Merseburger Bier

Alles, was mit dem Thema Historische Biere, Grut- bzw. Kräuterbiere, Gewürzbiere, aber auch mit Sake Brauen oder Brauen mit ungewöhnlichen Fermentationsarten zu tun hat
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muldengold
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Merseburger Bier

#1

Beitrag von muldengold »

Hallo,

ausgehend von diesem Rezept: https://www.maischemalzundmehr.de/index ... tte=rezept

und der Lektüre von Andreas Krennmairs „Historic German and Austrian Beers for the Home Brewer“ habe ich irgendwie einen Narren an historischem Merseburger Bier gefressen - kann gar nicht genau sagen warum. Goethe beschreibt es als „bitter wie der Tot am Galgen“. Zu seiner Zeit muss es ein äußerst schmackhaftes Bier mit regionaler und auch überregionaler Bedeutung gewesen sein. Vieles über dieses Bier, wie so häufig bei historischen Bieren, scheint aber leider im Dunkel der Zeit verborgen. Ich habe jetzt seit einigen Tagen das Internet durchforstet und folgende Quellen und Hinweise gefunden:

Oeconomische Encyclopädie von J. G. Krünitz:
"Merseburger, ein sehr berühmtes, wohlschmeckendes und gesundes Braunbier, Heidecker genannt, welches weit verführet wird. Daß dasselbe einen etwas brandigen Geschmack hat, rührt wohl daher, weil, bei dessen Zubereitung, das Malz auf härenen Darr=Tüchern, wohl Schuh hoch aufgetragen, auch wohl gar nicht gewendet wird, bis es trocken genug ist, und die Darren gewölbte Einheizungen haben, da die Hitze, nebst dem Rauch, durch Seitenöffnungen durch das Malz gehet. Seine Bitterkeit stärket den Magen, und befördert die Verdauung; sein Reiz in den Gedärmen unterhält die Oeffnung des Leibes; und da es zugleich den Trieb des Blutes ein wenig beschleuniget, so befördert es den Abgang des Urins und die unmerkliche Ausdünstung sehr merklich."

Wer bekommt da nicht Durst?! :Bigsmile


Bierstudien: Ernst und Scherz ; "Geschichte des Bieres und seiner Verbreitung über den Erdball." , Johann Georg Theodor Graesse, Dresden 1872, S.74:
Merseburger Bier wurde auch Heidecker und Ehestandsbier genannt
bierstudien.png

Lehrbuch der polizeilich-gerichtlichen Chemie,  Remer, Wilhelm Hermann Georg, Helmstädt 1812, Seite 184:
Merseburger Bier gilt als Lagerbier, damit ist wahrscheinlich nicht ein Lagerbier im klassischen Sinn gemeint, sondern es wird darauf verwiesen, dass das Bier längere Zeit reifen musste bis es trinkfertig war.
Lehrbuch der polizeilich-gerichtlichen Chemie.png

Vollständige Braukunde, oder wissenschaftlich-praktische Darstellung der  Bierbrauerei in ihrem ganzen Umfange und nach den neuesten  Verbesserungen, mit Angabe der Verfahrungsarten aller Länder, und besonderer Rüksicht auf die bairischen, belgischen und englischen Biere :  nebst Beschreibung der Einrichtung der Brauhäuser, der Braugeräthe und  Werkzeuge – Johann C. Leuchs, Nürnberg 1831:
„Es war ehedem berühmt, dunkelbraun, klar und ziemlich nahrhaft, ist jezt aber nicht mehr so gut. Hermbstädt will es mit folgenden Stoffen nachgemacht haben: 20 Sch. braunes und 15 Sch. bernsteinfarbiges Gerstenmalz, 100 Pfund Hopfen, 5 Pfund rothe Enzianwurzel, 2 Pfund trokne grüne Pomeranzen."
Vollstaendige  Braukunde.png

D.h. zur Zeit als die "Vollständige Braukunde" erschien (1831) hatte das Merseburger seine Blütezeit vermutlich bereits hinter sich ("ist jezt aber nicht mehr so gut"). Mit Hermbstädt ist sehr wahrscheinlich Sigismund Friedrich Hermbstädt (1760-1883) gemeint:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sigismund ... st%C3%A4dt

Da der gebürtige Erfurter Hermbstädt in Berlin tätig war, nutzte er sicherlich preußische Maßeinheiten (die „Vollständige Braukunde“ erschien allerdings in Nürnberg, d.h. es könnten auch bayrische Maßeinheiten gemeint sein, glaub ich aber nicht). Laut Wikipedia waren im damaligen Preußen 1 Scheffel = 55 Liter und 1 Pfund wog 469 g:

https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_Ma%C ... u%C3%9Fen)

d.h man könnte das Rezept oben wie folgt übersetzen:
963 kg Malz (20 + 15 Scheffel = 35 Scheffel Malz = 1925 Liter Malz (Annahme 1 Liter Malz wiegt etwa 500g) = 963 kg)
47 kg Hopfen (= 100 preuß. Pfund)
2,3 kg rote Enzianwurzeln (= 5 preuß. Pfund)
0,9 kg getrocknete Pomeranze(schalen?) (= 2 preuß. Pfund)
• d.h. pro kg Malz: 49 g Hopfen, 2,4 g Enzianwurzel, 0,9 g Pomeranze

Welche Stammwürze und welchen Restextrakt das Bier hatte kann man trotz dieser Zahlen nur vermuten; da es weiter oben als „ziemlich nahrhaft“ beschrieben wurde, ist wohl von einer Stammwürze von >15°P und einem (für damalige Bier wohl sowieso üblichen) geringen Endvergärungsgrad auszugehen. Das Bier war dunkelbraun (zumindest lt. Hermbstädt), eine Mischung aus 60% Münchner II und 40% Münchner I (= 20 Scheffel braunes und 15 Scheffel bernsteinfarbiges Gerstenmalz) könnte dem z.B. entsprechen.

Bei 15°P und der Annahme von 2-3% Alphasäure für den Hopfen ergibt das grob überschlägig eine Bittere von 60-90 IBU plus die Bittere aus dem Enzian. Bitter wie der Tot am Galgen halt!

Falls jemand weitere Quellen oder Infos zu diesem ehrwürdigen Bierstil hat, hier wäre der richtige Ort für eine interessante Diskussion :thumbup

Diese Quelle scheint z.B. interessant, ist aber (zumindest im Internet) nicht auffindbar: K.A.Weinhold: Ueber die Wiederherstellung des alten Merseburger Bieres und dessen vorzügliche Heilkraft gegen angehende Nervenschwäche und Abzehrung, Merseburg (Leipzig?) 1816

Vielleicht gibt es ja auch einen "echten" Merseburger hier im Forum!

Danke schon mal!
Sandro
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Re: Merseburger Bier

#2

Beitrag von bwanapombe »

Ich bin zwar kein Merseburger, aber soweit sieht das doch super aus. Wenn die Rezeptschreiber nicht die Menge für's Brauwasser angeben, wird es mit der Stammwürze schwierig. Aber vielleicht hat Hermbstädt ja aufgeschrieben? Wobei schon Hermbstädt das Merseburger rekonstruiert hat.

Karl August Weinhold: Über die Wiederherstellung des alten Merseburger Bieres und dessen vorzügliche Heilkraft gegen angehende Nervenschwäche und Abzehrung, 1816

Ich kann mal schauen, ob das irgendwo auffinbar ist.

Ich empfehle zur Ergänzung https://www.juergenjankofsky.de/chronik ... g/chronik/ Darin einige Erwähungen von Bier in Merseburg. Danach gabe es 1880 noch 3 Brauereien.

Ansonsten begann der Niedergang wohl schon mit einer preußischen Biereinfuhrsteuer (1713), die das Bier für die Hallischen Studenten als Großabnehmer unattraktiv machte und so den Markt für die Merseburger Brauer beschränkte.

1812 schritt die königl. sächs. Regierung ein und die Brauberechtigten stimmten nach Protesten der Einsetzung einer Kommission zu, die die Bierqualität verbessern sollte. "... im Oktober werden 424 Merseburger Biere registriert."

Ich nehme mal an, dass es bei Weinhold um diese Verbesserung="Wiederherstellung" geht.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#3

Beitrag von §11 »

In Historisch_topographische_Beschreibung_des Hochstifts Merseburg von Alfred Schmeckel aus dem Jahr 1885 findet sich auf Seite 168 der Hinweis das in neuerer Zeit viel Bier nach bayrischer Brauart gebraut wird und das es früher eben ein Merseburger Bitter- oder auch Schwarzbier gab. Den Hinweis verstehe ich so das dieses alte Bier eben nicht nach bayrischer Brauart gebraut wurde, also obergärig war.

Ich hab noch mehr zum Thema, das stelle ich hier mal rein wenn ich Zeit hab.

https://books.google.com/books?id=x4YAA ... er&f=false

Gruss

Jan
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Re: Merseburger Bier

#4

Beitrag von flying »

Also ich bin ja quasi Merseburger..na ok, ein paar Kilometer mit dem Fahrrad an der Saale entlang durch dichtes Hopfengestrüpp müsste ich bis zum alten Stadtkern noch fahren.. :Greets

Ich weiß jetzt nicht ob es schon in irgendeinem Link steht aber gebraut wurde das Bier angeblich in einem "Merseburger Stadbrauhaus zum Birnbaum". Wo das mal stand müsste man vielleicht mal den Ortschronisten anschreiben? Könnte ich machen falls es jemanden interessiert.
Das Bier war von seiner Machart her wohl ein Exportbier in der Tradition vom Mumme und Jopenbier. Extrem haltbar und langlebig. Lange Transporte sollen seine Qualität noch verbessert haben. Merseburg liegt an der Saale und von da aus schiffbar in alle Welt. Man lieferte z. B. viel nach Hamburg.
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Re: Merseburger Bier

#5

Beitrag von §11 »

flying hat geschrieben: Dienstag 8. September 2020, 22:50 Also ich bin ja quasi Merseburger..na ok, ein paar Kilometer mit dem Fahrrad an der Saale entlang durch dichtes Hopfengestrüpp müsste ich bis zum alten Stadtkern noch fahren.. :Greets

Ich weiß jetzt nicht ob es schon in irgendeinem Link steht aber gebraut wurde das Bier angeblich in einem "Merseburger Stadbrauhaus zum Birnbaum". Wo das mal stand müsste man vielleicht mal den Ortschronisten anschreiben? Könnte ich machen falls es jemanden interessiert.
Das Bier war von seiner Machart her wohl ein Exportbier in der Tradition vom Mumme und Jopenbier. Extrem haltbar und langlebig. Lange Transporte sollen seine Qualität noch verbessert haben. Merseburg liegt an der Saale und von da aus schiffbar in alle Welt. Man lieferte z. B. viel nach Hamburg.
Das mit dem Brauhaus steht im verlinkten Buch, auch das es von Hamburg in andere Länder verschifft wurde
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Re: Merseburger Bier

#6

Beitrag von flying »

Ahh jaa...in diesem Buch steht auch was über die Trinkgewohnheiten. Kranken empfahl man geringe Mengen mit Zucker genossen zur Stärkung. Gesunde tranken es mit geriebenen Brot und Zucker.
Das scheint allgemein den Trinkgewohnheiten der Gegend zu entsprechen. Im unweiten Halle an der Saale trank man vor rund 100 Jahren seinen Broihan noch mit gerösteten und geriebenen Brot und Zucker..
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Re: Merseburger Bier

#7

Beitrag von gulp »

flying hat geschrieben: Dienstag 8. September 2020, 23:11 Ahh jaa...in diesem Buch steht auch was über die Trinkgewohnheiten. Kranken empfahl man geringe Mengen mit Zucker genossen zur Stärkung. Gesunde tranken es mit geriebenen Brot und Zucker.
Das scheint allgemein den Trinkgewohnheiten der Gegend zu entsprechen. Im unweiten Halle an der Saale trank man vor rund 100 Jahren seinen Broihan noch mit gerösteten und geriebenen Brot und Zucker..
Dann war die Brühe bestimmt gar nicht mal so gut, wenn man sie derart manipulieren musste. Das stimmt dann auch mit meinen Recherchen über das Lagerbier überein, wo schon mal über "Bauchgrimmenbier" und "bitteren den Unterleib mißhandelnden" Bieren berichtet wurde. Kein Wunder, dass das Lagerbier dergleichen Biere vom Markt gefegt hat.

Gruß
Peter
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Re: Merseburger Bier

#8

Beitrag von muldengold »

Danke für die Quellen und Infos bisher.

Lustig ist in Jan's Quelle (Historisch-topographische Beschreibung des Hochstiftes Merseburg) auch folgende Beschreibung:

"...sondern es unterscheidet sich auch dadurch von vielen Lagerbieren, dass es nach dem Genusse keine unangenehmen Folgen, wie Kopfschmerz, Stumpfsinn, Blutwallung, Schwindel und dergl., hinterlässt."

Die Quelle vermerkt auch, dass das Bier eher sehr dunkel, fast schwarz gewesen sein muss (wurde deswegen tlw. auch Merseburger Schwarzbier genannt). Die Bierfarbe wird dann wohl bei 50 EBC und aufwärts gelegen haben.

Toll fände ich, wenn wir ggf. noch weitere historische Rezepturen zum Merseburger Bier ausgraben könnten. Waren z.B. Enzianwurzel und Pomeranze essenziell oder nur eine Laune/Annahme Hermbstädt's?

VG
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Re: Merseburger Bier

#9

Beitrag von bwanapombe »

Karl August Weinhold: Über die Wiederherstellung des alten Merseburger Bieres und dessen vorzügliche Heilkraft gegen angehende Nervenschwäche und Abzehrung, Leipzig, Wilhelm Rein und Comp. 1816

Habe ich nur in der Staatsbibliothek Berlin U.d.L gefunden. Signatur Jp3083

https://portal.kobv.de/advancedSearch.d ... =%E2%9C%93

Und ich würde auch noch mal in Richtung Hermbstädt weiter suchen. Denn die Stammwürze, ist ja neben der Farbe (und den würzenden Zutaten) ein wichtiges Merkmal eines Bieres. Stammwürze hat er natürlich auch nicht gewußt, aber zumindest zusammen mit der Schüttung die Ausschlagmenge oder die eingesetzte Menge Wasser.

Hermbstädt in seiner verbesserten Version eines Berliner Weißbieres auch "Citronen und Kardamonen" (Schwarzburger: Der wohl unterrichtete Dorfbierbrauer) verarbeitet. Deshalb halte ich es für glaubhaft, das Enzian und Pommeranzen auch von ihm kommen.

Überhaupt ist das mit den historischen Rezepten so ein Problem, weil man erstmal festlegen muß, was ein Merseburger Bier ist.

Merseburger B. war natürlich zunächst ein Bier, das aus Merseburg kam. Das ist aber nicht nur eine geographische Herkunftsangabe, sondern auch bestimmte Eigenschaften, die sich durch die natürlichen Gegebenheiten (Zutaten), rechtlichen Rahmenbedingungen und durch die "Tradition" einstellte. Wir müssen uns aber auch klarmachen, das die Industriealisierung und mit ihr die Standardisierung längst nicht so fortgeschritten war. Historische Rezepte zu reproduzieren ist auch immer ein Jagd auf bewegliche Ziele. Zu welcher Zeit wurde "das Bier" so gebraut? Welchen Schwankungen war es unterlegen (abhängig von den Änderungen in den natürlichen Zutaten oder sogar durch Austausch derselben)?

Ich glaube, dass schon Hermbstädt, dasselbe versucht hat, was Sandro anstrebt, nämlich dieses Biest einmal zu bezwingen und fassbar und reproduzierbar zu machen (Hermbstädt war Apotheker). Deshalb sollten die Spuren (Hermbstädt, Weinhold) weiterverfolgt werden. Ein Originalrezept aus einer Brauerei zu finden, wäre ein Glücksfall. Ich schau mal was ich tun kann.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#10

Beitrag von flying »

Ich denke so ein Bier kann schon sehr lecker schmecken. Man denke nur an Uerige Doppelsticke das mit Schüttung, Stammwürze, Bittereinheiten vom einheimischen Hopfen und Hefe in die Richtung geht.
Vielleicht braue ich mal ein Merseburger mit Original Merseburger Saaleauenhopfen. Dieses Jahr leider schon drüber...

Pommeranzenschalen stelle ich mir ganz passend vor. Enzianwurzel finde ich gar schröcklich aber das ist mein persönliches Empfinden.
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Re: Merseburger Bier

#11

Beitrag von muldengold »

Hier ist Hermbstädt's Originalniederschrift zu finden:

https://reader.digitale-sammlungen.de/d ... 00227.html

Hermbstaedt_Merseburger_0.png
Hermbstaedt_Merseburger_1.png
Hermbstaedt_Merseburger_2.png
Hermbstaedt_Merseburger_3.png

Die 35 Scheffel (ca. 963 kg Malz) ergeben 2000 Quart (=2290 Liter) Merseburger Bier.
Ich übersetze das ganze Rezept noch in Liter und Celsius...
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Re: Merseburger Bier

#12

Beitrag von bwanapombe »

Top! :thumbsup

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Re: Merseburger Bier

#14

Beitrag von muldengold »

Danke tbln - mit Müllers "Handbuch für Bierbrauer" haben wir ja jetzt schon eine zweite Rezeptur für Merseburger Bier (auch wenn diese von 1854, also gut 30 Jahre nach Hermbstädt, stammt). Auch hier wird Enzianwurzel verwendet (allerdings keine Pomeranze) und es wird auch bestätigt, dass das Bier obergärig war. Das Verfahren der Würzebereitung unterscheidet sich allerdings schon deutlich von Hermbstädt's Beschreibung.

Ich habe mal Hermbstädt's Rezept in moderne Einheiten übersetzt und auf 20 Liter skaliert (das Rezept von Müller folgt noch, dann lassen sich die beiden Rezepte besser vergleichen):

Für 20 Liter Merseburger Bier werden benötigt:

• 4,9 kg braunes Gerstenmalz
• 3,7 kg bernsteinfarbenes Gerstenmalz
• 410 g guter Hopfen
• 20 g rote Enzianwurzel
• 8 g getrocknete Pomeranze

1. Einmaischen in 25 Liter Wasser bei 63°C (=50 Grad Reamur) (Wassertemperatur oder resultierende Temperatur?)
2. 1 h rasten
3. Zugabe von 25 Liter kochendem Wasser, resultierende Temperatur wird nicht genannt (überschlägig könnte das wie viel sein??)
4. 30 min rühren („durcharbeiten“) und danach 1 h rasten
5. Würze wird abgezogen und 30 min sanft gekocht
6. Würze wird danach nochmals durch den Treber „geleitet“ und gesammelt
7. Würze mit Hopfen/Enzian/Pomeranzen-Extrakt versetzen und auf Gärtemperatur kühlen

Zur Herstellung des Hopfen/Enzian/Pomeranzen-Extraktes:
1. Hopfen/Enzian/Pomeranzen mit 1 Liter Wasser bei 88°C (=70 Grad Reamur) vesetzen und für 10 h „digerieren“
2. Extrakt abseihen und Hopfen/Enzian/Pomeranzen erneut mit 600 ml Wasser bei 88°C versetzen und für weitere 10 h digerieren

Folgende Punkte sind interessant:

• die Würze wird nur sehr kurz (30 min) gekocht
• die gekochte Würze wird noch einmal durch die „Trebern hindurchgeleitet“ – das ist mysteriös, wozu???
• es gibt keinen Nachguss im klassischen Sinne, im Gegenteil: der durchs Würzekochen eingedickte Extrakt wird nochmals durch die Trebern gegeben, der Verlust an Extrakt war daher sicher nicht unerheblich
• ich würde die Sudhausausbeute deshalb sehr niedrig ansetzen, z.B. 40%, wenn überhaupt
• bei 8,6 kg Malz, 20-25 Liter Ausschlagwürze (ist mit 20 Liter Merseburger Bier die Ausschlagwürze gemeint oder das fertige Bier?) und 40% Sudhausaushbeute ergibt sich rechnerisch eine Stammwürze von etwa 14-17°P
• die Würze wird ohne Hopfen gekocht, sondern am Ende mit Hopfenextrakt versetzt
• irgendwie stimmen die Wassermengen im Rezept nicht (2 x 25 Liter Aufguss = 50 Liter Wasser für 20 Liter Bier oder gar Ausschlagwürze), der Schwand wäre enorm
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Re: Merseburger Bier

#15

Beitrag von bwanapombe »

10 Liter bleiben ungefähr im Treber, das sind aber immer noch 50% Wasser, die im Prozeß verschwinden würden.

Zwei Möglichkeiten:

1. Die Gussmenge wurde nicht geteilt. Hieße dann mit der jeweils halben Menge die beiden Infusionen geben und 1:1,5 einmaischen, was sehr dick ist. Schreibt er deswegen "einteigen"?
2. Die Biermenge verdoppeln. Hieße dann realistische Gußführung und man muß nicht die niedrige SHA annehmen. Bei der beschriebenen Maischarbeit, sollte sich doch eine gute SHA einstellen.

Die "Durchleitung" der gekochten Würze durch den Treber erscheint mir auch nachteilig, was den Extrakt angeht. Man bekommt im besten Fall Bitterstoffe aus den Spelzen ins Bier.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#16

Beitrag von muldengold »

bwanapombe hat geschrieben: Donnerstag 10. September 2020, 13:52
1. Die Gussmenge wurde nicht geteilt. Hieße dann mit der jeweils halben Menge die beiden Infusionen geben und 1:1,5 einmaischen, was sehr dick ist. Schreibt er deswegen "einteigen"?
Da könnte etwas dran sein. Auch in Müller's Handbuch für Bierbrauer von 1854 wird für das Merseburger das Malz zunächst sehr dick eingemaischt (und auch das Wort "einteigen" fällt): "...dann das etwas fein geschrotete Malz in den Maischbottich dazu ausgeleert und durch Umarbeiten eingeteigt." Die erste Maische ist eher ein dicker Brei (1,3-1,4 Liter Wasser pro kg Malz).
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Re: Merseburger Bier

#17

Beitrag von muldengold »

Hier das Rezept von Müller in bekannten Einheiten und auf 20 Liter skaliert:

Für 20 Liter Müllers Merseburger werden benötigt:

• 4,2 kg blasses Gerstenmalz (78%)
• 1,2 kg dunkel gebranntes Farbmalz (22%)
• 82 g bayrischer Hopfen
• 21 g roter Enzianwurzeln

1. Einmaischen in 7-7,5 Liter Wasser, bei einer Temperatur von 38°C (30°Re)
2. nach und nach weitere 15,5-16 Liter siedendes Wasser dazu geben → ergibt lt. Rezept eine Temperatur von 70-72,5°C (56-58°Re)
3. Rast ??? keine Angaben im Rezept
4. komplette Dickmaische ziehen (im Rezept klingt es nach der vollständigen Maische??) und 15 min kochen und zurück in den Maischbottich
5. 45-60 min Läuterruhe
6. Nachguss mit siedendem Wasser (Mengen nicht genannt) in 3-4 Absätzen
8. die Treber werden am Ende noch mit kaltem Wasser gespült und für ein Dünnbier (=Kovent, Nachbier) verwendet
9. 90 min Würzekochen, sämtlicher Hopfen und Enzianwurzel von Beginn an
10. Kühlen der Würze im Sommer auf 17,5-20°C und im Winter auf 22,5-25°C
11. Zugabe von wenig aber „vorbereiteter Öbergärhefe“, welcher vorher einige Tropfen Birkenöl beigemischt wurde
12. Gärung 3 Tage
13. Umschlauchen und nach weiteren 3-4 Tagen abfüllen

Auch hier sind einige Besonderheiten erwähnenswert:

• Die Schüttung ist dtl. geringer als bei Hermbstädt (5,4 vs. 8,6 kg für 20 Liter Bier); dies könnte mit einer höheren Sudhausausbeute erklärt werden (immerhin gibt es richtige Nachgüsse) und/oder dadurch, dass das Bier etwas schwächer eingebraut wurde
• 22% dunkles „Farbmalz“ – damit ist sicher kein Farbmalz nach heutiger Auffassung zu verstehen; ich habe mal überschlägig 150 EBC für das „dunkel gebrannte Darbmalz“ ausgerechnet; damit würde man mit 78% Pilsner Malz und 22% dunklem Malz 150 EBC auf eine Würzefarbe von 50-60 EBC (schwarzbraun) kommen, was mit den historischen Beschreibungen übereinstimmen würde
• die Nachgüsse werden mit kochendem Wasser durchgeführt; klingt nach Blausud, evtl. hatte sich das Wasser aber bis zur Passage durch die Treber soweit abgekühlt, dass dies ausblieb
• die Hopfenmenge ist deutlich geringer als bei Hermbstädt (ca. 80 g vs. >400 g)
• die Menge verwendeter Enzianwurzel ist nahezu identisch (etwa 20 g); die Bittere die dadurch hervorgerufen werden soll, wird mit 10-12x so viel wie durch den Hopfen beschrieben; in beiden Rezepten wird von Roten Enzianwurzeln gesprochen
• was hat es mit dem Birkenöl auf sich???
• es steht nichts von längerer Lagerung geschrieben, im Gegenteil: „Nach 3 Tagen ist die Gärung vorüber und nach weiteren 3-4 Tagen, nachdem das Bier vorher auf Tonnen gefaßt und bei offenem Spunde gehörig nachgestoßen hat, ist es klar, worauf es entweder auf Flaschen gefüllt oder sonst getrunken wird.“
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Re: Merseburger Bier

#18

Beitrag von bwanapombe »

Vielen Dank für die Aufbereitung!

Birkenöl überdeckt (unangenehme) Gerüche. Müller S. 286 "Es zeichnet sich dieses Bier außerdem noch durch einen ätherischen Geruch und brenzligen Geschmack aus, welcher von dem Zusatz eines brenzlichen Oels herrührt, wass ihm beigemischt wird." Wohl zur Abrundung des Geschmacks.

Blausud: Schon beim Maischekochen dürfte sich Stärke lösen, die mangels Enzymen nicht mehr abgebaut wird.

Vielleicht weiß hier jemand in der Runde, wann sich überhaupt ein Verständnis von Blausud bei den Brauern durchgesetzt hat. Dahinter steht ja, dass komplett verzuckerte Sude stabiler sind. Heute ist das Standard. Das Merseburger nach diesem Rezept wäre das nicht.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#19

Beitrag von muldengold »

Danke Dirk - ich wäre mit dem Birkenöl allerdings vorsichtig, am Ende mag die Hefe das nicht, außerdem: wo sollen denn die unangenehmen Gerüche herkommen :Greets

Ich schlage mal auf Basis der bisher gesammelten Infos zwei an den Zeitgeist und moderne Materialien angepasste "historische" Rezepte für Merseburger Bier vor:

Hermbstädts Merseburger Bier (für 20 Liter Ausschlagwürze)

Stammwürze 17°P, 60 IBU, 49 EBC (dunkelbraun), Hefe SafAle S-04,  Alc 7%

Schüttung (Sudhausausbeute: 65%)
3100 g Münchner Malz I 12-18 EBC (57%)
2300 g Abbey Malt (Kloster) 40-50 EBC (43%)
=5,4 kg

Einmaischen bei 66°C
1. Rast 63°C 45 min
2. Rast 72°C 45 min

Würzekochen: 60 min
40 g Hallertau Mittelfrüh 3%, VWH (alternativ 180 g Mittelfrüh ohne Magnum)
30 g Magnum 14%, 60 min
20 g Enzianwurzel, 60 min
8 g getrocknete Pomeranzenschale, letzte 10 min

alternativ original à la Hermbstädt (Würzekochen mit Extrakt): Kochzeit 30 min, bei flame out mit Hopfen/Enzian/Pomeranzenextrakt versetzen
Extrakt: 180-200 g Hallertau Mittelfrüh Dolden 3%, 20 g Enzianwurzel,  8 g getrocknete Pomeranzenschale in Thermosbehälter mit 750 ml kochendem Wasser übergießen und 8-12 h ziehen lassen, abseihen und erneut mit 500 ml kochendem Wasser übergießen und 8-12 h ziehen lassen -> Extrakte vereinigen und bis zur Verwendung im Kühlschrank aufbewahren (könnte man ein paar Tage vorher vorbereiten)

Gärung: SafAle S-04 bei rund 20°C


Müllers Merseburger Bier (für 20 Liter Ausschlagwürze)

Stammwürze 14°P, 35 IBU, 53 EBC (schwarzbraun), Hefe SafAle S-04,  Alc 6%

Schüttung (Sudhausausbeute: 65%)
3400 g Pilsner Malz 2,5-4,5 EBC (78%)
1000 g Dingemans Aroma 150 EBC (22%)
=4,4 kg

Einmaischen bei 72°C
1. Rast 69°C, 90 min absteigende Infusion

Würzekochen: 60 min
30 g Hallertau Mittelfrüh 3%, VWH (alternativ 100 g Mittelfrüh ohne Magnum)
15 g Magnum 14%, 60 min
21 g Enzianwurzel, 60 min

Gärung: SafAle S-04 bei rund 20°C


Die angegebenen IBU-Werte sagen nichts über die tatsächliche Bittere aus. Die gefühlte Bittere wird durch den Enzian deutlich markanter sein!
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Re: Merseburger Bier

#20

Beitrag von bwanapombe »

Hallo nochmal,

bin erst jetzt dazugekommen, die Rezepte, vor allem die Vorlagen genau durchzusehen.

Irgendwie vertraue ich dem Müller mehr. Ist aber nur so ein Gefühl. Außer dass er Braumeister war, habe ich über Müller nichts herausbekommen können, was schade ist, weil sich manchmal weitere Informationen Rückschlüsse auf den Text zulassen.

Ich habe im Frühjahr ein historisches Rezept nachgebraut - natürlich ebenfalls mit Tribut an moderne Technik und heutigem Wissen. Danach wäre ich heute schon ein bißchen mutiger, mich auch auf einen Prozeß einzulassen, der aus heutiger Sicht "nicht richtig" ist.

Aber auch bei großzügiger Anpassung: Warum bei Müllers Version absteigende Infusion? Er schreibt doch das das Wasser auf 30 °Ré. (37,5 °C) abgekühlt wird und dann eine Infusion "in Absätzen, also nach und nach" gefahren wird, bis 56-58 °Ré. (70-72,5 °C) erreicht sind. Dann folgt eine Dekoktion und Nachguß.

Zu dem Birkenöl: Wollte nicht sagen, dass man bei diesem Bier üble Gerüche überdecken muß, nur dass Birkenöl üblicherweise dafür verwendet wird. Müller sieht den ätherischen Geruch als ein herausstehendes Merkmal dieses Biers. Eine Vermutung: Hermbstädt kannte die Zutaten des Biers nicht vollständig und hat den ätherischen Geruch als von Pomeranzen herrührend festgelegt. Alternative: Er kannte einfach ein anderes Merseburger Rezept. Ich gehe auch davon aus, dass es je nach Verfügbarkeit der Zutaten immer wieder Varianten gab.

Weinholds "Über die Wiederherstellung des alten Merseburger Bieres ..." habe ich über Fernleihe leider nicht bekommen, werde mir das also in Berlin ansehen müssen. Das braucht noch etwas, aber ich bin sehr interessiert, was er zu sagen hat.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#21

Beitrag von muldengold »

Hi Dirk,

ja, mit dem Birkenöl und den Pomeranzenschalen könnte was dran sein. Evtl. waren Pomeranzenschalen zur damaligen Zeit auch eine teure Zutat und es wurde alternativ auf das günstigere Birkenöl zurückgegriffen? Die Rasten sind tatsächlich kryptisch, verwundern aber im historischen Kontext nicht zwangsläufig. Ich hatte mir kürzlich "Historic German and Austrian Beers for the Home Brewer" von Andreas Krennmair gekauft (sehr lesenswertes Buch übrigens!) und da sind tlw. noch viel abenteuerlichere Maischverfahren beschrieben. Bier wurde es offensichtlich, aber die Vergärgrade waren angeblich tlw. auch unterirdisch niedrig.

Ich habe die Zutaten für Müllers Merseburger Bier geordert und werde die Tage mal losbrauen. Da früher traditionell über Holz gedarrt wurde, habe ich dem Rezept noch etwas Rauch verordnet. Ich verzichte zunächst auch auf Birke oder Pomeranze:

10 Liter Müllers Merseburger Bier:
Stammwürze 14°P, 35 IBU, 47 EBC (dunkelbraun), Hefe Safale S-04,  Alc: 6%

Schüttung (Sudhausausbeute: 67%)
1280 g Pilsner Malz 2,5-4,5 EBC (60%)
420 g Buchenrauch Gerstenmalz 3-6 EBC (20%)
420 g Brewferm Aroma 150 EBC (20%)
=2,12 kg

Wasser
14 L: 7.5 L HG, 6.5 L NG

Einmaischen bei 68°C
1. Rast 67°C, 90 min

Würzekochen: 60 min
34 g Hallertau Mittelfrüh 4,2%, VWH
10 g Enzianwurzel, 60 min

Gärung: 1 Päckchen SafAle S-04 bei rund 20°C

Über das Resultat werde ich dann hier berichten.
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Re: Merseburger Bier

#22

Beitrag von bwanapombe »

Hallo Sandro,

ein paar Gedanken hatte ich noch: Birkenöl, Pomeranzen und auch Enzian sind ja "Apothekerwaren". Die waren schon - wenn auch vielleicht nicht immer in jeder Menge - verfügbar. Ohne das jetzt genau geprüft zu haben. Wir reden schließlich von Merseburg, was bis zum Wiener Kongreß eine Residenz- also quasi Hauptstadt und im Mittelalter schon Hansestadt war. Pomeranzen dürften im Saaletal selbst auch einigermaßen gedeihen. Wieviel die Residenzgärten davon hergaben, und ob das für das Merseburger Bieraufkommen ausgereicht hätte, weiß ich aber nicht.

Zum Vergärungsgrad: Zum Konzept des Blausudes hatte ich ja schon was geschrieben. Wäre mal interessant zu wissen, wann sich die Jodprobe in der Brauerei durchgesetzt hat. Erfunden wurde sie von Jean Guillaume Lugol (1786–1851). Bier war ja nicht nur Genußmittel, sondern vor allem Nahrung und Getränk, also Wasser- und Kalorienzufuhr, deshalb war weniger Alkohol und mehr Stärke im Bier nicht das Problem.

Das erklärt z.T. auch warum z.B. Klosterschulkinder Litermengen im zweistelligen Bereich als Tagesstipendium bekommen haben (einen Teil haben sie möglicherweise verkauft oder damit Kosten bezahlt, ein Teil werden sie selbst verzehrt haben), so belegt für das thürigische Mühlhausen. Wobei ich hier von einem Alltagsbier und nicht von dem Merseburger Bier ausgehe, dass schon vorwiegend Genußmittel gewesen sein dürfte.

Viel Erfolg, bin gespannt auf das Ergebnis!

Dirk
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§11
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Re: Merseburger Bier

#23

Beitrag von §11 »

Mal ein paar Gedanken zu historischen Bieren und dem Merseburger im Speziellen.

Neben wirklichen Rezepten ist es auch immer wichtig etwas links und rechts vom Weg zu schauen. Manche Angaben finden sich nicht in Rezepten, aber ergeben sich aus anderen Quellen, wie zum Beispiel Brauordnungen.

Auffällig ist ja das viele Quellen, unter anderem Hermbstädt selbst, davon sprechen, das das Bier „früher“ besser und bekannter war als in der Zeit aus der die Rezepte stammen (etwa 1820 – 1850). Daran ist wohl ein Umstand verantwortlich wie viele Städte, außerhalb Bayerns, das Braurecht handhabten. Früher hatten alle Bürger das Braurecht, das sie zu jeder Zeit ausüben konnten.

Irgendwann wurde dann das sogenannte „Reihenbraurecht“ eingeführt. Das heisst das nicht jeder brauen kann wann er will, sondern nach einer festgesetzten Reihnefolge, die meist per Los entschieden wurde. Das sollte sicherstellen das das Bier „frisch“ war, da der Absatz sichergestellt wurde. Der Brauer der an der Reihe war, braute und verkaufte sein Bier an alle anderen usw.

Dieses Reihenbraurecht führte dazu das eigentlich kein Bürger mehr sein eigenes Braugeschirr braucht, da eben keiner mehr gleichzeitig brauen konnte. In Folge dessen wurden meistens Gemeindebrauhäuser eingeführt, die gegen Gebühr (Braupfennig) genutzt werden konnten. Ein sehr, sehr großer Nachteil dieses Systems ist, das jeder Brauer selten an die Reihe kam. Nachweislich hat das zum Untergang vieler bekannten Bierstädte geführt. Als Beispiel, Einbeck hatte bis zu 400 brauberechtigte Bürger, die im Schnitt nur alle zweieinhalb Jahre brauten. Man kann sich ausmalen wie abträglich das der Bierqualität ist, wenn die Brauer so wenig praktische Erfahrung haben.

Um dem zu begegnen, wurde später (oft zu spät), ein sogenannter Amtsbrauer bestellt, der entweder für die Bürger das Braurecht wahrnahm oder aber den Bürgern beistand. Allerdings konnte sich jeder Brauer nennen und das Amt des Amtsbrauer wurde nicht selten verpachtet. Zum Vergleich, in Bayern war das Braurecht vollkommen anders geregelt. Es gab sehr früh unabhängige, kommerzielle Brauer und bereits 1616 musste ein Brauer eine mindestens zweijährige Lehrzeit absolvieren.

Im Amtsblatt aus dem Jahr 1834 findet sich das Angebot der brauberechtigten Bürger Merseburgs, das Brauhaus samt Gerätschaften, für sechs Jahre zu verpachten. Das heißt in Merseburg dürfte es zu dieser Zeit nur eine Brauerei gegeben haben. Aber das deutet stark auf die oben beschriebenen Umstände hin.

Kann es sein das die Zugabe von Enzianwurzel, Pomeranzen und Birkenöl Zutaten waren die später hinzukamen um die schlechte Bierqualität zu überdecken?

Einen Fetzen der Brauordnung aus dem Jahr 1545 habe ich gefunden, der das Mälzen ab Walpurgis, also dem 30 April, untersagt und ab Ostern muss das Brauen eingestellt werden. Es scheint also auch in Merseburg so etwas wie ein Sommerbrauverbot gegeben zu haben. Das bayrische Sommerbrauverbot war ein großer Treiber für die untergärige Brauart. Ob das auch für Merseburg zutrifft kann ich (noch) nicht sagen. Was die Vermutung trotzdem nahelegt ist die massive Erweiterung von Kelleranlagen im 16. Jahrhundert und das einige Quellen tatsächlich von unterschiedlichen Bieren, einem Dünnbier und einem Lagerbier sprechen.

Einen anderen Hinweis gibt Wilhelm Hoffmann in Romantisch-geographisches Gemälde des Königreichs Preussen, der 1847 sinngemäß schreibt das die Besucher Merseburg vom Bier enttäuscht werden, da es anderswo, durch den Transport und die längere Lagerung, besser schmeckt.

1855 schreibt Rehlen, im Buch Geschichte der Gewerbe, „Zur gleichen Zeit (etwa 1490) war auch das Merseburger Bier als ein besonders magenstärkendes Getränk in weiten Kreisen bekannt. Außer diesen und anderen starken Braunbieren wurde auch Weißbier gebraut […]“ In weiten Teilen bezeichnet Braunbier ein untergäriges Bier, während Weißbier früher allgemeingültig für obergäriges Bier verwendet wurde.

Auch Alfred Schmekel schreibt 1858 von Merseburger Bier als „Braun=Lagerbier“ (genau so in einem Wort). Er sagt das es auch Bitter- oder Schwarzbier genannt wird. Er verweist auch darauf das es in eben nur einer Brauerei, dem Stadtbrauhaus zum Birnbaum gebraut wird (siehe oben)

Dazu gibt es ein Buch aus dem Jahre 1935 das spannend aussieht, in USA aber weder online noch als Leihbuch vorhanden ist:"Das Brauwesen im Regierungsbezirk Mersburg bis zur Einfuhrung der Gewerbefreiheit, Lothar Heinrich, 1935" Das Werk ist eine Dissertation aus Halle.

Kleiner Nebenfund, um 1900 wurde in Merseburg auf 7 ha Hopfen angebaut.

Gruss

Jan
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Re: Merseburger Bier

#24

Beitrag von bwanapombe »

Vielen Dank!

Zu Lothar Heinrich „Das Brauwesen im Regierungsbezirk Merseburg bis zur Einführung der Gewerbefreiheit“ gibt es in Berlin gleich mindestens dreimal (Stabi, Stadtbibliothek, Technikmuseum) und auch sonst gut über die Bibliotheken in Deutschland verteilt. Ich versuche das mal zu bekommen und kann dann hier berichten. Ein bißchen wird es aber dauern.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#25

Beitrag von tbln »

§11 hat geschrieben: Donnerstag 1. Oktober 2020, 18:34 1855 schreibt Rehlen, im Buch Geschichte der Gewerbe, „Zur gleichen Zeit (etwa 1490) war auch das Merseburger Bier als ein besonders magenstärkendes Getränk in weiten Kreisen bekannt. Außer diesen und anderen starken Braunbieren wurde auch Weißbier gebraut […]“ In weiten Teilen bezeichnet Braunbier ein untergäriges Bier, während Weißbier früher allgemeingültig für obergäriges Bier verwendet wurde.

Auch Alfred Schmekel schreibt 1858 von Merseburger Bier als „Braun=Lagerbier“ (genau so in einem Wort). Er sagt das es auch Bitter- oder Schwarzbier genannt wird. Er verweist auch darauf das es in eben nur einer Brauerei, dem Stadtbrauhaus zum Birnbaum gebraut wird (siehe oben)
Kannst du mal schreiben, wo du bei Rehlen gelesen hast, das Merseburger untergäriges Bier sein soll? Bier wurde früher überall gelagert, bspw. auch in Münster, wo es def. obergäriges Braunbier war. In Amber, Black and Gold macht Martyn Cornell, wenn ich mich richtig erinnere, die These auf, dass bspw. der Porter auch deshalb gelagert wurde, um Raucharomen runder werden zu lassen. Biere wurden deshalb auch stärker eingebraut, da sie durch den entsprechenden Alkoholgehalt besser gelagert werden konnten. Weißbiere (Luftmalz) und Dünnbiere wurden schneller untrinkbar, deshalb wurden sie nicht lange gelagert.

Lese ich bei Schmekel nach so steht da auch explizit, dass das "moderne" Merseburger Bier nach Bayrischer Brauart von dem ALTEN Braun-Lagerbier unterschieden werden muss:
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Re: Merseburger Bier

#26

Beitrag von §11 »

Kannst du mal schreiben, wo du bei Rehlen gelesen hast, das Merseburger untergäriges Bier sein soll? Bier wurde früher überall gelagert, bspw. auch in Münster, wo es def. obergäriges Braunbier war.
Außer diesen und anderen starken Braunbieren wurde auch Weißbier gebraut […]“ In weiten Teilen bezeichnet Braunbier ein untergäriges Bier, während Weißbier früher allgemeingültig für obergäriges Bier verwendet wurde.
Hast du Quellen wo das Münster Bier als Braunbier bezeichnet wird? In sehr vielen Dokumenten (nicht in allen, das stimmt), wird Braun- oder Rotbier als Synonym für untergäriges Bier und Weissbier für obergäriges Bier verwendet. Rehlen unterscheidet ja in seinem Satz das neben diesen Braunbieren auch Weissbier gebraut wurde. Ich hab noch kein Dokument gefunden das Braunbier und Weissbier auf die Bierfarbe bezieht. Es gibt Dokumente die Weissbier auch damals schon auf Weizenbiere bezogen, aber das macht an dieser Stelle keinen Sinn. Es würde nur Sinn ergeben wenn Braunbier ein Synonym für Gerstenbier wäre.
Lese ich bei Schmekel nach so steht da auch explizit, dass das "moderne" Merseburger Bier nach Bayrischer Brauart von dem ALTEN Braun-Lagerbier unterschieden werden muss:
Das lese ich hier wiederum nicht raus. Was ich lese ist das Heute in Merseburg Bier nach bayrischem Vorbild gebraut wird und eben kein Bitterbier mehr. Es ist zwar richtig das unter anderem die Untergärung ein Kennzeichen der bayrischen Brauart war, aber nicht das Einzige. Es gibt andere Aufstellungen, ich meine es gibt eine über Dresden, die untergärige Biere aufführt und zusätzlich 'bayrisch Bier". Ich meine wir nutzen heute ja auch Begriffe wie Pilsner Brauart oder Dortmunder Brauart und beziehen uns dabei nicht ausschliesslich auf der Gärung.

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Re: Merseburger Bier

#27

Beitrag von §11 »

In jenem ominösen Buch findet sich folgender Ausschnitt, allerdings ist leider Davon nicht mehr in der Vorschau zu sehen. Spannend wäre dazu die Quelle.
2A3FBD86-29B7-4221-A209-251FB0D6CA4E.png
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Re: Merseburger Bier

#28

Beitrag von bwanapombe »

§11 hat geschrieben: Donnerstag 1. Oktober 2020, 21:59 ...
Lese ich bei Schmekel nach so steht da auch explizit, dass das "moderne" Merseburger Bier nach Bayrischer Brauart von dem ALTEN Braun-Lagerbier unterschieden werden muss:
Das lese ich hier wiederum nicht raus. Was ich lese ist das Heute in Merseburg Bier nach bayrischem Vorbild gebraut wird und eben kein Bitterbier mehr. Es ist zwar richtig das unter anderem die Untergärung ein Kennzeichen der bayrischen Brauart war, aber nicht das Einzige. Es gibt andere Aufstellungen, ich meine es gibt eine über Dresden, die untergärige Biere aufführt und zusätzlich 'bayrisch Bier". Ich meine wir nutzen heute ja auch Begriffe wie Pilsner Brauart oder Dortmunder Brauart und beziehen uns dabei nicht ausschliesslich auf der Gärung.

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Jan
Die Textstelle kann man so oder so lesen.
Da in neuerer Zeit in Merseburg viel Bier nach Bairischer Art gebraut wird, so muß von demselben das alte berühmte Merserburger Braun-Lagerbier, ..., wohl unterschieden werden.
Ich lese da: Seit einiger Zeit wird in Merseburg (auch?) untergäriges Bier gebraut, das aber mit dem was man Merseburger nennt nicht viel Ähnlichkeit hat.

Man kann davon ausgehen, dass es eine zeitlang noch einen Markt für das alte Bier gab und bevor sich das neue vollkommen durchgesetzt hatte und das alte aufgegeben wurde. Wann das war ist der Stelle nicht zu entnehmen. Dort heißt es nicht ausdrücklich weder, dass beide Biere noch gebraut werden, noch das das alte schon nicht mehr gebraut wird. Es steht eben da "viel" und nicht "ausschließlich". "Viel" kann eben heißen "viel davon" aber nicht ausschließlich das.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#29

Beitrag von §11 »

Genau das ist es. Man kann das Ganze so oder so lesen. So lange wir aber weder für das eine noch das andere vernünftige Belege finden, wissen wir es schlichtweg nicht, oder?

Gruß

Jan
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Re: Merseburger Bier

#30

Beitrag von muldengold »

Leipziger Zeitung 1849.png
In dem Artikel aus der Leipziger Zeitung von 1849 wird die Neuverpachtung von fünf Brauhäusern (einschl. des Birnbaum-Brauhauses) angekündigt. Als Randbemerkung steht da: "Bemerkend, daß in jenen Brauhäusern das auch auswärts vielfach gesuchte berühmte Merseburger Bier nebst mehreren anderen Arten beliebter Biere gebraut..."

Also, das traditionelle obergärige Merseburger gab es 1849 noch (übrigens fällt das in eine historisch schicksalhafte Zeit für Deutschland!) und war nach meiner Lesart noch die "reguläre" Biersorte. Daneben verschiedene andere Biere, mglw. untergärige Braunbiere nach bayrischem Vorbild.

§11 hat geschrieben: Donnerstag 1. Oktober 2020, 18:34 1855 schreibt Rehlen, im Buch Geschichte der Gewerbe, „Zur gleichen Zeit (etwa 1490) war auch das Merseburger Bier als ein besonders magenstärkendes Getränk in weiten Kreisen bekannt. Außer diesen und anderen starken Braunbieren wurde auch Weißbier gebraut […]“ In weiten Teilen bezeichnet Braunbier ein untergäriges Bier, während Weißbier früher allgemeingültig für obergäriges Bier verwendet wurde.

Danke für die Quellen Jan. Ich glaube aber, dass Braunbier und Weißbier historisch nix mit untergärig oder obergärig zu tun hat. Braunbier waren einfach gesagt alle Biere, in denen über Feuer gedarrtes Malz verwendet wurde und die deshalb zwangsläufig eine dunkle Farbe hatten. Für Weißbiere wurde das Malz i.d.R. überhaupt nicht gedarrt, sondern einfach luftgetrocknet, zumindest lt. Andreas Krennmaier, dessen Buch ich oben schon erwähnt hatte. D.h. ich würde aus dieser Quelle nicht ableiten, dass es sich um untergäriges Bier handelte.
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Re: Merseburger Bier

#31

Beitrag von bwanapombe »

Ich hatte mich an anderer Stelle schon mal ausführlich dazu ein- oder ausgelassen: Die Begriffe sind in der Geschichte bewegliche Ziele und sie zu fassen ist selten leicht. Wenn ein bestimmter Begriff für eine Sache verwendet wurde, heißt das nicht, dass er immer dafür verwendet wurde. Wann, wo, von wem, unter welchen Umständen. Wenn sich eins davon ändert kann mit demselben Begriff schon etwas anderes gemeint sein, oder mit einem anderen Begriff diesselbe Sache.

Auch bin ich mit Generalisierungen bei Beschreibungen von Bieren grundsätzlich vorsichtig. Zumal die Gegebenheiten die Brauer veranlaßt haben, ihre "Bierstile" immer wieder abändern zu müssen, weil Rohstoffe nicht immer in der Qualität und Quantität zur Verfügung standen, wie wir das gewöhnt sind, so dass ein z.B. Merseburger immer auch etwas anders ausfallen konnte und mußte.

Trotzdem gab es einen gewissen Wiedererkennungseffekt. Man konnte von Merseburger Bier eben bestimmte Eigenschaften (z.B. Farbe, Stärke etc.) erwarten. Die Bandbreite in denen die Eigenschaften variierten dürften um einiges größer gewesen sein, als bei heutigen Bieren.

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Re: Merseburger Bier

#32

Beitrag von §11 »

Danke für die Quellen Jan. Ich glaube aber, dass Braunbier und Weißbier historisch nix mit untergärig oder obergärig zu tun hat. Braunbier waren einfach gesagt alle Biere, in denen über Feuer gedarrtes Malz verwendet wurde und die deshalb zwangsläufig eine dunkle Farbe hatten. Für Weißbiere wurde das Malz i.d.R. überhaupt nicht gedarrt, sondern einfach luftgetrocknet, zumindest lt. Andreas Krennmaier, dessen Buch ich oben schon erwähnt hatte. D.h. ich würde aus dieser Quelle nicht ableiten, dass es sich um untergäriges Bier handelte.
Dem ist definitiv nicht einheitlich so, dazu gibt es genug Quellen, die Braunbier synonym mit untergärigen Bieren verwenden und Weissbier für Obergärige (z.B. bei Scharl). Wie aber oben angemerkt, ist diese Definition leider absolut nicht durchgängig, denn in anderen Quellen ist von obergärigen Braunbieren die Rede.

Ich werde mich aber aus dieser Diskussion zurückziehen. Ich hab hier unterschiedliche Quellen einfliessen lassen und die These aufgeworfen das es sich auch um untergäriges Bier handeln könnte. Ich hab im Verlauf sogar eine Quelle genannt die dieser These widerspricht. Es gibt sogar ein Buch aus dem Jahre 1793 das Angaben zur Gärtemperatur macht und diese mit 25-35C angibt, was eindeutig nicht für ug spricht.

Ich hab aber keine Lust mich hier verteidigen zu müssen. Ich dachte ich könnte eure Diskussion mit anderen Aspekten beleben und wollte euch nicht in der vorgefertigten Meinung stören.

Schöne Grüsse

Jan
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Re: Merseburger Bier

#33

Beitrag von muldengold »

§11 hat geschrieben: Freitag 2. Oktober 2020, 14:36 Ich werde mich aber aus dieser Diskussion zurückziehen. Ich hab hier unterschiedliche Quellen einfliessen lassen und die These aufgeworfen das es sich auch um untergäriges Bier handeln könnte. Ich hab im Verlauf sogar eine Quelle genannt die dieser These widerspricht. Es gibt sogar ein Buch aus dem Jahre 1793 das Angaben zur Gärtemperatur macht und diese mit 25-35C angibt, was eindeutig nicht für ug spricht.

Ich hab aber keine Lust mich hier verteidigen zu müssen. Ich dachte ich könnte eure Diskussion mit anderen Aspekten beleben und wollte euch nicht in der vorgefertigten Meinung stören.

Schöne Grüsse

Jan
Sorry wenn Du das so empfunden hast - mit Sicherheit hat hier keiner versucht Dich in eine Position zu bringen von der aus Du dich verteidigen müsstest. Im Gegenteil, Deine Beiträge in diesem Thread waren doch hilfreich und haben das Thema vorangebracht. Ich hatte gerade diesen Thread hier als Gegenentwurf zu vielen anderen nichtsachlichen, unhöflichen, lehrerhaften und gehaltlosen Postsaneinanderreihungen in diesem Forum verstanden.

EDIT: bitte jetzt diesen Thread nicht mit einer Grundsatzdiskussion zerschießen :Greets
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Re: Merseburger Bier

#34

Beitrag von bwanapombe »

Ich konnte heute Lothar Heinrich „Das Brauwesen im Regierungsbezirk Merseburg bis zur Einführung der Gewerbefreiheit“ einsehen, bin aber nur durch das erste Kapitel gekommen.

Das beschäftigt sich im wesentlichen mit der Blütezeit (15.-16.Jh.) und anschließendem Niedergang des Brauwesens etwa zeitgleich mit dem 30-jährigen Krieg und dem Aufkommen alternativer Getränke (Kaffee, Tee, Kakao, Branntwein), Aufkauf der Braulose vor allem durch Ratsmitglieder und so eine schleichende Monopolbildung in den Städten, wogegen sich eine Neuordnung der Biersteuer in Preußen 1680-1692 richtete. Im Gegenzug bildeten sich Landbrauereien vor allem auf Rittergütern, die sich mit Ausnahmen gegen die bürgerlichen Brauereien durchsetzten. Solche Ausnahmen waren z.B. Torgau (wo man mit gut ausgebildeten Braumeistern arbeitete) und Merseburg ("gutes Bier"). Seit Beginn der Ausbildung desTerritorialstaates versuchte man mittels landesherrlicher Gesetze das Brauwesen wieder aufzubauen. Soweit Heinrichs erstes Kapitel. Der Mann ist Staatsrechtler. Also erstmal nichts aufregendes.

Mal schauen, was noch kommt. Als Beifang habe ich wieder eine neue Wortbedeutung für "Freibier" gelernt. Ich kannte das bisher nur als Bier, das bei unseren Schützenfesten meist regelmäßig von Honoratioren aus der Dorfgemeinschaft fassweise bezahlt wurde und dann von der Allgemeinheit ohne monetären Beitrag aber unter umso eindrucksvolleren Dankesbekundungen konsumiert werden konnte. Desweiteren haben mindestens zwei Brauereien ihre alkoholfreien Biere Frei-Bier genannt. Laut Heinrich (s.o.) hörte aber auch steuerbefreites Bier auf den Namen Freibier.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#35

Beitrag von bwanapombe »

Ich bin jetzt dazu gekommen, noch die anderen Kapitel zu lesen. Zum Merseburger Bier nichts Neues. Es geht im wesentlichen weiter um die Rechtsverhältnisse zwischen Brauberechtigten, Rat und Landesherren usw. Eindrücklich für mich war (wieder) wie vielfältig die Ausgestaltung war. Leicht anachronistisch, dass eine administrative Einheit zur Betrachtung gewählt wurde, die es im Betrachtungszeitraum nicht gab. Auch der Bierproduktion wird ein Kapitel gewidmet, aber man lernt keine Details zu den Brauverfahren. Der Autor geht sogar von nur einem Verfahren aus. Variationen werden zwar grundsätzlich anerkannt, aber nicht im Detail besprochen. Weiterführende Hinweise oder Quellen dazu sind genau an der Stelle der Schrift dünn.

Trotzdem interessante Lektüre für alle, die Interesse an den verschiedenen Orten im Regierungsbezirk Merseburg und der jeweiligen Ausgestaltung des Braurechts haben. Ganz toll fand ich die Quellen und Literaturlisten: Schöne Aufreihungen eine sogar nach Städten geordnet. Halle, Naumburg, Merseburg am üppigsten, aber auch für weniger bekannte Städte wie Artern, Pforta und Schlieben.

Weinholds "Über die Wiederherstellung des alten Merseburger Bieres ..." konnte ich zwar bestellen, habe aber keinen Termin im Lesesaal bekommen. Da muß ich also nochmal Anlauf nehmen.

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#36

Beitrag von muldengold »

Hallo Dirk, irgendwie war mir Dein letzer Beitrag total entgangen - vielen Dank für Deine Mühe!

Ich hatte mich Mitte Oktober mal an einem Merseburger versucht (Rezept siehe meinen Beitrag weiter oben #21, die IBUs habe ich mit berechnet 50 noch etwas nach oben geschraubt). Das Resultat ist ein tatsächlich sehr herbes Bier. Die Bittere, die neben dem Hopfen vor allem aus dem Enzian stammt, ist schon etwas besonderes. Der runde Malzkörper paart sich zudem gut mit der dezenten Rauchnote. Alles in allem ein m.E. empfehlenswertes Bier, welches einigen (vielen?), aber bestimmt nicht allen munden wird. Bitter wie der Tod am Galgen!
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Re: Merseburger Bier

#37

Beitrag von bwanapombe »

Vielen Dank für die Rückmeldung! Ich habe heute gerade über Deinen Versuch gesprochen.

Beste Grüße,

Dirk
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Re: Merseburger Bier

#38

Beitrag von Invalid Stout »

Neuerdings bin ich beim Stöbern auf zwei Kaufbiere aufmerksam geworden:

- in Merseburg selbst kann man seit einigen Jahren “Merseburger Kellerbräu” kaufen. Das wird in der Brauerei Landsberg gebraut und ich erwarte nicht, dass es mit dem historischen Merseburger Bier viel zu tun hat.

- Gegen Ende 2022 hat das Bürgerliche Brauhaus Saalfeld ein Merseburger eingebraut, allerdings eine recht kleine Charge und wahrscheinlich schon vergriffen.
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