Zunächst einmal: Richtig spannende Diskussion mit vielen Facetten.
Beim Lesen der bisherigen Beiträge sind mir zwei Ebenen in den Antworten aufgefallen:
- Was kann ich als Einzelner tun?
- Was können wir als Gesellschaft tun?
Die Antwort auf die erste Frage ist meiner Meinung nach relativ klar: Der Effekt von jedem Einzelnen ist sehr überschaubar. Für das 1,5°C-Ziel macht es keinen Unterschied, ob ich jedes Wochenende einen Sud braue oder nicht. Bei der zweiten Frage hatte ich den Eindruck, dass manche schon aufgegeben hatten - zu gross das Problem, zu unwillig die Menschen. Ich sehe das anders. Es macht einen Unterschied, welche Partei gerade an der Regierung beteiligt ist - und darauf haben wir alle direkten Einfluss. Die Grösse von Demonstrationen zeigt auch, welche Ideen und Vorstellungen gesellschaftlich akzeptiert sind. Es macht einen Unterschied, ob man sich für eine regionale Energiewende und den Bau von Windrädern engagiert oder gegen deren Errichtung. Man muss kein Öko-Heiliger sein, um sich für mehr Klimaschutz zu engagieren.
schlupf hat geschrieben: Freitag 25. März 2022, 09:00
Ich wäre eigentlich auch nicht so sehr an ökopolitischen Grundsatzdiskussionen interessiert, sondern würde mich eher freuen, wenn vielleicht einer der Profis ein paar Zahlen aus der Industrie nennen könnten, wo man seinen eigenen Fußabdruck mit Vergleichen könnte.
Um auf Schlupfs ursprüngliche Frage zu Beginn dieses Threads zurückzukommen: Ich finde die verschiedenen Rechnungen und Abschätzungen zum Energieverbrauch sehr interessant und würde gerne einen grösseren Bogen aufmachen. Als wissenschaftliche Methode gibt es Life Cycle Assessments, die auch Jan kurz angesprochen hatte. Eine sehr interessante und transparente Studie ist 2018 in "Science" erschienen: Joseph Poore und Thomas Nemecek analysieren darin die Emissionen, die für einzelne Lebensmittel aber auch unsere Ernährungsstile als Ganzes entstehen. Die beiden Autoren verwenden dazu eine Meta-Analyse, die die Resultate einer Vielzahl von Studien zusammenfasst (
Link hier). Die Studie selbst wurde nach ihrem Erscheinen recht öffentlich besprochen und auch inzwischen in mehr als 2000 anderen wissenschaftlichen Artikeln zitiert.
Eines der in der Studie betrachteten Lebensmittel ist Bier. Die Studie betrachtet den Lebenszyklus vom Anbau der Rohstoffe über den Brau-Prozess bis hin zum Transport und der Lagerung im Einzelhandel. Im Prinzip decken sie damit also alle Emissionen ab, die bis zum Kauf an der Ladenkasse entstehen. Sie teilen die Gesamt-Emissionen auch diesen einzelnen Phasen zu - wenn ich das richtig sehe, ist das im Prinzip das, was Schlupf zu Beginn gesucht hatte.
Weil die Studie verschiedene andere Studien zusammenfasst, kann sie auch Unterschiede und Unsicherheiten in Zahlen ausdrücken. Sucht man im Zusatzmaterial für die Werte nach Bier, findet man folgendes:
- Rohstoffe - Braugerste: durchschnittlich 1,1kg CO2-Äquivalente für 1kg Braugerste, mit insgesamt sehr ähnlichen Werten zwischen 1,0 und 1,3 aus mehr als 80 Datenquellen. Wenn man grob davon ausgeht, dass man aus 5kg Malz etwa 20-25l Bier bekommt, wäre man bei umgerechnet etwa 0,24kg CO2-Äquivalente für das Malz pro Liter Bier.
- Brau-Prozess (Mälzen, Maischen, Brauen): im Durchschnitt 0,12kg CO2-Äquivalente für die Produktion von 1l Bier, mit einer Schwankung zwischen 0,07 und 0,18kg.
- Verpackung: im Durchschnitt 0,51kg CO2-Äquivalente für die Verpackung von 1l Bier, aber mit einer erheblichen Schwankung zwischen 0,02kg für Kegs und 2,57kg für grösstenteils unrecycelte Glasflaschen.
- Handel: im Durchschnitt 0,27kg CO2-Äquivalente für den Verkauf von 1kg gekühlten Lebensmitteln wie Bier oder Fleisch. Betrachtet man nur die beiden Studien für Bier, findet man 0,18kg und 0,42kg.
(Hopfen und Hefe tauchen nicht in der Rohstoff-Übersicht auf, aber dürften wegen ihrer insgesamt geringen Menge wohl kaum eine Rolle spielen.)
Insgesamt sieht man also, dass die Verpackung ein ziemlich grosser Faktor ist und auch Transport und Handel ebenfalls ein wichtiger Faktor ist. Also: Gute Nachrichten für uns Hobbybrauer, wenn wir diese beiden Punkte für unsere eigene Rechnung vernachlässigen können (zumindest unter der Annahme, dass wir unsere
Flaschen via Leergut gewinnen). Im Vergleich zu Grossbrauereien gewinnen wir also etwas "Spielraum" für einen weniger effizienten Brau-Prozess - wie viel genau, kann ich spontan nicht ermitteln, aber vielleicht hat ja jemand eine Idee.
(Sieht man auch
hier, S. 59. )
Natürlich sind das Durchschnittswerte und die Zahlen stammen aus verschiedenen Ländern und Gegebenheiten - auf eine spezifische Situation wird man es nicht 1:1 übertragen können. Aber: Gerade weil man die Schwankung sieht, sieht man auch ganz gut, wo die Hebel sind: Bei der Gerste gibt es im Prinzip keine Unterschiede, egal wo und mit welchen landwirtschaftlichen Methoden angebaut wird. Verpackung hingegen ist ein deutlich grösserer Faktor, mit dem Brauereien ihren CO2-Fussabdruck senken könnten.
Falls sich jemand für die gesamte Excel-Datenbank interessiert, aus der ich die Zahlen von oben habe:
Frei zum Download verfügbar hier.
(PS - wer noch praktische Alltags-Tipps sucht: Einer der wesentlichen Punkte der Studie ist, dass eine Änderung unserer Ernährungsgewohnheiten einen deutlich grösseren Effekt hat als die Umstellung der Produktionsweise unserer Lebensmittel. Aus Klima-Sicht ist also auch das bestmögliche Rindfleisch deutlich schlechter als die schlechtmöglichst angebaute Kartoffel.)
(EDIT - Tippfehler)