ausgehend von diesem Rezept: https://www.maischemalzundmehr.de/index ... tte=rezept
und der Lektüre von Andreas Krennmairs „Historic German and Austrian Beers for the Home Brewer“ habe ich irgendwie einen Narren an historischem Merseburger Bier gefressen - kann gar nicht genau sagen warum. Goethe beschreibt es als „bitter wie der Tot am Galgen“. Zu seiner Zeit muss es ein äußerst schmackhaftes Bier mit regionaler und auch überregionaler Bedeutung gewesen sein. Vieles über dieses Bier, wie so häufig bei historischen Bieren, scheint aber leider im Dunkel der Zeit verborgen. Ich habe jetzt seit einigen Tagen das Internet durchforstet und folgende Quellen und Hinweise gefunden:
Oeconomische Encyclopädie von J. G. Krünitz:
"Merseburger, ein sehr berühmtes, wohlschmeckendes und gesundes Braunbier, Heidecker genannt, welches weit verführet wird. Daß dasselbe einen etwas brandigen Geschmack hat, rührt wohl daher, weil, bei dessen Zubereitung, das Malz auf härenen Darr=Tüchern, wohl Schuh hoch aufgetragen, auch wohl gar nicht gewendet wird, bis es trocken genug ist, und die Darren gewölbte Einheizungen haben, da die Hitze, nebst dem Rauch, durch Seitenöffnungen durch das Malz gehet. Seine Bitterkeit stärket den Magen, und befördert die Verdauung; sein Reiz in den Gedärmen unterhält die Oeffnung des Leibes; und da es zugleich den Trieb des Blutes ein wenig beschleuniget, so befördert es den Abgang des Urins und die unmerkliche Ausdünstung sehr merklich."
Wer bekommt da nicht Durst?!

Bierstudien: Ernst und Scherz ; "Geschichte des Bieres und seiner Verbreitung über den Erdball." , Johann Georg Theodor Graesse, Dresden 1872, S.74:
Merseburger Bier wurde auch Heidecker und Ehestandsbier genannt
Lehrbuch der polizeilich-gerichtlichen Chemie, Remer, Wilhelm Hermann Georg, Helmstädt 1812, Seite 184:
Merseburger Bier gilt als Lagerbier, damit ist wahrscheinlich nicht ein Lagerbier im klassischen Sinn gemeint, sondern es wird darauf verwiesen, dass das Bier längere Zeit reifen musste bis es trinkfertig war.
Vollständige Braukunde, oder wissenschaftlich-praktische Darstellung der Bierbrauerei in ihrem ganzen Umfange und nach den neuesten Verbesserungen, mit Angabe der Verfahrungsarten aller Länder, und besonderer Rüksicht auf die bairischen, belgischen und englischen Biere : nebst Beschreibung der Einrichtung der Brauhäuser, der Braugeräthe und Werkzeuge – Johann C. Leuchs, Nürnberg 1831:
„Es war ehedem berühmt, dunkelbraun, klar und ziemlich nahrhaft, ist jezt aber nicht mehr so gut. Hermbstädt will es mit folgenden Stoffen nachgemacht haben: 20 Sch. braunes und 15 Sch. bernsteinfarbiges Gerstenmalz, 100 Pfund Hopfen, 5 Pfund rothe Enzianwurzel, 2 Pfund trokne grüne Pomeranzen."
D.h. zur Zeit als die "Vollständige Braukunde" erschien (1831) hatte das Merseburger seine Blütezeit vermutlich bereits hinter sich ("ist jezt aber nicht mehr so gut"). Mit Hermbstädt ist sehr wahrscheinlich Sigismund Friedrich Hermbstädt (1760-1883) gemeint:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sigismund ... st%C3%A4dt
Da der gebürtige Erfurter Hermbstädt in Berlin tätig war, nutzte er sicherlich preußische Maßeinheiten (die „Vollständige Braukunde“ erschien allerdings in Nürnberg, d.h. es könnten auch bayrische Maßeinheiten gemeint sein, glaub ich aber nicht). Laut Wikipedia waren im damaligen Preußen 1 Scheffel = 55 Liter und 1 Pfund wog 469 g:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_Ma%C ... u%C3%9Fen)
d.h man könnte das Rezept oben wie folgt übersetzen:
• 963 kg Malz (20 + 15 Scheffel = 35 Scheffel Malz = 1925 Liter Malz (Annahme 1 Liter Malz wiegt etwa 500g) = 963 kg)
• 47 kg Hopfen (= 100 preuß. Pfund)
• 2,3 kg rote Enzianwurzeln (= 5 preuß. Pfund)
• 0,9 kg getrocknete Pomeranze(schalen?) (= 2 preuß. Pfund)
• d.h. pro kg Malz: 49 g Hopfen, 2,4 g Enzianwurzel, 0,9 g Pomeranze
Welche Stammwürze und welchen Restextrakt das Bier hatte kann man trotz dieser Zahlen nur vermuten; da es weiter oben als „ziemlich nahrhaft“ beschrieben wurde, ist wohl von einer Stammwürze von >15°P und einem (für damalige Bier wohl sowieso üblichen) geringen Endvergärungsgrad auszugehen. Das Bier war dunkelbraun (zumindest lt. Hermbstädt), eine Mischung aus 60% Münchner II und 40% Münchner I (= 20 Scheffel braunes und 15 Scheffel bernsteinfarbiges Gerstenmalz) könnte dem z.B. entsprechen.
Bei 15°P und der Annahme von 2-3% Alphasäure für den Hopfen ergibt das grob überschlägig eine Bittere von 60-90 IBU plus die Bittere aus dem Enzian. Bitter wie der Tot am Galgen halt!
Falls jemand weitere Quellen oder Infos zu diesem ehrwürdigen Bierstil hat, hier wäre der richtige Ort für eine interessante Diskussion

Diese Quelle scheint z.B. interessant, ist aber (zumindest im Internet) nicht auffindbar: K.A.Weinhold: Ueber die Wiederherstellung des alten Merseburger Bieres und dessen vorzügliche Heilkraft gegen angehende Nervenschwäche und Abzehrung, Merseburg (Leipzig?) 1816
Vielleicht gibt es ja auch einen "echten" Merseburger hier im Forum!
Danke schon mal!
Sandro