Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

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Sura
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Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#1

Beitrag von Sura »

Moin.

Ich hatte in meinem anderen Thread ja angedroht, daß ich eine weitere Versuchsreihe mache. Diesmal wäre das Thema dann Over- und Underpitching. Dann kam leider Grippe usw. dazwischen, aber hier nun die Ergebnisse.
(Ursprünglich war das ja auch als Rätsel gewünscht, aber in diesem Fall war das einfach zu simpel, als das da ein Rästel rätselhaft wäre....)

Im Prinzip sonst der selbe Aufbau: Alles aus ein und demselben Sud, Rezept fast gleich (90% PiMa, 10%CaMü2, Kombirast 67°C, 75min kochen, 5 AAU Hercules (VW) und 3 AAU Willamette (10), vergoren mit der US-05), Temperatur durchgehend bei ca. 18°C

Fünf Ansätze mit jeweils 3,5 Liter:
- 2,5gr in Würze rehydriert (um das Ergebnis aus dem ersten Versuch zu bestätigen)
- Teil eines Hefebodensatzes der vorhergehenden Versuchs
- 2,5gr in Wasser rehydriert
- 1gr in Wasser rehydriert
- ca. 6gr in Wasser rehydriert

Diesesmal musste ich wirklich komplett ausgären gelassen, weil ich mit Grippe/Schnupfen/Husten den Gäreimern fern geblieben bin. Das Ergebnis nach 3 Wochen: Alle haben den selben EVG von 84%!

Für mich zeigt das ziemlich eindeutig, das der EVG eben doch unabhängig von der Pitchingrate, der zweiten Führung, oder sonst was ist. (Solange die Hefe brauchbare Arbeitsbedingungen und Zeit bekommt!) Der EVG ist ein Ergebnis der Zusammensetzung der Zucker, und das wird beim maischen festgelegt. Unterschiede wie im ersten Versuch, schiebe ich auf Ungeduld.

Nun viel Spass mit den Bildern und Kurven. (Beim Diagramm ist ein senkrechter Strich 24h, also ein Tag. Das es am Ende "geradeaus" auf das Endergebnis zugeht, liegt einfach das grippebedingt Messwerte fehlen.)
(Leider skalieren die Bilder hier nach Lust und Laune. Eigentlich wären alle gleich breit....)
Bild0.png
Bild1.png
Bild2.png
Bild3.png
Man sieht gut, daß die zweite Führung abgeht wie Schmitz Katze. Die in Wasser rehydrierten sind im Verhalten hingegen erwartungsgemäß.
Aber genau wie im ersten Versuch startet der würzerehydrierte Ansatz optisch flott, in der Wirkung aber schlapp. Und am Ende stehen die Kräusen immer noch wie Schlagsahne. Erklären kann ich mir das immer noch nicht ...?

Geschmacklich kann ich dazu noch nichts sagen. Ich möchte die Flaschen nochmal 4 Wochen ruhen lassen, bevor ich mich daran mache. Dazu werde ich dann gegebenenfalls nochwas schreiben.
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olibaer
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#2

Beitrag von olibaer »

Hallo Sura/Kai,

an dieser Stelle nochmals Danke für deinen aufwendigen und transparenten Versuch. Dein kleiner Infekt hat für uns eine durchaus positive Wirkung:
Sura hat geschrieben: Montag 26. März 2018, 18:33 Für mich zeigt das ziemlich eindeutig, das der EVG eben doch unabhängig von der Pitchingrate, der zweiten Führung, oder sonst was ist. (Solange die Hefe brauchbare Arbeitsbedingungen und Zeit bekommt!) Der EVG ist ein Ergebnis der Zusammensetzung der Zucker, und das wird beim maischen festgelegt. Unterschiede wie im ersten Versuch, schiebe ich auf Ungeduld.
So wie jetzt von Dir erneut festgestellt und historisch schon oft diskutiert, bleibt das dennoch eine ungeliebte Wahrheit.
Wahrscheinlich wird es im threadverlauf keinen Tag dauern, bis ein Leser das Thema "Hefestamm" ins Spielfeld kegelt. Ich versuche dem ein wenig vorzugreifen:

"Kaltwürzezusammensetzung" steht vor der Hefegabe fest. Damit muss, unabhänig vom Hefestamm, "Hefe" mit einer gegebenen "Würzezusammensetzung" zurechtkommen - so oder so. Hefestamm A wird das besser können als Hefestamm B, und Hefestamm C besser als Hefestamm A. So ausformuliert und für sich alleine betrachtet bestimmt also die Auswahl des Hefestamms (A,B,C) den Endvergärungsgrad.

Das ändert sich, wenn ich Hefestamm A, B und C unterschiedliche Würzequalitäten zum vergären "unterjuble". In Würze eins hat Hefe A den höchsten EVG, in Würze zwei die Hefe B und in Würze drei die Hefe C. "Hefe" kann sich in ihrer Genetik gegen "Würzezusammensetzung" nicht wehren - sie muss nehmen was kommt - ein Knecht, der vom B(r)auer "Würze" abhängig ist.
Damit ist klar, wer das Sagen hat. Hefe ist nur eine Ressource. Würze ist das Potential, das Heferessource nach Brauers Vorgaben nutzen darf.

Liest sich jetz schlimm, ist es aber gar nicht - ganz im Gegenteil. Das mach ich mir als Brauer doch zwischen Endvergärungsgrad und Jodprobe zu Nutze:
-> Körper, Vollmundigkeit, Rezenz.

Immer schick zwischen trocken und mastig ausbilancieren:
-> ein sehr hoher EVG der nicht leer und ein sehr niedriger EVG der nicht mastig schmeckt - was für eine Spielwiese :-)
Gruss
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#3

Beitrag von Sura »

Hallo Oli,
olibaer hat geschrieben: Montag 26. März 2018, 21:13
Sura hat geschrieben: Montag 26. März 2018, 18:33 Für mich zeigt das ziemlich eindeutig, das der EVG eben doch unabhängig von der Pitchingrate, der zweiten Führung, oder sonst was ist. (Solange die Hefe brauchbare Arbeitsbedingungen und Zeit bekommt!) Der EVG ist ein Ergebnis der Zusammensetzung der Zucker, und das wird beim maischen festgelegt. Unterschiede wie im ersten Versuch, schiebe ich auf Ungeduld.
So wie jetzt von Dir erneut festgestellt und historisch schon oft diskutiert, bleibt das dennoch eine ungeliebte Wahrheit.
Ja. Eigentlich ist es ja auch logisch, bzw. wären Abweichungen unlogisch. Das relativiert dann wiederkehrende Aussagen wie "in der zweiten Führung legt sie richtig los, und dann steigt der SVG nochmal!". -> Der EVG bleibt aber dennoch wo er ist. :P


Hast du eine Erklärung bezüglich des Verhaltens des in Würze rehydrierten Ansatzes? Bei beiden Versuchen jeweils einmal 2,5gr Hefe in Wasser, und einmal in (abgekühlter!) Würze direkt nach dem kochen rehydriert. Gleichzeitig, und mit gleicher Wartezeit vor dem pitchen. Bei beiden in Würze rehydrierten ist die optische Aktivität (Kräusen) deutlich vor der gemessenen, und nur bei den beiden bleibt der Kräusenteppich bis zum Ende stehen....

Gruß,
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#4

Beitrag von Barney Gumble »

Sura hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 06:31 Hallo Oli,
olibaer hat geschrieben: Montag 26. März 2018, 21:13
Sura hat geschrieben: Montag 26. März 2018, 18:33 Für mich zeigt das ziemlich eindeutig, das der EVG eben doch unabhängig von der Pitchingrate, der zweiten Führung, oder sonst was ist. (Solange die Hefe brauchbare Arbeitsbedingungen und Zeit bekommt!) Der EVG ist ein Ergebnis der Zusammensetzung der Zucker, und das wird beim maischen festgelegt. Unterschiede wie im ersten Versuch, schiebe ich auf Ungeduld.
So wie jetzt von Dir erneut festgestellt und historisch schon oft diskutiert, bleibt das dennoch eine ungeliebte Wahrheit.
Ja. Eigentlich ist es ja auch logisch, bzw. wären Abweichungen unlogisch. Das relativiert dann wiederkehrende Aussagen wie "in der zweiten Führung legt sie richtig los, und dann steigt der SVG nochmal!". -> Der EVG bleibt aber dennoch wo er ist. :P


Hast du eine Erklärung bezüglich des Verhaltens des in Würze rehydrierten Ansatzes? Bei beiden Versuchen jeweils einmal 2,5gr Hefe in Wasser, und einmal in (abgekühlter!) Würze direkt nach dem kochen rehydriert. Gleichzeitig, und mit gleicher Wartezeit vor dem pitchen. Bei beiden in Würze rehydrierten ist die optische Aktivität (Kräusen) deutlich vor der gemessenen, und nur bei den beiden bleibt der Kräusenteppich bis zum Ende stehen....

Gruß,
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Halt, nein, da muss ich etwas zu bedenken geben: Die Hefe in zweiter Führung ist behaupte ich mal genetisch nicht mehr völlig identisch mit der der ersten Führung. Wieviel Mio. mal gat die sich geteilt und damit auch etwas mutiert? Sicher wird sie ihrer Ursprungshefe noch sehr ähnlich sein aber das ist wie beim Menschen nach zig Mio Jahren, da tut sich genetisch schon was m. E.

Vg
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#5

Beitrag von schloemi »

Hallo Kai,

Saubere Versuchsreihe! In diesem Zusammenhang vielleicht auch für dich und die Interpretation deiner Ergebnisse interessant eine ganz ähnliche Versuchsreihe, die mir kürzlich über den Weg gelaufen ist:
http://www.gradplato.de/kategorien/know ... JoZWZlIl0=

cu schloemi

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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#6

Beitrag von Sura »

Barney Gumble hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 07:13 [.....]Die Hefe in zweiter Führung ist behaupte ich mal genetisch nicht mehr völlig identisch mit der der ersten Führung. Wieviel Mio. mal gat die sich geteilt und damit auch etwas mutiert? Sicher wird sie ihrer Ursprungshefe noch sehr ähnlich sein aber das ist wie beim Menschen nach zig Mio Jahren, da tut sich genetisch schon was m. E.
Das seh ich nicht ganz so. Es mag zwar durchaus sein das die Hefe nicht mehr ganz die selbe ist wie vorher, aber es wird kaum spontan die Fähigkeit erwachsen längere Zucker zu verwerten. Wie auch? Für Maltotriose, beispielsweise, benötigt die Hefe es ein weiteres Enzym. Wo soll das auf einmal herkommen? Und warum sollte die Hefe bis zur zweiten Führung warten bis sie es benutzt, und nicht schon im Sud vorher?
Und die Zuckerzusammensetzung ist von der Hefe nicht beeinflussbar.

Höhere Vergärungsgrade im "second run" schiebe ich daher auf Ungeduld oder schlechte Bedingungen beim vorhergehenden Ansatz. Wenn es so aussieht, als ob die Hefe beim zweiten Lauf erst so richtig loslegt, dann liegt das wohl eher an einer bereits passierten Mileuanpassung bzw. an gnadenlosem Overpitching durch zu viel Bodensatz. (Wer macht denn hier schon Zählungen vor der zweiten Führung?) ... der EVG wird aber der selbe sein.
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#7

Beitrag von olibaer »

Hallo Kai/Sura,
Sura hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 06:31 Das relativiert dann wiederkehrende Aussagen wie "in der zweiten Führung legt sie richtig los, und dann steigt der SVG nochmal!". -> Der EVG bleibt aber dennoch wo er ist.
Muss auch so sein.

Zwischen dem Pfosten links(Stammwürze) und dem Pfosten rechts(Endvergärungsgrad), beide stellvertretend als unveränderliche Größen für die Kombination aus Würze und Hefe, spielt sich "Gärverlauf" ab.
Gärverlauf selbst hat rückwirkend Null Einfluß auf diese Größen - sie sind fix. Stammwürze ändert sich nie, Endvergärungsgrad ändert sich nie.
Hat man das erst mal' gefressen, tut man sich insgesamt leichter mit dem Verständnis für Gärung, Nachgärung, Flaschengärung, Karbonisierung und mit der Prozesslenkung.

Sura hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 06:31 Hast du eine Erklärung bezüglich des Verhaltens des in Würze rehydrierten Ansatzes?
Bedingt ja.

Die in unseren Köpfen manifestierten Bilder von Kräusenstadien haben, wie geplante Gärverläufe, einen Charakter von "so sollte es aussehen".
"Kräusendecke" ist im Ist ein Kind von Extraktabbau/Zeiteinheit(u.a. pH-Sturz), Temperatur, Tankgeometrie und Würze im Sinne von Lösungsmittel.

Für den Fall "rasche Angärung", in Kombination mit "schleppender Gärverlauf", stellt sich das so dar, dass zu Beginn, und begünstigt durch den raschen pH-Abfall, viel Eiweiß und viele Hopfenbestandteile unlöslich werden und durch die aufsteigenden CO2-Blasen nach oben getragen werden(Auswascheffekt). Es bildet sich eine stabile Kräusendecke aus.

Gerät die Hauptgärung nach einer raschen Angärphase ins Trudeln, geht die Konvektion im Gärbehälter verloren, während noch vereinzelt CO2 aufsteigt. Das langsam aufsteigende CO2 lagert sich unterhalb der stabilen Kräusendecke an, sorgt für Auftrieb, während der "Unter- oder Einspüleffekt" aufgrund fehlender Konvektion ausbleibt. Die Kräusendecke bleibt erhalten und stabilsiert sich zusätzlich durch "Austrocknung" an den oberen Grenzflächen und am Behälterrand(oxidiert, wird braun, wird schrumpelig, konzentriert sich auf, u.a. Bittere).

Der umgekehrte Effekt dürfte denjenigen bekannt sein, die den ersten Sud mit Reinzuchthefe in der 1.Führung und in offenen Bottichen anstellen.
Die Kräusenbilder scheinen sich hier in nahezu umgekehrter Reihenfolge zu zeigen, wechselseitig oder auch gar nicht - it depends ;-)


P.S.: Nicht gegen Kräusenbilder - ich arbeite sehr gerne damit. Gerade ganz am Anfang und am Ende der Hauptgärung - ganz wichtige Indizien. Dennoch sind sie nur ein Mantel, den man in "kritischen oder undurchsichtigen Situationen" aufknöpfen sollte.
Zusätzlich wichtig dabei: Anlagenkontext beachten, Rezeptkontext beachten, Anstelltechnik beachten


Edith sagt: Ein Wort eingefügt, eines geändert
Zuletzt geändert von olibaer am Dienstag 27. März 2018, 08:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#8

Beitrag von schloemi »

Ich teile Eure Auffassung hinsichtlich dessen, dass der EVG durch die Würze und nicht durch die Hefe fixiert ist. Was ich mich aber immer Frage, warum der EVG (ob nun durch Produkthersteller oder Hobbyisten) dann immer der Hefe als Charaktermerkmal "zugeschrieben" wird. Wie kommen den die Hersteller zu ihren Zahlen, gibt es ggf. doch ein standardisiertes Verfahren, meinetwegen Vergärung einer wässrigen Lösung mit ausschließlich Glukose, welche eine unterschiedlich Vermassung zulassen oder ist das Ganze reines Marketing und das Wunschdenken des Brauers im Kaltbereich durch die Auswahl der Hefe noch Einfluss nehmen zu können?

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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#9

Beitrag von gulp »

Zwischen dem Pfosten links(Stammwürze) und dem Pfosten rechts(Endvergärungsgrad), beide stellvertretend als unveränderliche Größen für die Kombination aus Würze und Hefe, spielt sich "Gärverlauf" ab.
Serus Oli,
Deinen rechten Pfosten (Endvergärungsgrad), wird eine Hefe wie z.B. die Belle Saison nur bedingt interessieren. Die versetzt den im Vergleich zu anderen Hefen glatt noch mal um 10 bis 15 %. Es kommt schon auch darauf an, welche Zucker eine Hefe verarbeiten kann. Dass nur eine begrenzte Menge an selbigem vorhanden ist ist dabei schon klar, nur verwertet ihn halt jede Hefe anders.



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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#10

Beitrag von olibaer »

Hallo Schloemi,
schloemi hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 08:41 Wie kommen den die Hersteller zu ihren Zahlen
So schwer ist das gar nicht.

Man entnehme aus einem Stück etablierter Fachliteratur die Zusammensetzung einer Standardwürze und gleicht diese mit der Genetik der jeweiligen Hefe ab. Es folgt ein Dreisatz angereichert mit Toleranzen. Dann steht da z.B. für Hefe A: VGs 79-81%.

Klar, wenn ich bei 65° einmaische, kurz die Verkleisterung abwarte und dann zügig auf 78°C aufheize, wirds mit dem "gekauften" VGs nichts werden. Wie gesagt. Hefe kann nur konsumieren, was Würze liefert.

Derartige Angaben sind immer im Zusammenhang mit dem jeweiligen Portfolio des Herstellers zu sehen, nicht ganz unbedingt mit der eigenen Anstellwürze, die zur Vergärung bereit steht.

Zusätzlich tückisch könnte sein:
Darreichungsform. Hersteller A bietet Hefestamm A als Trockenhefe an, Hersteller B bietet Hefestamm A als Flüssighefe an. Entsprechend dezidiert könnten die Angaben zum VGs ausfallen: 75-79% bzw. 78-82%

Hefestamm A hat denn genau welchen VGs ?

Trotzdem sind die Angaben zum VGs hilfreich - sie bieten eine gewisse Orientierung innerhalb eines Portfolios, nicht aber unbedingt 1:1 zum Hefestamm.
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#11

Beitrag von Sura »

schloemi hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 08:41 Ich teile Eure Auffassung hinsichtlich dessen, dass der EVG durch die Würze und nicht durch die Hefe fixiert ist. Was ich mich aber immer Frage, warum der EVG (ob nun durch Produkthersteller oder Hobbyisten) dann immer der Hefe als Charaktermerkmal "zugeschrieben" wird. Wie kommen den die Hersteller zu ihren Zahlen, gibt es ggf. doch ein standardisiertes Verfahren, meinetwegen Vergärung einer wässrigen Lösung mit ausschließlich Glukose, welche eine unterschiedlich Vermassung zulassen oder ist das Ganze reines Marketing und das Wunschdenken des Brauers im Kaltbereich durch die Auswahl der Hefe noch Einfluss nehmen zu können?
Ich kann mir vorstellen, das eine Weizenhefe den Endvergärungsgrad aufgedrückt bekommt den sie liefert, wenn sie auf eine typische Weizenwürze losgelassen wird.

Bei einem anderen Versuch der schon hatte ich bei verschiedenen Temperaturen "Kombirast" auch verschiedene Endvergärungsgrade: (64°C -> 83%, 66,5°C -> 77%, 70°C -> 61°%). Auch wenn das sehr an den oberen/unteren Enden war, kann man die Tendenz doch sehr gut sehen. Beim selben Versuch hatte ich auch mit dem pH gespielt, und auch dort gab es Änderungen am EVG.

Von daher ist es immer ein Zusammenspiel von vielen Faktoren. :Smile
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#12

Beitrag von chaos-black »

Interessante Beiträge die man hier lesen kann finde ich. Und es hilft mir auch zu verstehen wie mein letztes Pils einen unerwartet hohen Vergärungsgrad erreichen konnte. Die verwendete Hefe (S-189) hat laut Datenblatt einen scheinbaren Vergärungsgrad von 84%, tatsächlich ist sie aber bei 87,4% gelandet. Ich denke dies geht darauf zurück, dass die Würzezusammensetzung anders als geplant war, weil das Malz quasi pulverisiert war, was zu einem dreistündigen Läutern geführt hat. Effektiv hatte die Maische dann für vier Stunden 62-65°C.

Beste Grüße,
Alex
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#13

Beitrag von Sura »

Hallo Oli,

olibaer hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 08:23
Sura hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 06:31 Hast du eine Erklärung bezüglich des Verhaltens des in Würze rehydrierten Ansatzes?
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Für den Fall "rasche Angärung", in Kombination mit "schleppender Gärverlauf", stellt sich das so dar, dass zu Beginn, und begünstigt durch den raschen pH-Abfall, viel Eiweiß und viele Hopfenbestandteile unlöslich werden und durch die aufsteigenden CO2-Blasen nach oben getragen werden(Auswascheffekt). Es bildet sich eine stabile Kräusendecke aus.

Gerät die Hauptgärung nach einer raschen Angärphase ins Trudeln, geht die Konvektion im Gärbehälter verloren, während noch vereinzelt CO2 aufsteigt. Das langsam aufsteigende CO2 lagert sich unterhalb der stabilen Kräusendecke an, sorgt für Auftrieb, während der "Unter- oder Einspüleffekt" aufgrund fehlender Konvektion ausbleibt. Die Kräusendecke bleibt erhalten und stabilsiert sich zusätzlich durch "Austrocknung" an den oberen Grenzflächen und am Behälterrand(oxidiert, wird braun, wird schrumpelig, konzentriert sich auf, u.a. Bittere).

Der umgekehrte Effekt dürfte denjenigen bekannt sein, die den ersten Sud mit Reinzuchthefe in der 1.Führung und in offenen Bottichen anstellen.
Die Kräusenbilder scheinen sich hier in nahezu umgekehrter Reihenfolge zu zeigen, wechselseitig oder auch gar nicht - it depends ;-)


P.S.: Nicht gegen Kräusenbilder - ich arbeite sehr gerne damit. Gerade ganz am Anfang und am Ende der Hauptgärung - ganz wichtige Indizien. Dennoch sind sie nur ein Mantel, den man in "kritischen oder undurchsichtigen Situationen" aufknöpfen sollte.
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Edith sagt: Ein Wort eingefügt, eines geändert
Danke. So macht das Sinn, und das erklärt mir einiges mehr zu Gärung und Kräusen(-bildern). :thumbup

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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#14

Beitrag von olibaer »

Servus Peter,
gulp hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 09:03 Deinen rechten Pfosten (Endvergärungsgrad), wird eine Hefe wie z.B. die Belle Saison nur bedingt interessieren. Die versetzt den im Vergleich zu anderen Hefen glatt noch mal um 10 bis 15 %. Es kommt schon auch darauf an, welche Zucker eine Hefe verarbeiten kann. Dass nur eine begrenzte Menge an selbigem vorhanden ist ist dabei schon klar, nur verwertet ihn halt jede Hefe anders.
Dass der Einwand kommt, war "sonnenklar" und selbstverständlich nehmen "Übervergärer" eine Sonderrolle ein. Nicht ganz ohne Grund formuliere ich das so:
"...beide stellvertretend als unveränderliche Größen für die Kombination aus Würze und Hefe".

Selbstverständlich wird ein EVG immer mit einer Betriebshefe festgestellt, die auch im Chargenbezug zum Einsatz kommt.
In keinster Weise kommt es darauf an, was Hefestamm an Gärleistung erbringt. Es kommt darauf an, dass "Ergebnislage" vergleichbar bleibt.
Gruss
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#15

Beitrag von Barney Gumble »

Sura hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 07:35
Barney Gumble hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 07:13 [.....]Die Hefe in zweiter Führung ist behaupte ich mal genetisch nicht mehr völlig identisch mit der der ersten Führung. Wieviel Mio. mal gat die sich geteilt und damit auch etwas mutiert? Sicher wird sie ihrer Ursprungshefe noch sehr ähnlich sein aber das ist wie beim Menschen nach zig Mio Jahren, da tut sich genetisch schon was m. E.
Das seh ich nicht ganz so. Es mag zwar durchaus sein das die Hefe nicht mehr ganz die selbe ist wie vorher, aber es wird kaum spontan die Fähigkeit erwachsen längere Zucker zu verwerten. Wie auch? Für Maltotriose, beispielsweise, benötigt die Hefe es ein weiteres Enzym. Wo soll das auf einmal herkommen? Und warum sollte die Hefe bis zur zweiten Führung warten bis sie es benutzt, und nicht schon im Sud vorher?
Und die Zuckerzusammensetzung ist von der Hefe nicht beeinflussbar.

Höhere Vergärungsgrade im "second run" schiebe ich daher auf Ungeduld oder schlechte Bedingungen beim vorhergehenden Ansatz. Wenn es so aussieht, als ob die Hefe beim zweiten Lauf erst so richtig loslegt, dann liegt das wohl eher an einer bereits passierten Mileuanpassung bzw. an gnadenlosem Overpitching durch zu viel Bodensatz. (Wer macht denn hier schon Zählungen vor der zweiten Führung?) ... der EVG wird aber der selbe sein.
Ok, das mit einer evtl Genexprimierung von Maltotriose-Enzymen in zweiter Führung müsste wirklich ein Hefe-Genetiker genauer wissen, da lehne ich mich jetzt nicht weiter aus dem Fenster.
Aber Gegenfrage; wieviel macht die Maltotriose am gesamten EVG aus? Und ab wann macht sich da Gärungs-zeitlich was bemerkbar?
Ich denke trotzdem dass Ihr im Grundsatz recht habt, durch verschiedene, für den Durchschnittshobbybrauer vielleicht nicht ganz steuerbare Variablen kann sich eine sehr große Varianz beim EVG ergeben (vgl. https://hobbybrauer.de/forum/viewtopic.php?t=5237)
Ich wollte nur ein bisschen piesacken wenn es um die Diskussion geht, dass eine Hefe in zweiter Führung genau die gleichen Eigenschaften wie in erster Führung haben soll.
Da gehts eben nicht nur um den EVG..

Vg
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#16

Beitrag von Flothe »

Also Maltotriose macht bis zu 15% des Extrakte einer Würze aus. Von daher hat Maltotriose + oder - schon einen erheblichen Effekt auf den von einer bestimmten Hefe erreichbaren EVG.

Zu der Geschichte mit den Mutationen in zweiter Führung: Vergesst das ganz schnell wieder.

1. Das sind keine Million von Generationen in einem Gärdurchlauf. Wenn wir von einer durchschnittlichen Generationszeit von 4 h und einer Dauer der exponentiellen Phase von 48 h ausgehen, dann sind das gerade Mal 12 Generationen.

2. Die gängigen Reinzuchtstämme sind genetisch sehr stabil. Die Domestizierung selbiger ist schon lange abgeschlossen. Sonst wären sie auch unbrauchbar. Kein Brauer will eine Hefe, dir in Dritter Führung zum Hulk mutiert. Aus dem selben Grund haben die meisten Bierhefen auch die Fähigkeit verloren zu sporulieren, d.h. sich geschlechtlich fortzupflanzen.
Variation in Bierhefen geschieht weniger durch spontane Mutation als durch rare mating mit fremden Hefestämmen - und das auch nur sehr selten, wie der Name schon sagt. Allein schon, weil der Brauer üblicherweise versucht nur einen einzelnen Stamm im Jungbier zu kultivieren.

LG Florian

Jeder Tag ohne Bier ist ein Gesundheitsrisiko.
- Zitat: Hildegard von Bingen in ihrem Buch über Heilverfahren "Causae et Curae"
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#17

Beitrag von Barney Gumble »

Hi Florian.
Super vielen Dank dass Du meine groben Annahmen richtigstellst.
Genauso was brauchen wir im Forum.
Vg
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#18

Beitrag von Flothe »

Barney Gumble hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 22:45 Ok, das mit einer evtl Genexprimierung von Maltotriose-Enzymen in zweiter Führung müsste wirklich ein Hefe-Genetiker genauer wissen, da lehne ich mich jetzt nicht weiter aus dem Fenster.
Aber Gegenfrage; wieviel macht die Maltotriose am gesamten EVG aus? Und ab wann macht sich da Gärungs-zeitlich was bemerkbar?
Ich denke trotzdem dass Ihr im Grundsatz recht habt, durch verschiedene, für den Durchschnittshobbybrauer vielleicht nicht ganz steuerbare Variablen kann sich eine sehr große Varianz beim EVG ergeben (vgl. https://hobbybrauer.de/forum/viewtopic.php?t=5237)
Ich wollte nur ein bisschen piesacken wenn es um die Diskussion geht, dass eine Hefe in zweiter Führung genau die gleichen Eigenschaften wie in erster Führung haben soll.
Da gehts eben nicht nur um den EVG..
An der Stelle finde ich auch einen Gedanken sehr interessant, den ich gerade eben erst im "Brückelmeier" gelesen habe und der natürlich sehr richtig ist:

Während einer ersten Führung exprimieren und produzieren Hefen Maltose- und ggf. Maltotrioseimporter, die vorher nicht zur Verfügung standen. Dadurch kann die Angärung in der zweiten Führung schneller stattfinden, da nicht nur die passiv importierten Zucker (Glucose und Fructose) zur Verfügung stehen, sondern eben auch Maltose und mitunter Maltotriose.

LG Florian

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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#19

Beitrag von Sura »

Flothe hat geschrieben: Mittwoch 28. März 2018, 11:28
Barney Gumble hat geschrieben: Dienstag 27. März 2018, 22:45 Ok, das mit einer evtl Genexprimierung von Maltotriose-Enzymen in zweiter Führung müsste wirklich ein Hefe-Genetiker genauer wissen, da lehne ich mich jetzt nicht weiter aus dem Fenster.
Aber Gegenfrage; wieviel macht die Maltotriose am gesamten EVG aus? Und ab wann macht sich da Gärungs-zeitlich was bemerkbar?
Ich denke trotzdem dass Ihr im Grundsatz recht habt, durch verschiedene, für den Durchschnittshobbybrauer vielleicht nicht ganz steuerbare Variablen kann sich eine sehr große Varianz beim EVG ergeben (vgl. https://hobbybrauer.de/forum/viewtopic.php?t=5237)
Ich wollte nur ein bisschen piesacken wenn es um die Diskussion geht, dass eine Hefe in zweiter Führung genau die gleichen Eigenschaften wie in erster Führung haben soll.
Da gehts eben nicht nur um den EVG..
An der Stelle finde ich auch einen Gedanken sehr interessant, den ich gerade eben erst im "Brückelmeier" gelesen habe und der natürlich sehr richtig ist:

Während einer ersten Führung exprimieren und produzieren Hefen Maltose- und ggf. Maltotrioseimporter, die vorher nicht zur Verfügung standen. Dadurch kann die Angärung in der zweiten Führung schneller stattfinden, da nicht nur die passiv importierten Zucker (Glucose und Fructose) zur Verfügung stehen, sondern eben auch Maltose und mitunter Maltotriose.

LG Florian
Ich bezeifel das es in der Form gemeint ist, daß Hefe vorher irgendwas garnicht konnte, und nun auf einmal kann. Das was beschrieben wird, ist wohl die beschleunigte Milieuanpassung bei weiteren Führungen. Ich sehe jetzt überhaupt nicht, wo da eine Erhöhung des Vergärungsgrades herkommen sollte.
Der Gedanke ist daher wohl eher dem "linken Balken" zuzuordnen.
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#20

Beitrag von Flothe »

Sura hat geschrieben: Montag 2. April 2018, 08:20 Ich bezeifel das es in der Form gemeint ist, daß Hefe vorher irgendwas garnicht konnte, und nun auf einmal kann. Das was beschrieben wird, ist wohl die beschleunigte Milieuanpassung bei weiteren Führungen. Ich sehe jetzt überhaupt nicht, wo da eine Erhöhung des Vergärungsgrades herkommen sollte.
Der Gedanke ist daher wohl eher dem "linken Balken" zuzuordnen.
Keineswegs ist das etwas, was die Hefe vorher gar nicht konnte.

Was ich damit meine ist, dass erst im laufe der "Ersten Führung" die genannten Importer exprimiert, produziert und in die Zellmembranen eingebaut werden. Sie stehen der Hefe also nicht initial zur Verfügung. In diesem Stadium werden zunächst nur die passiv importierten Zucker (Glucose und Fructose) vergoren. Erst wenn diese (weitestgehend) erschöpft sind, kommt es zur Genexpression der genannten Maltose- und Maltotrioseimporter. Hier kann es tatsächlich zu einer regelrechten zweiten Lag-phase kommen, in der die Gärung zum Erliegen kommt oder zumindest verlangsamt wird. In gängigen Bierhefen ist die vermutlich so kurz, dass man das im Gärfervlauf nicht bemerkt. Vielleicht würde man es wahrnehmen können, wenn man stündlich den Vergärungsgrad bestimmte. Wer sich da näher mit beschäftigen möchte, dem empfehle ich die Lektüre des Papers, dessen Abstract ich im Folgenen kurz zitieren möchte:
New AM, Cerulus B, Govers SK, Perez-Samper G, Zhu B, et al. (2014) Different Levels of Catabolite Repression Optimize Growth in Stable and Variable Environments. PLOS Biology 12(1): e1001764. hat geschrieben:Organisms respond to environmental changes by adapting the expression of key genes. However, such transcriptional reprogramming requires time and energy, and may also leave the organism ill-adapted when the original environment returns. Here, we study the dynamics of transcriptional reprogramming and fitness in the model eukaryote Saccharomyces cerevisiae in response to changing carbon environments. Population and single-cell analyses reveal that some wild yeast strains rapidly and uniformly adapt gene expression and growth to changing carbon sources, whereas other strains respond more slowly, resulting in long periods of slow growth (the so-called “lag phase”) and large differences between individual cells within the population.
Weiterhin führt das in einer optional folgenden "Zweiten Führung" dazu, dass die entsprechenden Importer bereits in der Zellmebembran vorhanden sind. Hier kann also Maltose und ggf. Maltotriose von Beginn der Gärung an in das Innere der Zelle transportiert werden und dort in zwei Gluocose-Einheiten zerlegt. Dies führt, wie von Jan beschriebenen, zu einer schnelleren und stärkeren Angärung.

Ob und inwiefern das jetzt zu einem höheren Vergärungsgrad insgesamt führt, will ich hier nicht beurteilen. Ich teile da eher die Auffassung, dass der Endvergärungsgrad von der individuellen Zuckerkomposition der Würze im Zusammenspiel mit der genetischen Ausstattung der verwendeten Hefe ultimativ feststeht. Wie allerdings Letztere ausgenutzt wird, hängt sicherlich auch davon ab, mit welchen "Waffen" die genutzte Hefe auf das Feld tritt und welche sie sich erst noch "schmieden muss" während die Schlacht schon in vollem Gange ist.

LG Florian

PS: Was genau ein "linker Balkon" ist, musst du mir bitte erklären.

Quelle: https://doi.org/10.1371/journal.pbio.1001764

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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#21

Beitrag von Sura »

Ich meinte auch den "linken Balken".... oben wurde ja über den "rechten Pfosten" geredet, da hatte ich die Bezeichnung anders im Kopf als ich geschrieben hatte. :)

Das die Eigenschaften der Hefe sich erst im Laufe der ersten Führung nach der Rehydration ausbilden, kann ich mir allerdings gut vorstellen. Das würde bei einigen Hefen vielleicht auch das berüchtigte feststecken während der Gärung erklären. (Was bei mir aber noch nicht so stattgefunden hatte, zumindest hab ich es nicht bemerkt.)
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#22

Beitrag von Sura »

So, die Proben wurden natürlich auch verkostet. Zuerst von mir zu Hause, und da das Ergebnis so schon unterschiedlich war, wurde das nach ca. 2 Monaten "in der Flasche" zu einer "Qualitätskontrollrunde" mitgenommen. Auch hier wurden die einzelnen Proben sehr unterschiedlich beurteilt.
Leider sind die Notizen beim aufräumen irgendwie verschütt gegangen.

Mein Gedächtnisprotokoll sagt mir, daß für Versuch 1 (das Rätsel) der Starter als insgesamt die beste Version interpretiert wurde, und die Würzerehydration als die schlechteste. Unterschiede waren vorhanden, aber alles soweit im Rahmen.
(Leider wurde durch meine Dusseligkeit die Version für das rehydrieren in H2O nicht abgefüllt.... :Ahh )

Für den Versuch 2 (kein Rätsel) war das rehydieren in Wasser und das underpitchte bei den meisten weit vorne. Allerdings war hier der Eindruck stärker abweichend, und die Runde war sich insgesamt ziemlich uneins.

Nun, nach gut fünf Monaten habe ich nochmal einen warmen und einen kalten Probensatz verköstigt. Bei Versuch 1 sind kaum noch Unterschiede zu erschmecken. Bei Versuch 2 ist das underpitchte und das in Wasser rehydrierte am gefälligsten, aber das kann man nur im direkten Vergleich rausbekommen. Der Unterschied ist nur noch marginal.

Für mich mitgenommen:
Wenn man ein Bier braut, was schnell getrunken werden sollte, dann muss man der Hefe das beste Umfeld bieten was man hinbekommt. Wenn es älter werden darf, räumt die Hefe ihre Probleme zwar langsam, aber stetig auf. Und am Ende passts wieder. Grobe Fehler bleiben als Nuance erhalten.

Notiz am Rande:
Die Kombination von Versuch2 schmeckt mir überhaupt nicht. Willamette ist für ein malziges Ale ein gruseliger Hopfen. Andere fanden das allerdings nicht so.... die Kombination von Versuch 1 ist nach 5 Monaten ein eher malziger Crowdpleaser der niemandem weh tut.
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#23

Beitrag von roedaal »

Ich möchte mich nur mal kurz melden, um mich sehr herzlich zu bedanken für all Eure Arbeit und Experimente. Lese wie ein besessener durchs Forum die letzten Tage und Wochen und kann es kaum fassen, was ich da an Expertise so zu mir nehme!

Liebe Grüße aus Wien, Chris.
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Re: Gärung mit Trockenhefe, Teil2, kein Rätsel

#24

Beitrag von cyme »

Sura hat geschrieben: Sonntag 22. Juli 2018, 21:52 Für mich mitgenommen:
Wenn man ein Bier braut, was schnell getrunken werden sollte, dann muss man der Hefe das beste Umfeld bieten was man hinbekommt. Wenn es älter werden darf, räumt die Hefe ihre Probleme zwar langsam, aber stetig auf. Und am Ende passts wieder. Grobe Fehler bleiben als Nuance erhalten.
Für Flaschenabfüller wie mich sehe ich noch einen wichtigen Punkt in deinem Versuch - die "3 Tage keine Änderung"-Regel könnte täuschen. Die grüne Kurve z.B. sinkt ab ca 3,5 Plato nur sehr langsam. So langsam, dass ich mit meiner Hobbyspindel möglicherweise die letzen 0.5P als "konstant" missverstehen könnte (hier fehlen die Messerwerte, aber ich gehe nicht von einer erneuten Beschleunigung des Gärverlaufs aus). Ich bleibe daher bei meiner Angewohnheit, immer eine überpitchte Schnellgärprobe zu machen, um zu wissen welchen Restextrakt ich am Ende erwarten darf.

Zumindest erklärt dein Versuch, wie die Erfahrungswerte im Forum zwischen "nach 4 Tagen abgefüllt" und "nach 2 Wochen schleicht die Gärung immer noch vor sich hin" schwanken können. :thumbup
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