Hallo allerseits, vielen Dank für das rege Interesse an meinem Buch. :-)
gulp hat geschrieben: ↑Mittwoch 26. August 2020, 11:30
das Rezept würde mich interessieren. Ich habe bei meiner Recherche kein einziges Rezept gefunden. Gut, ich habe auch nicht nach Rezepten gesucht.
Wie schon hier erwähnt, gibt es kein vollständig erhaltenes Rezept. In Schwechat gibt es eine grobe Übersichtsliste von Suden von Oktober 1894, und das war's im wesentlichen. Ich war allerdings nicht selbst dort, habe das allerdings von Jeff Alworth so berichtet bekommen. Man kann aber aus verschiedenen Quellen insgesamt rekonstruieren, welche Rohstoffe eingesetzt wurden und wie die Mälzungs- und Brauprozesse aussahen. Davon gibt es mehrere unabhängige Quellen, die sich teilweise in Details unterscheiden.
Zu den Rohstoffen: es gab mehrere Brunnen in und um die Brauerei, und es wurden (wie weiter oben schon angeführt) neuere Brunnen angelegt, weil ältere verschmutzt und unbrauchbar geworden waren. Von einem Brunnen, der für Brauwasser verwendet wurde, gibt es auch eine chemische Analyse der Inhaltsstoffe.
Die exakte Gerstensorte, die von Dreher verwendet wurde, konnte ich nicht bestimmen, im allgemeinen kann man aber sagen, dass in Mitteleuropa der damalige Goldstandard die mährische Hanna-Gerste war. Teilweise wurde in Böhmen wohl auch Chevalier-Gerste angebaut.
Ähnliches beim Hopfen: Saazer Hopfen war zur damaligen Zeit auf den Hopfenmärkten relativ dominant, was sich an Anbauflächen und Ertrag recht gut ablesen lässt. Dreher hatte einen eigenen Hopfenanbau in Michelob, der aufgrund der geographischen Lage als Saazer Bezirkshopfen galt, allerdings den Gesamtverbrauch seiner Brauereien kaum decken konnten. Bestätigt wird das durch andere Quellen, die besagen, dass in den Dreherschen Brauereien hauptsächtlich Saazer Hopfen verbraut wurde. Es gibt eine Quelle, die spezifisch zur Brauerei in Steinbruch anmerkt, dass gelegentlich auch bayerischer Hopfen und einmal amerikanischer Hopfen verwendet wurde.
Was die Hefe angeht, ist relativ gut dokumentiert, dass Dreher diese von Sedlmayr erhalten hat. Sedlmayr hat diese ja auch an Jacobsen (Carlsberg) weitergegeben, was wiederum die erste Reinzuchthefe, die "Unterhefe Nr. 1", zum vermutlich nächsten "Verwandten" der bei Dreher eingesetzten Hefe macht. Dr. Delbrück hat wiederum die Saazer Hefe mit Wiener Abzugbier in Verbindung gebracht, was sehr gut mit den überlieferten Stammwürzen und Restextrakten aus den 1870ern zusammenpasst (Schwackhöfers Analyse von in Wien erhältlichen Bieren ist da die wohl umfangreichste Datenbasis).
Zu den Prozessen selbst: was die Mälzung angeht, gibt es konkrete Beschreibungen zu den Darrtemperaturen. Die waren nicht unbedingt gleich, sondern variierten wohl abhängig davon, für welches Bier das Malz gedarrt wurde. Teilweise sind die Darrtemperaturen deutlich unter dem, was man heutzutage für Wiener Malz erwarten würde, gleichzeitig wird aber auch von Entlüftungsproblemen besprochen, unter denen bis in den 1880er Jahre doppelbödige Darren litten, sodass die Luftfeuchte nicht optimal extrahiert werden konnte. Es ist also insgesamt etwas schwierig, daraus eine konkrete Malzfarbe abzuleiten. Aus den Analysen von Schwackhöfer können wir aber abschätzen, dass das eingesetzte Malz zumindest farblich nicht so verschieden von modernem Wiener Malz gewesen sein kann.
Zum Maischprozess selbst: dazu gibt es zahlreiche Quellen, die sich in einem fundamentalen Fakt gegenseitig bestätigen: es wurde eine dreifache Dekoktion eingesetzt. In Details gibt es Unterschiede, aber die Mehrzahl beschreibt ein Verfahren, bei dem bei 35°C eingemaischt wird, mit darauffolgend zwei Dickmaischen und einer Lautermaische, mit Maischtemperaturen bei ca. 55°C, 65°C und 72-75°C. Was die Dauer der einzelnen Maischen und die exakten Temperaturen angeht, da gibt es ein paar kleinere Unterschiede. Große Ausreißer gibt es nur zwei, und zwar Mezger (ein Weihenstephaner Student), der in der Brauerei Steinbruch von einer Maischtemperatur von 47°C nach der ersten Dekoktion berichtet, und Cassian, der dafür eine Temperatur von 45-50°C ansetzt und außerdem auch noch eine Zwischenrast bei etwa 70°C beim Aufheizen der ersten Dekoktion empfiehlt.
Zu den Hopfenmengen gibt es mehrere sehr widersprüchliche Überlieferungen, die allerdings auch mit unterschiedlichen Bittereigenschaften der jeweiligen Hopfenjahrgänge zu tun haben könnten.
Zu Vergärung und Lagerung gibt es auch Berichte von üblichen Temperaturen, die auch einen Hinweis darauf geben, dass ein Saazer Hefestamm eingesetzt wurde.
Man sieht also, es war nicht unbedingt leicht, ein historisches Rezept zu rekonstruieren, aber ich denke, ich habe in dem Buch relativ gut dargelegt, wie ich zu diesen Schlüssen gekommen bin. Was mir in dem Zusammenhang übrigens sehr wichtig war, ist die totale Nachvollziehbarkeit. Die allermeisten Quellen, mit denen ich gearbeitet habe, sind glücklicherweise online verfügbar.
Hier noch ein paar Links dazu:
Mezgers Überlieferungen aus der Dreherschen Brauerei in Steinbruch von 1871:
https://books.google.de/books?id=b8VSAAAAcAAJ (ab Seite 113)
Isidor Redlichs Beschreibung des Wiener Brauverfahrens von 1874:
https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/b ... sb:3864647 (ab Seite 137)
Auch interessant sind Julius Thausings Bücher zum Wiener Brauverfahren von 1877 (
https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id= ... =1up&seq=7) und 1888 (
https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id= ... 5014771151 leider nicht in Deutschland verfügbar; ich hab für den Zugriff ein VPN verwenden müssen). Thausing war lange Zeit Braudirektor in der Simmeringer Brauerei, eine der großen Wiener Konkurrenten der Dreherschen Brauerei, man kann also davon ausgehen, dass er besonders guten Einblick in die in Wien üblichen Brauverfahren hatte.