Gebetsmühlenartig ist (vor allem aus Richtung Düsseldorf) zu hören/lesen, dass Altbier „Alt“ heißt, da es nach „alter“ Brautradition gebraut wird, nach landläufiger Meinung heißt dies obergärig (Dornbusch etc).
Bekannterweise wurden vor Linde im Norden alle Bierstiele obergärig gebraut. Kalte Lagerung wie beim heutigen Alt war über das gesamte Jahr gesehn nicht zu gewährleisten. Was machte also ein "traditionelles" Altbier vor Mitte des 19. Jahrhundert aus?
Kleine Quellensammlung Münster betreffend:
Diverse Quellen unterscheiden beim Bier aus Gerstenmalz und Hopfen nach Frisch- und Alt- Bier, der Oberbegriff lautet Hefe(n)bier oder Gestbier, [2]:
hierzu Krumbholz, 1898 [3]:cerevisia – cerevisia Saxonica: mnd. gestbēr, gessbeir, N.: nhd. Hefebier
hierzu schreibt Grewe, 1907 [1]:Dem Kapitel De potus generibus, daß der Humanist Murmellius in seiner »Pappa« [Anm.: veröffentlicht 1513] diesem Gegenstand widmet, läßt sich folgendes entnehmen. Murmellius unterschied 1) »cerevisia, bier« 2) »cerevisiola, dun bier of scherber«, 3) »cerevisia secundaria, convent«. 4) »cerevisia monasteriensis, grussink«, 5) »cerevisia saxonica», gest bier«, 6) »cerevisia bathavica, keut«.
Die zweite Sorte, das Gest-Bier, wird Hefen-Bier gewesen sein und wahrscheinlich dem heute noch in Münster üblichen Altbier und Frischbier entsprochen haben. (S. 199)
und weiterNeben dem Grüsink, Gestbier und Koit führt der Humanist Murmellius (vgl. Kbümbholtz, Gewerbe Münsters S. 198) bei der Aufzählung der ehemals in Münster in Mode gewesenen Biere auch drei andere auf, nämlich „cerevisia", „cerevisiola" und „cerevisia secundaria". Hierunter sind jedoch keineswegs besondere Biersorten zuvermuten. Cerevisia ist der lateinische Name für das Gestbier, während die beiden anderen dasselbe bedeuten, und zwar aus den Malztrebern hergestelltes Nach- oder Dünnbier jeglicher Art. (S. 38)
Berthold,1892 [4]:Bis etwa 1480 trank man in der Hauptsache nur den Grüsink. Neben ihm wurden immer auch einige Gebräu Gestbier (Hefenbier) gebraut. Dieses Bier ist das erste einheimische reine Hopfenbier. Das Gestbier aber hat sich erst in späterer Zeit, etwa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, größerer Beliebtheit erfreut. Es wird noch heute in Münster unter dem Namen Alt- oder Frischbier viel getrunken. Zu einem Gebräu Gestbier von 12 Tonnen gehörten nach einer Bierordnung von 1538 4 Malter Gerstenmalz und 9 Scheffel Hopfen.4) Von einer Verdrängung des Grüsink durch das leichte obergährige Gestbier kann ebenso wenig die Rede sein, wie von einer ernsten Konkurrenz auswärtiger Hopfenbiere. (S. 38)
"Frist off Alt?" (Fisches oder altes Bier?) lautet die Frage des Wirthes, hingeworfen in einem Ton, als würde uns Losung oder Feldgeschrei abgefordert. "Alt!" klingt unserseits die Losung. [...] Dem Beispiele der Kenner folgend, halten wir das mit einem kurzen "Gefällig" uns vom Wirthe gereichte Glas prüfend gegen die Flamme des Lichtes, um uns von der Klarheit des Getränkes zu überzeugen, werfen einen zweiten Blick auf den Schaum, ob er auch weiß wie Milch am Glase hafte, und kosten dann bedächtig den goldig braunen, weinsäuerlichen Trank. (S. 88f)
In Chemie der menschlichen Nahrungs und Genussmittel von König (1903) findet man für Altbier aus Münster für die Jahre 1883-1901 folgende Daten [5]:
-> ca. 4500 ppm (mg/L) Milchsäure / 150-850 ppm (mg/L) Essigsäure (belgische Braunbiere haben wohl bis zu 1600ppm oder mehr [6])„Altbier" aus Münster i. W.: 4,4 Gew% Alc., ca. 0,453% Milchsäure, 0,015 - 0,085% Essigsäure
Es wird also unterschieden zwischen Frisch- und Alt- Bier (der Kunde kann wählen), ähnlich wie aus England (stock/vatted und mild beer) bekannt und in Belgien (Bière de Coupage) ebenfalls praktiziert. Das vergleichsweise warm „gereifte“/gelagerte Altbier hat wohl wie aktuelle Biere bspw. von Rodenbach eine lange Nachgärung durchlaufen. Schönfeld beschreibt in Obergärige Biere und ihre Herstellung (1938, S. 159) einen Fall, in dem ein Münsteraner Altbier nach einjähriger Lagerung durch Pediokokken "dickschleimig"/lang geworden war.
Vielleicht hat jemand Anmerkungen oder Quellen für weitere Städte. Interessant wäre auch zu wissen, ob Alt und Frischbier wie in England und Belgien verschnitten oder immer seperat getrunken wurden.
Quellen:
1. Grewe, Josef - Das Braugewerbe der Stadt Münster - Teil 1 Dissertationen (1907)
2. http://www.koeblergerhard.de/mnd/2A/mnd_lat.html
3. Krumbholz, Robert - Die Gewerbe der Stadt Münster bis zum Jahre 1661, aus Publicationen aus den Preussischen Staatsarchiven - Siebzigster Band (1898), https://archive.org/stream/publicatione ... /mode/2up/
4. Berthold, Theodor - Ein münsterisches Altbierhaus., aus Lose Blätter aus dem Münsterlande und von der Nordsee (1892), https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/ ... ew/1592706
5. König - Chemie der menschlichen Nahrungs und Genussmittel 4Auflage Band1 (1903); https://archive.org/stream/chemiedermen ... 8/mode/2up
6. Snauwaert - Microbial diversity and metabolite composition of Belgian red-brown acidic ales (2016)
Gestbier wird ebenfalls erwähnt in:
Schulte, Aloys - Vom Grutbiere. Eine Studie zur Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte aus Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere die Alte Erzdiözese Köln, Fünfundachtzigstes Heft, (1908) http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ih ... re/8080169