Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

Fragen und Diskussion rund um Rezepturen zum Bierbrauen
Antworten
Benutzeravatar
chaos-black
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3318
Registriert: Dienstag 10. Juli 2012, 21:38
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#1

Beitrag von chaos-black »

Hallo liebe Leute,
Ich bin kürzlich bei der Recherche zu Bier in der Stadt aus der ich stamme über einen historischen und regional spezifischen Bierstil gestolpert. Die Informationslage is aber leider äußerst spärlich. Soweit ist alles was ich gefunden habe folgendes:
Die norddeutschen Küstenstädte brauten anscheinend im Mittelalter besonders schmackhaftes Bier und exportierten es in den gesamten nordeuropäischen Raum, Skandinavien und die Beneluxländer. Auch Stade hatte mit dem ‚Stader Kater‘ seinen Anteil an diesem äußerst lukrativen Geschäft. Neben Getreide und Fisch war das Bier Haupthandelsgut der Hanse.
http://www.archaeologie-stade.de/geschi ... ader-bier/
Ich hab dem Autoren des zitierten Artikels eine Mail geschrieben, aber vlt weiß hier ja jemand noch etwas über dieses Bier, was bei einer Rezeptrekonstruktion helfen können. Ich habe leider keinerlei Infos zu Stammwürze, Alkoholgehalt, Aussehen, Geruch, Erscheinung oder Geschmack. Es fehlt also so ziemlich alles. Ich hätte auch überlegt Horst Dornbusch zu fragen, seine mailadresse gibt's aber leider nicht einfach so online.

Beste Grüße,
Alex
Meine Hobbybrauerei: http://brauerei-flaschenpost.de/ (gerade offline)
Benutzeravatar
gulp
Moderator
Moderator
Beiträge: 10456
Registriert: Montag 20. Juli 2009, 21:57
Wohnort: Nürnberg
Kontaktdaten:

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#2

Beitrag von gulp »

Auf Dornbusch würde ich nicht viel geben: http://barclayperkins.blogspot.de/2011/ ... lshit.html
Vielleicht weiß ja der Bierzauberer was. http://heimat-des-bierzauberers.webnode.com/

Gruß
Peter
>>Impfung rettet Leben und Kultur!<<

Ein Bayer ohne Bier ist ein gefährlich Thier!

https://biergrantler.de
https://stixbraeu.de
Benutzeravatar
flying
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 13293
Registriert: Donnerstag 14. August 2008, 18:44

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#3

Beitrag von flying »

Hamburger Weißbier war das dominierende Gebräu in den Zeiten der Hanse. Das Bier aus Stade hatte wohl einige leicht abweichende Eigenschaften trotz ansonsten identischer Rohstoffe (z. B. Elbwasser).
Es soll schlechter als das Hamburger Weißbier gewesen sein, schreibt der alte Dr. Grässe in seinen "Bierstudien". Der Name kommt nicht von ungefähr. "Es kratze einen wie ein Kater im Kopfe", wenn man zuviel davon getrunken hatte.
Nichtsdestotrotz hielten die Stader es hoch und ließen kein anderes Bier in ihre Stadt. Auf solche alten Qualitätsberichte kann man vermutlich auch nichts geben, da die Brauer wohl immer das Bier der Konkurrenz verteufelten.

Also sehr ähnlich dem Hamburger Weißbier. Das muss so eine Art stärkere Berliner Weisse gewesen sein..? Niemand weiß das mehr und Reinzucht gab es damals nicht.

m.f.g
René
Held im Schaumgelock

"Fermentation und Zivilisation sind untrennbar verbunden"
(John Ciardi)
Benutzeravatar
hyper472
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3139
Registriert: Freitag 2. Oktober 2015, 22:33
Wohnort: Nürnberg

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#4

Beitrag von hyper472 »

Der Klaus Kling (Braupartner.de) kennt auch so manchen alten Bierstil.
Viele Grüße, Henning
"Das Bier aber macht das Fleisch des Menschen fett und gibt seinem Antlitz eine schöne Farbe durch die Kraft und den guten Saft des Getreides."
Hildegard von Bingen (1098-1179)
Benutzeravatar
§11
Moderator
Moderator
Beiträge: 9357
Registriert: Freitag 30. Oktober 2015, 08:24

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#5

Beitrag von §11 »

Ich kann vielleicht helfen. Mein Nachdruck der Oeconomischen Encyclopädie fünfter Teil führt unter verschiedene Bieren:
„Stader, im Bremischen, führt den Nahmen (sic!) Kater“

Leider ist das Buch etwas unübersichtlich geschrieben und nicht bei allen aufgeführten Bieren finden sich weitere Beschreibungen oder gar Rezepte.

Ich schau heute Abend mal

Jan
„porro bibitur!“
Die Seite zum Buch "Bier brauen" https://www.jan-bruecklmeier.com/
Die Seite zur HBCon https://heimbrauconvention.de/
https://headlessbrewer.wordpress.com/
Benutzeravatar
§11
Moderator
Moderator
Beiträge: 9357
Registriert: Freitag 30. Oktober 2015, 08:24

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#6

Beitrag von §11 »

Hamburger Bier scheint gut gewesen zu sein und bei größeren Mengen abführend.
5DE16405-A65A-4B90-8DEB-957371D52AC4.jpeg
„porro bibitur!“
Die Seite zum Buch "Bier brauen" https://www.jan-bruecklmeier.com/
Die Seite zur HBCon https://heimbrauconvention.de/
https://headlessbrewer.wordpress.com/
jemo
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 793
Registriert: Donnerstag 8. Mai 2014, 13:05
Wohnort: Monheim am Rhein

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#7

Beitrag von jemo »

chaos-black hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 12:15 Ich hätte auch überlegt Horst Dornbusch zu fragen, seine mailadresse gibt's aber leider nicht einfach so online.
Zumindest sein "Die Biersorten der Brauwelt" halte ich für in Teilen frei erfunden. Man muß sich nur mal sein Brauverfahren für eine Berliner Weiße durchlesen ...
Viele Grüße,
Jens
Benutzeravatar
chaos-black
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3318
Registriert: Dienstag 10. Juli 2012, 21:38
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#8

Beitrag von chaos-black »

Soweit schonmal danke für die guten Tips. Ich werde mal dem Bierzauberer und Klaus Kling schreiben.
Auch die Bierstudien von Grässer kannte ich noch nicht. Ist das soweit alles was zum Stader dadrin steht?
Freu mich schon auf die Erkenntnissse aus Jans Enzyklopädie :)

Beste Grüße,
Alex
Meine Hobbybrauerei: http://brauerei-flaschenpost.de/ (gerade offline)
Benutzeravatar
flying
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 13293
Registriert: Donnerstag 14. August 2008, 18:44

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#9

Beitrag von flying »

Viel mehr steht nirgendwo was zu dem Bier. Es wird wohl eine Art Hamburger Weißbier gewesen sein. Aus dem ist letztendlich der Broihan und die Berliner Weisse hervorgegangen. Die Hamburger sollen ihre Rezepte wiederum von den Bremern geklaut haben. Alles ist sehr wage..
Die alten Beschreibungen sind natürlich äußerst präzise. Das Bier soll erst rot, dann braun und am Ende "weiss", also hell gewesen sein. Viel Luftmalz möglicherweise. Geschmack fein säuerlich, "dem Weine gleich" usw..Hopfen wurde wohl in geringen Maße eingesetzt aber möglicherweise auch andere Kräuter und Gewürze. Ein Stück weiter südlicher begannen schon die Gagelbiere wie z. B. die Osnabrücker Bruse Puse (bis in das 20. Jahrhundert), obwohl da von "Waldmyrthe" die Rede war.

Historische Biere exakt nachzubrauen ist ein vergebliches Unterfangen..
Held im Schaumgelock

"Fermentation und Zivilisation sind untrennbar verbunden"
(John Ciardi)
nacron
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 533
Registriert: Samstag 26. Oktober 2013, 16:29

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#10

Beitrag von nacron »

Meine Tips, am besten du findest eine historische abhandlung über das Brauwesen in der Stadt oder der Gegend. Bisweilen habe ich daraus sehr verlässliche Daten rausgefunden. Ansonsten kann ich dir ein Buch empfehlen über deutsche Bierstile: http://www.carllibri.com/Biere-die-Geschichte-machten das hat sehr gute Quellen und ist sauber recherchiert.
Dieses Buch hier scheint interessant zu sein: https://books.google.de/books?id=h2rtAAAAMAAJ (http://www.worldcat.org/title/hanse-und ... /249031028 das bekommt man ganz gut ausgeliehen...)
Das hier noch mehr: https://books.google.de/books/about/Ham ... edir_esc=y
Kleiner tip ist archive.org da kriegst du relativ viel, ansonsten nationalbibliothek, hamburger bibliotheken etc. (hab jetzt schonmal reingeguckt aber ist echt schwer ranzukommen....)

Ich halte nicht viel von Büchern in denen 140 rezepte drin sind und die Brauer angeben Meister ihres Faches zu sein und so viele Bierstile kennen... Manche Rezepte sind komplette Geheimnisse gewesen wie die Gose aus Döllnitz/Leipzig ... Nie im Leben haben die ihre Geheimnisse an solche Brauer rausgerückt.

Zum Punkt das alle Biere damals sauer gewesen sein müssen... Das empfinde ich nicht so, erstens hat Kveik gezeigt das es wundervolle Mischkulturen gab welche ein nicht saures Bier hergestellt haben und das mit primitivsten Mitteln. Reine Sacc Kulturen die durch ihre Dominanz keine anderen Bakterien etc zulassen. Und das man in Berlin sich früher Hefe aus Kottbus (welche erst mit der Zeit sauer wurde) hat kommen lassen spricht ja auch Bände.

Desweiteren wurde das Hamburger Bier soweit ich das bisweilen gelesen habe relativ stark eingebraut. Und Hopfen wurde auch nicht zu wenig benutzt.
Mein Blog: Wilder Wald
nacron
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 533
Registriert: Samstag 26. Oktober 2013, 16:29

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#11

Beitrag von nacron »

flying hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 16:04 Historische Biere exakt nachzubrauen ist ein vergebliches Unterfangen..
Halte ich für relativ Allgemeint gehalten. Es kommt drauf an wie lange sie schon ausgestorben sind. Solange man noch an die alten Mischkulturen rankommt kann man einen historischen Bierstil nachbrauen. Besonders welche die noch aus dem letzten Jahrhundert stammen. Alles davor wird schwieriger aber nicht unmöglich. Und zumindest kann man sich annähern oder sich davon inspirieren lassen. Lieber ein lebendiger Umgang mit der Geschichte als vor dem Vorhaben kapitulieren.

Cheers
Benedikt
Mein Blog: Wilder Wald
Benutzeravatar
Bitter
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1178
Registriert: Samstag 19. September 2015, 15:32
Wohnort: Bochum

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#12

Beitrag von Bitter »

Telefonier doch mal mit dem Stader Stadtarchivar, vielleicht haben die in ihrem Archiv noch Quellen aus dieser Zeit. Der freut sich möglicherweise sogar über solch eine Anfrage und hilft Dir aktiv.

Gruß Lothar
Benutzeravatar
§11
Moderator
Moderator
Beiträge: 9357
Registriert: Freitag 30. Oktober 2015, 08:24

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#13

Beitrag von §11 »

Ich hab noch ein paar Quellen gefunden:
" Ein anderes Weizenbier braute man zu Stade, fuenf Meilen ueber der Elbe von Hamburg Ge'egen, genau aus demselben Elbwasser, demselben Weizen, Hopfen u.s.w. Zwar hielten es die Buerger von Stade so hoch, das sie kein anderes Bier in ihre Stadt zuliessen, allein Knauft (gemeint ist Dr. Knauft) versicherte doch letzteres (das Hamburger) sein ehrlich gesuender, dann aber steige es dem, der es getrunken, nicht am naechsten Morgen nach dem Kopfe. Dies that naemlich das Stader Bier, welches man dort selbst Kater nannte, weil es den Menschen, der davon zu viel getrunken, im Kopfe kratze."

In einem Lexikon von 1860 steht Kater noch als Biersorte aus Stade.
„porro bibitur!“
Die Seite zum Buch "Bier brauen" https://www.jan-bruecklmeier.com/
Die Seite zur HBCon https://heimbrauconvention.de/
https://headlessbrewer.wordpress.com/
tbln
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 510
Registriert: Dienstag 20. Oktober 2015, 13:28

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#14

Beitrag von tbln »

§11 hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 16:23 Ich hab noch ein paar Quellen gefunden:
" Ein anderes Weizenbier braute man zu Stade, fuenf Meilen ueber der Elbe von Hamburg Ge'egen, genau aus demselben Elbwasser, demselben Weizen, Hopfen u.s.w. Zwar hielten es die Buerger von Stade so hoch, das sie kein anderes Bier in ihre Stadt zuliessen, allein Knauft (gemeint ist Dr. Knauft) versicherte doch letzteres (das Hamburger) sein ehrlich gesuender, dann aber steige es dem, der es getrunken, nicht am naechsten Morgen nach dem Kopfe. Dies that naemlich das Stader Bier, welches man dort selbst Kater nannte, weil es den Menschen, der davon zu viel getrunken, im Kopfe kratze."
Bierstudien: Ernst und Scherz (1874) von Johann Gräße

"Hamburgs Bierbrauerei vom 14. bis zum 18. Jahrhundert" von Bing
Benutzeravatar
chaos-black
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3318
Registriert: Dienstag 10. Juli 2012, 21:38
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#15

Beitrag von chaos-black »

Ich hab kürzlich etwas gefunden, was hier vielleicht etwas weiterhelfen kann: In Hamburg gibt es jetzt eine kleine Brauerei, die nach eigenen Aussagen ein Originalrezept aus der Hansezeit verwenden: https://www.brauder-hamburg.de/braubuch/schiffsbier/
Dazu haben sie wohl auch irgendwo alten regionalen Hopfen aufgetrieben und bauen den nun an: https://www.brauder-hamburg.de/hopfen/hanse-hopfen/

Ich hab denen erstmal eine Kontaktnachricht da gelassen :) Mal sehen was sich da tut. Finde ich sehr spannend alles jedenfalls.
Meine Hobbybrauerei: http://brauerei-flaschenpost.de/ (gerade offline)
bwanapombe
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1233
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 10:19

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#16

Beitrag von bwanapombe »

nacron hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 16:10
flying hat geschrieben: Donnerstag 2. November 2017, 16:04 Historische Biere exakt nachzubrauen ist ein vergebliches Unterfangen..
Halte ich für relativ Allgemeint gehalten. Es kommt drauf an wie lange sie schon ausgestorben sind. Solange man noch an die alten Mischkulturen rankommt kann man einen historischen Bierstil nachbrauen. Besonders welche die noch aus dem letzten Jahrhundert stammen. Alles davor wird schwieriger aber nicht unmöglich. Und zumindest kann man sich annähern oder sich davon inspirieren lassen. Lieber ein lebendiger Umgang mit der Geschichte als vor dem Vorhaben kapitulieren.

Cheers
Benedikt
Da sind wir in einer sehr interessanten Diksussion.

Grundsätzlich neige ich dazu, flying zuzustimmen und das noch zu verstärken. Biere exakt nachzubrauen ist an sich ein Ansatz aus dem Industriezeitalter. Da wurde es überhaupt erst möglich immer das gleiche Bier wieder zu brauen. Vorindustrielle Biere hatten für unsere Verhältnisse sehr große Varianzen. Stellen wir das noch zurück und gehen davon aus (wie in den Büchern beschrieben), daß z.B. das Stader Bier eine Wiedererkennbarkeit hatte, ist selbst wenn uns ein Rezept vorliegen würde, ein Nachbau schwierig, weil uns die damaligen Rohstoffe fehlen.

Die Mikrobiologie wurde schon erwähnt. Dazu kommt das damalige Getreide, Hopfen und auch das Wasser steht uns nicht mehr zur Verfügung. Das Problem mit dem Wasser, ist wahrscheinlich das geringste. Ich bezweifle im Übrigen, daß in Stade wie in Hamburg Elbwasser verwendet wurde, dazu ist Stade zu weit weg von der Elbe.

Dann fehlen uns auch die damalige Ausrüstung und die dazugehörigen Prozesse, beim Mälzen und Brauen. Sicher kann man bestimmte Zustände und Ergebnisse mit anderen Mitteln nachstellen, es wird aber nur ein Versuch bleiben, sich dem damaligen Bier sich zu nähern.

In der Musik gibt es die sogenannte historische Aufführungspraxis. Das ist sicher mit unserer Situation vergleichbar. Dort hat man noch historische Instrumente und die original Noten. Aber auch das garantiert noch kein historisches Erlebnis. In den Noten fehlen die Selbstverständlichkeiten dieser Zeit. Die muß man sich anderswoher erschließen. Und man weiß eigentlich auch nicht, wie die Instrumente damals gespielt wurden.

Ich rackere mich gerade an einem Rezept ab, das 1585 dokumentiert wurde und es zerfließt einem förmlich zwischen den Fingern, weil alle Angaben, so präzise sie für einen Leser der damaligen Zeit auch gewesen sein mögen, heute schwierig nachzuvollziehen sind. Z.B sind eine Angabe von 5-6 Strich Hopfen eben kaum in IBU zu übersetzen, allein weil Hopfen nicht gleich Hopfen ist, und Hefe schon gar nicht gleich Hefe.

Die Frage ist auch, warum man das machen will. Die Bemühungen in zeitgenössische Biere auch historische und lokale Elemente einfließen zu lassen oder diese hervorzuheben finde ich grundsätzlich lobenswert, weil man sein Produkt hervorhebt aus den übrigen Bieren. Ich bin nur immer skeptisch bei Claims, daß mir da ein "historisches" Bier vorgesetzt wird.

Und Bitte nicht mißverstehen. Lesen von Quellen (i.e. Beschreibungen und Rezepten) ist immer gut. Ich will nur die Erwartungen etwas korrigieren, daß man dann weiß, wie das Bier beschaffen war und wie es herzustellen ist.

Dirk
Stay thirsty!
Benutzeravatar
chaos-black
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3318
Registriert: Dienstag 10. Juli 2012, 21:38
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#17

Beitrag von chaos-black »

bwanapombe hat geschrieben: Montag 16. September 2019, 22:03 Die Mikrobiologie wurde schon erwähnt. Dazu kommt das damalige Getreide, Hopfen und auch das Wasser steht uns nicht mehr zur Verfügung. Das Problem mit dem Wasser, ist wahrscheinlich das geringste. Ich bezweifle im Übrigen, daß in Stade wie in Hamburg Elbwasser verwendet wurde, dazu ist Stade zu weit weg von der Elbe.
Für Stader Wasser würde ich sagen gibt es mehrere Möglichkeiten:

1. Zum einen wären Brunnen eine Option, Stade liegt sehr tief, da müsste man wohl nicht einmal tief graben. (Illustration: Mein Elternhaus liegt unter Normalnull).

2. Zum anderen hat sich der Elbverlauf in den vergangenen Jahrhunderten verändert. Angeblich soll die Elbe früher deutlich näher an Stade entlanggeflossen sein, der Name Stade geht auf das Wort Gestade (Ufer) zurück. Ohne jetzt den genauen historischen Flusslauf zu kennen würde ich zumindest die Option des Elbwassers (noch) nicht ganz abtun.

3. Außerdem fließt ein kleiner Zufluss zur Elbe, die Schwinge, durch Stade und füttert auch den die Altstadt umschließenden Burggraben. Allerdings werden die Leute da allerlei "Bioabfall" hineingekippt haben - möglicherweise wollten die Brauer so ein Wasser dann nicht nehmen. Und wenn doch, dann wird es vielleicht flussaufwärts entnommen und so lange getragen werden müssen.

4. Die Tiden kommen definitiv an im Stader Hafen und dem Burggraben. Also wäre eine Mischung aus Nordsee und Elbwasser, also Brackwasser, zu manchen Tageszeiten möglich.

Das alles unterstreicht wohl den Punkt, den Dirk machen wollte. Das Wasser kann theoretisch alle möglichen Eigenschaften gehabt haben, wir wissen es halt nicht.
bwanapombe hat geschrieben: Montag 16. September 2019, 22:03 Ich rackere mich gerade an einem Rezept ab, das 1585 dokumentiert wurde und es zerfließt einem förmlich zwischen den Fingern, weil alle Angaben, so präzise sie für einen Leser der damaligen Zeit auch gewesen sein mögen, heute schwierig nachzuvollziehen sind. Z.B sind eine Angabe von 5-6 Strich Hopfen eben kaum in IBU zu übersetzen, allein weil Hopfen nicht gleich Hopfen ist, und Hefe schon gar nicht gleich Hefe.
Darf man fragen, was du dir da genau anschaust? Meine Neugier ist geweckt :) Das wirklich schwierige mit den Maßeinheiten ist ja auch, dass 5-6 Strich Hopfen in der einen Stadt eine andere Menge sein kann als in der nächsten. Da könntest du ja mal ein Maßeinheitsmuseum oder so anfragen, was diese Angabe an diesem Ort bedeuten sollte. Und dann sind ja auch wirklich viele norddeutsche alte Hopfensorten nicht mehr wirklich aufzufinden oder eben verwildert. Berlin war ja auch eine große Braustadt und überall wo den Pflanzen Platz gegeben wird sieht man gerade Dolden an den stattlichen Hopfenpflanzen. Würde mich nicht wundern, wenn da auch ehemals domestizierte Sorten dabei sind. Ähnliches gilt ja vielleicht auch noch für andere Orte.
Für die IBU-Berechnung würde ich vorsichtlich mit ~3%Alphasäure ausgehen. Gerade wenn man sich viele alte Sorten anschaut merkt man, dass die Alphasäure recht gering ist und erst kürzlich hoch gezüchtet wurde. Und wenn dann eventuell noch suboptimale Anbau-, Ernte- und Lagerungsbedingungen dazukommen, kann man die Alphasäure wohl noch weiter herunterschrauben.

Beste Grüße,
Alex
Meine Hobbybrauerei: http://brauerei-flaschenpost.de/ (gerade offline)
Benutzeravatar
Bierwisch
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 3493
Registriert: Dienstag 15. Mai 2012, 18:02
Wohnort: Thüringen

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#18

Beitrag von Bierwisch »

Im alten Forum gab es mal einen sehr schönen Vergleich, um die Unmöglichkeit der exakten Rekonstruktion historischer Rezepte zu verdeutlichen. Ich versuche das mal aus meiner Erinnerung:

Stellt euch vor, alle Bäcker würden ab sofort keine Brötchen mehr backen. In wenigen Generationen gäbe es niemanden mehr, der noch wüßte, was ein Brötchen ist. Wenn dann in hundert oder noch mehr Jahren jemand versucht, das Brötchen wiederzubeleben, wird er feststellen, daß es jede Menge Rezepte (mit und ohne Rosinen, nur Weizenmehl, Vollkornmehl, mit Körnern, ohne Körner...) findet, die sich teilweise ganz erheblich widersprechen. Waren Brötchen süß? Oder doch eher herzhaft?

So ähnlich sieht es mit den alten Stilen aus. Außerdem haben sie sich ja auch über die langen Zeiträume, in denen man sie gebraut hat, weiterentwickelt.

Dazu kommt, daß selbst bei der besten Rekonstruktion, niemand behaupten kann, daß das Bier genau so schmeckt, wie das historische, weil es einfach keine Vergleichsmöglichkeiten mehr gibt.

Alles was wir versuchen können, ist eine halbwegs plausible Neuinterpretation, die dann im besten Fall auch noch schmeckt.

Gruß
Bierwisch
Der Klügere kippt nach!
bwanapombe
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1233
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 10:19

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#19

Beitrag von bwanapombe »

Antwort auf Bierwisch: Das ist ein gelungener Vergleich. Vielen Dank dafür!

Antwort auf Alex: Es gibt da immer zwei Möglichkeiten. Man kann spekulieren, wie was gewesen sein könnte oder man schaut erstmal, ob es belastbare Quellen gibt. Dann kann man immernoch versuchen, die Lücken anders zu füllen. Die Bibliothekare und Archivare sind in der Regel recht dankbar, wenn sich jemand interessiert und kennen ihre Schätze auch. Von daher würde ich erstmal schauen, ob Du da fündig wirst.

Wegen Stade und Elbe, gibt es bei wikipedia eine Standansicht von 1640. An der Mündung der Schwinge ist ein Kastell gezeichnet. Das müßte sich ja noch lokalisieren lassen. Dann weiß man, wo die Elbe 1640 floß. Es dürfte immernoch ein ganzes Stück vor der Stadt gewesen sein. Der Name Stade mit der Bedeutung Stelle/Lagerplatz bezieht sich mit einiger Sicherheit auf die Schwinge, nicht auf die Elbe.

Ich will nicht ausschließen, daß durch die Gezeiten auch Elbwasser oder Seewasser in die Stadt gedrückt wurde, wahrscheinlich aber nur bei Extremlagen (Hochwasser, Sturmfluten). Dass die Gezeiten regelmäßig in der Stadt sichtbar sind, heißt erstmal nur, daß der Abfluß der Schwinge gebremst wird, nicht das das Wasser auch in nennenswerten Mengen auch zurückfließt.

Was ich bisher weiß, und ich lasse mich da gern belehren, wurde zum Brauen bevorzugt Quell- alternativ Brunnenwasser genutzt. Wenn die natürlichen Gegebenheiten dies nicht zuließen, hätte man auch auf Flußwasser zurückgegriffen. Das wäre dann aber Wasser aus der Schwinge, wie oben beschrieben.

Zu meinem kleinen Forschungsprojekt: Ich will nicht zu viel versprechen, aber ich hoffe Ergebnisse davon, an geeigneter Stelle zu veröffentlichen. Es gibt einen Astronom und Mediziner aus dem Dunstkreis Tycho Brahes, der ein schönes Dokument zum Bierbrauen in Prag hinterlassen hat.

Die Maßeinheiten sind übrigens relativ gut dokumentiert, weil ja mit jeder Änderung über die Zeit, die neuen Maße mit den alten beschrieben worden sind. Auch gibt es etliche Handbücher für Kaufleute, damit sie über die zahlreichen Grenzen hinweg umrechnen konnten. Ich wollte auf ein anderes Problem hinaus: Welche Beschaffenheit hatte der Hopfen? Wie weit war er getrocknet und wie alt war er? Und ein Unterschied zwischen 2 und 3 % sind eben einfach mal ein Drittel. Wurde das toleriert? Wahrscheinlich schon.

Was ich so spannend dran finde, ist mit welcher Sicherheit doch manchmal historische Biere beschrieben oder gebraut werden. Die damalige Wirklichkeit dürfte erheblich davon abgewichen haben. Dafür kann man aber aus den Quellen interessante wenna auch ernüchternde Erkenntnisse gewinnen, was die Beschaffenheit des Biers und die Prozesse (Mälzen, Maischen, Läutern etc.) angeht. Ich melde mich auf jeden Fall nochmal, wenn es Neues gibt, was die Veröffentlichung angeht.

Daneben habe ich noch bei Johannes Placotomus nachgeschaut, der eine Art Who is Who der Braustädte im nördlichen Mitteleuropa hinterlassen hat https://bildsuche.digitale-sammlungen.d ... &nav=&l=en Er widmet dem Hamburger den meisten Platz und dem Danziger gesteht er den Titel der Königin zu. Einbeck, Goslar, Braunschweig, Lübeck und viele mehr werden erwähnt, Stade aber nicht. Überregionale Bedeutung ist um 1550 daran nicht festzumachen.

Dirk
Stay thirsty!
nacron
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 533
Registriert: Samstag 26. Oktober 2013, 16:29

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#20

Beitrag von nacron »

Ich muss dir da ein bisschen wiedersprechen. Nehmen wir das Beispiel Berliner Weisse. Es ist ein historischer Bierstil, der sogar ausgestorben ist. Jedoch ist er für uns günstig ausgestorben. Das bedeutet er ist erst seit 2005 tot. Wenn ich jetzt mit dem Brauer noch sprechen kann, er mir analysedaten (wasser, malz, das bier etc), den gesamten Brauprozess, anlagedimensionen, hefehandling etc. geben kann. Ich mir auch noch die mischkultur auf glykol gefroren besorgen kann. Die anlage noch steht usw. Dann kann ich einen historischen Bierstil nachbrauen. Ihn dem Braumeister geben und seine sensorische prüfung unterziehen lassen und schwups hab ich nen bierstil wiederbelebt.

Ok dieses szenario ist selten ich weiß aber es war ein gedankenspiel. Bei manchen sachen sind wir sehr nah dran. Grodzisky ist ein ähnliches Beispiel. Alles nicht lange her, die analytischen systeme waren zu der zeit fortgeschritten genug um wirklich zu begreifen was ein bier war. Die leute die es gebraut und getrunken haben leben noch von daher kann man abgleichen.

Wenn ich natürlich jetzt Gose, Bernauer oder Danziger Jopenbier betrachte wirds duster. Da haben wir spekulationen, halbgare rezepte mit nicht genormten maßeinheiten usw usw. Da geht es darum die essenz und die Idee von einem Bier herauszufiltern und eine eigene Interpretation davon zu brauen. Das sind zwei verschiedene paar schuhe. Man kann das mehr oder weniger ernst nehmen und kann sich mehr oder weniger mühe mit dem nachbrauen geben. Da ich das die ganze zeit machen wirst du dir denken können wie ich dazu stehe.

Ich persönlich finde solche versuche so ein Bier so nah wie möglich an dem alten rezept sein zu lassen ziemlich cool und meistens wird man ganz schön belohnt. Nämlich mit einem absolut einzigartigen Geschmack. Wenn man sich die ganzen Farmhousebiere in Norwegen, Estland und Russland anschaut. Was es da noch für praktiken gibt, wie unglaublich einzigartig diese Biere schmecken und was das für eine Geschmacksvielfalt eröffnet. Dann werfe ich gerne mein deutsches Nörglertum weg und unterstütze und ermutige jeden so gut ich kann.
Mein Blog: Wilder Wald
bwanapombe
Posting Freak
Posting Freak
Beiträge: 1233
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 10:19

Re: Historischen Bierstil "Stader Kater" rekonstruieren - Vorgehen und Tips

#21

Beitrag von bwanapombe »

Vielen Dank für Deinen Widerspruch!

Wobei ich den Widerspruch gar nicht so stark empfinde.

Ich sag nicht, dass man es nicht machen soll. Im Gegenteil. Ich wollte nur die Erwartungen insoweit dämpfen, dass man nicht damit rechnen kann, leicht ein brauchbare Rezeptdetails zu finden oder rekonstruieren zu können.

Wogegen ich eine gewisse Abneigung zeige, sind Versuche, die mit dem historischen Bier nicht viel mehr als den Namen geimein haben.

Jede Versuch sich wenigstens mit den Besonderheiten, des jeweiligen Bieres auseinaderzusetzen, auch wenn die Quellenlage nicht so günstig ist, wie bei Deinem Beispiel von der Berliner Weße, finde ich rundum verdienstvoll.

Dirk
Stay thirsty!
Antworten