mich beschäftigt gerade ein (scheinbarer?) Widerspruch im Zusammenhang mit der Brauwasseraufbereitung. Wer kann diesen Widerspruch auflösen?
Ich hatte hierzu auch eine Anfrage bezüglich meines konkreten Brauwassers gestellt, aber das Thema hat vermutlich viele abgeschreckt/gelangweilt, daher hier nochmal allgemein und auch provokanter gefragt, um etwas mehr Aufmerksamkeit für dieses doch für alle spannende Thema zu erregen.
Wer zu dem Thema recherchiert kommt unweigerlich um den Heiligen Gral der Brauwasseraufbereitung - der Restalkalität - herum. Jeder Beitrag dazu stürzt sich als erstes auf diese Kennzahl und wie diese zu Optimieren geht. Viele Beiträge bleiben hier auch stehen. Diejenigen, die noch weiter in die Tiefe gehen, stellen dann aber fest, dass die Restalkalität als solche gar nicht relevant ist, sondern es um den Maische-pH-Wert geht. Die Restalkalität sei lediglich eine "Krücke", da wir über eine "richtige" bzw. "gute" Restalkalität auch auf einen "richtigen" bzw. "guten" Maische-pH-Wert kommen.
Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass meine Recherche nur ein einziges Argument für die Aufbereitung der Restalkalität ergab: die Einstellung des richtigen/guten Maische-pH-Wertes. Für die Einstellung des richtigen Maische-pH-Wertes hingegen finde ich eine Vielzahl an Argumenten. Hierzu sei auszugsweise aus MMuM zitiert:
Soweit so gut, ergibt sich für mich eindeutiges Zwischenfazit:Wir haben jetzt mehrfach vom optimalen pH-Bereich gesprochen. Aber warum ist dieser pH-Bereich für uns so wichtig? Folgende Gründe lassen sich dafür anführen:
- die Enzymaktivitäten der stärkespaltenden Enzyme (Amylasen) haben ihre Optima bei pH 5,4 (β-Amylase) bzw. 5,6 (α-Amylase)
- geringere Viskosität der Maische → effizienteres Läutern
- niedrigere Hopfenausnutzung gegenüber höheren pH-Werten, dafür rundere und weniger harsche Hopfenbittere
- siginifikant niedrigere Tanninlöslichkeit bei pH<6
- niedrigere Farbintensivierung der Würze während des Kochens → hellere Biere
- verbesserte Proteinkoagulation (Eiweißbruch) während des Würzekochens
Der pH-Wert der Maische bestimmt also nicht nur die Effizienz der Stärkespaltung, sondern ist der Ausgangspunkt für den pH-Wert in allen weiteren Brauschritten (Würzekochen, Gärung) und im fertigen Bier.
- höhere Wachstumsraten der Hefe in der Gärung → sauberere Gärung und höherer Endvergärungsgrad
Bei der Wasseraufbereitung sollte auf die richtige Einstellung des pH-Wertes geachtet werden. Die Restalkalität ist völlig irrelevant.
Wenn das so ist wundert es mich aber sehr, dass ich in allen(!) Übersichten, in denen es um optimales Brauwasser je nach Bierstil geht, eine Angabe zur Restalkalität finde, meist als erstgenanntes (vermeintlich wichtigstes) Kriterium.
Bisher glaubte ich an eine gewisse Gleichmäßigkeit zwischen der Restalkalität, dem Bierstil (und damit verwendeten Malzen etc.) und dem pH-Wert. Nach dem Motto: Dunkle Malze und Restalkalität von 5-10°dH landen bei einem pH-Wert von 5,4-5,6. Aus der Erfahrung nunmehr mein eigenes Brauwasser aufbereiten zu wollen, sehe ich aber, dass es eine solche Gleichmäßigkeit nicht gibt. Möglicherweise ergibt sich eine Tendenz, aber eben keine Gleichmäßigkeit, die für jedes individuelle Brauwasser so gilt. Ich plane gerade einen Maibock. Laut Literatur sollte das Wasser hierfür eine Restalkalität von 5-10°dH aufweisen. Meines hat eine von 6°dH. Bräuchte ich dem nach gar nicht aufbereiten. Laut MMuM würde ich aber bei einem pH-Wert von über 5,8 landen. Um den pH-Wert runter zu kriegen in annähernd 5,6, müsste ich eine deutlich negative RA einstellen. Details dazu hier.
Nach meinem Zwischenfazit könnte ich sagen "scheiß der Hund auf die RA, ich will einen guten pH-Wert haben". Aber mich irritieren diese fixen Angaben zur RA in allen Bierstilübersichten! Diese ergeben für mich keinen Sinn. Bestenfalls dann, wenn sie als ganz grobe Orientierung zu verstehen sind. Aber wie mein Fall zeigt wäre diese Orientierung außerordentlich grob.
Sich auf eine Kennzahl zu stürzen, diese bis ins kleinste Detail zu erklären, zu jedem Bierstil einen festen Zielwert vorgeben, wenn diese Kennzahl am Ende des Tages doch irrelevant ist, ist doch ein Denkfehler?
Freue mich auf die Diskussion und hilfreichen Input zu diesem Thema
Herzliche Grüße,
Steffen
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