Zusammenfassung: Bier abfüllen und reifen

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Boludo
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Zusammenfassung: Bier abfüllen und reifen

#1

Beitrag von Boludo »

1. Man füllt niemals nach einem im Rezept vorgegebenen Wert ab. Solche Angaben sollten verboten werden, da sie gefährlich enden können (Flaschenbomben). Der Vergärungsgrad hängt von vielen Faktoren ab und ist schwer vorhersehbar. Grünschlauchen in Flaschen sollten nur Profis machen, wenn überhaupt. Dazu bedarf es aber dringend einer Schnellvergärprobe, worauf ich hier nicht eingehen will.

2. Das Bier immer ganz ausgären lassen! Faustregel ist, dass man abfüllen kann, sobald sich der Restextrakt 3 Tage lang nicht mehr ändert. Dies kann nach 2 Tagen und 4 Wochen der Fall sein. Und auch wenn ein erfahrener Braumeister sagt, das es nach soundsoviel Tagen fertig sein muss, hat das nichts zu bedeuten. Hobbybraugärungen folgen ein wenig anderen Gesetzen als industrielle Großsude mit ganz anderen Voraussetzungen. Wenn man, vor allem untergärig, unsicher ist, sollte man eine Schnellvergärprobe in Erwägung ziehen.
Ein konstanter Wert über drei Tage ist aber keine Garantie, dass es auch wirklich vorbei ist, die Gärung kann auch aus verschiedenen Gründen stecken bleiben, z.B. durch zu kalte Temperatur oder zu wenig Hefe. Im Zweifelsfall schaden ein paar Tage bei höherer Temperatur nie.

3. Das Blubbern im Gärröhrchen ist kein Hinweis darauf, ob die Gärung zu Ende ist. Oft ist es irgendwo undicht und es blubbert nicht mehr, obwohl es noch gärt. Es kann aber auch aufgrund von Temperaturschwankungen blubbern, obwohl die Gärung bereits beendet ist.

4. Man muss messen! Das Bier wird auch nicht blitzartig schlecht, nur weil man eine Probe entnimmt. Achtung, bei Entnahme aus dem Hahn diesen unbedingt gründlich mit Alkohol reinigen. Ich entnehme Proben immer von oben mit der Kunststoffpipette und messe mit dem Refraktometer. Man kann auch eine Spindel im Gäreimer schwimmen lassen. Diese muss man aber immer vor dem Ablesen andrehen, um anhaftende Gasbläschen zu entfernen. Und bitte, wer mit dem Refraktometer misst sollte unbedingt den Alkoholfehler rausrechnen, z.B. damit: http://maischemalzundmehr.de/index.php? ... ktorechner (Ich finde die Werte der Standardformel immer passender).

5. Bleibt die Gärung stecken hilft Aufrühren und wärmer stellen.

6. Es ist nicht schlimm, wenn man untergäriges Bier zum Ende der Gärung wärmer werden lässt, die kalte Anstelltemperatur ist viel entscheidender. Und ja, auch untergärige Hefe arbeitet bei höheren Temperaturen, sogar viel schneller. Man sollte das Jungbier nicht ewig auf der Hefe stehen lassen, aber 2-3 Wochen sind total ungefährlich und das Bier klärt sich zusätzlich.

7. Faustregeln für die Speisemenge sind Murks, genau so wie permanentes Entlüften nach dem Abfüllen, auch wenn das in gewissen Büchern angepriesen wird. Man berechnet die Speisemenge exakt aus, z.B. mit http://fabier.de/biercalcs.html Wichtig ist natürlich, dass man die Biermenge kennt, daher sollte man den Gärbehälter auslitern und entsprechend skalieren.

8. Zucker ist nicht giftig und funktioniert genau so gut wie Speise. Es hat den Vorteil, dass man nicht Speise bunkern muss, deren Menge man vorher nur abschätzen kann und die vergammeln kann. Eine Nachgärung mit Zucker geht oft rascher als mit Speise. Zucker wird vollständig vergoren und hinterläßt keinen Geschmack im Bier und ist natürlicher Bestandteil jeder Bierwürze. Er ist bei obergärigen Bieren in Deutschland sogar nach dem „Reinheitsgebot“ erlaubt. Ob Traubenzucker oder Haushaltszucker ist eigentlich egal, wobei man unterschiedliche Mengen braucht (gute Rechner berücksichtigen das). Theoretisch wird Traubenzucker besser verstoffwechselt, da ihn die Hefe nicht erst teilen muss, praktisch merkt man aber nicht viel Unterschied. Was nicht geht ist Milchzucker. Brauner Rohrzucker ist nicht zu 100% vergärbar und schwierig zu berechnen. Und wer trotzdem keinen Zucker mag, nimmt halt Speise, Malzextrakt wär auch möglich, aber ebenfalls schlecht zu berechnen, genauso wie Honig oder Malzbier.

9. Wie viel g/L CO2 man dem Bier gibt, ist mal wieder Geschmacksache. Untergärig empfehle ich zwischen 4,5 und 5g CO2, Hefeweizen 6-7g CO2. Die Angaben von 9g CO2 beim Hefeweizen sind historisch und nicht mehr zeitgemäß! Belgische Biere mag ich auch gerne etwas spritziger (je nach Sorte 6-7g, Tripel eher weniger), englische Biere und Stouts sollte man nicht mit mehr als 4,5g CO2 carbonisieren.
Amerikanische Ales und IPAs haben im Vergleich zu ihren englischen Vorfahren auch deutlich mehr CO2, ich speise da meist auf ca 5,5g auf.
(alle Angaben pro Liter). Bei der Berechnung gilt die höchste Temperatur, die das Bier nach Beendigung der Gärung hatte. Abkühlen nach der Hauptgärung bring nicht mehr CO2 ins Bier.

10. Hat man die korrekte Speise/Zuckermenge berechnet, dann legt man diese in einem separaten Behälter vor (Zucker bitte in heißem Wasser lösen) und schlaucht das Jungbier aus dem Gärbehälter von der Hefe drauf. Anschließend kurz umrühren und dann abfüllen. Alternativ kann man die Speise/Zucker auch in den einzelnen Flaschen vorlegen, da hat jeder seine eigenen Vorlieben. (Vorsicht, die Speiserechner geben die Zuckermenge pro Liter an, nicht pro Flasche!)
Die Methode, die Speise direkt in den Gärbehälter auf das Jungbier samt Hefebodensatz zu kippen und nach kurzer Zeit abzufüllen ist nicht ratsam. Das kann gut gehen, wenn sich die Speise aber nicht richtig vermischt, kann es zu Flaschenbomben kommen.

11. Das Bier muss anschließend in der Flasche nachgären. Das geht am besten bei Raumtemperatur. Auch untergärige Biere kann man so nachgären lassen, dabei wird noch automatisch Diacetyl abgebaut. Geschmackliche Einbußen sind nicht zu erwarten, da Gärnebenprodukte hauptsächlich in der Angärphase entstehen.

12. Wann die Flaschengärung beendet ist, kann man nicht vorhersagen. Bei Zucker ist es meistens nach 1 Woche rum. Bei stark sedimentierenden Hefen wie der S-04 kann es mal 2 Wochen dauern. Ein Flaschenmanometer ist hierbei sehr hilfreich, ansonsten muss man halt ab und zu eine Flasche aufmachen und trinken.

13. Das Bier sollte nun noch ein wenig reifen. Da dies hauptsächlich durch die Hefe geschieht, braucht es dazu etwas Temperatur. Am schnellsten geht es bei Raumtemperatur. Es gibt aber auch chemische und physikalische Reifeprozesse, die bei verschiedenen Temperaturen verschieden schnell ablaufen. Durch die Wahl der Reifetemperatur kann man diese im Prinzip steuern.
Wie lange man das Bier reift und bei welcher Temperatur, kommt auf den Bierstil drauf an. Ein Hefeweizen ist nach 2 Wochen perfekt, ein IPA auch, belgische Tripel und Imperial Stouts nach ein paar Monaten oder Jahren. Hierbei kann es zur Oxidation durch die Luft im Flaschenhals und zur Hefeautolyse kommen. Das dauert aber meist mindestens ein Jahr und ist bei manchen Bierstilen teilweise sogar erwünscht.
Danach kommt die Lagerung. Untergärige Biere möglichst kalt für mehrere Wochen, wobei man auch ganz gute Ergebnisse erzielen kann, wenn man nicht bei 0°C lagert. Obergärige Biere brauchen es eigentlich nicht so kalt, normale Kühlschranktemperatur oder 10°C reichen. Hierbei wird vor allem das CO2 fein gebunden und der Geschmack und die Bittere runden sich ab.


Wenn´s schief gelaufen ist:


1. Zu viel Speise/Zucker, zu früh abgefüllt: Erst mal Vorsicht, platzende Flaschen sind extrem gefährlich. Wenn man Bügelflaschen hat, kann man jetzt in der Tat anfangen und immer wieder vorsichtig Druck ablassen. Wenn man sich unsicher ist, Handschuhe und Schutzbrille anziehen und eventuell sogar unter einer Decke belüften. Ist die Carbonisierung total über dem Limit würde ich alles wieder in den Gäreimer zurückgeben, voll ausgären lassen und erneut Aufspeisen und Abfüllen. Und Achtung, auch Bügelflaschen können platzen und auch Kronkorken blasen nicht automatisch Überdruck ab! Die häufigste Ursache für überschäumendes Bier ist ein zu frühes Abfüllen oder nicht berechnete Speisemenge nach einer Faustregel.
Übrigens, wer meint, er müsse seine Flaschen im Backofen foltern, darf sich nicht wundern, wenn diese auch bei korrekter Carbonisierung aufgrund von Spannungen platzen.

2. Zu wenig Kohlensäure, obwohl lange und warm nachgegoren wurde: Hier kann man in jede einzelne Flasche eine berechnete Zuckermenge nachträglich geben. Den Zucker am besten auflösen und eine definierte Menge mit der Spritze zugeben (hier muss man ein wenig rechnen), vor allem bei Traubenzucker kann es sehr stark schäumen. Haushaltszucker ist da etwas zahmer. Wenn man aber die Speise/Zuckermenge richtig berechnet hat und die Flaschen dicht sind, fehlt es normalerweise nur an Geduld und/oder Temperatur.



Stefan

Edit: Der Sinn dieses Threads war eigentlich nicht, über Einzelfälle zu diskutieren, sondern einen Überblick für Anfänger zu entwerfen, damit nicht ständig die selben Antworten geschrieben werden müssen. Leider hat das nicht geklappt und es wurde sehr unübersichtlich. Darum räum ich hier mal auf und mach dicht. Wer eine Verbesserung zu den einzelnen Punkte weiß, darf mir diese gerne per PM zukommen lassen. Die Punkte sind keinesfalls in Stein gemeiselt.
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