Hochgepäppelte W120 ist wolkig

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bieratenschreck
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Hochgepäppelte W120 ist wolkig

#1

Beitrag von bieratenschreck »

Liebe Kollegen,

über die Sufu nix zu meinen Fragen gefunden: ich habe seit zehn Tagen eine W120 auf dem Magnetrührer.
Start war 1 ml eingelagerte Hefe aus einem 100 ml Ecoflac, in dem wiederum vor ca. 6 Monaten 2 ml frisch propagierter Hefe (abgezwackt vom Direktimport Weihenstephaner Hefebank, dank an Jens W.!) eingelagert wurden.
Die Vermehrung habe ich just for fun gemacht, einfach, um mal zu sehen, ob das mit der Hefepropagation überhaupt funktioniert.
Im Rhythmus von ca. 12 - 24 h habe ich mit frischer Würze verdoppelt. (Ist mir vollkommen bewusst, dass das bestimmt nicht der Lehre entspricht, ich wollte eigentlich nur mal gucken...) Zu Beginn häufig geschüttelt, statt mit dem Rührfischchen die Zellen zu stressen. Einfach jedes mal, wenn ich vorbeigekommen bin, Shake it Baby gemacht.
Bei zwei Litern (keine Ahnung, nach wieviel Tagen das war...) habe ich das ganze mal ein paar Stunden absetzen lassen und den Überstand vorsichtig weggekippt und den Bodensatz mit ca. 0,5 Liter Würze aufgemischt und weitergerührt.
Seit gestern pumpe ich zusätzlich mit Aquariumpumpe über Sterifilter Luft in den Kolben.
Am Samstag, den 05.01.2019 (11 Tage Propagationszeit) möchte ich ein Münchner Dunkel (ug, logo!) brauen und habe dann 2 Liter Anstellhefe.
Auf 5 ml Hefemischung, die ich 1:10 mit Filtrat verdünnt habe, habe ich einen Tropfen Methylenblau gegeben und in einer Zählkammer unter dem Mikroskop ausgezählt und hochgerechnet. Bei durchschnittlich 30 Zellen pro Feld komme ich auf 0,12 x 10 ^ 9 Zellen pro Liter. (Hoffentlich habe ich mich nicht verrechnet, Zählkammer 0,0025 mm^2 bei 0,1 mm Schichtdicke). Das wäre bei zwei Litern genug, um 40 l anzustellen (?). Tote Zellen habe ich keine gefunden. Lediglich ab und zu Verunreinigungen, die sich blau gefärbt haben.

Es riecht gut nach Würze mit einem Anflug von Bier.
Schaumbildung habe ich mit Anti-Schaummittel versucht zu verhindern, funktioniert aber nicht wirklich. Jetzt habe ich schon 25 ml da rein gespritzt :crying, schon allein deswegen müsste ich eigentlich alles verwerfen. :Ahh Aber irgendwo stand, dass das Mittel verstoffwechselt wird und dem Schaum später nicht schaden soll. :Grübel

Muss ich mir wegen der Klumpenbildung Sorgen machen? Wieviel von der Anstellhefe soll ich pitchen?
...auch verdächtig: ich sehe keine toten Zellen, auch nach einem zweiten Tropfen Methylenblau auf diese 5 ml. (Erst wenn ich auf 0,5 ml von der Probe einen Tropfen gebe, fangen nach 1 -2 Minuten ganz vereinzelte Zellen an sich leicht blau zu färben.)

Vermutlich müsste ich Euch jetzt erst noch viele Fragen beantworten, damit Ihr mir eine vernünftige Antwort geben könnt. Bin nur leider jetzt dann wieder unterwegs und kann schlecht die ganze Zeit am Handy rumtippen. Daher tendiere ich ja schwer dazu, auf Sicherheit zu gehen, und morgen ein Alt mit S-04 Trockenhefe zu brauen.

Vielen Dank, dass Ihr diesen Wirrwar überhaupt durchgelesen habt. Hätte auch gerne einen Filmschnipsel hochgeladen, wo man sieht, wie wolkig/inhomogen die Würze-Hefemischung ist. Geht scheinbar nur nicht.
Über den Schlauch kommt gefilterte Luft rein
Über den Schlauch kommt gefilterte Luft rein
IMG_5139.JPG (123.54 KiB) 1254 mal betrachtet
So sehen die Klumpen unter dem Mikroskop aus
So sehen die Klumpen unter dem Mikroskop aus
1:10 verdünnt, ca. 30 Zellen pro Quadrat
1:10 verdünnt, ca. 30 Zellen pro Quadrat
Mit dem Handy direkt in's Okular fotografiert, gibt komische Schattierung
Mit dem Handy direkt in's Okular fotografiert, gibt komische Schattierung
Zählkammer
Zählkammer
IMG_5140.JPG (96.37 KiB) 1254 mal betrachtet
Gruß
Christian
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DerDerDasBierBraut
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Re: Hochgepäppelte W120 ist wolkig

#2

Beitrag von DerDerDasBierBraut »

Hi,

schon selbst erkannt: Die Propagation war alles andere als optimal und hat unter dem Strich viel zu lange gedauert.
Verwerfen würde ich die Hefe aber nicht, weil die Fotos vom Mikroskop unauffällig sind.
Diese Anti-Foam Mittel sind, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, nur Silikonpartikel, die den Schaum zerstören. Sie werden während der Gärung durch Konvektion in Schwebe gehalten und bleiben später mit dem Hefesediment in Gäreimer zurück, weil am Ende keine Konvektion mehr da ist.

Die "Klumpen" beim 2. Foto halte ich für Bruchbildung. Die W120 ist eine Bruchhefe (proteasenarm). Sie neigt daher dazu, mit zunehmender Anzahl "alter", ruhender Zellen solche Kolonien zu bilden. Völlig normal aus meiner Sicht.
s. hier: >> https://link.springer.com/article/10.1007/BF01423306


Das Einfärben mit dem Methylenblau hat nicht funktioniert. Sind das eingefärbte Proben in den Aufnahmen?
Man gibt einen Tropfen Hefesuspension und einen Tropfen Methylenblau auf den Objektträger, durchmischt die Probe kurz und legt das Deckplättchen drauf. Zuerst sind alle Zellen blau. Nach sehr kurzer Zeit werden die lebenden wieder Weiß (Methylenblau wandelt sich durch Sauerstoffreduktion durch die Zellatmung in Leukomethylenblau). Die Flüssigkeit um die Zellen herum bleibt blau. Das wäre auch auf den Aufnehmen zu sehen, wenn dein Mischungsverhältnis gestimmt hätte).

Das Zählen hat auch nicht funktioniert, wenn Foto 3 die 1:10 verdünnte Probe enthält. Ohne groß nachzuzählen sind dort 80-120 Zellen pro Kleinquadrat zu sehen. Definitiv wesentlich mehr als 30. Die Zelldichte ist auch zu hoch, um komfortabel zu zählen. Das kannst du nochmal 1:10 weiter verdünnen. 5 - max. 50 Zellen geht für mein Empfinden ganz gut.
Kennst du das Video? >> https://www.youtube.com/watch?v=yrlEkb7Sh3o

Schau noch mal mit einer neuen Einfärbung, wie hoch der Lebendanteil wirklich ist. Dann Entsprechend des Videos die Zellenanzahl neu bestimmen. Da der Starter gut riecht und die Hefe sauber aussieht, kannst du anschließend die richtige Startermenge pitchen.


PS: Hier mal zwei alte Beispielfotos von eingefärbten Proben. Der Blaustich in der Flüssigkeit (vom Methylenblau) ist gut zu erkennen.
So muss das etwa aussehen.
eingefärbte Hefesuspension aus NaCl Lösung
eingefärbte Hefesuspension aus NaCl Lösung
IMG_1705.jpg (72.67 KiB) 1192 mal betrachtet
eingefärbte tote Hefezellen (20 Minuten bei 60°C gekillt)
eingefärbte tote Hefezellen (20 Minuten bei 60°C gekillt)
IMG_1713.jpg (49.21 KiB) 1192 mal betrachtet
PS2: Sehr junge (lebende) Zellen bleiben auch blau. Die können dem Methylenblau noch keinen Sauerstoff durch Zellatmung entziehen. Der Anteil dieser Zellen ist aber eher gering.
"Da braut sich was zusammen ... "
"Oh, Bier ;-) !"
"Nein! Was Böses!"
"Alkoholfreies Bier??? ..."
-----------
Viele Grüße
Jens
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bieratenschreck
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Re: Hochgepäppelte W120 ist wolkig

#3

Beitrag von bieratenschreck »

Danke Jens für die ausführliche Antwort.
Den Färbetest habe ich jetzt noch mal wiederholt mit 1 Tropfen Hefesuspension und 1 Tropfen Methylenblau 1 %-ig. Diesmal gab es vereinzelt blaue Zellen. Die anfängliche Blaufärbung aller Zellen konnte ich noch nicht beobachten, hängt aber vermutlich damit zusammen, dass ich von der Zusammenführung der Tropfen bis zum Beobachten 2 Minuten brauche, weil ich noch keine dünnen Deckplättchen habe und mir mit Diarähmchenglas behelfe.
Sehr hilfreich ist auch das Video, danke. Da wird die Vorgehensweise der Zellzählung gut erklärt und ist auch in unserem Hobbymaßstab gut umsetzbar.

Ich vermute, dass das Zusammenklumpen der Hefe dazu führt, dass diese gebundenen Zellen nicht mehr aktiv an der Vergärung teilnehmen, weil die Klumpen sedimentieren und eine recht inaktive Schicht bilden.
Ich bin jetzt auf Nummer sicher gegangen und habe die Hefesuspension verworfen.

Zwei Dinge sind mir noch aufgefallen:
- das mitgelieferte Rührfischchen klappert meistens nervig, habe die selben Probleme wie in diesem Thread: https://hobbybrauer.de/forum/viewtopic.php?t=12735

- das Rezept von Alt-Phex (auch hier an dieser Stelle meinen Dank dafür!) für die Starterwürze habe ich mit Hopfen (Bohemia Sladek) erweitert, wie im Erläuterungstext vom Rezept empfohlen. Dadurch wird allerdings die fertige Starterwürze sehr bitter. Da überlege ich mir, den Hopfen erst ganz zum Schluss des Würzekochens zuzugeben, um die Bittere etwas zu reduzieren. Allerdings befürchte ich, dass dadurch die "biozide" Wirkung des Hopfens ebenfalls reduziert wird. Oder ich nehme mal einen anderen Hopfen mit weniger Alphasäure.
Einzelne Zellen haben sich blau gefärbt, die sind tot
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Gruß
Christian
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Re: Hochgepäppelte W120 ist wolkig

#4

Beitrag von bieratenschreck »

Bin seit Montag wieder fleissig am Propagieren und mache tägliche Kontrolle mit Zellzählung und Viabilitätstest. Ich hatte mehrfach beim Färbetest (1 Tropfen verdünnte Hefesuspension und 1 Tropfen Methylenblau 1 %-ig) das Problem, dass alle Zellen blau waren. Heute habe ich dann einfach zusätzlich 1 Tropfen Wasser zugegeben und siehe da, diesmal waren nur ganz vereinzelte Zellen blau.
Allerdings konnte ich den Farbumschlag von blau nach durchsichtig bei den lebenden Zellen immer noch nicht beobachten. Es dauert halt ca. 30 Sekunden, bis das Deckglas aufgelegt ist und scharf gestellt ist. Okay, ich bleibe dran und werde berichten.
Gruß
Christian
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Re: Hochgepäppelte W120 ist wolkig

#5

Beitrag von DerDerDasBierBraut »

Dieser Farbumschlag ist auch nicht wichtig. Ich sehe das auch nur sehr selten, vor allem bei sehr alten eingelagerten Hefen. Hängt sicher von der Stoffwechselbereitschaft der Zelle ab, ob die Zelle den Sauerstoff im Methylenblau praktisch sofort reduziert (bleibt klar) oder sich damit etwas Zeit lässt (Farbwechsel blau-> klar).
"Da braut sich was zusammen ... "
"Oh, Bier ;-) !"
"Nein! Was Böses!"
"Alkoholfreies Bier??? ..."
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Viele Grüße
Jens
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