Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

Alles, was mit dem Thema Historische Biere, Grut- bzw. Kräuterbiere, Gewürzbiere, aber auch mit Sake Brauen oder Brauen mit ungewöhnlichen Fermentationsarten zu tun hat
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BrauSachse
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Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

#1

Beitrag von BrauSachse »

Hallo liebe Kenner historischer Brauprozesse,

vor einiger Zeit hat muldengold Recherchen zum Merseburger Bier angestellt, die ich sehr aufmerksam verfolgt habe: viewtopic.php?p=492181&hilit=Merseburger#p492181

Im Zuge dessen bin ich auf eine Erwähnung von Geithayner Bier gestoßen - und ich war wie elektrisiert. Bier aus meiner Heimatstadt, und dann noch soooo lange her? Das erschien mir unglaublich. :Bigsmile

In den Oekonomischen Nachrichten von 1750 ist ab Seite 707 ein Leserbrief abgedruckt, der "Von der Präparatur des Geithayner Bieres" handelt.

"Geithayner Bier. Die Art, wie dasselbe gebrauet wird, ist fast eins mit andern Städten, da sowohl zu 1 Viertel 1 Scheffel Gerste, und noch etwas darüber, genommen, als auch das Malz gehörig präpariret wird. Nur nehmen sie zu ihrem Lagerbier, welches im März gebrauet wird, Böhmischen Hopfen.

In nachfolgendem aber gehet es von andern ganz ab. Denn, sobald als das Bier gebrauet ist, tragen sie es noch warm aus dem Brauhause in ihre Häuser, und gießen es in Kühlfässer, deren Höhe 3 Spannen, in der Weite aber etwas räumlich sind, in welchen kaum 1 Tonne, oder etwas darüber, gehet. Wenn es, nach Gelegenheit der Wärme oder Kälte der Luft, 15, 20, ja manchmahl 24 Stunden gestanden, so probiren sie mit Hineinhaltung des Fingers, ob es genugsam verkühlet, da sie es denn laulicht zusammengießen in 2 große Fässer, welche unten etwas breiter als oben sind, und etwa 5/4 voll in Maaß halten; jedoch gießen sie nur 4 Viertel Bier in eins, damit beinahe ein Drittel des Gefäßes zur Gährung leer bleibe.

Wenn es nun so ein paar Tage gestanden, so fängt es von freien Stücken an zu gähren, so daß es einen Gischt (welches sie Krausen nennen) von 1/2 Elle hoch, und darüber, aufwirft. In solcher Gährung ist es vortrefflich trinkbar, und sonderlich stark, so daß man nicht viel davon vertragen kann, wie sie denn unter der Zeit davon trinken, und verkaufen. Nach Verlauf von 11 bis 14, zuweilen auch mehrern Tagen, nach Variation der Witterung, fällt die Gähre nieder, und wird bräunlich, schwärzlich, und das Bier schaal. Alsdenn nehmen sie zusammengebundene birkene Ruthen, peitschen das Bier, auf die Manier, wie man Eiweiß schlägt, 1 bis 2 Stunden, oder auch weniger; dann ist es ganz und gar stumpf; worauf sie es sogleich auf Viertel oder Tonnen füllen, solche verspündet in die Bergkeller führen, und auf Lager legen. Daselbst bleibt es nun solange liegen, bis sie es aufstoßend machen, daß es trinkbar wird, und haben weiter nichts dabei zu thun, als daß sie die Fässer fleißig abwischen und rein halten.

Wenn es nun trinkbar werden soll, ist folgende Methode zu beobachten. Acht Tage vorher schlagen sie das Faß auf, und füllen es täglich zweimahl mit reinem Brunnenwasser bis oben an, und halten es dabei mit Abwischen reinlich, so fängt es gegen den 4ten, 6ten oder 8ten Tag an, die Gähre durch das Spundloch auszustoßen; dem ungeachtet füllen sie es noch einige Tage, so daß in manches Viertel eine Wasserkanne, und noch mehr, Wasser, eingefüllet wird. Alsdenn ist es ein trefflicher Trunk. Will es aber den 6ten oder 8ten Tag nicht freiwillig aufstoßen, so quirlen sie ein wenig Weizenmehl in Brunnenwasser, und füllen es ein; so zeigt es bald seine Gähre. Und auf diese Art erhalten sie bis an Michaelis ihr Bier frisch, rein und gut."


Bis zum Ende des dritten Absatzes kann ich mir erklären, wie das Brauen damals ablief. Hauptgärung und Nachgärung, dann erfolgte das Abfüllen in Fässer, die in "Bergkellern" auf Lager gelegt wurden. Aber ich habe keine Ahnung, warum danach die Fässer mit Wasser aufgefüllt wurden, um das Bier "trinkbar" zu machen usw.

Könnt ihr mir erklären, was damals gemacht wurde (das ist teilweise beschrieben) und warum das so gemacht wurde? Ich würde gern den Prozess verstehen, "nachbrauen" möchte ich das Bier nicht. Den Originaltext von 1750 habe ich als PDF angefügt.

Danke für eure Hilfe
Tilo

P.S. Die Bergkeller existieren noch heute und können besichtige werden (https://www.geithain.de/kultur-tourismu ... he-gaenge/)

P.P.S. Geithayner Bier war um 1750 besser als Oschatzer Bier, so wird es im Leserbrief beschrieben. Das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen. :Wink

Geithayner Bier 1750.pdf
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Re: Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

#2

Beitrag von Ökonomierat »

...ich zitiere mal aus dem Brauerhandbuch von Karl Hennies (7.Auflage von 1967):

Früher machte man die Fässer spundvoll, d.h.ganz voll. Setzte in diesem Fall die Nachgärung ein, so stieß das Bier oben beim offenen Spundloch einen weissen Schaum -der ausgeschiedene Hopfenharze enthielt- aus; man nannte dies das " Käppeln". Die Schaumhaube ging dann allmählich wieder zurück. bei diesem "Stoßenlassen" des Bieres lief natürlich das Fass etwas über; man machte das Fass nach14 Tagen wieder mit Brunnenwasser spundvoll. Man nannte dies Auffüllen oder Nachstechen. Es wurde dadurch die Nachgärung angeregt.
Für gewöhnlich genügte einmaliges Nachstechen. Das Überlaufen des Fasses war eine recht unsaubere Angelrgenheit. Man setzte deshalb hier und da
schüsselartige Aufsätze auf, sogenannte Kappenraffer.
Nach dem Stßenlassen und Nachstechen wurde das Faß mit einem Holz oder Schraubspund vollig geschlossen (das Faß wurde gespundet).
Die nun im weiteren Verlauf der Nachgärung sich bildende Kohlensäure verblieb restlos im lagerden Bier.

Anschliessend erfolgt eine Abhandlung über das Spunden des Bieres mit Spundapparaten.
...und ein kurzer Hinweis, dass das Nachstechen heute steuerrechtlich verboten ist.

Die Methode scheint ein vorsichtiges Herantasten an das Spunden zu sein, ohne Manometer durch Beobachtung und Erfahrung.


GaA

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Re: Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

#3

Beitrag von BrauSachse »

Danke Dieter, das erklärt es. :thumbup Man lernt immer dazu. :Bigsmile

Viele Grüße
Tilo
rauchbier
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Re: Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

#4

Beitrag von rauchbier »

Wird in älteren Braubüchern auch als eine Methode unter dem Überbegriff "Fassgärung" in Abgrenzung zur "Bottichgärung" beschrieben.
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Re: Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

#5

Beitrag von BrauSachse »

Danke euch, jetzt weiß ich mehr - auch, dass ich mich mal mit der Brauhistorie befassen sollte. :Wink

Viele Grüße
Tilo
Ökonomierat
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Re: Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

#6

Beitrag von Ökonomierat »

Ich glaube nach wie vor, dass man sich um 1750 schon mit dem Spunden befasst hat, ohne Würzespindel, Manometer und sogar evtl. ohne Thermometer. Der Vergärungsgrad wurde am Zustand der Kräusendecke abgeschätzt und der Zeitpunkt des Umlagerns,- Schlauchen vom offenen Bottich ins Lagerfass- durch das Nachstechen flexibler.

GaA

Dieter
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Re: Geithayner Bier 1750 - was wurde damals gemacht?

#7

Beitrag von BrauSachse »

Ja, das klingt danach. Im Otiginal-Beitrag wird auch hervorgehoben, dass dies eine ungewöhnliche Art des Vorgehens bei der Gärung ist.

Viele Grüße
Tilo
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