.
Kennt/Hat jemand von Euch noch weitere Studien/Erkenntnisse, die sich mit Umami oder dem Gehalt freier Aminosäuren in Bier befassen. (letzteres nicht nur summarisch, sondern aufgeschlüsselt nach einzelnen, z.B. Glutaminsäure (Glu), Asparaginsäure (Asp), Prolin (Pro) usw.)? Oder andere Erkenntnisse zu diesem Themenbereich?
(Edit: Post mehrfach bearbeitet)