flying hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. Februar 2021, 18:18
Andy (Ladeberger) hat glaub ich mal ein schönes Beispiel mit Tomaten genannt? Was ist dir lieber? Die konventionell angebauten Tomaten aus Sizilien, am Fuße des Ätna in fruchtbaren Vulkanascheboden unter mediterraner Sonne angebaut oder die holländischen Biotomaten..?
Das ist nicht das beste Beispiel und mir zu zynisch. Nehmen wir besser unbehandelte versus gewachste Zitrone, dann noch die dickschalige Qualität aus Sizilien oder von der Amalfitana versus die dünnschalige Qualität aus der Türkei. Ungespritzt ist die Schale Trumpf und der Geschmacksträger schlechthin, gespritzt ist sie nicht zum Verzehr geeignet, das wertvollste der Frucht wird weggeschmissen.
In Rumänien rekultivieren wir seit einiger Zeit ein Projekt, stillgelegte Flächen der deutschen Minderheit nach der Auswanderung zu Beginn der 90er mit Bio-Gerste und Hopfen, Pensionisten, Dorfgemeinschaften bekommen so eine zweite Rente (verkürzt dargestellt), weil die Lieferketten kurz sind und kein Konzern aus dem Westen mitverdient. Die EU und eine Stiftung unterstützt das. Ein Pilotprojekt im benachbarten Kreis hat gezeigt, dass solche Initiativen Abwanderung eindämmen, kleine Unternehmen entstehen lassen, außerdem Verbuschung verhindert, wenn man dann noch mit Weidevieh arbeitet und damit ein Beitrag zum Klimaschutz und zu Agrotourismus leistet. Eine kleine Brauerei mit Bio-Bieren ist auch schon entstanden, das Bier ist nachgefragt. Kurz: Viele positive Sekundäreffekte.
Um Glyphosat geht es da wie in den meisten EU-Ländern gar nicht, dafür ist gar kein Geld da. Es geht aber darum, dass Flächen nicht an ausländische Agrokonzerne verscherbelt werden und dann die Agroindustrie Einzug hält.
Das Problem mit der Geldschneiderei durch die Zertifikatsaussteller ist natürlich bekannt. Der Kreis (Judetul) hat das durch ein regionales Bio-Siegel gelöst, das von der EU geadelt worden ist und gleich die ganze Region als Bio-Genuss-Region ausgewiesen. Die Österreicher oder Spanier machen ähnliches schon länger. Ansonsten ist alles Bio, weil kleinbäuerlich, es steht nur nicht immer drauf. Die Rumänen sagen: War schon immer Bio, wir hängen das aber nicht an die große Glocke.
Das Problem bei uns sind die Riesenbetriebe im Osten, die nach der Wende entstanden sind und unsere Landwirtschaft in eine Agroindustrie verwandelt haben. Das alles fing zwar schon mit der Flurbereinigung 1974 vor allem in Bayern an, wurde aber erst in den 90er Jahren kritisch.
Geschmacklich hat all das keinen Vorteil, aber es macht ein gutes Gewissen und vermittelt das Gefühl, etwas beizutragen. Und all das trägt zu einer Haltungsänderung bei, Umweltaspekten mehr Platz einzuräumen: Die Idee eines großen Skigebietes mit Schlepplift und Schneekanonen wurde danach in meinem rumänischen Dorf eingestampft. Ich könnte noch einige andere Beispiele aufführen.
Man kann natürlich technokratisch mit Glyphosat argumentieren, sich darüber streiten, das erfasst die ganze Fragestellung aber bei weitem nicht und engt das Thema zu sehr ein und wird nur von einem Bruchteil verstanden. Und natürlich geht es bei dem Thema ganz viel um Meinung. Das kann anders gar nicht sein. Wer meint das nur technokratisch diskutieren zu können, irrt und ignoriert Realitäten.
Wenn erhältlich, schaue ich, dass ich mit Bio-Malz arbeite – auch wenn es nicht den Geschmacksvorteil einer Bio-Zitrone hat. Ich fühle mich besser dabei.
Radulph
Edit: Grammatik