Braufex hat geschrieben: ↑Sonntag 21. August 2022, 12:42
rakader hat geschrieben: ↑Sonntag 21. August 2022, 12:12
Ich fass später noch einmal alle Punkte der Vorbereitung zusammen, wenn’s von Interesse ist
Auch wenn ich im Augenblick nicht vorhabe ein Pumpkin Ale zu brauen, find ich's trotzdem interessant.
Und wer weiß, vielleicht wird's auf einmal dann doch aktuell ...
Schönen Sonntag,
Erwin
Schönen guten Abend,
ich fasse mal alle möglichen Erwägungen zusammen, kein Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird etwas mehr Text - ich versuche mich kurz zu fassen.
Zunächst einmal: Warum wird Kürbis überhaupt vorbehandelt - die Schleimstoffe, die zu Läuterkatastrophen führen, werden ja nicht weniger?
Antwort: Das ist richtig - aber ich kann das Volumen mindern - und damit die Gefahr einer Läuterkatastrophe herabsetzen.
Doch fangen wir erst einmal mit dem Kürbis an. Kürbis ist nicht gleich Kürbis. Er unterscheidet sich zuerst nach seiner Haut. Manche kann man essen, manche nicht. Hokkaido ist essbar - wunderbar: in der Schale sitzt das ganze Karotin, das gibt Farbe. Geschmacklich gilt das auch für Butternut- und Muskatkürbis (mein Geheimtipp) - Farbe ist da weniger, es sind mehr die „inneren“ Werte.
Für American Giant oder Baby Bear (Halloween-Kürbis) gilt Schale nicht – Niete. Deren Schale ist zu dick und ungenießbar. Ein bisschen mehr über seine Kürbissorte vor dem Brautag in Erfahrung bringen, schadet also nicht.
Kürbis am besten in 3x3cm dicke Stücke schneiden und 10-20% vom Rohmassengewicht an Rohrrohrzucker hinzufügen und intensiv gleichmäßig unterheben. Ich bevorzuge Demerara - das gibt schöne Zimtnoten, wenn der Kürbis beim Dämpfen leicht karamellisiert und durch die Maillard-Reaktion Brot- und Toastnoten bekommt, setzt man noch eins obendrauf.
Den Kürbis bei Umluft 160-180°C auf der untersten Schiene auf einem Backblech geschichtet ausbreiten. Darauf achten, dass die Auflagenhöhe nicht zu mächtig ist, 3cm, andernfalls besteht die Gefahr einer ungleichmäßigen Reduktion. Der Zucker beschleunigt die Entwässerung.
Kürbis hat 94-98% Wasseranteil. Ziel ist ein Wasserentzug auf 20-30%, entsprechend 200-300g bei 1kg Rohfruchtmasse. Dies dauert je nach Ofentyp unterschiedlich lang. Amis begnügen sich auch oft mit 100 g - ich meine, dann steht zwar Kürbis drauf, verhält sich aber wie ein württembergischer Wein: von der Sonne verhöhnt. (OK - dieser alte Spruch stammt aus der Zeit vor dem Klimawandel.)
Ein Tipp: Kochlöffel oder Küchentuch in die Ofentür klemmen, damit der Dampf abziehen kann. Alle 15 - 20 Minuten die Masse wenden. Sie wird dadurch weich. Eine Hautbildung lässt sich oft nicht vermeiden. Das ist aber nur Kosmetik und dem Geschmack nicht abträglich. Abträglich sind dagegen angebrannte Stellen, wie sie immer am Blechrand auftreten. Verkohlter Kürbis schmeckt durch und darf die Masse nicht kontaminieren. Abtrennen und wegwerfen. Kommen dennoch Spuren von Verbranntem in die Masse, wegwerfen - Verbranntes schmeckt durch wie ein Romadur in der Quarkspeise oder die Socken von Alex Köberle, dessen Band nicht umsonst Schwoißfuß heißt. Arbeitet mit einem Holzlöffel und Holzschaber. Wie jeder Profikoch schabt ihr damit Angehacktes (aber nicht Angebranntes!!) vom Blechboden. Darin sind die ganzen Maillard-Aromen - die wollen wir haben (Brotaroma, Backstube - Maillard kennt ihr vom Grill, es ist das Grill-Aroma). Angehacktes ist braun bis dunkelbraun, der Übergang zu verbrannt kann schwer zu bestimmen sein. Eure Nase berät euch. Wenn ihr euch unsicher seid, verzichtet eher darauf!
Jeder Ofen ist unterschiedlich. Viele Amis - die Kürbis-Experten schlechthin - empfehlen 120-140°C auf 4 Stunden und mehr. Geht natürlich auch. Wichtig ist die Gewichtsreduktion zwischen 70-80%. Und die Farbe sollte natürlich erhalten bleiben. Durch die Trocknung intensiviert sich die Farbe, sie sollte aber noch immer frisch gelb-orange sein und darf nicht ins bräunliche gehen. Es gibt ganz einfach einen Zusammenhang zwischen Zeit und Temperatur - das hier sind nur Näherungen; jeder Ofen wird mit zunehmenden Alter zu einem Individuum wie Data aus Star Trek Next Generation. Ausprobieren.
Dass bei @Branch die Masse dünnflüssiger war, kann mit der Sorte und seinem Ofen zusammenhängen. Mehrere andere Faktoren können da zusammenkommen – bei ihm war’s nur Kosmetik, sonst alles optimal. Bei mir ist die Masse fertig, wenn sie am Kochlöffel aus Holz kleben bleibt. Das ist aber kein Gesetz.
Der durchschnittliche Ami gibt zwischen 200 und 400 g Kürbis an seinen 20l-Sud (Profis entsprechend auch) - in nur einem Fall habe ich mal 700 g erlebt. Wir machen das auch. Aber eben kräftig wasserreduziert. Und irgendetwas sagt mir, dass die Ami-Profis das auch machen, aber nicht erwähnen, weil man die letzten Tricks eben doch nicht verrät. Wie sonst ist das Mehr an Kürbisaroma im amerikanischen Pumpkin Ales von Elysian, Weyerbacher oder Smuttynose zu erklären, denen Magazine wie Brew Your Own auf die Schliche kommen wollen? (Meine Pumpkin-Ales gehen übrigens vorsichtiger mit den Gewürzen um - und das ist gut so. Hey, es geht um Kürbis!)
Wozu das ganze? Zuerst natürlich wegen der Schleimstoffe, dann aber auch wegen des Geschmacks. Auch wenn ein Hokkaido bis zu 5% Zucker hat (ein Giant nur 2-2,5%) - es ist eine Kürbisfrucht und ist damit gurkig (oder umgekehrt). Habt ihr schon einmal am Saft einer Salat- oder Schlangengurke nach 15 Minuten gerochen? Stimmt - ekelig. Das Fruchtfleisch zieht Wasser, wird binnen kurzem „inkontinent“. So auch bei Kürbis. Dumpfe, muffige Aromen kommen auf, die man nicht in seinem Bier haben will.
Beim Döner entfernt jeder türkische Koch das Innere einer Schlagengurke mit einem V-Schnitt. Beim Kürbis machen wir es nicht anders, nur dass hier die gerösteten Kerne weiterverarbeitet werden - aber das ist ein Kapitel für die Steirer Fraktion.
Achtet bei der Schale auf Druckstellen - das Fruchtfleisch darunter, oft bräunlich, kann schnell den Geruch einer alten, gelben Gurke annehmen. Das kann mit einer fauligen Zwiebel konkurrieren. Großzügig ausschneiden!
Jeder weiß bei Zucchini & Co, dass die Frucht schnell Wasser zieht. Mit dem Eindampfen machen wir eine Art Büdenhaube wie beim Hopfen und entfernen die Fehlaromen.
Wenn der wasserreduzierte Kürbis fertig ist, lassen wir ihn auskühlen und schichten ihn beim Einmaischen ein - eine Schicht Malz, eine Schicht Kürbismark und so fort. Das gibt keine Läuterkatastrophe und läuft so klar wie jedes andere Bier. Ganz wichtig: Nehmt euch hier die Zeit für eine Gummirast - 30 bis 40 Minuten dürfen es sein, danach seid ihr frei. Sofort mit Kombirast loslegen ist Gift und kontraproduktiv und wäre nach der ganzen Aktion ein Schlag wie auf den Solar Plexus. Verzichtbar.
Ich weiß, dass hier viele bei längeren Texten annehmen, man beharre auf seiner Meinung und hätte damit ein Problem oder sonst noch was. Viele halten sich deswegen mit Kurzbeiträgen wohlfeil - ich rücke deswegen auch ab davon längere Erläuterungen zu veröffentlichen; weil Erwin so nett fragte, habe ich hier eine Ausnahme gemacht. Das steht aber dahinter, dass ich solche komplexeren Fragen lieber per PM erläutere. Man möchte nicht für seine Mühe angepflaumt werden, wo ein Detail herausgefischt wird und alles damit in Frage gestellt wird. Sicher gibt es bei dieser Anleitung noch Luft nach oben - es ist aber nach 20 Pumpkin-Suden meine Methode Kürbis-Geschmack und Klarheit unter einen Hut zu bringen.
Wenn hier jemand Anregungen, Verbesserungen hat, gerne per PM - auch werde ich im Herbst aus den Ausführungen hier einen Artikel auf meiner Seite machen.
Grüße und
Radulph
Edit: Ganz viele Edits = Tippfehler
Zweites Edit: Das Pumpkin Ale ist neben dem Bière de garde unser bewährtes Fußballbier bei der Konferenz am Samstag.