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Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Dienstag 20. April 2021, 17:31
von Räuber Hopfenstopf
Moin,
ich habe neulich eine Berliner Weiße mit einem selbstgemachten Milchsäurestarter aus Malz angesetzt.
Ich hatte noch einen Milchsäurestarter, der fantastisch zitronig geschmeckt hat. Am liebsten hätte ich den ausgetrunken.
Daraufhin ergab sich eine Diskussion, ob und unter welchen Umständen man sich damit Mikroorganismen einfangen kann, die man besser nicht in seinen Lebensmitteln haben sollte und der wunsch nach einem Extra-Thread kam auf. Bisher war ich der Meinung, dass auch eine spontag einsetzende Milchsäuregärung nicht zu pathogenen Keinem führen kann (zumindest nach Abschluss der Fermentation). Aber da es doch Einwände gab, möchte ich das hier zur Diskussion stellen. Quasi auch als Wissenssammlung zu dem Thema. Wer also mehr dazu weiß - her damit. Das betrifft ganz ausdrücklich auch verwandte Produkte (Kombucha, Kefir, Sauerkraut, Surströmming, Harkal und was weiß ich noch alles). Na gut, Surströmming und Harkal lassen wir für die Veganer raus.
Viele Grüße
Björn
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Dienstag 20. April 2021, 17:44
von §11
Ich glaube hier muss man vor allem unterscheiden ob wir von Bier im herkömmlichen Sinn sprechen oder eben um Getränke mit verrückten Zutaten.
Bier ist gelebte Evolution. Bier, wie es sich über Jahrunderte entwickelt hat, ist mikrobiologisch recht sicher. Selbst wenn der Prozess ausschert, ist die Gefahr sich pathogene Keime einzufangen sehr gering. Der Grund ist der pH, der Alkoholgehalt, die Sauerstoffarmut, bestimmte Hopfeninhaltsstoffe und zu guter letzt die Verfügbarkeit von Nährstoffen. Unsere Altvoderen hatten davon keine Ahnung und sicherlich gab es auch unten ihnen welche die gerne experimentiert haben. Allerdings sorgt hier das Grundprinzip der Evolutionslehre führ die natürliche Auslese. Mikrobiologisch unsicheres Bier in einer Welt ohne rudimentäre medizinische Versorgung zu brauen führt dazu das diese Brauer sich selbst aus dem Genpool entfernt haben und das Wissen um Ihr Bier nicht weitergeben werden konnte.
Warum schreibe ich das? Gerade die Zusammensetzung der Nährstoffe ändert sich schlagartig, wenn man auf Ideen kommt wie die Pizza oder die Chickenwings vom Vortag mit einzumaischen.
Gruss
Jan
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Dienstag 20. April 2021, 20:12
von Räuber Hopfenstopf
Naja, ganz so weit wollte ich nicht ausholen. Mir geht es primär schon um Bier und es hat sich ja an meinem Malzstarter aufgehängt (von dem ich mir ein Schlückchen gegönnt habe). Und IMHO ist dann js das weite Feld der spontan vergorenen Biere auch betroffen. Vielleicht können die mikrobiologisch beschlagenen Foristen ja für Aufklärung sorgen. Ich lebe noch und wesentliche Funktionen meines Körpers funktionieren noch zu meiner Zufriedenheit. Also offenbar keine Salmonellose oder ähnliches. Aber meine Berliner Weiße ist trotz massiver Zugabe von Lactobazillen nicht suaer genug geworden. Kollege Hefe hat anscheinend die mixed fermentation gewonnen...
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Dienstag 20. April 2021, 20:34
von Fips
Vielleicht kann ein Mod (Jan?) Ja die bisherigen Beiträge aus
https://hobbybrauer.de/forum/viewtopic. ... start=2500
dazu hierher verschieben? Dann müsste man nicht noch mal von vorne Anfangen. Danke!
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Dienstag 20. April 2021, 20:57
von BrauSachse
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Dienstag 20. April 2021, 22:48
von woschl
Ich habe, bevor ich mit dem Bierbrauen angefangen habe, auch lange Sauerkraut selbst gemacht. Da ich mir wegen der pathogenen Keime auch nicht ganz sicher war, hab ich damals etwas recherchiert und z.B. diesen Artikel gefunden:
https://www.wildefermente.de/botulismus/
"So there are no cases in the literature anywhere on this earth that people getting botulism from fermenting vegetables."
viele Grüße
Wolfgang
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Mittwoch 21. April 2021, 09:30
von JackFrost
Botolinum überlebt unter pH 4,6 nicht. Daher sind Sauerkonserven sicher. Tomatensauce ist da direkt an der Grenze daher sollte man die Tyndalisieren da man die 121‘C zuhause selten schafft.
Gruß JackFrost
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Mittwoch 21. April 2021, 10:34
von flying
Botulinum wird natürlich immer wieder als ganz große Keule genannt. Ich kenne jetzt keinen Fall von Botulinismus durch Bier? Dennoch gibt es geschichtliche Aufzeichnungen von Krankheiten und Tod durch verdorbenes Bier. Es gibt durchaus auf Bier spezialisierte Schädlinge aus der Enterobacter-Familie. Meisten nicht humanpathogen. EHEC allerdings, also ein E. Coli welches blutigen Durchfall auslöst ist da schon ein anderes Kaliber. Immerhin bieten Institute die Biere auf Schädlinge untersuchen auch den Nachweis von E. Coli an. Bei EHEC reichen z. B. schon 100 Bakterien um sich zu infizieren. Alles sehr spekulativ und höchst selten aber vermutlich möglich..
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Mittwoch 21. April 2021, 10:56
von Labmaster
Oh ja kann man !
Deshalb sollte man bei Vermehrungen immer über Agarplatte gehen unm dann die einzel Kolonie zu beruteilen und dann vermehren.
Wenn man irgendwas vermehrt kann sich durch Nähstoffangebot und oder pH Wert Änderung was anderes als das gewollte schlagartig vermehren und die Oberhand gewinnen.
Warum gibt es wohl im Lebensmittelbereich wohl eine Hygieneverordnung ?
Aber...
§ 3 - Et hätt noch immer jot jejange
Grüße Jo
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Mittwoch 21. April 2021, 11:51
von hiasl
flying hat geschrieben: ↑Mittwoch 21. April 2021, 10:34
Botulinum wird natürlich immer wieder als ganz große Keule genannt. Ich kenne jetzt keinen Fall von Botulinismus durch Bier? Dennoch gibt es geschichtliche Aufzeichnungen von Krankheiten und Tod durch verdorbenes Bier. Es gibt durchaus auf Bier spezialisierte Schädlinge aus der Enterobacter-Familie. Meisten nicht humanpathogen. EHEC allerdings, also ein E. Coli welches blutigen Durchfall auslöst ist da schon ein anderes Kaliber. Immerhin bieten Institute die Biere auf Schädlinge untersuchen auch den Nachweis von E. Coli an. Bei EHEC reichen z. B. schon 100 Bakterien um sich zu infizieren. Alles sehr spekulativ und höchst selten aber vermutlich möglich..
EHEC (also
E. coli ssp.) lässt sich aber zuverlässig durch Erhitzen über 70 °C eliminieren und bildet keine Sporen.
https://www.bfr.bund.de/cm/350/verbrauc ... i-ehec.pdf
Bei
E. coli im Bier geht es meines Erachtens eher um die Hygiene von Füllern und Schankanlagen. Im Bier kommt es ja erst mal nicht vor.
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Mittwoch 21. April 2021, 12:13
von DerDerDasBierBraut
Historisch wäre noch zu bedenken, dass Gastwirte verdorbene Biere damals unter anderem mit verquirltem Ei und/oder Eierschalen wieder ‚ausschankfähig‘ gemacht haben.
Hier im Forum gab es vor ca. einem Jahr einen heiteren Thread dazu.
Womöglich haben die Leute sich damals nicht am trüben Sauerbier vergiftet, sondern mit Salmonellen & Co?
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Mittwoch 21. April 2021, 13:35
von Fips
DerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Mittwoch 21. April 2021, 12:13
Womöglich haben die Leute sich damals nicht am trüben Sauerbier vergiftet, sondern mit Salmonellen & Co?
Naja, indem Post, der den Anstoss zu diesem Thread hier gegeben hat, ging es um das Trinken eines Milchsäurestarters aus mit Malz inokulierter Würze. Da sind Salmonellen schon ein Thema. Zudem sich da die Frage stellt, inwieweit die Methode bei Sauerbieren wie der Berliner Weißen mit relativ niedrigem Alkoholgehalt und potentiell relativ kurzen Umsatzzeiten als generell sicher/unbedenklich angesehen werden kann.
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Mittwoch 21. April 2021, 14:34
von Braufex
DerDerDasBierBraut hat geschrieben: ↑Mittwoch 21. April 2021, 12:13
Historisch wäre noch zu bedenken, dass Gastwirte verdorbene Biere damals unter anderem mit verquirltem Ei und/oder Eierschalen wieder ‚ausschankfähig‘ gemacht haben.
Hier im Forum gab es vor ca. einem Jahr einen heiteren Thread dazu.
Womöglich haben die Leute sich damals nicht am trüben Sauerbier vergiftet, sondern mit Salmonellen & Co?
Servus Jens, hier der Link:
https://hobbybrauer.de/forum/viewtopic. ... 87#p363887
Dein Selbstversuch hat sich damals bei mir ins Hirn gebrannt, da muss Mann schon Eier haben ...
Gruß Erwin

Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Donnerstag 22. April 2021, 17:39
von Pappelbräu
Hmm, ich hätte jetzt auch gedacht, dass es eine gute Idee ist, einen Sauerteig zum Brauen mit gemischter Gärung zu verwenden... Ich meine natürlich einen Sauerteig, der gut riecht, und den man auch zum Backen nehmen würde...
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Donnerstag 22. April 2021, 17:50
von Räuber Hopfenstopf
inwieweit die Methode bei Sauerbieren wie der Berliner Weißen mit relativ niedrigem Alkoholgehalt und potentiell relativ kurzen Umsatzzeiten als generell sicher/unbedenklich angesehen werden kann
Gerade, wenn Brettanomyces im Spiel ist, sind die Fermentationszeiten relativ lang (oder was ist hier mit Umsatzzeiten gemeint?). Die sind ja nicht so schnell, die Kollegen. Wyeast gibt z. B. für den Roeselare Blend bis zu 18 Monate an. Pediokokken können bei der Fermentation zu einer Erhöhung der Viskosität führen, was dann mit der Zeit wieder abgebaut wird. Auch bei der Verwendung von Turbid Mash dauert es wohl eine Weile, bis die Fermentation soweit ist, dass die Stärkereste abgebaut sind. Wir sollten das also nicht mit der "quick and dirty" Berliner Weiße von heute verwechseln, sondern reden hier von i. d. R. mehreren Monaten im Gärbehälter.
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Freitag 23. April 2021, 07:13
von Fips
Da geht jetzt aber einiges durcheinander. Der Roselare Blend ist eine Kultur, wie man sie normalerweise für Flanders Red Ales oder ähnliches einsetzt.
Eine turbid mash ist ein Maischeverfahren für lambicartige Biere.
Darüber, ob Pediokokken jetzt unbedingt in eine Berliner Weiße gehören kann man mit Sicherheit streiten. In meinen Augen ist das eher ein Spezialfall.
Und auch unter Anwesenheit von Brett (und Pedikokken) kann eine halbwegs klassische Berliner Weiße durchaus nach 3 Monaten abgefüllt werden:
https://wilder-wald.com/2017/12/08/hist ... ew-recipe/
Das ist für ein Sauerbier eben sehr schnell. Es entsteht dabei auch nur relativ wenig Alkohol. Wenn man dann ein Verfahren nutzt, bei dem sich Salmonellen und Wisella in der Würze stark vermehren konnten wäre ich mir eben nicht so sicher, ob das nach der relativ kurzen Gärdauer und dem relativ niedrigem Alkoholgehalt
immer risikolos zu trinken ist.
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Freitag 23. April 2021, 10:25
von Räuber Hopfenstopf
Es ging in diesem Thread aber auch nicht explizit um Berliner Weiße, siehr Eingangspost. Was Roeselare Blend und Turbid Mash sind, weiß ich. Und auch, dass Pediokokken nicht in Berliner Weiße, wohl aber in belgischen Bieren sein können. Es ging mir eher um die Frage, was "kurze Umsatzzeiten" sind. Im Vergleich zu Flanders Red Ale sind drei Monate kurz, im Vergleich zu einem normalen obergärigen Bier eher lang.
Das Thema meiner Weiße hat sich wahrscheinlich sowieso erledigt. Die Milchsäurebakterien waren zu langsam und ich bin bei pH 3,9 - 4 rausgekommen. Also beim nächsten Versuch erst die Lactobazillen dazugeben und dann später die Hefe.
Re: Fermentierung mit wilden Mikroorganismen - gesundheitliche Aspekte
Verfasst: Samstag 24. April 2021, 12:26
von Fips
Wenn Du auf meinen Beitrag zur Berliner Weiße Bezug nimmst und sagst, dass Gärungen mit Brett generell sehr lange sind und dann im nächsten Satz ohne Abgenzung mit 18 Monaten Gärzeit für den Roselare Blend und ähnlichen Gärzeiten für turbid mash und Pediokokken argumentierst, dann wirkt das zumindest auf mich so, dass Du die Berliner Weiße auch in dieser Ecke verortest, was meiner Aufassung nach eben nicht zwingend der Fall ist.
Und den Vergleich zum Ale bezüglich der Fermentationszeit sehe ich nicht. Schließlich wirft man in der Regel keine Sauerstarter aus Malz in sein Ale?
Die interessante Frage ist in meinen Augen eher, wie lange Salmonellen, Weissella und Co unter den Bedingungen einer BW überleben (ungleich vermehren) können. In meiner Recherche dazu bin ich auf Studien gestoßen, die durchaus von 40 Tagen für Salmonellen sprechen. Ich reiche die Quelle gerne nach, wenn ich wieder am Rechner bin. Das ist dann eben schon in der Größenordnung, in der manche eine BW abfüllen.