Deutsche Reinheit, deutscher Durst

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inem
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#101

Beitrag von inem »

Wenn du jetzt das besondere weg lässt, dann ja. Ein Wit ist nichts besonderes, es ist nur ein Bier. Ich denke niemand hat etwas dagegen wenn man RHG auf ein Bier schreibt, dass wirklich so gebraut wird - ohne die Verbrauchertäuschung mit Hilfsmitteln und so. Und jedes andere Bier einfach Bier sein lässt. Da muss man auch keine technischen Enzyme erlauben, natürliche Zutaten würden vollkommen reichen - eine ordentliche Deklarationspflicht und es würde hier wochenlange Jubelfeiern geben.

Und zu meinem Argument zu einem Nachfolgegesetz zum RHG: Ich bin überzeugt, dass bei der Reglementierungswut es in Deutschland undenkbar wäre, wenn es keine gäbe.
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§11
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#102

Beitrag von §11 »

Aber legt man den Verbraucher und den Verbraucherschutz zu Grunde wäre ein Wit, um das Beispiel aufzugreifen, sehr Wohl etwas besonderes. Die wenigsten Verbraucher, die eine Flasche mit der Bezeichnung Bier kaufen würden ein Wit erwarten, oder?
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#103

Beitrag von bierhistoriker.org »

Gose_Anzeige_1909.jpg
In dieser Anzeige aus 1909 wird - ohne das das Wort Bier auftaucht - von der "Gose-Brauerei" gesprochen.
.... und aus einer Brauerei kommt Bier, oder?
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#104

Beitrag von §11 »

bierhistoriker.org hat geschrieben:
Gose_Anzeige_1909.jpg
In dieser Anzeige aus 1909 wird - ohne das das Wort Bier auftaucht - von der "Gose-Brauerei" gesprochen.
.... und aus einer Brauerei kommt Bier, oder?
Nein, nicht zwangsläufig. Der Schlussfolgerung folge ich nicht, dann wäre AfG aus der Brauerei auch Bier
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#105

Beitrag von herbie01 »

§11 hat geschrieben:Eigentlich müsste das dann heißen das RHG wieder zu verschärfen auf die ursprünglichen Zutaten und nicht noch weiter aufzuweichen.
MEINER Meinung nach sollte genau das passieren. Das RHG sollte wieder deutlich verschärft werden. Wie genau, das müsste man gut überlegen. Aber Ziel darf nicht sein, dass alles erlaubt ist, was einem schnell billige Biere ermöglicht.
Zweiter Teil MEINER Meinung ist, dass keinem verboten werden soll, Bier mit allen (lebensmittelmäßig zugelassenen) Zutaten zu brauen. Das einzige, was er dann nicht darf, ist es RHG zu nennen. Bier ist es selbstverständlich trotzdem. Natürlich müssen alle Inhalts- und Hilfsstoffe ausgewiesen werden.

Sprich: brau doch, was Du willst. Willst Du es "nach RHG" nennen, dann muss es halt strengere Bestimmungen erfüllen.

Soooo schwierig finde ich das gar nicht... :Smile

Christian
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#106

Beitrag von El Gordo »

Es geht darum, dass man bei uns manche Biere nicht als Bier verkaufen darf.
Das macht keinen Sinn.
Man stelle sich mal vor, man dürfe z.B. in Belgien kein dort gebrautes Pils als Bier verkaufen, weil es nicht spontanvergoren ist, das würde niemand verstehen. (ok, jeder Vergleich hinkt, ich geb´s zu).



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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#107

Beitrag von §11 »

El Gordo hat geschrieben:Es geht darum, dass man bei uns manche Biere nicht als Bier verkaufen darf.
Das macht keinen Sinn.
Man stelle sich mal vor, man dürfe z.B. in Belgien kein dort gebrautes Pils als Bier verkaufen, weil es nicht spontanvergoren ist, das würde niemand verstehen. (ok, jeder Vergleich hinkt, ich geb´s zu).



Stefan
Natürlich hinkt der Vergleich. Es geht ja hier auch um Brautradition. Wir können natürlich den Belgiern nicht vorschreiben was die auf die Flasche schreiben und ein Pils ist nun mal traditionell nicht spontan vergoren.

Denk eher mal man dürfte auf ein 0815 Pils mit einem Schuss Farbebier Original Trappistenbier schreiben? Soll ja jeder machen was er will. Bier ist es ja trotzdem und Biersorten sind nicht geschützt....
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#108

Beitrag von El Gordo »

Jetzt hinkt aber dein Vergleich :Drink

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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#109

Beitrag von Fe2O3 »

§11 hat geschrieben: Denk eher mal man dürfte auf ein 0815 Pils mit einem Schuss Farbebier Original Trappistenbier schreiben?
Naja - "Trappistenbier" ist ja nchmal geschützt...
Aber schreibst du Schwarz- oder Braunbier drauf, gehört du wohl zum "Mainstream" ;)
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#110

Beitrag von §11 »

Wir überzeichnen Beide etwas :Wink

Natürlich lässt sich mein Argument auch umdrehen, aber ich verstehe nicht warum "man" sich so an einem Begriff (Bier) aufhängt. Das macht es etwas unglaubwürdig, das es nur um die Biervielfalt und den Geschmack geht. Mir kommt es dann eher immer so vor als ob es "um's Prinzip" geht.

Gruß aus NYC

Jan
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#111

Beitrag von §11 »

Fe2O3 hat geschrieben:
§11 hat geschrieben: Denk eher mal man dürfte auf ein 0815 Pils mit einem Schuss Farbebier Original Trappistenbier schreiben?
Naja - "Trappistenbier" ist ja nchmal geschützt...
Aber schreibst du Schwarz- oder Braunbier drauf, gehört du wohl zum "Mainstream" ;)
Naja, der Begriff Bier ist eben in Deutschland auch geschützt, darum geht die Diskussion ja....
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#112

Beitrag von Johnny H »

§11 hat geschrieben:[...]
Nenn mich altmodisch, aber wenn ich ein Bier bestelle, moechte ich ein Bier aus Malz mit Hopfen haben, kein Bier aus Rohfrucht das mit Schimmelpilzamylase verzuckert wurde und dem dann im Lagerkeller Isoalpha- Extrakt zugedrueckt wurde. Wenn ich das trinken will, dann bestell ich mir das, aber dann sollte das auch so auf der Flasche stehen und eben nicht einfach Bier und ich muss erst das Kleingedruckte lessen.
Zum Beispiel Staropramen weist hier einen für mich sehr zweifelhaften Weg: Rohfrucht und isomerisierter Hopfenextrakt, zeitweise auch Maltosesirup! Da hat sich die Zutatenliste auch schon mehrmals verändert in den letzten zwei, drei Jahren.

Ich finde übrigens, dass sich die Diskussionen ums RHG gerne in den Schwarz-Weiß-Kategorien "böse" Großbrauereien vs. "edle" Craftbrauer bewegen. Die Zwischenstufe, nämlich mittelständische und traditionelle Brauereien fällt dabei leider oft unter den Tisch. Diese sollen nämlich einerseits mit Geschmack punkten, sind aber andererseits kaum in der Lage, die im Craftbeer-Bereich üblichen Preise von 2-3€ pro Flasche aufzurufen und stehen eher im preislichen Wettbewerb mit den "Großen", die bei Fall des RHGs den Preiskampf weiter verschärfen könnten. Von daher hätte dieser Sektor m.E. am meisten zu verlieren, fiele das RHG ersatzlos.
Jubel erscholl, als sich die Trinker von dem schneidigen, köstlichen, bei dem früher in Pilsen erzeugten nie wahrgenommenen Geschmack überzeugten. Die Geburt des Pilsner Bieres!
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#113

Beitrag von §11 »

Johnny H hat geschrieben:
§11 hat geschrieben:[...]
Nenn mich altmodisch, aber wenn ich ein Bier bestelle, moechte ich ein Bier aus Malz mit Hopfen haben, kein Bier aus Rohfrucht das mit Schimmelpilzamylase verzuckert wurde und dem dann im Lagerkeller Isoalpha- Extrakt zugedrueckt wurde. Wenn ich das trinken will, dann bestell ich mir das, aber dann sollte das auch so auf der Flasche stehen und eben nicht einfach Bier und ich muss erst das Kleingedruckte lessen.
Zum Beispiel Staropramen weist hier einen für mich sehr zweifelhaften Weg: Rohfrucht und isomerisierter Hopfenextrakt, zeitweise auch Maltosesirup! Da hat sich die Zutatenliste auch schon mehrmals verändert in den letzten zwei, drei Jahren.

Ich finde übrigens, dass sich die Diskussionen ums RHG gerne in den Schwarz-Weiß-Kategorien "böse" Großbrauereien vs. "edle" Craftbrauer bewegen. Die Zwischenstufe, nämlich mittelständische und traditionelle Brauereien fällt dabei leider oft unter den Tisch. Diese sollen nämlich einerseits mit Geschmack punkten, sind aber andererseits kaum in der Lage, die im Craftbeer-Bereich üblichen Preise von 2-3€ pro Flasche aufzurufen und stehen eher im preislichen Wettbewerb mit den "Großen", die bei Fall des RHGs den Preiskampf weiter verschärfen könnten. Von daher hätte dieser Sektor m.E. am meisten zu verlieren, fiele das RHG ersatzlos.
:goodpost:

Das sehe ich auch so. Die Abschaffung des RHGs wird vor allem den Großen dieser Branche helfen.
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#114

Beitrag von Gasflasche »

Sehe ich es denn so falsch, wenn ich denke, dass das "heutige RHG" vor allem von den großen gestaltet wurde, weil sie dumm gesagt auch einfach mehr technische (sprich finanzielle) Möglichkeiten haben, um auch das letzte Eckchen Spielraum auszunutzen, was das heutige RHG so bietet? Stichwort: Lobby, was keine Erfindung vom „kleinen Mann“ ist der halt ein Feind-Bild braucht, sondern knallharte Realität ist.

Verstehe mich nicht falsch, ich habe nichts gegen große Brauereien, es sei denen gegönnt, was sie letztendlich auch selber erreicht haben. Und auch bei den Großen gibt es solche und andere.
Aber, so mal blind aus dem Bauch heraus gesagt, lebe ich mit dem Eindruck, dass es eher die kleineren Brauereien sind, die mit den Begrenzungen des RHG's kämpfen, während die große Brauereien es kaum genug feiern können (inkl., nicht ganz unwichtig, Brauerbund). Soweit ich mich erinnere, wurde der ganze Zirkus nicht nur wenig wegen Protektionismus (erneut) ins Leben gerufen und gehalten. Also, wegen Geld, viel Geld. So weit, so logisch, man will ja Geld verdienen. Jetzt würden ausgerechnet die, die wenigstens meinen das RHG zu brauchen, am meisten profitieren, wenn genau das wegfällt? Klar, ausschließen kann man es nicht, ironisch wäre es aber schon.
Ich sehe es außerdem als eher unwahrscheinlich, dass die mittelständische Brauereien preislich mit den großen direkt konkurrieren, weil das einfach jetzt auch schon unmöglich ist.. Sie müssen einfach mehr die Qualitätsschiene fahren (wie du selber schon sagst: punkten mit Geschmack). Wenn das RHG morgen nicht mehr aufgezwungen wird, heißt es nicht, dass es übermorgen jeder schon vergessen hat & das einfach hopla hopp über Bord geworfen wird. Marketing wird das nicht einfach so schießen lassen, egal, ob das Gesetz noch gilt oder nicht. Ich vermute, dass dann wohl gerade die mittelständische Brauereien eher mehr Möglichkeiten kriegen, sich auszuwählen wie sie sich profilieren. Ist auch logisch: mehr Spielraum, mehr Möglichkeiten, mehr Wege zum Ziel.

Dass die RHG-Diskussion zu oft schwarz-weiß „eskaliert“, kann ich nur zustimmen, obwohl das hier im Forum, finde ich, gerade noch sehr nuanciert bleibt :)
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Johnny H
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#115

Beitrag von Johnny H »

Gasflasche hat geschrieben:[...]
Ich sehe es außerdem als eher unwahrscheinlich, dass die mittelständische Brauereien preislich mit den großen direkt konkurrieren, weil das einfach jetzt auch schon unmöglich ist.. Sie müssen einfach mehr die Qualitätsschiene fahren (wie du selber schon sagst: punkten mit Geschmack). Wenn das RHG morgen nicht mehr aufgezwungen wird, heißt es nicht, dass es übermorgen jeder schon vergessen hat & das einfach hopla hopp über Bord geworfen wird. Marketing wird das nicht einfach so schießen lassen, egal, ob das Gesetz noch gilt oder nicht. Ich vermute, dass dann wohl gerade die mittelständische Brauereien eher mehr Möglichkeiten kriegen, sich auszuwählen wie sie sich profilieren. Ist auch logisch: mehr Spielraum, mehr Möglichkeiten, mehr Wege zum Ziel.
[...]
Ich denke, im Supermarkt konkurrieren alle mehr oder weniger mit den Großbrauereien, und wenn deren Preise für die Kiste aufgrund von Lockerungen und technischen Möglichkeiten nochmal um 1-2€ gesenkt werden können, dann nimmt das eben auch klassische Mittelstandsbrauereien, deren Kästen daneben stehen, mit in Geiselhaft. Das passiert ja jetzt schon, und Kunden vergleichen nun mal Preise, zumal es ja um ähnliche Bierstile (klassisch) geht (Craftbeer für 2-3€ die Flasche lasse ich jetzt mal bewusst außen vor, die bewegen sich m.E. in einem anderen Markt ).

Mit den "erweiterten Möglichkeiten " kommen die mittelständischen Brauereien vielfach schon jetzt nicht wirklich zurecht, finde ich. Ich sehe also nicht, wie das bei weiterem Preisdruck besser werden soll. Wobei das natürlich auch an den Brauereien selbst liegt, das darf man nicht vergessen. Die lassen sich schon heute viel zu oft in den Preiskampf reinziehen, und den können sie nicht gewinnen. Da müssten viele so wie z.B. Schneider oder Meckatzer viel konsequenter auf Qualität und Markenbewusstsein setzen.

Nachtrag: ich will auch nicht die großen Brauereien bashen. Die bekommen es insgesamt sehr gut hin, ein schwieriges Produkt großtechnisch in sehr konstanter und brautechnisch hoher Qualität (d.h. wenig bis keine Braufehler!) zu liefern. Das schaffen viele andere nicht. Ob es mir schmeckt und ob ich es kaufe, ist natürlich trotzdem eine andere Frage, aber "bashen" will ich trotzdem nicht.
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#116

Beitrag von flying »

Um 1- 2 € gesenkt...? :Shocked

Der Rohstoffpreis für Malz bei Vollbier beläuft sich vielleicht auf 1 € pro Kiste. Nehmen wir mal an, sie würden 40% Rohfrucht verwenden und diese Rohfrucht wäre um den Faktor 3 billiger als Malz. Ergäbe eine Ersparnis von ca. 26 Cent pro Kiste. Dem gegenüber steht ein etwas erhöhter technologischer Aufwand durch technische Enzymen um die Verzuckerungsraten, Rast- und Läuterzeitenzeiten einzuhalten. Ich tippe einfach mal, dass man die Kosten pro Kiste um mächtige 10 - 20 Cent senken könnte. 4,79 € statt 4,99 € bei Oettinger wären ganz sicher ein Verkaufsargument.

Die Diskussion ist dennoch sinnlos, weil sich in Deutschland (außer in Bayern) kaum noch jemand an das RHG halten muss. Andy hat es schon erwähnt.
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#117

Beitrag von Johnny H »

flying hat geschrieben:Um 1- 2 € gesenkt...? :Shocked
[...]
Die Diskussion ist dennoch sinnlos, weil sich in Deutschland (außer in Bayern) kaum noch jemand an das RHG halten muss. Andy hat es schon erwähnt.
Ich hatte es nicht durchgerechnet und bin von einem höheren Kistenpreis ausgegangen, aber wenn sich eine Umstellung auf Rohfrucht/Enzyme/alternative Stärkelieferanten finanziell lohnt und ohne große qualitative Einbußen technisch machbar ist, dann wird es m.E. auch passieren. Nicht flächendeckend und nicht bei allen, aber Staropramen z.B. macht doch schon vor, wie zukünftige Zutatenlisten aussehen könnten. Aber ich bin jetzt aus der Diskussion raus, auch, weil mir meine eigenen Gedanken zu sehr ins Spekulative abgleiten. Ich würde aber diesbezüglich durchaus gern einen Blick in die Schubladen mancher Großbrauereien werfen.

Andys Punkt ist ebenfalls valide, so weit ich es überblicke.

Und wo um Himmelswillen kriegst Du eine Kiste Bier für 4,99€ (edit: Oettinger für 7€ die Kiste, wo ich gerade bin)?? :Shocked
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#118

Beitrag von §11 »

flying hat geschrieben:Um 1- 2 € gesenkt...? :Shocked

Der Rohstoffpreis für Malz bei Vollbier beläuft sich vielleicht auf 1 € pro Kiste. Nehmen wir mal an, sie würden 40% Rohfrucht verwenden und diese Rohfrucht wäre um den Faktor 3 billiger als Malz. Ergäbe eine Ersparnis von ca. 26 Cent pro Kiste. Dem gegenüber steht ein etwas erhöhter technologischer Aufwand durch technische Enzymen um die Verzuckerungsraten, Rast- und Läuterzeitenzeiten einzuhalten. Ich tippe einfach mal, dass man die Kosten pro Kiste um mächtige 10 - 20 Cent senken könnte. 4,79 € statt 4,99 € bei Oettinger wären ganz sicher ein Verkaufsargument.

Die Diskussion ist dennoch sinnlos, weil sich in Deutschland (außer in Bayern) kaum noch jemand an das RHG halten muss. Andy hat es schon erwähnt.
Allerdings ist der Faktor Rohstoff nur ein Teil. Durch den Einsatz von Enzymen laesst sich die Arbeit im Sudhaus sowohl zeitlich als auch energetisch optimieren. Mehr Sude am Tag ohne ins Sudhaus investieren zu muessen, weil zum einen die Maischarbeit verkuerzt wird und zum anderen Enzyme das Laeutern beschleunigen koennen. Der Einsatz von Iso- Hopfenpraeparaten macht ein Hopfenkochen quasi ueberfluessig. Es reicht ein kurzes Aufkochen zur mikrobiologischen Stabilisierung und der Einsatz von Praeparaten zur Eiweissausfaellung. Durch den Einsatz von Iso Hopfenkonzentraten, kann dann aus einem Grundbier im Keller eine Vielzahl verschiedenartiger Biere ausgemischt werden. In Kombination mit Farbebier kann man im Endeffekt nun alle Untergaerigen aus einem high gravity Grundbier mischen. Im Lagerkeller kann man etliche Tage sparen wenn man die Jungbieraromen durch CO2 Waesche austreibt. Filterhilfsstoffe faellen vor Filtration entsprechend die Truebungen aus und die Filtration kann schneller und mit laengerer Filterstandzeit von statten gehen. Der Einsatz von Kaltentkeimungsmittel (z.B. Velcorin) und/ oder Konservierungsstoffen gibt die 12-18 Monate Haltbarkeit ohne die energetisch und technologische Aufwendige Pasteurisation. Um den Geschmack und den Schaum ueber die Haltbarkeit zu erhalten helfen Alginate und Antioxisationsmittel.

Das Potential der Optimierung geht also sehr weit ueber die Rohstoffe hinaus.....
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#119

Beitrag von Johnny H »

§11 hat geschrieben:Allerdings ist der Faktor Rohstoff nur ein Teil. Durch den Einsatz von Enzymen laesst sich die Arbeit im Sudhaus sowohl zeitlich als auch energetisch optimieren. [...]

Das Potential der Optimierung geht also sehr weit ueber die Rohstoffe hinaus.....
Sehr interessante Ausführungen, Jan!

Würdest Du Dir eine grobe Schätzung (in %) zutrauen, um wieviel so die Literkosten gesenkt werden könnten?
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#120

Beitrag von §11 »

Johnny H hat geschrieben:
§11 hat geschrieben:Allerdings ist der Faktor Rohstoff nur ein Teil. Durch den Einsatz von Enzymen laesst sich die Arbeit im Sudhaus sowohl zeitlich als auch energetisch optimieren. [...]

Das Potential der Optimierung geht also sehr weit ueber die Rohstoffe hinaus.....
Sehr interessante Ausführungen, Jan!

Würdest Du Dir eine grobe Schätzung (in %) zutrauen, um wieviel so die Literkosten gesenkt werden könnten?
Puh, ehrlich gesagt keine Ahnung.

Ich hab halt eine Befuerchtung. Nehmen wir als Beispiel Oettinger. Das Bier hat einen unterirdischen Ruf (zu Unrecht) und das Unternehmen macht keinerlei Werbung. Trotzdem war Oettinger 9 Jahre lang das meistgetrunkene Bier in Deutschland.

Warum? Widerspricht eigentlich Allem was uns das moderne Marketing lehrt.

Die Antwort ist der Preis. Oettinger ruft Preise zwischen 0,50 und 1,40 je Liter auf. Man kann es drehen und wenden wie man will. Scheiss Ruf und keine Werbung, der Preis ist das was bleibt.

Das sagt aber sehr viel ueber den Markt in Deutschland aus und darueber wie sich der Konsument in Deutschland entscheidet.

Aber noch ist Oettinger ein Markenbier. Nimmt man die Billigbiere inkl. der Discounter Eigenmarken, so machen diese Biere 1/3 des Bieres aus, das in Deutschland gekauft wird. Dieses Drittel wird aber von nicht mal 1% der deutschen Brauereien gebraut. Schaut man sich die Top 10 der ausstossstaerksten Brauereien an, so hat bereits die Nummer 5 nur noch halb so viel wie die Nummer 1.

Aber warum sag ich das? Egal ob der Preisvorsprung nun 5ct oder 50ct je Liter ist. Die breite Masse der Kunden (die 30% halt) werden darueber entscheiden. Die mittelstaendige Brauerei steht aber nun im Getraenkemarkt oder im Supermarkt mit Ihren 15,99 neben den 5,99. Werden nun aus den 5,99 irgendwann mal 5,00, dann 4,50 usw. dann wird es fuer den Mittelstand immer schwieriger werden.

Der kleine Dorfbrauer, irgendwo bei 10- 25000 hl, besetzt dabei eine Nische. Er ist eh nur local zu bekommen und hier zaehlt noch der Spruch "Bier braucht Heimat". Hier zahlt der Kunde auch etwas mehr, er kannt den Brauer. Allerdings brauchst du nicht fragen wieviele Leute einen Kasten lokales Bier im Keller haben wenn Besuch kommt und sonst privat trotzdem Oettinger trinken.

Ich bin mir sicher das diese 30% (oder mehr) auch nicht interessiert ob das Bier nun nach dem RHG oder nicht gebraut ist. Es soll billig sein. Das interessiert, sonst nichts.

Jan
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#121

Beitrag von Boludo »

Wenn so lukrativ ist, warum machen das dann nicht alle außerhalb Deutschlands?
Die wären doch schön blöd.
Ich finde das alles sehr spekulativ und ich hätte gerne ein paar Beispiele.

Stefan
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#122

Beitrag von Yalaia »

wir müssen jetzt mbMn aufpassen, dass wir hier nichts durcheinander werden. "Lukrativer" im Ausland produzieren lässt es sich. Doch aufgrund der Transportaufwendungen - bei gegebenem RHG - ist es sicherlich ungünstiger im vergleich zum Brauen vor Ort. Wenn das RHG nicht da wäre, dann wäre das auch immer noch so, nur auf niedrigerem Kostenniveau. Die Billig- und Fernsehbiere würden mEn. nur ... billiger.

Und hier liegt der Knackpunkt. Mit der Preisreduzierung würde eine Bewegung in den Markt kommen und im Vergleich zu weiterhin RHG gebrauten Bieren würden die produktiveren (sprich kostengünstiger zu produzierenden) Biere über den Preisvorteil immer mehr Marktanteil gewinnen, denn die Schmerzschwelle eines lokalen Bieres im Vergleich zum Import- oder aber auch kostengünstigeren Fernsehbieres würde sinken. Wer jetzt sagt, da würde auch mehr Vielfalt kommen, ja die kommt, aber da geht es nur um kleine Prozentsätze des Gesamtkuchen.

Warum rede ich so? Nehmen wir das auch vieldiskutierte - und negativ behaftete - Thema TTIP. Warum sagen wir nicht einfach, importiert was ihr wollt, gut so, da haben wir mehr Vielfalt? Nein, da wehren wir - als Staat und Bürger - uns berechtigt und verteidigen unsere Güter wie zum Beispiel den "Schwarzwälder Schinken". Ich bin mir bewusst, das ich hier als beispiel ein lokales Produkt nenne, das allein schon Regional geschützt werden sollte, aber ich denke/hoffe, ich versteht den Zusammenhang. Jedes Land möchte doch wenn irgend möglich, lokale Produkte schützen vor Importen. Und in diesem Fall kommt als zweite Ebene noch der Schutz der kleinen lokalen Brauereien dazu. Warum sollten wir - als Deutschland - dies unbedingt aufgeben wollen. Und hier rede ich im Großen und nicht bezüglich einer Vielfalt, die in Summe nur einen kleinen Teil des Konsums ausmacht. Ja, genau diese Verhältnisse sollten wir auch im Auge behalten! Mehr Biervielfalt liebe ich auch, doch der Schutz unserer Produkte, Betriebe und Mitarbeiter ist mir teilweise wichtiger. Das wir mit dem Reinheitsgebot eine vielleicht antiquierte Zurückhaltung haben ist das eine, aber genauso genial ist sie im Bezug auf die Abgrenzung und Verteidigung des Lokalen Marktes und damit der kleineren lokalen Brauereien.

Sehr polarisiert vielleicht, da ich auch gerne belgisches Bier trinke ... doch ich bekomme es auch hier in Deutschland, so what. Also eigentlich kein Problem, oder ?!?

Manchmal wünschte ich mir, es würde auch mal in etwas makroökonomischeren Bahnen gedacht.

Markus
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#123

Beitrag von §11 »

Boludo hat geschrieben:Wenn so lukrativ ist, warum machen das dann nicht alle außerhalb Deutschlands?
Die wären doch schön blöd.
Ich finde das alles sehr spekulativ und ich hätte gerne ein paar Beispiele.

Stefan
Da die Kennzeichnungspflicht auch anderswo nicht optimal ist, wirst du dazu wenig direct bei den Brauereien finden. Schreit ja keiner Hurra, wir setzen das Alles ein um billiger gutes Bier zu machen.

Es gibt aber natuerlich viel von z.B. Zulieferern.

Enzyme http://wine.appstate.edu/sites/wine.app ... uction.pdf
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#124

Beitrag von Jm010265 »

Heute ist der Trend IPA ab morgen heißt es dann Synthetic Pils oder Chemical Helles
Nein Danke
Hab gerade ein schönes schlankes Pils nach RHG im "Keller" liegen und da geh ich mir jetzt ne schöne Feierabend Halbe zwickeln!!!!
:Drink
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#125

Beitrag von Boludo »

Jm010265 hat geschrieben:Heute ist der Trend IPA ab morgen heißt es dann Synthetic Pils oder Chemical Helles
Nein Danke
Hab gerade ein schönes schlankes Pils nach RHG im "Keller" liegen und da geh ich mir jetzt ne schöne Feierabend Halbe zwickeln!!!!
:Drink
Wer IPA als einen Trend bezeichnet muss sehr viel Ahnung vom internationalen Biermarkt haben.

Ganz ehrlich nervt mich Schwarzmalerei ziemlich.
Hier mal ein paar hinkende Vergleiche:
Als die Pille rauskam hat es geheißen, dass alle nur noch hemmungslos miteinander rummachen. Die Jugend war nie treuer als heute.
Wenn man Hanf legalisiert geht der Konsum durch die Decke und es gibt Mord und Totschlag weil alle total breit rumrennen. Colorado, Uruguay und Portugal beweisen das Gegenteil.
Wenn man die Grenzen zu Polen aufmacht dann werden wir von billigen Arbeitskräften überrannt. Da will aber irgendwie kaum einer rüber.
Wenn man neue Postleitzahlen einführt gibt es ein riesen Chaos. Nix ist passiet.
Sogar wenn ein neues Jahrtausend anfängt stürzen alle Computer ab und ein Maya Kalender mach alle verrückt.
Bei einem Rauchverbot in der Kneipe geht die Gastronomie komplett den Bach runter. Niemand kann sich heute noch verqualmte Restaurants vorstellen.
Und beim Mindestlohn gehen die Arbeitslosenzahlen durch die Decke. Das Gegenteil ist passiert.

Naja und jetzt werden wir halt mit Chemiebier überschwemmt wenn die älteste Lebensmittellüge der Welt abgeschafft wird.
Kann sein, dass ich mich in dem Fall irre, aber ich reagiere mittlerweile wirklich allergisch auf Schwarzmalerei ohne Belege.
Warum werden wir nich mit billigem Rohfruchtbier aus dem Ausland überschwemmt? Das darf man hier ganz legal verkaufen. Warum machen das nicht alle Österreicher und Schweizer so, wenn man doch jede Menge Geld damit sparen kann?

Ok das war jetzt etwas über das Ziel hinaus geschossen aber das musste ich mal.los werden.
:Pulpfiction


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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#126

Beitrag von Johnny H »

§11 hat geschrieben: Aber warum sag ich das? Egal ob der Preisvorsprung nun 5ct oder 50ct je Liter ist. Die breite Masse der Kunden (die 30% halt) werden darueber entscheiden. Die mittelstaendige Brauerei steht aber nun im Getraenkemarkt oder im Supermarkt mit Ihren 15,99 neben den 5,99. Werden nun aus den 5,99 irgendwann mal 5,00, dann 4,50 usw. dann wird es fuer den Mittelstand immer schwieriger werden.

Der kleine Dorfbrauer, irgendwo bei 10- 25000 hl, besetzt dabei eine Nische. Er ist eh nur local zu bekommen und hier zaehlt noch der Spruch "Bier braucht Heimat". Hier zahlt der Kunde auch etwas mehr, er kannt den Brauer. Allerdings brauchst du nicht fragen wieviele Leute einen Kasten lokales Bier im Keller haben wenn Besuch kommt und sonst privat trotzdem Oettinger trinken.

Ich bin mir sicher das diese 30% (oder mehr) auch nicht interessiert ob das Bier nun nach dem RHG oder nicht gebraut ist. Es soll billig sein. Das interessiert, sonst nichts.

Jan
So ungefähr sehe ich das auch: nicht alle Brauereien werden da mitmachen und auch nicht alle Konsumenten, aber von beiden bei weitem genug, um die Wettbewerbsbedingungen für viele andere zu verschärfen.
Boludo hat geschrieben:Wenn so lukrativ ist, warum machen das dann nicht alle außerhalb Deutschlands?
Die wären doch schön blöd.
Ich finde das alles sehr spekulativ und ich hätte gerne ein paar Beispiele.

Stefan
Staropramen hatte ich oben schon als Beispiel angeführt: Rohfrucht als Bestandteil, isomerisierter Hopfenextrakt und bis vor kurzem auch Maltosesirup. Dazu trotzdem ein Etikett mit "älteste Brauerei in Prag", "seit 18xx". Ich sehe nur einen Grund, warum das gemacht wird: Preis! Das ist auch bereits die zweite Veränderung: der isomerisierte Extrakt steht erst seit kurzem auf der Zutatenliste. Hat vermutlich damit zu tun, dass Staropramen jetzt nicht mehr zu Carlsberg sondern zu Coors gehört.

Tilo, der zwar jetzt entgegen seiner Aussage doch weiterspekuliert, aber zumindest versucht, das auf Basis von Fakten zu tun...
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#127

Beitrag von §11 »

Warum werden wir nich mit billigem Rohfruchtbier aus dem Ausland überschwemmt? Das darf man hier ganz legal verkaufen. Warum machen das nicht alle Österreicher und Schweizer so, wenn man doch jede Menge Geld damit sparen kann?
Weisst du ob es die Oestereicher und die Schweizer nicht so machen? Ich will hier weder Schwarzmalen noch Behauptungen aufstellen. Wie gesagt, in Oesterreich ist bis zu 200mg/l Benzoesaeure im alkfreiem Fassbier und Radler erlaubt. In "normalem" Fassbier bis zu 20mg/ SO2.

Das sind Werte die ich auf die schnelle gefunden habe (hab noch ein paar andere Sachen zu tun :Smile ). Das sind aber auch Werte die bei uns nicht erlaubt sind, ob nun mit Lebensmittelluege oder ohne.

Die Frage des billigen Rohfruchbiers ist nicht ganz so einfach. Nehmen wir die oestlichen Marken die Tilo benannt hat. Hier kann man durchaus einen Zuwach sehen (laut eigenen Angaben ein + von 7% beim Export), auf der anderen Seite ist Bier ein sehr schweres Gut, da fressen hohe Transportkosten schnell moegliche Gewinne auf.

Natuerlich wird mit einem Wegfall nicht die Bierwelt zusammenbrechen. Es wird (mal wieder) nur ein paar Kleine treffen, die eh nicht wirtschaftlich arbeiten. ABer bringt uns das die Biervielfalt? Wir duerfen dann zwar Belgier hier brauen, dafuer machen halt alt eingesessene Brauereien dicht, weil sie eben nicht mithalten koennen.

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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#128

Beitrag von §11 »

Nachtrag:
Zugleich stieg der Verkauf ins Ausland um sieben Prozent auf mehr als 600.000 Hektoliter. Die größten Zuwächse wurden in der Slowakei, Großbritannien und in Deutschland verzeichnet.
Quelle: http://www.czech.cz/de/%D0%91%D0%B8%D0% ... kgang,-meh

600.000 Hektoliter. In Deutschland produzieren 75% aller Brauerein deutlich weniger als 10.000 hl im Jahr. Das sind die ganzen Kleinbrauer z.B. in Franken. Fast 50% produzieren weniger als 1000 hl. Das sind bei ca. 1300 Brauereien (2014) 650 Braustaetten, die weniger als 1000 hl im Jahr Brauen. Gerade mal etwas mehr als die 600.000 hl die Staropramen exportiert......
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#129

Beitrag von Johnny H »

§11 hat geschrieben:
Warum werden wir nich mit billigem Rohfruchtbier aus dem Ausland überschwemmt? Das darf man hier ganz legal verkaufen. Warum machen das nicht alle Österreicher und Schweizer so, wenn man doch jede Menge Geld damit sparen kann?
Weisst du ob es die Oestereicher und die Schweizer nicht so machen? Ich will hier weder Schwarzmalen noch Behauptungen aufstellen. Wie gesagt, in Oesterreich ist bis zu 200mg/l Benzoesaeure im alkfreiem Fassbier und Radler erlaubt. In "normalem" Fassbier bis zu 20mg/ SO2.
[...]
Natuerlich wird mit einem Wegfall nicht die Bierwelt zusammenbrechen. Es wird (mal wieder) nur ein paar Kleine treffen, die eh nicht wirtschaftlich arbeiten. ABer bringt uns das die Biervielfalt? Wir duerfen dann zwar Belgier hier brauen, dafuer machen halt alt eingesessene Brauereien dicht, weil sie eben nicht mithalten koennen.

Jan
Solche Umbrüche finden ja grundsätzlich eher selten "über Nacht" und "komplett flächendeckend" statt. Keine Großbrauerei wird am Tag X von jetzt auf gleich auf 100% Rohfruchtbier mit Maltosesirup aus Genmais und weitreichendem Einsatz der gesamten enzymatischen Spielwiese umstellen, und die Preise werden an diesem Tag X auch nicht großflächig kollabieren, zumindest kann ich mir das alles nicht vorstellen.

Ich kann mir eher vorstellen, dass dann graduelle Anpassungen vorgenommen werden: ein wenig mehr Rohfrucht hier, etwas isomerisierter Extrakt da usw. Steter Tropfen höhlt den Stein, und erst nach ein paar Jahren wird man dann die vollen Auswirkungen der so folgenden Preiserosion bemerken. Diesen Umbruch sehe ich übrigens auch nicht 100%ig schwarz - es wird durchaus auch positive Effekte geben - aber dadurch bedrohte Mittelstandsbrauereien werden sich in meiner Einschätzung größtenteils eben auch nicht als Milk Stout- und Lambic-Spezialisten neu profilieren.
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#130

Beitrag von §11 »

Johnny H hat geschrieben:
§11 hat geschrieben:
Warum werden wir nich mit billigem Rohfruchtbier aus dem Ausland überschwemmt? Das darf man hier ganz legal verkaufen. Warum machen das nicht alle Österreicher und Schweizer so, wenn man doch jede Menge Geld damit sparen kann?
Weisst du ob es die Oestereicher und die Schweizer nicht so machen? Ich will hier weder Schwarzmalen noch Behauptungen aufstellen. Wie gesagt, in Oesterreich ist bis zu 200mg/l Benzoesaeure im alkfreiem Fassbier und Radler erlaubt. In "normalem" Fassbier bis zu 20mg/ SO2.
[...]
Natuerlich wird mit einem Wegfall nicht die Bierwelt zusammenbrechen. Es wird (mal wieder) nur ein paar Kleine treffen, die eh nicht wirtschaftlich arbeiten. ABer bringt uns das die Biervielfalt? Wir duerfen dann zwar Belgier hier brauen, dafuer machen halt alt eingesessene Brauereien dicht, weil sie eben nicht mithalten koennen.

Jan
Solche Umbrüche finden ja grundsätzlich eher selten "über Nacht" und "komplett flächendeckend" statt. Keine Großbrauerei wird am Tag X von jetzt auf gleich auf 100% Rohfruchtbier mit Maltosesirup aus Genmais und weitreichendem Einsatz der gesamten enzymatischen Spielwiese umstellen, und die Preise werden an diesem Tag X auch nicht großflächig kollabieren, zumindest kann ich mir das alles nicht vorstellen.

Ich kann mir eher vorstellen, dass dann graduelle Anpassungen vorgenommen werden: ein wenig mehr Rohfrucht hier, etwas isomerisierter Extrakt da usw. Steter Tropfen höhlt den Stein, und erst nach ein paar Jahren wird man dann die vollen Auswirkungen der so folgenden Preiserosion bemerken. Diesen Umbruch sehe ich übrigens auch nicht 100%ig schwarz - es wird durchaus auch positive Effekte geben - aber dadurch bedrohte Mittelstandsbrauereien werden sich in meiner Einschätzung größtenteils eben auch nicht als Milk Stout- und Lambic-Spezialisten neu profilieren.
Da bin ich mir ziemlich sicher. Es wird nicht von einem Tag auf den anderen ein Rohfruchtbier fuer 3,50 die Kiste geben. Es warden halt evtl. nicht alle Preissteigerungen an den Kunden weitergegeben, sondern eben anders eingespart.

Vielleicht zu Anfang mal ein neue Sorte mit Iso Extrakt ausgemischt.

Die Frage ist ja wie gross der Markt fuer Nischen und Spezialbiere ist. Wir sehen ja selbst in Deutschland nah nur sehr kurzer Zeit, die die Craftbierwelle bei uns ist, bereits Konsolidierungsbewegungen. Nach den wenigen Jahren der Brauereigruendungen gehen ploetzlich auch bekannte "Groessen" pleite und machen wieder zu. Durch den Markteintritt der Multinationalenkonzerne in das Craftbiersegment ist der Wind auch hier deutlich rauher geworden und der toedliche Preiskampf auch hier angekommen. Es gibt exakt die selben Bewegungen die man auch auf dem konventionellen Biermarkt gesehen hat und immer noch sieht. Craftbier Brauereien die immer billiger warden und die jeden Euro ins Marketing stecken....
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#131

Beitrag von Gasflasche »

Ich bleibe skeptisch, dass das Wegfallen des jetzigen RHG's als Zwang den Markt unbedingt für die Mittelständler tödlicher machen sollte. Schauen wir uns mal wieder Belgien an: da wird zwar pro Kopf einige Liter weniger Bier p.a. getrunken, dafür bewegt sich nicht weniger Geld & floriert der Biermarkt. Ein Kasten bier von 24*0,33l (was 8 Liter sind) kostet locker 20-30€, darüber meckert da keiner, das findet da sogar jeder stinknormal. Also man könnte sagen, die Brauereien haben es da im Schnitt nicht schlecht. Ich vermute, dass könnte genau an dem liegen, was ich vorher schon gesagt habe: breiteres Spielfeld & mehr Möglichkeiten, nach meiner Logik heißt das: mehr Überlebungschancen. Dass es dabei welche geben wird, die es verschlafen werden, daran kann man halt auch nichts machen, die gehen imho irgendwann sowieso unter.
Da gibt es Chemie-Biere, die werden aber eher gemieden (soweit der Konsument es weiss). Und so könnte es durchaus auch hier gehen: das RHG fällt dann vielleicht weg als Zwang, als Profilierungsmöglichkeit bleibt es jedoch noch offen (Marketing). Dann können die Brauereien genau das tun, was sie immer schon wollten (wofür sie ja auch immer meinten, das RHG zu brauchen): das RHG als alleinstellungsmerkmal nutzen, um sich selber zu schützen vom 'bösen' Chemiebier der "Anderen". Nur ist es im Moment so, dass diese Möglichkeit angeblich nicht so besteht: quasi jedes Bier ist hier (mehr oder weniger) nach RHG (auch nach Vorl. Biergesetz usw.) gebraut, tschüss Alleinstellungsmerkmal.
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#132

Beitrag von §11 »

Gasflasche hat geschrieben:Ich bleibe skeptisch, dass das Wegfallen des jetzigen RHG's als Zwang den Markt unbedingt für die Mittelständler tödlicher machen sollte. Schauen wir uns mal wieder Belgien an: da wird zwar pro Kopf einige Liter weniger Bier p.a. getrunken, dafür bewegt sich nicht weniger Geld & floriert der Biermarkt. Ein Kasten bier von 24*0,33l (was 8 Liter sind) kostet locker 20-30€, darüber meckert da keiner, das findet da sogar jeder stinknormal. Also man könnte sagen, die Brauereien haben es da im Schnitt nicht schlecht. Ich vermute, dass könnte genau an dem liegen, was ich vorher schon gesagt habe: breiteres Spielfeld & mehr Möglichkeiten, nach meiner Logik heißt das: mehr Überlebungschancen. Dass es dabei welche geben wird, die es verschlafen werden, daran kann man halt auch nichts machen, die gehen imho irgendwann sowieso unter.
Da gibt es Chemie-Biere, die werden aber eher gemieden (soweit der Konsument es weiss). Und so könnte es durchaus auch hier gehen: das RHG fällt dann vielleicht weg als Zwang, als Profilierungsmöglichkeit bleibt es jedoch noch offen (Marketing). Dann können die Brauereien genau das tun, was sie immer schon wollten (wofür sie ja auch immer meinten, das RHG zu brauchen): das RHG als alleinstellungsmerkmal nutzen, um sich selber zu schützen vom 'bösen' Chemiebier der "Anderen". Nur ist es im Moment so, dass diese Möglichkeit angeblich nicht so besteht: quasi jedes Bier ist hier (mehr oder weniger) nach RHG (auch nach Vorl. Biergesetz usw.) gebraut, tschüss Alleinstellungsmerkmal.
Der Vergleich mit Belgien ist zum einen gut, zeigt er doch unsere allegemine Einstellung zu Lebensmittel - die Hauptsache billig. Auf der anderen Seite hinkt er etwas. Es gibt in Belgien viel weniger Brauereien pro Einwohner als bei uns. In Belgien ist das Verhaeltnis relativ flach, bei uns hat die Zahl der Brauereien, vor allem im Mittelstand, nach dem zweiten Weltkrieg dramatisch abgenommen. Genaugenommen haben 5% (!) der Brauereien ueberlebt. Diese Entwicklung gab es so in Belgien nicht. Schaut man sich z.B. USA an, so ist die Entwicklung mit dem Fortschreiten der industrialisierung und vor allem technologisierung der Brauwirtschaft noch sehr viel extremer von uber 4000 um die Wende von 1890 auf 1900 auf unter 100 Brauereien (89 in 1978). Das sind 2% Ueberlebende. Diese Entwicklung, zumindest in den USA ging einher mit der massiven Technisierung der Prozesse und dem Einsatz von Hilfsstoffen.

Ich Weiss nicht wie man hier von einer Zunahme der Vielfalt sprechen kann...

Wie gesagt, ich bin absolut kein RHG Verfechter, aber es muss schon sehr wohl ueberlegt sein was hier getan wird....
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#133

Beitrag von BellyBoss »

Gasflasche hat geschrieben:Ich bleibe skeptisch, dass das Wegfallen des jetzigen RHG's als Zwang den Markt unbedingt für die Mittelständler tödlicher machen sollte. Schauen wir uns mal wieder Belgien an: da wird zwar pro Kopf einige Liter weniger Bier p.a. getrunken, dafür bewegt sich nicht weniger Geld & floriert der Biermarkt. Ein Kasten bier von 24*0,33l (was 8 Liter sind) kostet locker 20-30€, darüber meckert da keiner, das findet da sogar jeder stinknormal. Also man könnte sagen, die Brauereien haben es da im Schnitt nicht schlecht. Ich vermute, dass könnte genau an dem liegen, was ich vorher schon gesagt habe: breiteres Spielfeld & mehr Möglichkeiten, nach meiner Logik heißt das: mehr Überlebungschancen. Dass es dabei welche geben wird, die es verschlafen werden, daran kann man halt auch nichts machen, die gehen imho irgendwann sowieso unter.
Da gibt es Chemie-Biere, die werden aber eher gemieden (soweit der Konsument es weiss). Und so könnte es durchaus auch hier gehen: das RHG fällt dann vielleicht weg als Zwang, als Profilierungsmöglichkeit bleibt es jedoch noch offen (Marketing). Dann können die Brauereien genau das tun, was sie immer schon wollten (wofür sie ja auch immer meinten, das RHG zu brauchen): das RHG als alleinstellungsmerkmal nutzen, um sich selber zu schützen vom 'bösen' Chemiebier der "Anderen". Nur ist es im Moment so, dass diese Möglichkeit angeblich nicht so besteht: quasi jedes Bier ist hier (mehr oder weniger) nach RHG (auch nach Vorl. Biergesetz usw.) gebraut, tschüss Alleinstellungsmerkmal.
http://www.bayrisch-bier.de/wp-content/ ... ja-hl1.pdf
Allerdings ist auch die Biersteuer in Belgien wesentlich höher als in Deutschland, was ein großer Grund für das billige Bier in Deutschland sein sollte.
Ich muss übrigens auch sagen, dass ich das alles nicht so schwarz und weiß sehe. Ich kenne genug Leute, die nur Öttinger kaufen und damit glücklich sind. Allerdings kenn ich niemanden, der Öttinger zu irgendeinem Fest mitbringen würde. Fast jeder kauft hier Augustiner (da kann man jetzt drüber denken was mal will) und der Kasten kostet mitlerweile auch schon an die 16 €. Auch kann man hier in der schwäbischen Provinz in den neuen Supermärkten Riegele, Camba und Hoppebräu kaufen, was alles weit über den 80ct pro Flasche liegt. Ich weiss nicht wie es im Norden ist, aber hier tut sich echt was.
Über eins bin ich allerdings am meisten verwundert. Jeder von uns hatte bestimmt schon Diskussionen über das Reinheitsgebot geführt. Fast jeder Nichtbrauer in Deutschland ist für das Reinheitsgebot. Warum zur Hölle sollten die jetzt alle EnzymRohfruchtbier trinken, nur weil das noch billiger ist. Bzw. wie könnte Bier noch billiger werden. Eine Halbe Öttinger kriegt man doch schon für 23ct. Das kann sich doch wirklich jeder leisten. Wenn dann wirklich jemand noch EnzymRohfruchtbier trinkt ist meine einzigste Erklährung dafür, dass es ihm besser schmeckt. Und jeder sollte das trinken, was ihm schmeckt.
Naja alles wird gut.
Gruß
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#134

Beitrag von §11 »

Ja, natürlich wenn es eine Markt für Enzym Fruchtbier gibt und es den Leuten schmeckt. Sollen sie trinken was Ihnen schmeckt....

Ich denke aber das es nicht ein Enzym Fruchtbier geben wird, sondern es langfristig die Flasche Billigbier für 10ct geben wird. Dabei werden halt noch mehr Mittelständler auf der Strecke bleiben. Das ist das Problem das ich sehe. Zumal ja, nach der aktuellen Gesetzgebung niemand draufschreiben müsste das es ein Enzym- Fruchtbier ist. Im Gegenteil es wird ja gerade gefordert das dann jeder "Bier" auf sein Produkt schreiben kann. Also für den Verbraucher kein ersichtlicher Unterschied.

Der Startpunkt war ja außerdem der das behauptet wird ein Wegfall des RHGs würde zu einer größeren Vielfalt führen. Das sehe ich nicht. M.M. Nach wird es langfristig zu Weniger Brauereien führen.

Jan
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#135

Beitrag von Gasflasche »

§11 hat geschrieben: Der Vergleich mit Belgien ist zum einen gut, zeigt er doch unsere allegemine Einstellung zu Lebensmittel - die Hauptsache billig. Auf der anderen Seite hinkt er etwas. Es gibt in Belgien viel weniger Brauereien pro Einwohner als bei uns. In Belgien ist das Verhaeltnis relativ flach, bei uns hat die Zahl der Brauereien, vor allem im Mittelstand, nach dem zweiten Weltkrieg dramatisch abgenommen. Genaugenommen haben 5% (!) der Brauereien ueberlebt. Diese Entwicklung gab es so in Belgien nicht. Schaut man sich z.B. USA an, so ist die Entwicklung mit dem Fortschreiten der industrialisierung und vor allem technologisierung der Brauwirtschaft noch sehr viel extremer von uber 4000 um die Wende von 1890 auf 1900 auf unter 100 Brauereien (89 in 1978). Das sind 2% Ueberlebende. Diese Entwicklung, zumindest in den USA ging einher mit der massiven Technisierung der Prozesse und dem Einsatz von Hilfsstoffen.

Ich Weiss nicht wie man hier von einer Zunahme der Vielfalt sprechen kann...

Wie gesagt, ich bin absolut kein RHG Verfechter, aber es muss schon sehr wohl ueberlegt sein was hier getan wird....
Da muss ich doch ein bisschen korrigieren oder erweitern, ohne dabei Haare spalten zu wollen: in Belgien gibt es ungefähr 71.000 Einwohner/Brauerei, in Deutschland ±58.000. Also, ungefähr 18% weniger Brauereien pro Kopf. Klar, ganz klein ist der Unterschied nicht, so riesig groß aber auch nicht. Der Unterschied kann aber daran liegen, dass eine durchschnittliche Brauerei mehr Sorten braut: ungefähr 8,5 Bieren/Brauerei, in Deutschland liegt dies bei gerade mal ± 3,75, weniger als die Hälfte..
Was die historische Entwicklung in Belgien betrifft: kurz nach dem zweiten Weltkrieg gab es ±775 Brauereien, jetzt sollten es (je nach Quelle) noch (oder erneut, es gabe eine nicht geringe Zunahme in den letzten Jahren) 157 sein, das sind 20%. In 2010 waren das sogar noch einiges weniger. Wenn man weiter zurückguckt, anfang des 20. Jahrhundert, gab es noch beinahe 3800 Brauereien, jetzt wären es dann also gerade auch nur noch 4% davon..

Ergänzung: es könnte zu weniger Brauereien führen, wobei diese Entwicklung jetzt im Moment mit dem schrumpfenden Bierkonsum sowieso schon da ist. Schaut man sich Bierkonsum/Kopf in Belgien an, könnte man aber doch feststellen, dass es pro Liter konsumiertes Bier mehr Brauereien gibt als in Deutschland.. Aber um da wirklich korrekt zu argumentieren, müsste ich Export auch noch mit einbeziehen, da fehlen mir im Moment aber die Zahlen.
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#136

Beitrag von Malzwein »

Hängt denn eine marktwirtschaftliche Veränderung wirklich nur an einem Punkt, hier dem RHG (das es so ja gar nicht gibt, siehe "Vorläufiges Biergesetz" und Ausnahmeregelung)? Das glaube ich nicht. Was mehr Markt und/oder mehr Gewinn bringt wird in einer offenen Welthandelsgesellschaft kommen, früher oder später. Solange aber ein - wie auch immer real praktiziertes - "RHG" deutsche Konsumenten bei der Stange hält und somit Gewinn und Markt der beteiligten Brauereien hier sichert, wird es dabei bleiben. Wenn der Konsument umdenkt und eine Mehrheit ausschließlich auf den Preis achtet, geht der Preis auch runter, mit oder ohne RHG, je nach dem, was besser umsetzbar ist.

Was machen deutsche Brauereien eigentlich mit Exportbier? Wird da auch grundsätzlich genau so wie für den Binnenmarkt produziert?
Gruß Matthias

Jep, Bier wird´s immer... meist auch trinkbar und manchmal ist es richtig gut!
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#137

Beitrag von herbie01 »

Malzwein hat geschrieben:Was machen deutsche Brauereien eigentlich mit Exportbier? Wird da auch grundsätzlich genau so wie für den Binnenmarkt produziert?
Klar. Zumindest wenn Du das RHG meinst. Wenn es in Deutschland produziert wird, muss es dem RHG entsprechen (Ausnahmen wie bekannt). Sonst hätte Camba ja einfach exportieren können, statt wegzuschütten. Und dann natürlich re-importieren... :Bigsmile

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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#138

Beitrag von Boludo »

Das stimmt so aberglaub nicht, man darf gegen das RHG brauen, wenn man es im Ausland verkauft, hab ich jedenfalls immer gedacht.

Stefan
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#139

Beitrag von Bilbobreu »

Boludo hat geschrieben:Das stimmt so aberglaub nicht, man darf gegen das RHG brauen, wenn man es im Ausland verkauft, hab ich jedenfalls immer gedacht.

Stefan
Das stimmt fast aber auch nicht ganz. :Bigsmile

§ 9 Abs. 7 Vorläufiges Biergesetz
Auf Antrag kann im einzelnen Falle zugelassen werden, dass bei der Bereitung von besonderen Bieren und von Bier, das zur Ausfuhr oder zu wissenschaftlichen Versuchen bestimmt ist, von den Absätzen 1 und 2 abgewichen wird. Für die Zulassung von Ausnahmen sind die nach Landesrecht zuständigen Behörden zuständig.

Gruß
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Re: Deutsche Reinheit, deutscher Durst

#140

Beitrag von Gasflasche »

Malzwein hat geschrieben:Hängt denn eine marktwirtschaftliche Veränderung wirklich nur an einem Punkt, hier dem RHG (das es so ja gar nicht gibt, siehe "Vorläufiges Biergesetz" und Ausnahmeregelung)? Das glaube ich nicht. Was mehr Markt und/oder mehr Gewinn bringt wird in einer offenen Welthandelsgesellschaft kommen, früher oder später. Solange aber ein - wie auch immer real praktiziertes - "RHG" deutsche Konsumenten bei der Stange hält und somit Gewinn und Markt der beteiligten Brauereien hier sichert, wird es dabei bleiben. Wenn der Konsument umdenkt und eine Mehrheit ausschließlich auf den Preis achtet, geht der Preis auch runter, mit oder ohne RHG, je nach dem, was besser umsetzbar ist.

Was machen deutsche Brauereien eigentlich mit Exportbier? Wird da auch grundsätzlich genau so wie für den Binnenmarkt produziert?
Wie sichert das RHG Markt & Gewinn? Oder sind die Augen der Konsumenten hier dann echt so "verwischt", dass sie echt nur "RHG"-Bier wollen? :puzz
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