Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

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Gimplbrauer
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Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#1

Beitrag von Gimplbrauer »

Dass man nach der Hauptgärung das Bier reifen lassen sollte ist hier sozusagen Allgemeinwissen.
Was die Lagerdauer betrifft sollte i.d.R. Obergärigeres kürzer und Untergäriges länger gelagert werden.
Natürlich spielt dabei der Alkoholgehalt eine Rolle nach dem Prinzip: Je mehr "% " desto länger die Lagerzeit.
Die Reifetemperatur ist ebenfalls ein sehr wichtiger Faktor.
Soweit so gut.

Aber was wird denn eigentlich in geschmacklicher Hinsicht durch die Lagerung besser?
Bauen sich Fehlaromen ab, entstehen neue Geschmackselemente, wird das Bier komplexer, entwickelt sich der Geschmack "sortenreiner", baut sich "Körper" auf?
Und wenn das alles so wichtig ist warum gibt man dann keine "Mindestreifezeit/-Temperatur" in den Rezepten an?
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Sura
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#2

Beitrag von Sura »

Reifung geht irgendwann in Alterung über. Der Zeitpunkt ist sehr individuell auf deinen Ablauf beim brauen und abfüllen bezogen, das kann man schlecht vorhersagen.
Ausserdem ist es sehr individuell wann man selbst meint das der perfekte Zustand erreicht ist, und wann dir etwas schmeckt. Ich habe von einem Braukollegen hier einen Bock getrunken den ich (zu) frisch ganz fantastisch fand. Andersrum hatte ich mal ein hopfengstopftes PaleAle, welches mir erst nach einem halben Jahr "Endlagerung" bei knapp 18°C schmeckte.....
"Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem."
(Karl Valentin)
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Boludo
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#3

Beitrag von Boludo »

Das ist alles viel zu komplex, um es mit einfachen Regeln zu beschreiben.
Wenn jemand z.B. ein Pale Ale mit viel Sauerstoff abfüllt, dann ist es unter Umständen schon nach 3 Wochen hinüber. Ein anderer gibt sich da mehr Mühe und hat nach 4 Wochen das perfekte Bier. Da bringt dann eine Angabe im Rezept nicht viel, nur mal so als Beispiel.
Dann hat noch jeder ein anderes Wasser, was sich z.B. auf die Bitterstoffausbeute stark auswirkt, und das eine Pils ist dann nach 4 Wochen rund, wo das andere nach 4 Monaten gut ist.
Ziel sollte aber keinesfalls sein, Fehlaromen abzubauen, sondern Jungbieraromen. Fehlaromen sollte man von vorne herein vermeiden.

Stefan
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Tozzi
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#4

Beitrag von Tozzi »

Im aktuellen BeerSmith Podcast erklärt John Palmer ein paar der wichtigsten Zusammenhänge recht gut:
https://youtu.be/MnP69vAKIeE

Anders verhält es sich z.B. mit den Röstaromen in stärkeren Schwarzbieren (Porter, Stout) und anderen, langwierigeren, komplexeren Vorgängen, aber das war glaube ich nicht Deine Frage.
Viele Grüße aus Fasano
Stephan
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Felix83
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#5

Beitrag von Felix83 »

Hochinteressant, wie er erklärt, dass man sich durch suboptimale Gärführung bei Kalthopung wieder Diacetyl einfangen kann, wegen dem O2 im Stopfhopfen.
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#6

Beitrag von Tozzi »

Fand ich auch. Dass der Stopfhopfen nebst O2 auch Amylasen einbringt bzw. einbringen kann, war mir völlig neu.
Erklärt aber meine Beobachtungen (auch belegt durch die iSpindel).
Viele Grüße aus Fasano
Stephan
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Gimplbrauer
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#7

Beitrag von Gimplbrauer »

Danke für die Antworten.
Die Brauwelt ist eben komplizierter als man wahrhaben möchte.
Letztendlich muss man die Erfahrungen selber sammeln, oder nicht?
Vielleicht könnte man trotzdem die eigenen Erfahrungen weitergeben und entsprechende Rezepthinweise zur Reifung mitliefern.
Beispiel:
Lagertemperatur: +2 Grad
Trinkbar nach 4 Wochen, optimal zwischen 8-16 Wochen.
Ja, ich habe schon verstanden dass es jede Menge Einflussfaktoren gibt.
Aber entsprechende Hinweise wären immer noch besser als gar keine Informationen, oder sieht das jemand anders?
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#8

Beitrag von emjay2812 »

Gerade für Anfänger lohnt es sich, jede Woche eine Flasche zu öffnen.
Am Besten mit einem Notizzettel dabei, worauf man notiert, wie das Bier (subjektiv) schmeckt.

Dann bekommt man langsam ein Gespür für die Entwicklung von Aromen.
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Tozzi
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#9

Beitrag von Tozzi »

emjay2812 hat geschrieben: Mittwoch 4. April 2018, 19:15 Gerade für Anfänger lohnt es sich, jede Woche eine Flasche zu öffnen.
Am Besten mit einem Notizzettel dabei, worauf man notiert, wie das Bier (subjektiv) schmeckt.

Dann bekommt man langsam ein Gespür für die Entwicklung von Aromen.
Das sehe ich ganz genauso. Ist der beste Tipp, den man da geben kann.
Und, wie John Palmer auch sagt, Geduld.

Noch ein paar sehr subjektive Erfahrungswerte, da Du fragst:
  • Zweite Gärung in der Flasche: Nach Abschluss (Zieldruck laut Manometer erreicht): 1 Woche warten (warm), kaltstellen 2 Wochen.
  • Keg, obergärig: Karbonisieren, 2 Wochen warten (warm), kaltstellen (1 Woche).
  • Untergärig: Bei Zieldruck noch 1 Woche warten (warm), besser zwei, dann 2 Wochen (sehr) kalt stellen
  • IPA etc. (Hopfenaromen), helle Biere mit ca. 6% Alkohol oder weniger: Innerhalb 3 Monaten trinken
  • Alles über 7% Alkohol (Vol.): Aufheben, wird immer besser. Es sei denn, gestopft, dann evtl. siehe oben.
  • Röstige Platobomben: 6 Monate bis 1 Jahr aufheben und vergessen. Nicht kühlen, aber kühl lagern (Keller).
    Aus "brenzlig" wird "Kakao".
YMMV. Ausprobieren. :Drink
Sehr subjektiv dahingeschrieben.
Viele Grüße aus Fasano
Stephan
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#10

Beitrag von Kajo73 »

Ich hab im letzten Sommer (Anfang August) das OG Märzen aus Mmum nachgebraut. Zwei Wochen HG im Gärbottich, zwei Wochen NG in der Flasche. Danach 4 Wochen kalt (Kühlschrank). Dann haben wir nach 4 Wochen Lagerung den größten Teil davon getrunken. (also ich braue in der 20 Liter Klasse, es blieben also noch genau zwei 1-Liter Bügelflaschen übrig) Die hab ich dann rund drei Monate später getrunken, also rund 5 Monate nach dem Brautag, und sie wurden die ganze Zeit kalt gelagert (Kühlschrank). Was soll ich sagen, das war eine Offenbarung! Seitdem lagere ich meine Biere etwas länger. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich sehr selten Hopfenstopfen mache.
Weitere Beobachtungen (vielleicht auch nur geschmackliche Empfindungen meinerseits):
Hefe in der zweiten, dritten, vierten... Führung, machen ein Bier eher geschmacklich rund... bei meinen OG Ales hab ich da den Zenit ungefähr bei 6 Wochen Lagerung, also ca 2-2,5 Monate nach Brautag.
Zweitens, ich hab das Gefühl, je größer der Behälter, in den das Bier abgefüllt wird, desto runder wird der Geschmack... Also 1-Liter Bügelflasche schmeckt besser als aus einer 0,33 L Pulle... keine Ahnung, warum ich das so schmecke. Gibt´s vielleicht keine Erklärung für!?

Gruß
Kay
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Tozzi
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#11

Beitrag von Tozzi »

Je größer das Gebinde, desto "runder", aber auch langsamer der Reifeprozess.
Das betrifft aber nicht die "Standard" Reifung, bei der vor allem Azetaldehyd und Diazetyl eliminiert werden sollen.
Das ist dann die komplexere Reifung, die auch beim Wein stattfindet.
Da zeigt sich immer wieder, dass eine Magnum Flasche (1,5 L) nach einigen Jahren die besseren Resultate liefert.
Warum? Keine Ahnung. Hat wohl (wieder mal) mit dem Sauerstoff zu tun.
Und Säuren, die (katalytisch?) mit dem Alkohol reagieren und somit Ester produzieren.

Mein "Black Clover" Triple Porter(?) schmeckt direkt nach der Abfüllung nach verbranntem Stroh, nach einem Jahr im 19 Liter Keg dominiert die Kakao Note und es wird kompatibel unter anderem zum Geschmack der Schwägerin.
Was da genau passiert ist schwer nachzuvollziehen.
In dem Fall spielt der Alkohol eine große Rolle, beim Rotwein auch die Gerbsäure:

Ein Volnay erreicht seinen Höhepunkt nach spätestens 10 Jahren und geht dann schnell den Weg alles Irdischen; einen Château Pontet-Canet kann man aber meist frühestens nach 20 Jahren überhaupt erst trinken, ohne dass sich die Haut von der Zunge schält...
Viele Grüße aus Fasano
Stephan
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#12

Beitrag von Kajo73 »

Stephan, vielleicht macht eine größere Flasche auf uns auch einfach nur einen harmonischeren Eindruck :-)))))

Gruß Kay
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#13

Beitrag von Tozzi »

Kajo73 hat geschrieben: Mittwoch 4. April 2018, 21:57 Stephan, vielleicht macht eine größere Flasche auf uns auch einfach nur einen harmonischeren Eindruck :-)))))
Das stimmt, den Faktor sollte man nicht vernachlässigen... :Wink
Aber mit der Einschätzung stehe ich nicht alleine (auf Wein bezogen).
Viele Grüße aus Fasano
Stephan
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#14

Beitrag von §11 »

Sehr vereinfacht, Junbierbukettstoffe bauen sich an, Bukettstoffe auf :Wink

Zusammengefasst für einige Stoffe und Aromen:
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:Bigsmile

Gruß

Jan
„porro bibitur!“
Die Seite zum Buch "Bier brauen" https://www.jan-bruecklmeier.com/
Die Seite zur HBCon https://heimbrauconvention.de/
https://headlessbrewer.wordpress.com/
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#15

Beitrag von Ursus007 »

Hab mal gelesen, dass bei dunklen, starken Bieren mit Flaschengärung (Hefe), die Autolyse-Produkte (Zerfall, Zersetzung der toten Hefe) auch einen Einfluss haben. Kann ich mir gut vorstellen.

Mein Dark Impact war nach dem Brauen sehr hopfendominant, nicht unbedingt im positiven Sinne. Nach weit über einem Jahr Lagerung war es aber richtig gut, rund, lecker.

Falls Du kochst, weißt Du, dass in einer Soße die Richtungen salzig, süß und sauer ausgewogen sein müssen. Aber wenn man Salz, Zucker und Essig mit Wasser verkocht, wird noch lange keine gute Soße draus. Da fehlt was zwischen den 3 Säulen. So isses auch mit Jungbier: Du hast da Bittere, etwas Malzsüße und Blumigkeit/Fruchtigkeit/Kräuternoten. Aber dazwischen fehlt was. (Daher ist "geschmackloses" Jungbier vor der Abfüllung kein Kriterium für geschmackloses Bier nach der Reifung. :Grübel ) Die geschmacklichen Lücken füllen sich dann im Laufe der Reifung. Aber, wie oben schon erwähnt wurde: Auch da gibt es ein Optimum, irgendwann geht's auch wieder bergab.

Versuch doch mal, ein Schneider "Vintage Aventinus" (2 oder mehr Jahre gelagert) und ein "frisches" zu bekommen. Ich glaub, da kommt man hier in DE am ehesten ran. Und mach mal eine Vergleichsverkostung. Wird sicher interessant.

Hab gerade gestern ein vor 3 Wochen selbst ausgefrorenes Eisbock, gestopft mit Gartenhopfen und Fichtenspriessern, probiert. Nach kurzem Nippen hab ich es weggeschüttet. Furchtbar penetrant und untrinkbar. Das wandert jetzt erst mal in den Kellerschrank ganz nach hinten. Mal sehen, was in einem Jahr draus geworden ist.

Ursus
Zuletzt geändert von Ursus007 am Donnerstag 5. April 2018, 09:38, insgesamt 1-mal geändert.
Aus der Kehle dringt ein Schrei:
Schütt's nei, schütt's nei!
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Sura
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Re: Geschmacksveränderungen durch Reifeprozess

#16

Beitrag von Sura »

Passend zu dem Thema, und weil mir das schon ein paarmal bei älteren Hobbybrauer-Bieren (nicht nur von mir) aufgefallen ist:

Irgendwann bilden sich in manchen Bieren anscheinend schlammige Ablagerungen. (Ich meine nicht die Hefe! Ich weiss wie so ein Bodensatz aussieht....) Wo kommt das her? Aufgefallen ist mir das jetzt bei mindestens drei Bieren. Bei dem was von mir kam war es das Kürbisbier nach ca. 4 Monaten. Da hats mich in sofern nicht gewundert, weil da ja alles mögliche im Gäreimer landet, und es sich um ein paar vergessene Flaschen handelte die im Warmen standen. Die anderen beiden waren allerdings grundverschieden. (hell, dunkel, stark, leicht)
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