Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

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Morgenkröte
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Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#1

Beitrag von Morgenkröte »

Hallo zusammen,
ich möchte mein Untergäriges bei möglichst exakt 50% sEvG auf eine Temperatur von ca.14°C bringen. Bei MMUM und der Mügelland-Brauerei gibt es ja hilfreiche Tools zur Berechnung und Größenumrechnung. Nur liefern die sehr stark auseinanderlaufende Zahlen. Ich habe eine Ausgangsstammwürze von 13.7 Brix. Ich habe im Tool von MMUM (Refraktometerrechner) als geschätzten Zielwert 10 Brix eingegeben. Das Tool liefert nach der Terrill-Formel 57% und nach der Standardformel 42% sEvG. Dasist schon mal eine Spreizung von 15%.
Bei der Mügelland-Brauerei gebe ich in den Rechner zum Vergärungsgrad die in °P umgerechneten (Tool Umrechnungen dort) Werte 13.2 und 9.62 ein und erhalte einen scheinbaren Vergärungsgrad von 27%. Beim Tool Refraktometerkorrektur mit gemischter Plato- und Brixeingabe komme ich auf 56% sEvG, was ungefähr der Terrill-Formel bei MMUM entspricht.
Ich ahne, dass ich irgendwelche Größen verwechsle, komme aber nicht drauf. Kann mich jemand aufklären?

Gruß von
Bendix
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#2

Beitrag von skappler »

Du verwechselst da nichts. Die Standard- und die Terrillformel liegen, je nach Bereich, wirklich so weit auseinander. Wenn du dir die Formeln mal ansiehst, ist die Standardformel ein Polynom dritten Grades und die Terrillformel eine lineare Funktion. Daher ist die Abweichung nicht an alles Punkten gleich.
Auf der Seite von Sean Terrill hat er das nochmal genauer erläutert, und auch die Präzision der einzelnen Formeln verglichen. Seine eigene Formel schneidet dabei am besten ab. Deswegen hat die sich auch als neuer Standard etabliert und wird bei Müggelland verwendet.

Auf die 27% bist du gekommen, da bei der Berechnung die Alkoholkorrektur komplett fehlt. Den Wert kannst du vergessen
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§11
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#3

Beitrag von §11 »

Nein du verwechselst nichts. Um es kurz zu machen, du verwendest das falsche Messinstrument. Damit meine ich nicht dich persoenlich, sondern das Messprinzip des Refraktometers. Das ist fuer reine Zweistoff- Gemische gemacht. Nun entsteht in der Gaerung Alkohol und der bringt das System durcheinander. Man nutzt nun verschiedene Formeln, die alle empirisch (also durch Versuche) entstanden sind. Alle diese Formeln bilden die Realitaet nicht 100% nach sondern nur in einer Naeherung. Wie nahe liegt sehr oft am gemessenen Bereich und deshalb unterscheiden sich die Ergebnisse.

Hier legt Terille zum Beispiel aus wie er sich naehert und auch das sich die Abweichung mit dem Extraktgehalt aendert. http://seanterrill.com/2011/04/07/refra ... g-results/

Schoene Gruesse

Jan
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#4

Beitrag von §11 »

Und weil wir schon beim Klugscheissen sind, was du berechnest ist der scheinbare Vergaerungsgrad sVG, vielleicht noch den Ausstossvergaerungsgrad am Ende. Der Begriff Endvergaerungsgrad ist nur dem VG der endvergorenen Schnellvergaerprobe im Labor vorbehalten.

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brauflo
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#5

Beitrag von brauflo »

skappler hat geschrieben: Dienstag 28. April 2020, 17:04 Seine eigene Formel schneidet dabei am besten ab. Deswegen hat die sich auch als neuer Standard etabliert und wird bei Müggelland verwendet.
Ich habe irgendwann mal abgespeichert, daß je näher man dem sEVG kommt, die Standardformel genauere Werte liefert.
Für das ausgegorene Jungbier verwende ich daher die Standardformel...

Habe ich das richtig im Kopf?
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... wollte ich immer schon mal machen...


Meine Vorstellung:
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#6

Beitrag von Morgenkröte »

Dann bin ich also für meinen Zweck am besten bei Terrill und MMUM aufgehoben. Das ist ja schon Mal eine gute Orientierung.
Was das Refraktometer als Krücke angeht, wird die Spindel da doch auch nicht besser sein, oder? Auch bei der Dichte sind Zucker und Alkohol (und vielleicht noch Kohlensäure) sicher Gegenspieler, oder?
Gruß
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#7

Beitrag von bwanapombe »

Gasbläschen müssen vor dem Ablesen der Spindel "abgedreht" werden. Alles andere ist beim scheinbaren VG eingerechnet.
Stay thirsty!
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#8

Beitrag von skappler »

brauflo hat geschrieben: Dienstag 28. April 2020, 17:31
skappler hat geschrieben: Dienstag 28. April 2020, 17:04 Seine eigene Formel schneidet dabei am besten ab. Deswegen hat die sich auch als neuer Standard etabliert und wird bei Müggelland verwendet.
Ich habe irgendwann mal abgespeichert, daß je näher man dem sEVG kommt, die Standardformel genauere Werte liefert.
Für das ausgegorene Jungbier verwende ich daher die Standardformel...

Habe ich das richtig im Kopf?
Genau weiß ich das leider auch nicht. Die Infos auf der Seite von Sean scheinen da auch etwas widersprüchlich. Im Artikel zur ursprünglichen Motivation schreibt er zur Standardformel
The main variable of concern seems to be the attenuation of the beer; the greater the attenuation, the larger the discrepancy.
Im aktuellsten Artikel mit der zur Zeit "anerkannten" Formel schreibt er aber
So it seems that – with the exception of very low-attenuating worts – either of the new correlations can provide accuracy and precision on par with the consumer-grade hydrometers typically used by home brewers.
Das einzige was ich da raus lesen kann ist dass bei hohen EVGs die Standardformel stark abweicht, alle andern Formeln aber noch schlimmer abweichen. Ich kann jetzt aus den Daten leider nicht rauslesen ab welchem EVG die Standardformel besser wird. Die Rohdaten auf denen die Berechnungen basieren gibts leider auch nicht.

Edit: In 2 Kommentaren geht er noch näher darauf ein: Die EVGs aus dem Datensatz auf dem die Formel beruht lagen zwischen 73% und 91%. Die Formel sei also in diesem Bereich am präzisesten. Im andern Kommentar schreibt er dann noch, dass laut seinen anfänglichen Experimenten die Standardformel im Bereich um 70% am präzisesten ist, und dass die neue Formel in dem Bereich keine große Verbesserung bringt.
Wirklich schlauer, wie das alles zusammen passt, werd ich dadurch aber auch nicht.

http://seanterrill.com/2011/04/07/refra ... omment-833
http://seanterrill.com/2011/04/07/refra ... omment-701
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brauflo
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#9

Beitrag von brauflo »

Danke für die Mühe, Sebastian!
Dann werde ich mich künftig tendenziell eher der Terrill-Formel bedienen...
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Meine Vorstellung:
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#10

Beitrag von olibaer »

brauflo hat geschrieben: Dienstag 28. April 2020, 17:31 Ich habe irgendwann mal abgespeichert, daß je näher man dem sEVG kommt, die Standardformel genauere Werte liefert.
Für das ausgegorene Jungbier verwende ich daher die Standardformel...
Habe ich das richtig im Kopf?
Es ist genau umgekehrt. Sie hier. Absätze "Hintergrundinformation" und "Richtigkeit und Präzision".
skappler hat geschrieben: Dienstag 28. April 2020, 17:58 Im aktuellsten Artikel mit der zur Zeit "anerkannten" Formel schreibt er aber(Terrill)
So it seems that – with the exception of very low-attenuating worts – either of the new correlations can provide accuracy and precision on par with the consumer-grade hydrometers typically used by home brewers.
Und Terrill schreibt dort weiter:
In situations where the FG needs to be known precisely, testing with a properly calibrated precision hydrometer remains the best option.

Zusammenfassend nimmt Terrill für den hier besprochenen Fall (VGs 50% = very low-attenuating worts) seine eigene Formel aus der Schusslinie und empfiehlt stattdessen mit der Spindel zu messen (... hydrometer remains the best option.).

Ich denke, dass zwischen 40 - 65(70) VGs[%] die Standardformel die bessere Wahl ist und erst wenn die Gärung in Richtung Endvergärung läuft, die Terrill-Formel ihre Stärken ausspielen kann.
Weshalb er aber für low-attenuating worts weder die eine noch die andere Formel empfiehlt, sondern stattdessen die Spindel, soll das Beispiel zeigen.

Die Beispielwerte stammen aus der Anfrage in #1:
Brixwerte bei einem VGs von 50% nach Terrill- und Standardforml bei einer Stammwürze von 13,3°P(13,7°Brix)
Brixwerte bei einem VGs von 50% nach Terrill- und Standardforml bei einer Stammwürze von 13,3°P(13,7°Brix)

Für identische Ergebnisse innerhalb der Bieranalyse(Es, VGs, Alc.,...) weichen die korrespondierenden Brixwerte für den aktuellen Es[%] um satte 1,7°Brix ab. An dieser Stelle besteht für den Refraktometer-Anwender keine wirkliche Chance herauszufinden, welcher Brixwert denn nun einem VGs[%] von 50% entspricht.

Zitat Jan in Post #3 zu diesem Thema:
Nein du verwechselst nichts. Um es kurz zu machen, du verwendest das falsche Messinstrument. Damit meine ich nicht dich persoenlich, sondern das Messprinzip des Refraktometers.
Man darf festhalten, dass die Refraktometermessung für Teilverorgenes (Jungbier) einfach nicht geeignet ist. Alle Nachteile des Messinstruments bzw. des Messprinzips scheinen sich an dieser Stelle zu vereinen. Dieser Meinung sind selbst die, die die Formelwerke zur Ergebnisberechnung entwickelt haben.

Wer seine Gärführung entlang des Vergärungsgrades steuern möchte(-> "... bei VGs 50% Kühlung zu"), dem sei zur Bestimmung der Stammwürze kurz vor dem Anstellen und zur Ermittlung des Es[%] während der Hauptgärung eine Spindel empfohlen.

Im Umgang mit der Spindel, taucht dann gerne diese Frage auf:
Bei welchem Spindelwert Es[%] ist denn der VGs X% erreicht ?

Dazu stellt man die Formel zur Berechnung des Vergärungsgrades VGs[%] nach dem Es[%] um.

VGs[%] = (°P - Es[%])/°P x 100
->
Es[%] = °P x ( 1 - VGs[%]/100)

Die Beispielwerte aus #1:
°P = 13,3
VGs[%] = 50 % (-> z.B. "Temp auf 14°C ansteigen lassen")

Bei welchem Spindelwert Es[%] ist der VGs von 50% erreicht ?
Es[%] = 13,3 x ( 1 - 50[%]/100) = 6,65 %
Gruss
Oli
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#11

Beitrag von skappler »

Okay das erklärt meine Verwirrung. Ich hab aus very-low attenuating irgendwie einen sehr hohen EVG abgeleitet. Ist natürlich Quatsch. So ergibt das alles Sinn.
Vielen Dank für die Erläuterung.
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brauflo
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#12

Beitrag von brauflo »

Ja, Oli,
vielen Dank für die wieder einmal ausführliche und differenzierte Erläuterung!

:thumbup
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#13

Beitrag von Morgenkröte »

Nun wüsste ich doch gerne noch, warum die Spindel zuverlässiger ist. Die Schwierigkeit der Refraktometernessung liegt doch sicher darin begründet, dass Alkohol Licht schwächer bricht als Wasser, Zuckerlösung jedoch höher, weswegen der Brixwert bei Vergärung viel stärker abnimmt, als das dem Zuckergehalt des Jungbiers entsprechen würde.
Bei der Spindel müsste das doch -bezogen auf die Dichte- ähnlich verfälschend sein.
Warum ist die Spindel dennoch das bessere Messinstrument?
Gruß von
Bendix
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Re: Verwirrung bei Tools zur Berechnung des sEvG

#14

Beitrag von bwanapombe »

Eine Spindel misst die Dichte und und so den scheinbaren Extrakt. Damit arbeiten die Brauer und Formeln brauchen nichts anderes.

Dirk
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