Na ja
Vereinfacht: Ab einer bestimmten Temperatur wird ein Punkt erreicht, an welchem die Stärkekörner irreversibel zu quellen beginnen
Schüll Seite 14 ff 2.3Physikalische Eigenschaften von Stärke in Wasser
Na ja
Dissertation Florian SchüllCommander8x hat geschrieben: ↑Freitag 17. Januar 2020, 13:11 Vielleicht rastet man wie gehabt bei 62°C, nur mit verlängerter Rastzeit?
Das sehe ich genau so! Es geht um einen Prozess, dessen Kinetik durch allerlei (auch externe) Größen bestimmt wird, nicht um einen digitalen 0-1-Effekt!Commander8x hat geschrieben: ↑Freitag 17. Januar 2020, 13:11 [...]
Mich würde z.B. die Aufheizrate bei den viskosimetrischen Versuchen mal interessieren. Wie würde eine ansonsten völlig gleiche Messung aussehen, wenn man mit einer nur halb so großen Geschwindigkeit aufheizt? Das Rohstoffseminar-Dokument von 2019 erwähnt 12°C/min. Ist das nun schnell genug? Oder eher zu schnell?
Beim Quellen (Hydratisieren) der Stärke müssen zuerst Wassermoleküle in die beinahe trockene (wasserfreie) Stärkestruktur eindringen und sich an die (wie auch immer aussehende - kristallin, teilkristallin, amorph, zufällig geknäult, was weiß ich) Stärke anlagern, und hier eine Nahordnung bilden. Dadurch werden die Abstände zwischen den Ketten aufgeweitet, die Stärke beginnt zu quellen. Anschließend können weitere Wassermoleküle eindringen, was je nach Länge des Wegs auch Zeit braucht. Und dann folgen die Enzyme nach.
Man muss sich auch vor Augen halten, dass bei jeder chemischen Reaktion (also auch bei enzymatisch katalysierten) "nicht optimale" Reaktionsbedingungen nicht bedeuten, dass eine Reaktion schlagartig gar nicht mehr stattfindet, bloß weil ein Parameter (wie pH oder Temperatur) vom Optimum abweichen.
[...]
festina lenteCommander8x hat geschrieben: ↑Freitag 17. Januar 2020, 14:52 "Brauindustrie"-Artikel und die jetzt oftmals erwähnte Diss muss ich erst mal in Ruhe lesen.
Cheerio, Matthias
Commander8x hat geschrieben: ↑Donnerstag 16. Januar 2020, 20:48Richtig ist aber sicher, dass dieser Effekt auf dem Klimawandel beruht und in trockenen Jahren noch stärker werden könnte.
Es würde mich sehr freuen, wenn du für uns die Hobbybrauer-Praxisrelevanz des Abschnitts "4.2.5.2.2 Schüttung" erläutern könntest
Ja genau. Die Verkleisterungstemperatur ist ein im Labor gemessener Wert, der einen Vergleich von im gleichen Meßsystem gemessenen Proben ermöglicht. Sprich, es ist ein relativer Meßwert, der am meisten durch Vergleiche im selben System Sinn ergibt.
Die Aktivierung der stärkeabbauenden Enzyme beginnt schon in der Mälzerei beim Keimen (wenn mans übertreibt gibt es "Schwand"). Enzyme funktionieren nur in wäßriger Umgebung, und beim Schwelken dann werden sie in aktiver (löslicher) Form konserviert, so dass sie beim Einmaischen sofort wieder loslegen können. Das ist wichtig für die weiteren Stufen des Stärkeabbaus, Verflüssigung und Verzuckerung. Es laufen beim Maischen mehrere Prozesse parallel ab, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Amylasen warten nicht, bis die Stärke vollständig verkleistert ist: sobald die Stärke von außen beginnend hinreichend mit Wassermolekülen umgeben ist, greifen die Amylasen zu und unterstützen damit auch den weiteren Verkleisterungs-/Verzuckerungsprozess.DerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Donnerstag 16. Januar 2020, 09:12 Basierend auf der Tatsache, dass beim Einmaischen bei der Dekoktion genug Enzyme in der Dünnmaische hängen bleiben, um die Stärke der gekochten Dickmaische später zu zerlegen, gehe ich davon aus, dass die Freisetzung der Enzyme unabhängig von der Verkleisterung abläuft.
Grundsätzlich genauso wie mit der Sommergerste: den größten Einfluß haben die Aufwuchsbedingungen (sprich Trockenheit). Wintergerste ist enzymstärker als Sommergerste.
Möglichkeiten sind in dem eingangs zitierten Artikel und auch hier im Thread erwähnt:
... und moeglichst dick einmaischen, das hemmt die schnelle denaturierung der enzyme etwass (gleichmaessigere temperatur?)
Hier geht es um die Denaturierung der Betaamylase, nicht der Enzyme allgemein, richtig?
So ist es. Dicke Maischen sind für die ß-Amylase ok, die a-Amylase dagegen mag es etwas dünner, was sich in einer schnelleren Verzuckerung bei 72°C zeigt. Zusätzlich danken es einem die Enzyme mit einer verbesserten Robustheit gegenüber einer Inaktivierungstemperatur, wenn man sich schonend "von unten" ihrem Temperaturoptimum nähert.DerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2020, 17:02 Wenn ich es richtig verstanden habe, muss man den Hauptguss nach der Zwischenrast bei 67°C bei einer dickeren Maische jedoch erhöhen, weil die Alphaamylase besser mit einer dünneren Schüttung zurecht kommt, bzw. Probleme mit sehr dicken Schüttungen hat?
Sicher die enfachste Art, um den Effekten einer stetig ansteigenden Verkleisterungstemperatur entgegen zu wirken. Gerade unter dem Aspekt, dass wir unsere Rohstoffe an dieser Stelle nicht kennen, eine zuverlässige Präventivmaßnahme.DerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2020, 17:02 Die 67°C Zwischenrast ist bei mir bei trockenen Bieren eigentlich Standard.
Ganz klar.DerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2020, 17:02 Die Aufteilung des HG wäre ein Hebel für mich, um die Umsetzung zur Maltose relativ einfach zu optimieren.
Moin,olibaer hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2020, 19:37 Hallo Jens, hallo zusammen,So ist es. Dicke Maischen sind für die ß-Amylase ok, die a-Amylase dagegen mag es etwas dünner, was sich in einer schnelleren Verzuckerung bei 72°C zeigt. Zusätzlich danken es einem die Enzyme mit einer verbesserten Robustheit gegenüber einer Inaktivierungstemperatur, wenn man sich schonend "von unten" ihrem Temperaturoptimum nähert.DerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2020, 17:02 Wenn ich es richtig verstanden habe, muss man den Hauptguss nach der Zwischenrast bei 67°C bei einer dickeren Maische jedoch erhöhen, weil die Alphaamylase besser mit einer dünneren Schüttung zurecht kommt, bzw. Probleme mit sehr dicken Schüttungen hat?
Dann stöbere doch mal hier rein: http://www.bierbrauerei.net/Technikum/technikum.htmlDerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Donnerstag 23. Januar 2020, 10:33 Danke. Interessante Unterlage. Vor allem endlich mal wieder auf einem leicht verdaulichen Niveau, im Gegensatz zu den ganzen Dissertationen
Hallo Shlomo,Barney Gumble hat geschrieben: ↑Donnerstag 23. Januar 2020, 10:55Übrigens hier könnten sich die Hobbybrauer eine maßgeschneiderte Stärke machen lassen,
http://www.ask-force.org/web/Potato/Bae ... e-2011.pdf
N.B.: Gerstenstärke besteht zu etwa 20% aus unverzweigter Amylose (kleine Stärkekörner noch mehr) und zu 80% aus verzweigtem Amylopektin.Hinter dem Begriff Stärke verbergen sich zwei Moleküle: Amylose und Amylopektin. Diese sind zwar beide aus Glucose aufgebaut, haben aber unterschiedliche Strukturen und Eigenschaften.
....
Chemisch betrachtet sind Amylopektin und Amylose enge Verwandte. Bei der Anzahl der gespeicherten Glucosemoleküle
und dem Verzweigungsgrad unterscheiden sich die Polymere jedoch erheblich. Ein Amylosemolekül einer Kartoffel besteht aus rund 4.500 Glucoseeinheiten, die eine unverzweigte schraubenförmige Kette bilden. Amylopektin ist aus bis zu 6.000 Glucoseeinheiten zusammengesetzt.
Durchschnittlich nach jedem 25. Glucosemolekül besteht eine Verzweigung zu einem benachbarten Polymerstrang.
....
Der chemische Unterschied zeigt sich in der Anwendung: Amylose ist in kaltem Wasser unlöslich, in heißem Wasser quillt sie stark auf, verkleistert und bildet nach dem Abkühlen eine gelartige Masse. Diese verliert im Lauf der Zeit wieder einiges an Wasser und geht irreversibel in einen kristallinen Zustand über. Amylopektin hingegen löst sich in heißem Wasser und bildet eine hochviskose, also zäh fließende Flüssigkeit. Es geliert nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei sehr hohen Konzentrationen, und es kristallisiert nicht.
Möglicherweise wäre das Abkühlen der Maische, nach der Verkleisterung, von Verkleisterungstemperatur auf 60°C bereits kontraproduktiv für die Spaltung des 20%igen Amyloseanteils in der Stärke?Amylose ... verkleistert und bildet nach dem Abkühlen eine gelartige Masse. Diese verliert im Lauf der Zeit wieder einiges an Wasser und geht irreversibel in einen kristallinen Zustand über.
Ich weiß nicht, ob es so einfach ist. Kristallisation von Stärke und die so entstehenden Strukturen sind durchaus komplexe Phänomene, und es kann in meinem Verständnis durchaus sein, dass auch verzweigte Amylopektin-Ketten miteingebunden sind.Sura hat geschrieben: ↑Donnerstag 23. Januar 2020, 13:18 Das ist mir neu.
Wenn ich das also richtig verstehe, dann bestrifft die Verkleisterung nur die Amylosen, und die Amylopektine lösen sich die gehabt auf? Das relativiert das ganze jetzt ja nicht komplett, aber reduziert das Problem dann doch erheblich.
[...]
Ich bin ehrlich gesagt ganz begeistert, auf welchen Niveau hier diskutiert wird.Commander8x hat geschrieben: ↑Donnerstag 23. Januar 2020, 15:34
Ihr wollt es aber wirklich genau wissen, Jungs....
Diese Erklärung ergibt Sinn für mich, danke!!Commander8x hat geschrieben: ↑Donnerstag 23. Januar 2020, 15:34 [...]
Ihr wollt es aber wirklich genau wissen, Jungs....
Gruß Matthias
Jap, ich auch. Sehr schöne sachliche und fachliche Diskussion. Auch wenn ich fachlich nichts beitragen kann, verfolge ich diesen Thread mit sehr großem Interesse.Boludo hat geschrieben: ↑Donnerstag 23. Januar 2020, 15:42Ich bin ehrlich gesagt ganz begeistert, auf welchen Niveau hier diskutiert wird.Commander8x hat geschrieben: ↑Donnerstag 23. Januar 2020, 15:34
Ihr wollt es aber wirklich genau wissen, Jungs....
Da kann man mal richtig was lernen. Macht ruhig weiter so!
Gilt das so?Es spricht z.B. nichts dagegen, in etwas so zu verfahren:
etwas dicker einmaischen
Maltoserast bei 64°C
aufheizen 67°C, Rast 10 min
kaltes Restwasser zugeben. So berechnet, dass sich 64°C einstellen
mit 0,5°C/min aufheizen auf 72°C
Hier ist der Linkolibaer hat geschrieben: ↑Donnerstag 16. Januar 2020, 08:14 Hallo zusammen,
in der aktuellen Ausgabe(1/2020) der Fachzeitschrift BRAUINDUSTRIE findet sich der Artikel:
Neue Herausforderungen an die Qualitätssicherung
Bedeutung und Interpretation der Verkleisterungstemperatur in Zeiten des Klimawandels
[1] Hör, S., Gastl, M., Becker T.: Neue Herausforderungen an die Qualitätssicherung,
Bedeutung und Interpretation der Verkleisterungstemperatur in Zeiten des Klimawandels,
Verlag W. Sachon, BRAUINDUSTRIE 1/2010, S. 14-17
Ernte 2019 - Präsentation von Avangard Malz
Guenter,
Ich hatte bisher auch keine Probleme mit der Gerste, kann ja noch kommen.Commander8x hat geschrieben: ↑Samstag 1. Februar 2020, 08:38 hattest Du selbst schon Probleme beim Brauen mit Weizen, oder ist das eine rhetorische Frage?
Warum soll die bekannte Lösung nicht auch für Weizen gelten?
Günter - Es ist wegen des Witterungsverlaufs 2019 damit zu rechnen, daß 2019er Weizenmalz eine Tendenz zu höheren Verkleinerungstemp .... ääh Verkleisterungstemperaturen mitbringt.
Nein, bei den niedrigen temperaturen 'entrollt' sich die staerke so wie so nicht. "Weizenrast" is ja auch nicht fuer staerke da.
Das ist so weit auch alles klar.
Wichtig ist, dass du nicht in wilden Aktionismus ausbrichst - wertfrei vom Rohstoff.
Würde mich auf ein Bier mit dir in Romrod sehr freuen - wie letztes Jahr bei unseren Pfanne voll Gespräch nach dem Kochkurs
Ja gerne.
Um die Zusammenhänge der Maischarbeit zu erforschen, wurden systematische Maisch-versuche durchgeführt. Bezüglich der Temperaturführung hat sich gezeigt, dass erst nach Überschreiten der Verkleisterungstemperatur eine maximale proteolytische, amylolytische und cytolytische Lösung erreicht wird. Eine feinere Schrotung führt zwar zu einer schnelleren Lösung unterhalb der Verkleisterungstemperatur, kann jedoch die Verkleisterung und Verflüssigung der stärkeführenden Schrotbestandteile nicht ersetzen. Erst nach der Verzuckerung ist die maximale Extraktausbeute erreichbar. Eine cytolytische Unterlösung von Malzen kann nur durch aufwändige Maischverfahren mit tiefen Einmaischtemperaturen teilweise ausgeglichen werden. Gleichzeitig führen derartige Maischverfahren zu einer proteolytischen Überlösung, welche nicht gewünscht ist.
Ab 65 °C geht es im Teig erst so richtig los, denn es bildet sich das Herzstück des Brotes, die Krume: die bei tieferen Temperaturen leicht verformbaren Kleberproteine haben durch die sich ausdehnenden Kohlendioxidbläschen ein dreidimensionales Gerüst mit darin eingelagerten Stärkekörnern gebildet. Bei 65 °C denaturieren die Kleberproteine und verlieren dabei ihre Verformbarkeit. Aus dem plastischen wird ein elastischer Teig.
Nicht nur die Kleberproteine, sondern auch die Proteinhaut um die Stärkekörner denaturiert bei ca. 65 °C und wird dabei wasserdurchlässig. Das vom Kleberprotein abgegebene Wasser nehmen die Stärkekörner nun vollständig auf. Die Stärke quillt dadurch auf [17] und das Volumen der Stärkekörner nimmt um ca. 40 % zu, wobei die umhüllende Proteinhaut platzt. Die gequollene Stärke wird nun von der Amylase (Optimum bei 65 °C) angegriffen und in grosse Bruchstücke (Dextrine) gespalten.
Gleichzeitig greift die Amylase (Optimum bei 50 °C) die Bruchstücke vom Kettenende unter Bildung von Maltose an (Abbildung 7). Durch den hohen Druck der quellenden Stärkekörner werden alle kristallinen Stärkestrukturen zerstört, die Stärke verkleistert.....
Speziell hierzu noch eine Ergänzung: Weizenstärke ist ganz anders aufgebaut als Gerstenstärke. Aus der ähnlichen Verkleisterungstemperatur wie bei Gerstenstärke läßt sich also nicht zwingend auf Verarbeitungsprobleme bei Weizenmalz schließen. Auch aus den Brauereien ist dazu nichts bekannt.
Pivnice hat geschrieben: ↑Freitag 31. Januar 2020, 15:09
BRAUINDUSTRIE 1/2020 S. 14-17
Hör, S., Gastl, M., Becker T.
Neue Herausforderungen an die Qualitätssicherung
Möglichkeiten zur Beeinflussung der VKT in der Mälzerei
... konnte festgestellt werden, dass als einziger effektiver Mälzungsparameter der Weichgrad einen signifikanten Einfluss auf die resultierende Verkleisterungstemperatur des Malzes ausübte. Alle Sorten wiesen bei einem Weichgrad von 40 Prozent (bzw. geringer) signifikant niedrigere Verkleisterungstemperaturen auf als bei einem Weichgrad von 43 Prozent
Technologische Möglichkeiten im Rahmen der Sudhausarbeit
Hier gilt es v. a. das geringe Zeitfenster, bei dem beide amyloytischen Enzyme (alpha-Amylase und beta-Amylase) noch gemeinsam Aktivität zeigen und bereits ein Teil der Stärke verkleistert vorliegt (Verkleisterungsprozess!), optimal zu nutzen. Das Einmaischen auf der Verkleisterungstemperatur bzw. eine Rast bei z. B. 65 °C (im Extremfall 66 °C) bieten eine technologische Möglichkeit im Rahmen eines Infusionsverfahrens. Die Umstellung auf ein Dekoktionsverfahren stellt eine weitere Alternative dar.