Verständnisfragen Acetaldehyd

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DerDerDasBierBraut
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Verständnisfragen Acetaldehyd

#1

Beitrag von DerDerDasBierBraut »

Ich habe gerade das frisch ausgegorene Jungbier meines Maibocks probiert. Das hat noch mächtig Jungbierbouquet, was für mich erstmal OK ist.
Dominierend ist Acetaldehyd. Ich habe etwas recherchiert, wie ich den Abbau beschleunigen kann. Nur zur Forschung. Ich habe es nicht eilig mit dem Bier und bis Mai ist noch Zeit.

Einige Wissende schreiben, dass Acetaldehyd durch lange Kaltreifung bei sehr niedrigen Lagertemperaturen verschwindet. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Andere empfehlen Aufkräusen mit frischer Hefe und eher wärmere Temperaturen. Klingt auch einleuchtend.
Was wäre denn effektiver?

Bei der Kaltreifung um 0°C wird die Hefe bei der ersten Variante vermutlich kaum eine Rolle beim Abbau spielen. Nur... wie wird das Acetaldehyd denn dann in Ethanol umgewandelt? Und woher wird der dafür benötigte Wasserstoff genommen?
Oder anders herum ... Woher nimmt die Hefe beim Aufkräusen und dem warmem Abbau des Acetaldehyds den Wasserstoff?

Keine Fangfragen. Ich versuche es nur zu verstehen....
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Commander8x
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#2

Beitrag von Commander8x »

Die letzte Frage kann ich dir immerhin beantworten. Die so genannten Redoxäquivalente entstehen im Energiestoffwechsel der Hefe. Sie sind das Ziel der Gärung, wo aus Zuckern die "Energiewährung der Zelle", das ATP, gewonnen wird.
Das läuft aber nicht wie bei einer Brennstofzelle, sondern über die Weitergabe von reduziertem Wasserstoff durch eine Kette von aufeinander folgenden Reduktionsreaktionen.

Gruß Matthias
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JackFrost
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#3

Beitrag von JackFrost »

Acetaldehyd wird durch Reduktion wieder zum Alkohol. Es muss also der Sauerstoff entzogen werden. Mit Sauerstoff oxidiert das Aldehyd zur Säure.

Daher brauchst du keinen Sauerstoff, sonder etwas das den Aldehyd als Sauerstoffquelle nutzt. Vermutlich die Hefe.

Gruß JackFrost
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#4

Beitrag von KliTscH »

Die Hefe reduziert das während der Gärung gebildete Acetaldehyd während der Reifung, ebenso wie Diacetyl. Mit dem Kühlen <5°C würde ich also warten bis der Jungbiergeschmack „verschwindet“.
Wenn du zu früh einkühlst wird die Hefe nicht mehr viel dazu beitragen, dass das Acetaldehyd abgebaut wird.
Wichtig wäre der Abbau sicherlich auch hinsichtlich Geschmacksstabilität.

VG
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Barney Gumble
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#5

Beitrag von Barney Gumble »

Letzterem würde ich mich anschließen. Noch als Ergänzung wär meines Wissens NADPH der Protonenlieferant für die Reduktion von Acetaldehyd zu Ethanol (http://www.chemgapedia.de/vsengine/vlu/ ... vscml.html) Das T-Optimum der (edit: Hefe-) ADH ist sicher deutlich über 5 °C. Möglicherweise tut sich aber auch irgendwas rein chemisch ohne Zutun der Hefe. Redoxreaktionen aller Art (Metall-katalysiert) oder radikalisch induziert könnten evtl. auch was bewirken, das müsste man in Lehrbüchern der Organisanischen Chemie (zB Organikum) an einem Hefe-freien Modellsystem Würze mal praktisch testen.
Ob eine säurekatalysierte Oligomerisierung wie in Wiki beschrieben, stattfindet ist ebenso ohne praktische Erfahrung hier wohl unsicher.
Btw ich finde den Artikel zu der Geschichte nicht mehr, war da nicht mal was im brauMagazin?
VG
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#6

Beitrag von JackFrost »

Ich meine Metalloxide werden durch Aldehyde reduziert, und aus dem Aldhyd wird dann die Säure.

Ein GDA aus Kupfer wäre hier dann vermutlich nicht so gut.

Edit: Geht mit Schwermetallen auch direkt in der Lösung ohne Sauerstoff. https://www.chemieunterricht.de/dc2/r-cho/c-nw-cho.htm

Schwermetalle sind alle Metalle mit einer Dichte > 5 g/cm3. Daher fällt da auch Eisen und Kupfer darunter.

Gruß JackFrost
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flying
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#7

Beitrag von flying »

Alkoholdehydrogenasen in Hefen haben Zink als aktives Zentrum, was sie etwas von menschlicher Alkoholdehydrogenase zum Abbau von Acetaldehyd unterscheidet.
Ich habe schon von Brauern gelesen, die einen kleinen Messingfitting o. ä. mit in den Gärtänk geben... :Grübel
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DerDerDasBierBraut
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#8

Beitrag von DerDerDasBierBraut »

Wäre das Unterstützen der Alkoholdehydrogenasen durch irgendwelche Schwermetalle nicht die falsche Richtung? Acetaldehyd ist doch dehydrogenisierter Alkohol. Also haben die Alkoholdehydrogenasen der Hefe bereits ihre Arbeit verrichtet?
Am Ende wollen wir das Zeugs wieder zu Ethanol abbauen (lassen). Also laienhaft gesprochen, die "Acetaldehydhydrogenasen" :Ätsch unterstützen :-).

Sind wir uns erstmal einig, dass im Normalfall ausschließlich die Hefe für den Abbau des Acetaldehyds verantwortlich ist? Weil sie das "freiwillig" macht und noch etwas Energie (ATP) durch den Abbau gewinnt? Und, dass "sonstige" chemische Reaktionen, die den Abbau bewerkstelligen könnten, sehr unwahrscheinlich sind?
Dann wäre eine verfrühte Kaltreifung ziemlich kontraproduktiv und würde den Abbau massiv verlängern.
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#9

Beitrag von flying »

ADH macht beides. In einer Rückreaktion wird Acetaldehyd in Alkohol umgewandelt. Das gilt als letzter Schritt der alkoholischen Gärung. Zinkmangel gilt jedenfalls als ein Faktor für einen feinen Stich nach grünen Apfel...

Auf einen "Cold Crash" würde ich jedenfalls erst einmal eine Weile verzichten und den Reifetank nicht all zu kalt stellen.
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#10

Beitrag von Juergen_Mueller »

Zum Thema Acetaldehydbildung durch Zinkmangel kann ich beisteuern, das ich unlängst einen Tipp hier aus dem Forum beherzigt habe.
Einmaischen bei 30 °C. und Mitkochen von Erntehefe (enthält ordentlich Zink) sorgte bei mir für eine wunderbare Gärung ohne Acetaldehyd!
Meine bisherigen Weizensude zeigten sehr starke diesbezügliche Fehlaromen. Auch längeres Lagern half kaum beim Abbau.
Kompetent im Promillebereich
Gruß
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#11

Beitrag von JackFrost »

DerDerDasBierBraut hat geschrieben: Donnerstag 18. Februar 2021, 16:32 Wäre das Unterstützen der Alkoholdehydrogenasen durch irgendwelche Schwermetalle nicht die falsche Richtung? Acetaldehyd ist doch dehydrogenisierter Alkohol. Also haben die Alkoholdehydrogenasen der Hefe bereits ihre Arbeit verrichtet?
Am Ende wollen wir das Zeugs wieder zu Ethanol abbauen (lassen). Also laienhaft gesprochen, die "Acetaldehydhydrogenasen" :Ätsch unterstützen :-).

Sind wir uns erstmal einig, dass im Normalfall ausschließlich die Hefe für den Abbau des Acetaldehyds verantwortlich ist? Weil sie das "freiwillig" macht und noch etwas Energie (ATP) durch den Abbau gewinnt? Und, dass "sonstige" chemische Reaktionen, die den Abbau bewerkstelligen könnten, sehr unwahrscheinlich sind?
Dann wäre eine verfrühte Kaltreifung ziemlich kontraproduktiv und würde den Abbau massiv verlängern.
Der Schritt von einem primären Alkohol zum Aldehyd ist eine oxidation, die Oxidationstufe am C direkt neben der OH Gruppe geht von +I auf +II.


Acetaldehydhydrogenasen geht dann einen Schritt weiter und oxidiert den Kohlenstoff auf +III -> Essigsäure.

Daher muss es dann über eine Rückreaktion vom Aldehyd über das Enzym ADH gehen. NADH+H+ wird mit dem Aldehyd zu NAD+ oxidiert. Wobei das Aldehyd wieder zum primären Alkohol reduziert wird.

Zitat https://www.chemie.de/lexikon/Alkoholdehydrogenase.html:
Pyruvat aus der Glykolyse wird in Acetaldehyd und Kohlendioxid umgewandelt, und dann von der ADH zu Ethanol reduziert. Auf diese Weise wird für die Glykolyse benötigtes NAD+ regeneriert. ADH aus Hefe ist größer als die menschliche und besteht aus vier Untereinheiten. Ihr aktives Zentrum besitzt Zink als Metallion. Dennoch sind die Enzyme aus Pilz und Mensch stark verwandt.
Anbei noch bisserl Chemie für die Oxidation von primären und sekundären Alkoholen
Oxidation Alkohl.png
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Re: Verständnisfragen Acetaldehyd

#12

Beitrag von Commander8x »

DerDerDasBierBraut hat geschrieben: Donnerstag 18. Februar 2021, 16:32 Sind wir uns erstmal einig, dass im Normalfall ausschließlich die Hefe für den Abbau des Acetaldehyds verantwortlich ist? Weil sie das "freiwillig" macht und noch etwas Energie (ATP) durch den Abbau gewinnt? Und, dass "sonstige" chemische Reaktionen, die den Abbau bewerkstelligen könnten, sehr unwahrscheinlich sind?
Dann wäre eine verfrühte Kaltreifung ziemlich kontraproduktiv und würde den Abbau massiv verlängern.
Das ist nicht so pauschal zu sagen. Generell werden durch niedrigere Temperaturen sämtliche chemische Reaktionen verlangsamt, also auch der Stoffwechsel der Hefe. Andersherum betrachtet wird aber auch die Oxidation (ergo Nachbildung) von Ethanol zu Acetaldehyd im Stoffwechsel der Hefe bei höheren Temperaturen wieder "befeuert".

Die Oxidationskette Ethanol -> Acetaldehyd -> Essigsäure ist quasi der natürliche Weg zur Energiegewinnung für Hefezellen (und viele andere Einzeller ebenfalls). Wie weit er beschritten wird, hängt unter anderem von der Gärführung ab (Gärtemperatur, Zelldichte, Alkoholgehalt, Vorhandensein oder Abwesenheit von Sauerstoff, essentiellen Nährstoffen und Spurenelementen und noch einiges mehr). Die Rückoxidation von Acetaldehyd zu Ethanol verbraucht dagegen Reduktionsäquivalente, die die Hefe anderweitig besser gebrauchen kann, zumal bei niedrigen Temperaturen. Das ist eigentlich nicht der bevorzugte Abbauweg, eher wird der reaktivere Acetaldehyd sich ein anderes Molekül "schnappen".

Man kann auch keinesfalls ausschließen, dass chemische Reaktionen der Hefestoffwechselprodukte im Jungbier (quasi im zellfreien Raum ohne Enzyme) stattfinden. Alle die fraglichen Stoffe sind durch die Heteroatome (Sauerstoff in diesem Fall) reaktiv und durchaus in der Lage zu eigenständigen chemischen Reaktionen im Jungbier.

Je komplexer und konzentrierter zB eine Malzschüttung ist, desto vielseitiger ist das Stoffgemisch im Bier. Und desto mehr Möglichkeiten für Folgereaktionen gibt es.

Fakt ist, dass eine effektvolle Kaltreifung lange dauert. Je länger und je kälter, desto besser.

Gruß Matthias
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