Moin,
Erfolgreiches reproduzierbares Backen braucht ähnlich viel technisches Verständnis wie Bierbrauen.
Theoretisch hast Du recht: Backen hat auch viel mit "Gärung" und Hefeprozessen und und und zu tun. im Kerne ist das vollkommen richtig. Wenn man diese Diskussion in einem Brotbackforum führen würde, wäre sie sicherlich ähnlich tiefschürfend und fachlich fundiert, wie hier beim Thema Bier brauen.
In der Praxis habe ich Brotbacken zunächst mal "frei Schnauze" nach ein paar Eckdaten meiner Mutter und von Bekannten angefangen. Das schafft auch so
absolut respektable Ergebnisse. Irgendwann beginnt man sich dann zu fragen, wie man bestimmte Effekte erzielt oder bestimmte Brote mit bestimmten Eigenschaften erreicht. Spätestens hier fängt man dann an und schaut mal in Fachbücher usw. Da wird einem dann schwindelig vor Details. Warum man den einen Tag nicht länger als X Minuten kneten soll, diese und jene Sache so macht oder auch mal nicht usw.
Am Ende kommen damit sicherlich Resultate heraus, die über "Pi mal Daumen" teils deutlich hinausgehen, aber um ein Auto zu fahren, muss man auch nicht wissen, wie die Einspritzpumpe oder der Vergaser funktioniert (Theorie schadet ansonsten natürlich nicht).
Meiner Erfahrung nach reicht "Pi mal Daumen" für gute bis sehr gute Ergebnisse beim Brotbacken lange (!) aus. Da kann man nicht viel falsch machen. Einfach mal machen und Erfahrungen sammeln.
Mit 20% Aufwand eine 80%-ige Lösung erreichen. (Für die restlichen 20% zur perfekten Lösung sind dann (so die Erfahrung) meist 80% Aufwand nötig).
Insofern gärt mein erster Sud nach einem einfachen Grundrezept (
https://brauanleitung.wordpress.com/) mit ein paar Abweichungen im Detail. Das wird vielleicht ein Bier mit ein paar Ecken und Kanten, aber sicherlich ein gut trinkbares werden. Auch ohne das Wissen um alle Details des Brauvorgangs usw. Ähnlich wie beim Brotbacken.
'Treber' ist schlecht definiert, vom Schalen/Spelzenanteil und vielen anderen Faktoren wie Reststärke, Protein Fettgehalt. Hier spielt die Schüttung, Schrotung, Maischprozess eine große Rolle.
Je nach dem, wie theoretisch exakt man an das Thema heran geht, ist das wichtig. Oder (so meine Erfahrung) eben auch nicht. Ich backe seit einigen Jahren Brot, das durchaus professionellen Ansprüchen genügt und stelle nach meiner Erfahrung fest: Protein-, Fettgehalt? Schrotung, ...? Das ist grad wurscht!
Am Ende ist die richtige Wassermenge wichtig, damit der Teig nicht zu trocken oder eben zu feucht wird. Mir helfen da keine Angaben im Sinne von "235 ml". Das passt eh nie wirklich, so meine Erfahrung. Daher: Wasser grob nach Rezept und den Rest nach Erfahrung und Gefühl. (Passt meistens wesentlich besser als stur ("bürokratisch") nach Rezept zu verfahren).
Das Einzige, was man beim Verbacken von Treber bedenken sollte, ist, auf wieviel Spelzen man herum kauen möchte. Meine Erfahrung zeigt: Zugabe von 1/3 Treber zu normalem Mehl ist ok. Ich würde nicht unbedingt mehr davon haben wollen. (Oder einmal durch den Vitamix ziehen, dann ist das feingeschrotet und man merkt haptisch nix mehr von Spelzen usw.).
Wichtig ist vielleicht noch, das Gerste kein sog. "Klebereiweiß" enthält. Wenn man also viel Gerstenmehl für das Brot nehmen würde, müsste man aufpassen, dass das Brot überhaupt eines wird, da dieses Eiweiß fehlt, das aus Mehl, Wasser und Hefe einen kleisterigen Teig macht. Bei Weizen und Dinkel usw. ist ausreichend davon da. Außerdem würde zuviel Gerstenmehl das Brot für meinen Geschmack etwas zu "grau" und streng machen.
Es freut mich ja, dass viele hier ein Treberbrot nach Gefühl und/oder Erfahrung hinkriegen, wenn man jedesmal schaffen will, davon bin ich überzeugt, muss man systematisch vorgehen.
Ein klares NEIN dazu :-)
Einfach machen! Nicht jedes Brot wird und schmeckt gleich dem anderen, aber das soll ja auch so sein. Dafür ist es "Craft Brot", ähnlich wie "Craft Bier" :-)
Ich kann auf Basis meiner Erfahrungen zum Brotbacken jedem nur raten: Nicht zuviel um die Theorie kümmern! Am Anfang blockiert das mehr, als das es hilft. Man kümmert sich sonst nichtnotwendigerweise um DInge, die einfach funktionieren, auch wenn man nicht weiß (bzw. wenn man verstehen will) warum und wieso.
Ich schätze, dass das beim Brauen genau so ist. (So schreibt es ja auch der Autor der Brauanleitung für Newbies wie mich). Insofern werde ich sicher auch noch manche (für erfahrene Brauer) quälend dämliche Frage stellen. Und vielleicht schallt auch mir dann mal entgegen "Nicht denken, machen!" ;-)