da die Frage vor kurzem aufkam, welche britischen Hefen sich für verschiedene Rezepte eignen, z.B. die Rezepte aus dem Buch "Brew Your Own British Real Ale", wollte ich mal einiges Wissenswerte zusammenfassen und Praxistipps geben. Meine eigene Erfahrung ist noch bei weitem nicht so ausgeprägt, wie ich es gerne hätte, weswegen ich diesen Thread auch sehr gerne zur Diskussion und zum Austausch anbiete. Ich gebe Quellen an, wo immer ich sie noch finde, aber viel kommt aus meiner Erinnerung. Bei Zweifeln einfach nachfragen. Manche Quellen sind sehr gehaltvolle Texte wie Interviews, Podcasts oder Forenthreads, deren komplette Lesung ich nur empfehlen kann.
Warum das Ganze?
Wer schon einmal in einem britischen Pub ein sogenanntes Cask Ale genossen hat, das weitreichend als die frischeste Art gilt, Bier zu servieren, weiß, worauf ich hinaus will. Der Geschmack ist so voll und liefert auch bei geringen Stammwürzen so geschmacklick intensive und gut abgerundete Biere, dass unzählige Threads besonders in englischsprachigen Foren mit den Versuchen gefüllt sind, dem letzten bisschen optimierter Gärung und Reifung nachzueilen.
Wer diesen Hintergrund nicht hat, wird sich vielleicht wundern, was das für Aromen und Geschmäcker sein sollen. Schließlich benutzen viele Leute mit der Nottingham-Hefe einen englischen Hefestamm und der gilt gemeinhin als sehr neutral. Deswegen an dieser Stelle der Hinweis, dass eine Vergärung mit der Nottingham bei 17°C ganz sicher nicht dem entspricht, was ich meine. Leider hälz englisches Flaschenbier, wie man es in einigen Getränkemärkten findet, nur selten dem Vergleich stand und eignet sich daher nicht als Lernmaterial. Vielleicht kann ja der eine oder andere Neugierige mit den Informationen aus diesem Thread ein Bier brauen, dass diesen Aha-Effekt erzeugt.
Wissenswertes:
Geschichtlich
Britisches Bier hatte historisch betrachtet schon sehr früh einen außerordentlich hohen Standard, als die Großbrauereien in London bereits Ende des 18. Jhds Porter für die ganze Welt brauten. Dabei war es damals vor allem das Stock Porter, dass 12 Monate gelagert wurde, dass die Einzigartigkeit der englischen Braukunst auszeichnete. Aus der Zeit stammten auch die enorm großen Lagertanks, über die hier vor kurzem diskutiert wurde.
Damals wurde Bier neben klassischer, obergäriger Hefe mit Brettanomyces vergoren (Brettano = Britisch, Myces = Pilz). Die Hefe bestand also damals schon aus einer Mischkultur, die explizit gewollt war und viele Nachahmer vor Probleme stellte, wenn sie Porter nachbrauen wollten. Die Nutzung von Mischkulturen - auch ohne Brettanomyces - mit gleichzeitiger Nutzung von zwei, drei oder vier Hefestämmen, sorgte lange dafür, dass die Briten den Reinzuchthefen misstrauten, da sie ihre bekannten Ergebnisse mit Reinzuchthefen nie nachstellen konnten.
Auch heute noch gibt es eine Reihe von Brauereien, die eine sogenannte Dual-Strain-Hefe nutzen, also zwei verschiedene Hefestämme gleichzeitig zur Würze geben. Dies sind zum Beispiel Adnam's und Ringwood. Fuller's wechselte in den 70er-Jahren von einer Triple-Strain-Hefe zu einer Reinzucht nachdem man einen der drei bestehenden Stämme als den geschmacklich und vergärtechnisch wichtigsten identifiziert hatte.
Einige der besonders bekannten Trockenhefen, nämlich Lallemand's Windsor, Nottingham, London und die nicht mehr verkaufte Manchester, kommen ursprünglich aus dem Hefe-Bodensatz einer einzigen Brauerei. Ich habe es noch nicht selbst probiert, aber in Kombination sollten sich die Eigenschaften der hohen Sedimentierbarkeit und des Vergärungsgrads der Nottingham gut mit dem vollen Geschmack der Windsor kombinieren lassen.
Welcher Hefestamm kommt aus welcher Brauerei?
Wenn man Biere aus England nachbrauen möchte, empfiehlt es sich, zu wissen, welche kommerziell erhältlichen Hefen aus welcher Brauerei stammen. Die erste Anlaufstelle ist dazu Kristen England's Liste auf mrmalty.com. Allerdings sind einige der Informationen, insbesondere welche Stämme des einen Herstellers denen des anderen entsprechen, nicht mehr als gut gemeinte Empfehlungen. Weder White Labs noch Wyeast haben je eigene Informationen zu den Quellen der Hefen herausgegeben. Die jüngeren Firmen Imperial Yeast, Fermentum Mobile und Escarpment sind da deutlich freizügiger und haben jeweils vergleichbare Hefestämme klar benannt, wenn auch nicht immer offiziell.
Moderne DNA-Analysen haben das Thema zum Teil vereinfacht und zum Teil verkompliziert. Es gibt zwar gute Zusammenfassungen von englischen Hobbybrauern, so dass genetische Beschreibungen von Hefestämmen aus Hefebanken einem Hersteller eindeutig zugeordnet werden können, aber die Ergebnisse sind nicht immer hilfreich. So zeigt sich zum Beispiel, dass die Fuller's-Stämme WLP002 und Wyeast 1968 zwar nah verwandt sind, der Whitbread-Stamm WLP007 aber näher and WLP002 dran ist als Wyeast 1968. Geschmacklich kann man Fuller's von Whitbread aber sehr wohl unterscheiden. Wer mehr Infos möchte, findet hier den aktuellen Stammbaum: http://beer.suregork.com/. Erwähnenswert ist auch die Tabelle von David Taylor, der auch bei uns im Forum aktiv ist. Ursprünglich bestand sie aus vielen Einträgen à la "Hefe 1 = Hefe X = Hefe IV". Durch die Aufnahme der genetischen Analysen ist das Ganze aber nur noch nach langem Studium durchschaubar.
Praxisempfehlungen
Homebrewtalk-Forum
Wer so richtig in die Erfahrungen aus erster Hand einsteigen möchte, dem sei dieser HBT-Thread zur Lektüre empfohlen: https://www.homebrewtalk.com/threads/br ... ts.221817/
Auf 18 Seiten à 50 Posts berichten viele direkt, welche Gärführung bei welcher Hefe zum Erfolg, also zum Erreichen jener Geschmacksfülle, die ich eingangs beschrieben habe, geführt hat. In ca. fünf Tagen hat man den locker durchgelesen Ich werde aber die wichtigsten Infos hier zusammenfassen.
Offizielle Gärführungen
- Fuller's: Ursprung der Diskussion war der Podcast Can You Brew It von Brewing Network zum Thema Fuller's ESB . Dort beschreibt der damalige Braumeister John Keeling die Gärführung wie folgt:
Anstellen bei 17°C, gefolgt von natürlichem Aufwärmen auf 20°C (dauert bei Fuller's 8h). Ist der Extraktgehalt auf die Hälfte gefallen, wird auf 17°C gekühlt. Das soll im weiteren Verlauf die Hefe dabei bremsen, erwünschte Aromen abzubauen. Ist der Extraktgehalt auf ein Viertel bis ein Fünftel gefallen, gibt es einen Cold Crash auf 6°C, anschließend vierwöchige "warme" Reifung bei 10°C. Im HBT-Forum berichten viele davon, dass dieser Gärverlauf spürbar die Geschmacksfülle erhöht, bzw. erwünschte Geschmäcker des Jungbiers bis zum Trinkdatum erhält. - Meantime: Es gibt auch einen Podcast zu der Londoner Brauerei Meantime. Dort wird beschrieben, dass Meantime die Nottingham benutzt und konstant bei 22°C vergärt. Das bringt trotz neutraler Hefe einen gewissen Charakter ins Bier, ohne ins Estrige abzudriften. Allerdings leben die Meantime-Biere besonders von den langen Zutatenlisten, z.B. die sieben Malzsorten im London Porter und die zehn Hopfengaben im London IPA.
- Shepherd Neame: Obwohl der Hefestamm von Shepherd Neame unbekannt ist, ist die offiziell mitgeteilte Gärführung für den einen oder anderen doch interessant: Anstellen bei 18°C, ansteigen lassen auf 21°C und dort lassen bis final gravity. Cold Crash auf 4°C direkt nach Beenden der Gärung. Keine Diacetylrast.
- Boddington's Wyeast 1318: Anstellen bei 17°C, dann sehr langsam auf 20°C über eine Dauer von 4 Tagen, dort eine Woche halten für einen ordentlichen Vergärgrad. Im Anschluss 2 Tage Cold Crash und Kegging.
- Ringwood's Wyeast 1187: Anstellen bei 20°C, auf 21.5°C ansteigen lassen und dann wieder aktiv auf 20°C kühlen. Das Ganze mehrmals wiederholen, bis der gewünschte Restextrakt erreicht ist. Offene Fermentation. Pumpe für Hefe-Aufwecken (rouse the yeast) bei allen Bierstilen außer Brown Ales. Letztere brauchen kein Aufwecken. Am Ende einen Tag auf 7°C und dann ins Cask.
- Brakspear's(?) Wyeast 1882: Die Hefe reagiert sehr empfindlich auf Temperatur, Sauerstoffgabe und Anstellrate. Bei Stress, also zu hoher Anstelltemperatur, zu wenig Sauerstoff und zuwenig Hefe erzeugt sie sehr viel Diacetyl. Vergärgrad kann dann auch sehr niedrig sein. Am besten Anstellen bei 17°C und dann die Gärung auf 18°C halten.
- Timothy-Taylor-Stamm (Wyeast 1469 und Imperial A05): Die Hefe flockt sehr gut, erzeugt dichtes Kräusen und klettert besonders gerne aus dem Gärbehälter. Der Geschmack wird oft als "Steinobst" beschrieben, allerdings konnte ich das so direkt nie schmecken. Bei 22°C habe ich bei meinem Timothy-Taylor-Landlord-Klon ein tolles Mundgefühl mit einem einzigartigen Malzgeschmack aus 100% Golden Promise bekommen. Kalt bei 16°C passte es super zu einem Porter.
- McEwan-Stamm (Wyeast 1728, Imperial A31): Die Hefe ist vom Verhalten durchschnittlich, hinterlässt aber mehr Restextrakt und sorgt für besonders malzige Biere. Besonders dunkle Malze werden fruchtiger, karamelliger und leicht Ahornsirup-artig.
Worthington-Stamm (Wyeast 1028): Sehr schlechte Sedimentation. Von drei Bieren wurde nur eines halbwegs klar. Sie wird deshalb auch als besonders gut für Hazy IPAs beworben. Mich haben besonders der sehr hohe Vergärgrad und der malzige Geschmack beeindruckt. Bei einer Flasche mit etwas weniger Kohlensäure, als der Keller im Dezember gerade auf 12°C war, habe ich exakt den vollen Geschmack erhalten, den ich immer wollte. Leider wurden die Hefe und ich durch das schlechte Sedimentieren keine Freunde.
Fuller's-Stamm (Imperial A09): Flockung und Aus-Dem-Gäreimer-Klettern wie bei Timothy Taylor. Die Hefe erzeugt einen deutlichen Geschmack nach Orangenmarmelade, der sehr gut zu bitteren, englischen Bieren passt. Leider gibt es die Gefahr, dass sich bei der Nachgärung aus unbekannten Gründen ein Geschmack nach Apfelcidre entwickelt, der alle anderen Aromen überdeckt. Das scheint bei allen Hefeherstellern auftreten zu können.
Bonus-Inhalt: Britisches Bier richtig servieren
Bitte denkt daran, dass sich viele Aromen nur bei der richtigen Temperatur im Glas ausbreiten können. Trinkt britische Biere niemals bei 4°C direkt aus dem Kühlschrank. Mir ist mal bei Bieren aus Golden Promise aufgefallen, dass diese reproduzierbar bei 4°C nach nichts geschmeckt haben, und erst bei über 10°C intensiver Malzgeschmack aufkam. Dafür kann es schon reichen, die Flasche eine halbe Stunde vor dem Trinken aus dem Kühlschrank zu nehmen. Das kann bei stiltypischen, schwach karbonisierten Bieren allerdings bedeuten, dass die Kohlensäure nicht zum Tragen kommt. Besser ist eine Aufbewahrung von mindestens 24h bei 11°C. Mein aktueller Verdacht ist, dass auch der Geschmack von der konstanten, wärmeren Lagerung profitiert. Ich habe mir dazu vor kurzem einen Mini-Kühlschrank besorgt, der so leistungsschwach ist, dass ich über den Drehregler gut einen großen Temperaturbereich durchstimmen kann. Stufe 3 ergibt 12°C, Stufe 4 10°C und Stufe 5 8°C.
So, und jetzt seid ihr dran! Habt ihr schon Erfahrungen beim Brauen britischer Biere? Welche Hefe bevorzugt ihr? Kennt ihr den Geschmack, den ich oben so kläglich zu beschreiben versucht habe?