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„Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Dienstag 19. April 2022, 17:22
von jaulinho
Hi,

Wollte nur mal meinen ersten Fehlsud mit Euch teilen, es sollen ja nicht nur die Glanzstücke propagiert werden :)

Gebraut hatte ich einen OG Maibock nach Tauroplu, leicht verändert. Den hatte ich schon 2-3 Mal gebraut und er war immer bestens. Wie immer habe ich auch dieses Mal die Liberty Bell Hefe genommen, weil die für OG recht neutral vergärt und so schön ausfällt.

Leider ist mir dieses Mal der Starter misslungen bzw. war zu niedrig dosiert. Die Gärung sprang spät an (nach ca. 36h) und die gesamte Hauptgärung zog sich über 2 Wochen hin. Der Duft war die ganze Zeit himmlisch, der Geschmack allerdings schon während der Gärung „seltsam“ - leicht säuerlich. Nach 3-4 Tagen Stillstand auf dem Refraktometer (EVG ungewöhnlich niedrig: 70%, normalerweise lande ich mit Liberty Bell bei 80% und mehr) habe ich abgefüllt in Flaschen. Nachgärung lief auch wieder langsam, aber war bei ca. 24 Grad auch nach 10 Tagen durch (normalerweise dauert das bei den Temperaturen ca. 4 Tage).

Geschmackstest: medizinisch, leicht sauer im Abgang, kurz gesagt: untrinkbar. Ich habe das Ganze dann nochmals 4 Wochen ruhen lassen, eine Kiste im Kühlschrank, eine Kiste habe ich warm stehen lassen. Auch nach 4 Wochen keinerlei positive Geschmacksveränderung. Dafür sind mir im warmen Kasten gestern 4 Flaschen auf einmal explodiert. Ich habe keine Ahnung, was da im Jungbier war, aber es ist strange.

Frage an die Experten: die Hygiene war wie immer makellos. Das Maischverfahren auch ohne Auffälligkeiten, eher sogar eine sehr gute SHA von 68% gehabt (normal 60-62%). Kann das sein, dass die total underpitched Hefe solche Aromen produziert? Und wenn ja, was ist denn da genau passiert?

Liebe Grüße
Tom

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Dienstag 19. April 2022, 18:41
von emjay2812
Ich vermute du hast dir in den 36h Stunden Anstellzeit eine wilde Hefe eingefangen. Das spricht für das Medizin-Aroma und den Überdruck. Hatte ich auch schon. Geschmack nach Zahnarzt und wilde Schaumfontänen.

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Dienstag 19. April 2022, 19:28
von jaulinho
emjay2812 hat geschrieben: Dienstag 19. April 2022, 18:41 Ich vermute du hast dir in den 36h Stunden Anstellzeit eine wilde Hefe eingefangen. Das spricht für das Medizin-Aroma und den Überdruck. Hatte ich auch schon. Geschmack nach Zahnarzt und wilde Schaumfontänen.
Das könnte gut hinkommen - @Ladeberger hat ja so mal vor Jahren einen ähnlichen Beitrag kommentiert: wilde Brett, vom Stamm derer, die man nicht will. Würde auch die leichte Säure erklären.

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Dienstag 19. April 2022, 19:30
von DerDallmann
Was für ein Hahn ist an deinem Gärbehälter? Kann man den zerlegen und reinigen?

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Dienstag 19. April 2022, 19:43
von jaulinho
DerDallmann hat geschrieben: Dienstag 19. April 2022, 19:30 Was für ein Hahn ist an deinem Gärbehälter? Kann man den zerlegen und reinigen?
Hi Johst, ja, kann man und macht man. Wird in Einzelteilen ausgekocht und dann mit Phosphorsäure 24h desinfiziert. Bin zwar Newbie, aber habe jetzt doch schon ca. 20 Sude durch. Alle waren top (peinliches Eigenlob, I know, aber einfach Glück gehabt) und das ist der erste, der in die Hose ging.

Hatte 1-2 Mal aufgezogen nach 24h - Kelle war zwar desinfiziert, genauso die Hände bis zum Ellenbogen, aber wer weiß….

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Dienstag 19. April 2022, 19:52
von DerDallmann
Alles klar, wollte das ausschließen

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Dienstag 19. April 2022, 20:51
von Ladeberger
Ja, das klingt leider schon nach Fremdhefen. Sauberkeit der Brauutensilien mag gegeben sein, aber wir arbeiten eben auch nie in einer sterilen Umgebung, weshalb die Zeit grundsätzlich gegen uns arbeitet. 36 h bis Ankommen, 14 Tage für eine Obergärung und 10 Tage Nachgärung: Das gestaltete sich insgesamt schon verdächtig zäh.

Eine Frage ist auch immer, mit welcher mikrobiologischen Qualität von Hefesatz man in die Gärung gestartet ist. Kannst du die Verfahrensweise rund um den Starter mal näher erläutern? Die Liberty Bell ist ja m.W. eine Trockenhefe, die Brücke zu einem Starter ist mir hier noch nicht ganz klar.

Gruß
Andy

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Mittwoch 20. April 2022, 03:39
von jaulinho
Ladeberger hat geschrieben: Dienstag 19. April 2022, 20:51 Kannst du die Verfahrensweise rund um den Starter mal näher erläutern? Die Liberty Bell ist ja m.W. eine Trockenhefe, die Brücke zu einem Starter ist mir hier noch nicht ganz klar.

Gruß
Andy
Gerne: die Liberty Bell war bereits zweimal im Einsatz. Wie immer ernte ich die hochkräusen und lagere sie bis zum nächsten Einsatz in Speise bei 2 grad im vorher sterilisierten Gefäß. Ein paar Tage vor dem brauen nehme ich sie raus, bringe sie auf Zimmertemperatur und führe sie mit Speise über einige Tage bis auf ca 1-1.5 Liter. Infektion der Speise kann ich ausschließen, habe sie in anderen Startern ohne Probleme verwendet und sie ist auch geschmacklich top.

Ich vermute, dass es dieses Mal einfach nicht genug war, hatte sie erst am Tag vor dem brauen aus dem Kühlschrank genommen und gefüttert.

Gruß
Tom

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Mittwoch 20. April 2022, 09:28
von Ladeberger
Von Startern aus Erntehefe lese ich hier in letzter Zeit öfter. Ich halte davon nichts, es passt nicht zusammen. Erntehefe hat ohne MiBi-Kontrolle nicht die notwendige Ausgangsqualität für eine Propagation.

Ziel der Hefeernte ist es, eine ausreichende Hefemenge zu gewinnen, mit der man den nächsten Sud unmittelbar anstellen kann. Wenn der Hefetrieb nicht genug Material hergibt, nimmt man eben noch etwas vom Bodensatz dazu, sodass am Ende pro Hektoliter Würze etwa 0,5 l Hefe dickbreiig (OG) oder 1 l (UG) zur Verfügung stehen. Die Hefe in Würze einzulagern erscheint mir mikrobiologisch heikel. Sie auf dem Jungbier zu lassen ist wegen dem Alkohol zwar auch nicht optimal, aber ein besserer Kompromiss zwischen MiBi und Vitalität ist wohl eine "Abmagerung" der Erntehefe mit einer sterilen 0,9 % NaCl-Lösung oder zumindest Brauwasser (enthärtet, entgast, steril).

Geht es bei der Hefeernte hingegen nur um die Stammerhaltung, würde ich eher unter den (halbwegs) sterilitätserhaltenden Techniken des Hefebankings in Ecoflacs mit 0,9 % NaCl-Lösung einlagern.

Gruß
Andy

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Mittwoch 20. April 2022, 15:58
von jaulinho
Ladeberger hat geschrieben: Mittwoch 20. April 2022, 09:28 Von Startern aus Erntehefe lese ich hier in letzter Zeit öfter. Ich halte davon nichts, es passt nicht zusammen. Erntehefe hat ohne MiBi-Kontrolle nicht die notwendige Ausgangsqualität für eine Propagation.

Ziel der Hefeernte ist es, eine ausreichende Hefemenge zu gewinnen, mit der man den nächsten Sud unmittelbar anstellen kann. Wenn der Hefetrieb nicht genug Material hergibt, nimmt man eben noch etwas vom Bodensatz dazu, sodass am Ende pro Hektoliter Würze etwa 0,5 l Hefe dickbreiig (OG) oder 1 l (UG) zur Verfügung stehen. Die Hefe in Würze einzulagern erscheint mir mikrobiologisch heikel. Sie auf dem Jungbier zu lassen ist wegen dem Alkohol zwar auch nicht optimal, aber ein besserer Kompromiss zwischen MiBi und Vitalität ist wohl eine "Abmagerung" der Erntehefe mit einer sterilen 0,9 % NaCl-Lösung oder zumindest Brauwasser (enthärtet, entgast, steril).

Geht es bei der Hefeernte hingegen nur um die Stammerhaltung, würde ich eher unter den (halbwegs) sterilitätserhaltenden Techniken des Hefebankings in Ecoflacs mit 0,9 % NaCl-Lösung einlagern.

Gruß
Andy
Danke für den Tipp, Andy. Werde ich mal so versuchen. Habe die letzten 15 Sude nach dem beschriebenen Verfahren gemacht, die alle gut gingen, aber ich bin ja offen für Neues. Temperierst Du die Hefe auf Zimmertemperatur vor dem Anstellen - oder direkt aus dem Kühlschrank rein in die Würze?

Gruß
Tom

Re: „Medizinisches“ Aroma / Fehlsud

Verfasst: Mittwoch 20. April 2022, 16:15
von Ladeberger
Ich lasse die Hefe auf die Temperatur der Anstellwürze kommen, da sich hefephysiologisch möglichst geringe Differenzen (< 1 K) zwischen Würze und Hefe empfehlen.

In Brauereien kommt aber auch mal die bei 1 °C gelagerte Weißbierhefe nach etwas hin-und-her-kippen in Eimern in die 19 °C Würze; der Praktiker ist da also weniger panisch als der Hefeforscher (s. https://hobbybrauer.de/forum/viewtopic. ... ck#p403436).

Generell: Bei Erntehefe ganz besonders auf gründliche Homogenisierung und Belüftung achten.

Gruß
Andy