Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

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Bieriges
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Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#1

Beitrag von Bieriges »

Hallo zusammen ,

Ich habe gestern gebraut und habe eine wesentlich höhere Verdampfungsrate gehabt als ich gedacht habe.
Meine Verdampfungsrate lag bei sensationellen 50% (und nicht bei 20%).
Um auf meine Zielstammwürze zu kommen musste ich vor Zugabe der Hefe nachträglich ordentlich mit Wasser verdünnen. Dabei habe ich mich gefragt was passiert in diesem Zusammenhang eigentlich mit dem IBU`s?

Die Berechnung der IBU`s erfolgt ja anhand meiner Zielstammwürze; ist während des Hopfenkochen mehr verdampft als erwartet, so wäre das Bier wesentlich bitterer als errechnet...
Verdünne ich das Bier mit Wasser auf die Zielstammwürze, so müsste das Bier doch auch den errechneten IBU Gehalt haben (sofern die SHA stimmt und man man mit dem verdünnen auf die errechnete Ausschlagmenge kommt)....
Habe ich jetzt einen Denkfehler?

Cheerio
Jo
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Proximus
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#2

Beitrag von Proximus »

Du berechnest Deine gewünschte Bittere ja auf eine gewisse Ausschlagmenge. Unterm Strich ist dann die Verdampfung sekundär, solange nach Verdünnung die Literzahl der erwarteten Menge entspricht. Das erstmal zur vereinfachten Mathematik. Aber eine höhere, erzielte Stammwürze bei Erreichen der geplanter Literzahl hat natürlich Einfluss auf das Empfinden und die Wahrnehmung der Bittere. 26IBU bei 12Plato ist anders als 26IBU bei 15Plato. Insofern ist die Ausbeute der Faktor, den Du für Deine Anlage und Prozesse kennen(lernen) und austarieren musst die entscheidende Größe für Deine zukünftigen Planungen.

Viele Grüße
Heiko
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Flothe
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#3

Beitrag von Flothe »

Hallo,

die Antwort auf die Frage ist tatsächlich ein wenig komplexer als man zunächst denken könnte:

In erster Näherung ist natürlich ausschlaggebend für welches Zielvolumen die Hopfengabe berechnet wurde. Durch das Eindampfen der Würze wird die Konzentration der nicht flüchtigen iso-alpha-Säuren schlicht erhöht (1 IBU = 1 ppm iso-alpha-Säure). Beim Verdünnen auf Zielstammwürze entsprechend wieder gesenkt. Dabei spielt natürlich auch die Ausbeute eine Rolle. Wenn aber alles stimmt, Zielvolumen und Zielstammwürze, dann ist der Effekt durch das Eindampfen wieder ausgeglichen.

In zweiter Näherung muss natürlich auch die Konzentrationsänderung der Würze durch die Eindampfung berücksichtigt werden. Die Bitterausbeute ist nicht nur eine Funktion abhängig von der Zeit sondern zusätzlich auch abhängig von der Konzentration der Würze. Höhere Würzekonzentration führt zu niedrigerer Ausbeute an iso-alpha-Säuren. Ohne das jetzt konkret zu berechnen, dürfte dadurch die Ausbeute an IBU sinken. Nach Verdünnen auf Zielstammwürze hast du dadurch weniger bittere als wenn du Zielgenau eingedampft hättest.

LG Florian

Jeder Tag ohne Bier ist ein Gesundheitsrisiko.
- Zitat: Hildegard von Bingen in ihrem Buch über Heilverfahren "Causae et Curae"
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Johnny H
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#4

Beitrag von Johnny H »

Flothe hat geschrieben: Mittwoch 21. August 2019, 10:22 [...]

In zweiter Näherung muss natürlich auch die Konzentrationsänderung der Würze durch die Eindampfung berücksichtigt werden. Die Bitterausbeute ist nicht nur eine Funktion abhängig von der Zeit sondern zusätzlich auch abhängig von der Konzentration der Würze. Höhere Würzekonzentration führt zu niedrigerer Ausbeute an iso-alpha-Säuren. Ohne das jetzt konkret zu berechnen, dürfte dadurch die Ausbeute an IBU sinken. Nach Verdünnen auf Zielstammwürze hast du dadurch weniger bittere als wenn du Zielgenau eingedampft hättest.
Dazu muss gesagt werden, dass m.W. die niedrigere Alpha-Ausbeute bei höheren Stammwürzen m.W. mit dem verstärkten Austrieb bzw. Alphaverlust beim Gären zu tun hat und weniger mit Vorgängen beim Würzekochen selbst. So war zumindest hier schon öfter zu lesen, und ebenso, dass sich die Originalarbeiten zu diesem Thema an genau diesem Punkt ausschweigen.

Dies würde bedeuten, dass nach Verdünnen wieder alles so sein sollte, wie es beabsichtigt war.
Zuletzt geändert von Johnny H am Mittwoch 21. August 2019, 11:21, insgesamt 1-mal geändert.
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Bierjunge
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#5

Beitrag von Bierjunge »

Flothe hat geschrieben: Mittwoch 21. August 2019, 10:22 In zweiter Näherung muss natürlich auch die Konzentrationsänderung der Würze durch die Eindampfung berücksichtigt werden. Die Bitterausbeute ist nicht nur eine Funktion abhängig von der Zeit sondern zusätzlich auch abhängig von der Konzentration der Würze. Höhere Würzekonzentration führt zu niedrigerer Ausbeute an iso-alpha-Säuren.
Jein.
Ich weiß, worauf Du anspielst: Auf die berühmt-berüchtigte Tabelle nach Tinseth.
Diese bezieht sich aber auf die Bittere im fertigen Bier, sofern ich es richtig erinnere:
Ein Teil der Iso-alpha-Säure verschwindet beei der Gärung wieder, indem sie von den aufsteigenden CO2-Bläschen adsorbiert und in die Kräusendecke getragen sowie an die Hefe angelagert wird. Darum schmeckt gehopfte Würze (von der Brandhefe ganz zu schweigen) auch so bitter im Vergleich zum fertigen Bier.
Hast Du zwei identisch gehopfte Würzen unterschiedlicher Stammwürze, so entsteht in der stärkeren Würze bei der Vergärung von mehr Zucker mehr CO2, so dass weniger Bittere im Bier übrigbleibt. Im Endergebnis schaut das vermeintlich wie eine schlechtere Löslichkeit der Iso-alpha-Säure in stärkeren Würzen aus. Wenn Du die Würze nun aber vor der Gärung herunterverdünnst, kompensierst Du damit den Gaswäsche-Effekt. Übrig bleiben wahrscheinlich nur minimale, eher akademische Unterschiede, so dass man m.E. auch mit Deiner ersten Näherung (Umrechnung per Dreisatz bzw. Mischkreuz) gut fahren sollte.

Im alten Forum hatte sich olibaer detailliert darüber ausgelassen, dass es etliche andere Faktoren für die Bitterstoffausnutzung gibt, allen voran der pH-Wert, der in der Tinseth-Formel der meisten Hobbybrauer-Rechentools überhaupt nicht vorkommt. Es mag natürlich auch sein, dass die Stammwürze einen gewissen Einfluss auf die Löslichkeit haben mag, aber das geht im Vergleich zum oben geschilderten Effekt wahrscheinlich im Rauschen unter.

Moritz
Edit: Johnny hat gewonnen. :Greets das hat man davon, dass man beim Tippen sicherheitshalber noch mal im Narziß nachschlägt...
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Boludo
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#6

Beitrag von Boludo »

So, und jetzt kommt mein Spruch:
Die Vorstellung, dass man mit einem Algorithmus die IBU genau berechnen kann, ist eine Illusion. Das ist alles so ungenau, dass man sich da nicht all zu viele Sorgen machen muss.
Und wie bitter das Bier am Ende schmeckt, hängt nicht all zu sehr mit den gemessenen (und vor allem berechneten) IBU ab. Da gibt es noch ganz andere Faktoren.
In Romrod lagen die gemessenen IBU teilweise extrem vom berechneten Wert entfernt.
Es gab aber natürlich auch welche, die ziemlich gut gepasst haben.
Man kann den Geschmack des fertigen Bieres sehr schlecht mit Mathematik in den Griff bekommen. Da hilft Erfahrung und das berühmte Bauchgefühl oft mehr.

Stefan
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Johnny H
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#7

Beitrag von Johnny H »

Bierjunge hat geschrieben: Mittwoch 21. August 2019, 11:21 [...]
Moritz
Edit: Johnny hat gewonnen. :Greets das hat man davon, dass man beim Tippen sicherheitshalber noch mal im Narziß nachschlägt...
Aber Deine Antwort war auch um einiges präziser und fundierter als meine. :Greets
Jubel erscholl, als sich die Trinker von dem schneidigen, köstlichen, bei dem früher in Pilsen erzeugten nie wahrgenommenen Geschmack überzeugten. Die Geburt des Pilsner Bieres!
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schlupf
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#8

Beitrag von schlupf »

Moin,
Wirklich schwieriges Thema...

Dazu gab's letztens eine Folge beim Master Brewers Podcast, wo jemand über den ganzen Brauprozess IBU-Messungen gemacht hat und auf interessante Phänomene wie zum Beispiel eine maximale Sättigung gestoßen ist.
Sie haben dazu auch ein Paper "veröffentlicht", in dem sie wohl auf eine neue Formel gekommen sind.
Allerdings steht das im Mitgliederbereich der MBAA-Website und ist im öffentlichen Netz bisher nicht zu finden.

Das wäre unter Umständen interessant zu lesen, um zu sehen, ob man da für den Hobbybereich was übernehmen könnte...

Die entsprechende Podcastfolge ist hier zu finden:
https://www.masterbrewerspodcast.com/123

Viele Grüße
Sebastian
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schlupf
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#9

Beitrag von schlupf »

Nachtrag:
Der Artikel wäre hier zu finden:
https://www.mbaa.com/publications/tq/tq ... 05-01.aspx

Vielleicht hat ja zufällig jemand einen Zugang...
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olibaer
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Re: Nachträgliches Verdünnen für Zielstw. - was passiert mit den IBU'?

#10

Beitrag von olibaer »

Bierjunge hat geschrieben: Mittwoch 21. August 2019, 11:21 Im alten Forum hatte sich olibaer detailliert darüber ausgelassen, dass es etliche andere Faktoren für die Bitterstoffausnutzung gibt, allen voran der pH-Wert, der in der Tinseth-Formel der meisten Hobbybrauer-Rechentools überhaupt nicht vorkommt. Es mag natürlich auch sein, dass die Stammwürze einen gewissen Einfluss auf die Löslichkeit haben mag, aber das geht im Vergleich zum oben geschilderten Effekt wahrscheinlich im Rauschen unter.
Neue wissenschaftliche Arbeiten und Pubikationen haben vergleichbar zu Tinseth festgestellt, dass mit steigender Stammwürze die Bitterstoffausnutzung sinkt.

Ursache ist aber nach diesen Erkenntnissen nicht die Stammwürze selbst, sondern ein erhöhter Schüttungsanteil je Wasseranteil.
In diesem Umfeld erhöht sich nicht nur die Extraktkonzentration(Stammwürze), sondern auch der Eiweißeintrag in seinen Gerbstoff-/Eiweißkomplexen. Dieser Umstand erhöht begleitend die Trubmengen, die wiederum verantwortlich für die höchsten Bitterstoffverluste auf dem Weg zur kalten Anstellwürze zeichnen.


Ein Szenario wie dieses wäre denkbar:
Bier A wird mit 13°P eingebraut. Im Bauch hat es Schüttungsanteile mit niederem Eiweißgehalt.
Bier B wird mit 12°P eingebraut. Im Bauch hat es Schüttungsanteile mit hohem Eiweißgehalt.

Nach Tinseth ist die Bitterstoffausbeute von Bier A mit der höheren Stammwürze schlechter. Zieht man die gefundene Erklärung für die Bitterstoffverluste basierend auf den Trubmengen zu Rate dann steht im Raum, dass die Bitterstoffausbeute von Bier B mit der niederen Stammwürze sogar noch schlechter sein könnte als die von Bier A mit der höheren Stammwürze.
In diesem Umfeld geben resultierende Trubmengen Aufschluß über die Bitterstoffausbeute, nicht alleine die Extraktkonzentration der Würze.

P.S.: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass rund um den Trubanteil und dessen Ausscheidung sehr viel Musik bzgl. der Bittertsoffausbeute spielt.
Zum einen lässt sich das Potential leicht "erschmecken", zum anderen hat der Trub via Adsorption die Power bereits in Lösung gegangene Iso-a-Säuren aus dem Verkehr zu ziehen, die für das Endprodukt im Bitterempfinden nicht mehr zur Verfügung stehen.
Gruss
Oli
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