Spurensuche: Der Restsüße auf den Zahn gefühlt
Verfasst: Montag 1. Mai 2023, 17:28
Hallo zusammen,
die Restsüße ist so ein Ding.
In Beiträgen zur Beschreibung von Geschmackseindrücken vielfach verwendet und wechselweise mal mit positiven, mal mit negativen Eindrücken behaftet. Meistens geht es um drinkability und darum, ob sich die Restsüße harmonisch einfügt oder eher auffällig, gerne mit Attributen wie "breit, mastig, süß" versehen, daher kommt.
Tückisch an der Restsüße ist: Sie ist nicht greifbar und sie ist mächtig!
Jeder darf/soll/kann Restsüße als Begrifflichkeit in beliebigen Kontexten verwenden, sie ist weder immer positiv noch immer negativ, sie lässt sich nicht messen und sie ist da, auch wenn man sie nicht wahrnimmt. In Summe sämtlicher Faktoren, die einen Einfluss auf den Körper eines Bieres haben können, verliert sie sich dann gänzlich in ihrer Wirkung und in ihrer Qualifizierung.
Es herrscht eine gewisse Einigkeit darüber, dass die beste Restsüße diejenige ist, die nie auffällig in Erscheinung tritt, sondern sich stets als underdog irgendwie harmonisch einfügt und im Hintergrund als Macher für eine angestrebte drinkability sorgt.
Das liest sich stimmig, macht es aber auch schwierig, wenn die Restsüße in ihrer Wirkung aus dem Ruder läuft. An welcher Schraube drehe ich dann?
An dieser Stelle haken die für uns messbaren und/oder berechenbaren Größen Stammwürze, Restextrakt, Alkoholgehalt und Vergärungsgrad ein.
In diesem Umfeld, so scheint es derzeit, lässt sich die Hauptursache und Wirkung einer "Restsüße" finden.
Wie tückisch selbst diese Einschätzung sein kann, erfinde ich saisongerecht entlang eines Maibocks:
Brauer xy braut in KW 2 zwei Chargen Maibock ein. Beide auf den Punkt mit 16°P. In KW 14 steht das Produkt im Markt und ich kaufe mir eine Kiste.
Genau mein Ding denke ich mir - lecker.
In KW 17 gehe ich wieder in den Markt und sichere mir vor Saisonende eine 2. Kiste. Die 1. Flasche aus der 2. Kiste ist eine Enttäuschung:
breit, mastig, viel zu süß ... so der erste Eindruck und kein Vergleich zur 1. Kiste.
Gut, ich kann mich täuschen, also lass' ich meine Kumpels verkosten. Auch hier: "ein 2. pack' ich nicht - ich bin schon nach dem 1. satt"
Hmm, denk' ich mir, ich bin ja Hobbybrauer. Ich schnapp' mir mein Refraktor/meine Spindel und vermesse die beiden Chargen ... vielleicht ist da ja was. Ergebnis: kein Unterschied - exakt identisch.
Wieder und wieder verkoste ich die beiden Chargen und denke mir, das kann doch nicht sein. So angefixt von dem Drama schicke ich beide Proben nach xy - zur Bieranalyse, natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass sich die unschöne Restsüße aus der 2. Charge so aufklären lässt.
Hier die Ergebnisse für die Charge A und B (natürlich berechnet, nicht wirklich analysiert). Bild 01: Keine Bange, man muss die Parameterauflistung für das Beispiel nicht verstehen. Es genügt völlig zur erkennen, dass es zwischen der 1. guten Charge (A) und der 2. schlechten Charge (B) analytisch keinen Unterschied gibt. Weder in der Stammwürze, noch im Restextrakt noch im Vergärungsgrad - nirgendwo.
Offensichtlich ist der Ballon, der behauptet, dass eine unangenehme/ungewollte Restsüße etwas mit dem Vergärungsgrad, der Stammwürze und/oder dem Restextrakt zu tun hätte, gerade geplatzt.
Und jetzt?
Wir haben ein stimmiges Ergebnis aus der Verkostung und ein stimmiges Ergebnis aus der Analyse. Legt man beides nebeneinander, passt genau nichts zusammen. Herzlichen Glückwunsch "Restsüße", du hast uns komplett ausgeknockt!
Spooky, spooky Walpurgisnacht?
Nein. Keine Besen, keine Hexen, keine Zaubersprüche. Wie so oft ist es das, was wir nicht sehen.
Licht ins Dunkel bringt der Endvergärunsgrad für die Chargen A und B. Bild 02: Charge A hat einen Endvergärungsgrad(EVG/Laborwert) von 70 %(E030) und hat diesen auch erreicht(D030). Charge B hingegen hat einen Endvergärungsgrad(EVG/Laborwert) von 80 %(G030), ist aber bei einem Ausstossvergärungsgrad von 70 %(F030) hängen geblieben.
Die Charge B trägt je 100 g Bier noch 1,3 g vergärbare(G200), aber nicht vergorene Extraktmenge ein. Diese noch vergärbare Extraktmenge besteht zumeist aus Einfach-, Zweifach und ggf. aus Dreifachzuckern und diese Fraktion schmeckt deutlich süßer als die Dextrin-Pendanten, die für gewöhnlich den nicht vergärbaren Extraktanteil ausbilden.
Hex'/Hex' ;-)
die Restsüße ist so ein Ding.
In Beiträgen zur Beschreibung von Geschmackseindrücken vielfach verwendet und wechselweise mal mit positiven, mal mit negativen Eindrücken behaftet. Meistens geht es um drinkability und darum, ob sich die Restsüße harmonisch einfügt oder eher auffällig, gerne mit Attributen wie "breit, mastig, süß" versehen, daher kommt.
Tückisch an der Restsüße ist: Sie ist nicht greifbar und sie ist mächtig!
Jeder darf/soll/kann Restsüße als Begrifflichkeit in beliebigen Kontexten verwenden, sie ist weder immer positiv noch immer negativ, sie lässt sich nicht messen und sie ist da, auch wenn man sie nicht wahrnimmt. In Summe sämtlicher Faktoren, die einen Einfluss auf den Körper eines Bieres haben können, verliert sie sich dann gänzlich in ihrer Wirkung und in ihrer Qualifizierung.
Es herrscht eine gewisse Einigkeit darüber, dass die beste Restsüße diejenige ist, die nie auffällig in Erscheinung tritt, sondern sich stets als underdog irgendwie harmonisch einfügt und im Hintergrund als Macher für eine angestrebte drinkability sorgt.
Das liest sich stimmig, macht es aber auch schwierig, wenn die Restsüße in ihrer Wirkung aus dem Ruder läuft. An welcher Schraube drehe ich dann?
An dieser Stelle haken die für uns messbaren und/oder berechenbaren Größen Stammwürze, Restextrakt, Alkoholgehalt und Vergärungsgrad ein.
In diesem Umfeld, so scheint es derzeit, lässt sich die Hauptursache und Wirkung einer "Restsüße" finden.
Wie tückisch selbst diese Einschätzung sein kann, erfinde ich saisongerecht entlang eines Maibocks:
Brauer xy braut in KW 2 zwei Chargen Maibock ein. Beide auf den Punkt mit 16°P. In KW 14 steht das Produkt im Markt und ich kaufe mir eine Kiste.
Genau mein Ding denke ich mir - lecker.
In KW 17 gehe ich wieder in den Markt und sichere mir vor Saisonende eine 2. Kiste. Die 1. Flasche aus der 2. Kiste ist eine Enttäuschung:
breit, mastig, viel zu süß ... so der erste Eindruck und kein Vergleich zur 1. Kiste.
Gut, ich kann mich täuschen, also lass' ich meine Kumpels verkosten. Auch hier: "ein 2. pack' ich nicht - ich bin schon nach dem 1. satt"
Hmm, denk' ich mir, ich bin ja Hobbybrauer. Ich schnapp' mir mein Refraktor/meine Spindel und vermesse die beiden Chargen ... vielleicht ist da ja was. Ergebnis: kein Unterschied - exakt identisch.
Wieder und wieder verkoste ich die beiden Chargen und denke mir, das kann doch nicht sein. So angefixt von dem Drama schicke ich beide Proben nach xy - zur Bieranalyse, natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass sich die unschöne Restsüße aus der 2. Charge so aufklären lässt.
Hier die Ergebnisse für die Charge A und B (natürlich berechnet, nicht wirklich analysiert). Bild 01: Keine Bange, man muss die Parameterauflistung für das Beispiel nicht verstehen. Es genügt völlig zur erkennen, dass es zwischen der 1. guten Charge (A) und der 2. schlechten Charge (B) analytisch keinen Unterschied gibt. Weder in der Stammwürze, noch im Restextrakt noch im Vergärungsgrad - nirgendwo.
Offensichtlich ist der Ballon, der behauptet, dass eine unangenehme/ungewollte Restsüße etwas mit dem Vergärungsgrad, der Stammwürze und/oder dem Restextrakt zu tun hätte, gerade geplatzt.
Und jetzt?
Wir haben ein stimmiges Ergebnis aus der Verkostung und ein stimmiges Ergebnis aus der Analyse. Legt man beides nebeneinander, passt genau nichts zusammen. Herzlichen Glückwunsch "Restsüße", du hast uns komplett ausgeknockt!
Spooky, spooky Walpurgisnacht?
Nein. Keine Besen, keine Hexen, keine Zaubersprüche. Wie so oft ist es das, was wir nicht sehen.
Licht ins Dunkel bringt der Endvergärunsgrad für die Chargen A und B. Bild 02: Charge A hat einen Endvergärungsgrad(EVG/Laborwert) von 70 %(E030) und hat diesen auch erreicht(D030). Charge B hingegen hat einen Endvergärungsgrad(EVG/Laborwert) von 80 %(G030), ist aber bei einem Ausstossvergärungsgrad von 70 %(F030) hängen geblieben.
Die Charge B trägt je 100 g Bier noch 1,3 g vergärbare(G200), aber nicht vergorene Extraktmenge ein. Diese noch vergärbare Extraktmenge besteht zumeist aus Einfach-, Zweifach und ggf. aus Dreifachzuckern und diese Fraktion schmeckt deutlich süßer als die Dextrin-Pendanten, die für gewöhnlich den nicht vergärbaren Extraktanteil ausbilden.
Hex'/Hex' ;-)