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Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Mittwoch 18. November 2015, 23:11
von sailedaway
Hallo
Ich habe also ein Bier gebraut mit einem EVG von nur 66% (OG 1.062 FG 1.02, Hefe W 1727).
Es gibt natuerlich viele Gründe fuer einen niedrigen EVG (Hefe, Maische temp, Alc %, temperatur, Sauerstoff etc).
Ein Grund der oft genannt wird und mich stutzig macht ist eine zu geringe Anstellrate (Hefezellen /ml) in der abgekühlten Wuerze.
Könnte mir jemand erklaeren warum biologisch gesehen die Anstellzahl den EVG beinflusst?
In meiner (einfachen) Welt haben sich die Hefezellen bei 20 grad temp nach einem Tag verfünfacht oder noch mehr und machen die Anfangs niedrige Anstellzahl mehr als wett. Auch stelle ich mir vor dass selbst eine geringe hefezahl irgenwann einmal alles vergärbare aufgegessen hat. Es dauert dann halt wesentlich laenger.
Es ist mir also nicht klar warum weniger Hefezellen anfangs frueher aufhören zu vergären, obwohl es mehr Nährstoffe pro Zelle gibt
Danke Peter
PS ich habe aus Spass am Experiment noch mal 6 liter von dem endvergorenen EVG 66% sud mit 250ml Pils das sich in der Hauptgärung befand vermischt (Hefe W34/70) und bei 11 grad weiter vergoren. Danach ist der EVG auf 74% hochgeklettert.
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Mittwoch 17. Februar 2016, 20:54
von sailedaway
Leider habe ich keine antwort auf die erste Frage bekommen.
Deshalb versuche ich es noch einmal.
Warum bestimmt die Anstellrate den EVG?
Nach einem Tag oder so hat sich die Hefezahl mehr als verdoppelt.
Warum sollten die später "geborenen" hefezellen wissen dass ihr Eltern in zu kleiner Zahl in zuviel wuerze schwammen?
vielen Dank
peter
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 09:02
von cyme
Zellen werden nicht nur aus Wasser und Zucker gebaut, sondern brauchen auch alle möglichen Spurenelemente, Sterole, etc. Wenn der Hefe andere wichtige Nährstoffe ausgehen, kannst du ihr Zucker im Überschuss geben, sie wird sich schwerer tun ihn zu verstoffwechseln und noch weniger wird sie in der Lage sein, sich zu teilen.
Als reines Gedankenexperiment - was würde passieren, wenn du andere Lebewesen ausschließlich mit Zuckerwasser füttern würdest?
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 10:09
von Goofy
Den Endvergärungsgrad (EVG) legst Du mit der Schüttung und Deiner Maischearbeit fest, denn der EVG gibt den Anteil von vergärbaren Zuckern in Deiner Würze wieder.
Ausnahme: Aufzuckern für die Nachgärung erhöht natürlich den Anteil an vergärbaren Zuckern und damit den EVG. Aber Aufzuckern tut man eh nicht
Die Anstellrate (Menge der Hefe beim Anstellen) beeinflusst den EVG nicht.
Das was Du während der Gärung misst, ist der jeweilige Vergärungsgrad (VG), also der Anteil an bereits vergorenen Zuckern.
Wenn der VG kleiner ist als der EVG, dann ist die Gärung noch nicht durch.
Solange noch vergärbarer Zucker und lebende Hefezellen in Deiner Würze sind, wird die Gärung weitergehen, evtl. jedoch recht langsam.
Ursachen für für eine langsame oder "stehengebliebene" Gärung gibt es viele: zu kalt, zu wenig Hefe, zu alte Hefe, zu hoher Alkoholanteil (z.B. bei Doppelböcken)...
Maßnahmen dagegen können sein: Gärfaß wärmer stellen, vorsichtig umrühren, weitere frische Hefe zugeben oder in den meisten Fällen einfach nur länger warten.
Die Differenz von EVG und VG bestimmt u.a. das bei der weiteren Vergärung entstehende CO
2.
Deshalb besteht bei zu frühem Abfüllen (wenn der VG noch sehr viel kleiner ist als der EVG) in Flaschen das Risiko von Flaschenbomben (aber das war nicht Deine Frage).
Wenn Du den EVG Deiner fertiggestellten Würze nicht kennst, kannst Du im Prinzip nicht feststellen, ob Deine Gärung schon ganz durch ist.
Den EVG kannst Du mittels einer Schnellgärprobe (viel Hefe, warm, belüftet => schnelle Gärung) ermitteln.
Viele Grüße
Goofy
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 15:17
von OnkelBernd
Dass die Anstellrate den EVG nicht beeinflusst, zeigen auch diese beiden Experimente amerikanischer Brauer-Kollegen:
http://seanterrill.com/2010/05/09/yeast ... e-results/
http://sciencebrewer.com/2012/03/02/pit ... x-results/
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 15:30
von ggansde
Bitte nicht vergessen, dass eine zu niedrige Anstellmenge dazu führen kann, dass die Hefe ihre Arbeit vor dem Erreichen des theoretisch möglichen (maximalen) EVG's einstellen kann. Dadurch ändert sich der EVG schon theoretisch mit der Anstellmenge. Ich meine, das aus einem Gespräch mit Ulrich mitgenommen zu haben.
VG, Markus
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 15:46
von vH10
Wenn man es genau nimmt, ändert sich der EVG nicht, da der durch den Maischeplan und den Hefestamm festgelegt ist, dennoch kann es eben sein, dass durch zu wenig Hefe nicht der "komplette" Zucker verarbeitet wird, da der Hefe andere Nährstofffe fehlen.
Gruß
Niko
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 15:56
von ggansde
Wenn man es wirklich genau nimmt ändert sich der theoretische maximale EVG nicht, aber der tatsächlich erreichte.
VG, Markus
Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 16:41
von Ulrich
sailedaway hat geschrieben: ...Gründe fuer einen niedrigen EVG ...
Ein Grund der oft genannt wird und mich stutzig macht ist eine zu geringe Anstellrate (Hefezellen /ml) in der abgekühlten Wuerze.
Könnte mir jemand erklaeren warum biologisch gesehen die Anstellzahl den EVG beinflusst?
es wird der AV° (Ausstoßvergärungsgrad) verändert, nicht der EV°
Das Warum ist doch recht komplex. (wenn ich mal n bissel zeit habe...

)
kurz:
- je geringer die HZ, desto größer die Vermehrungsrate, aber die Maximalhefezellzahl ist trotzdem geringer.
- je mehr HZ/ml, desto schneller und effektiver können die Hefezellen in ihren direktem Umfeld die verschiedenen Stoffe aufnehmen (Die "Harpune", das "Lasso", der "Traktorstrahl" der Hefe um die verschiedenen Stoffe einzufangen hat eine begrenzte Reichweite.

) => je weniger Hefezellen/ml, desto mehr Bewegung/Verteilung ist nötig.
- die höhere Vermehrungsrate hat Einfluss auf die Zusammensetzung des noch verbleibenden Nährstoffangebots und hat Einfluss auf die internen Stoffwechselprozesse/Abläufe der Hefe.
- Hefezellzahl und Hefe in Schwebe ist ein grosser Unterschied. Nur die Hefe in schwebe kann auch an die Würze ran. Je homogener die Hefe verteielt wird, desto effektiver.
- bei zu niedriger Hefezellzahl könnten sich andere Mikroorganismen besser vermehren und theoretisch das Nährstoffangebot für die Hefe merklich reduzieren
usw
Fakt ist, dass bei einer zu niedrigen Hefegabe zu verminderter Gärgeschwindigkeit kommt und ab einem scheinbaren V°(Vergärungsgrad) um 48 - 52% zum verlangsamten Stoffwechsel kommen kann und bald danach zum Gärstopp.
Mit viel Zeit müßte auch eine unterpitchte Würze theroretisch auch irgendwann auf AV° nahe am EV° sein. Aber das kann dauern.

Re: Anstellrate Hefe und niedriger EVG. Warum?
Verfasst: Donnerstag 18. Februar 2016, 16:56
von Hopfenprinz
Moin,
es ging ja oben hauptsächlich um die Vermehrung der Hefe in der Würze. Diese Frage beschäftigt mich auch schon länger - theoretisch müsste sich ja die Hefe in der Würze von selbst so weit vermehren, dass die Vergärung stimmt.
ggansde hat geschrieben:- die höhere Vermehrungsrate hat Einfluss auf die Zusammensetzung des noch verbleibenden Nährstoffangebots und hat Einfluss auf die internen Stoffwechselprozesse/Abläufe der Hefe.
...bedeutet also, dass bei der Vermehrung der Hefe Stoffe aus der Würze verbraucht werden, die später bei der Vergärung fehlen ?? Zumindest, was die Gärgeschwindigkeit angeht? Komplexes Thema...