Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

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Lukas123
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Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#1

Beitrag von Lukas123 »

Mich beschäftigt diese Frage schon länger und bislang finde ich keine konkrete Antwort darauf, darum versuche ich es hier: Inwiefern werden Endvergärungsgrad und damit auch der Alkoholgehalt von einer ausgedehnten Verzuckerungsrast beeinflusst?

Ich möchte kurz darstellen, auf welchen Gedanken meine Frage aufbauen: Je länger die Verzuckerungsrast im Vergleich zur Maltoserast andauert, desto mehr unvergärbarer Zucker entsteht durch die Alpha-Amylase. Ins Extrem getrieben (und zumindest theoretisch) könnte ich damit doch auch eine Würze erzeugen, die rein aus unvergärbarem Zucker besteht, d.h. im Umkehrschluss dass ich durch das Anstellen - also die Hefebeigabe - keinen Alkohol mehr daraus gewinnen könnte.

Sofern diese Annahme richtig ist, bedeutet das auch, dass die konkrete Handhabung der Raststufen Einfluss auf den Endvergärungsgrad der Hefe haben muss: Ausgedehnte Alpha-Amylase ergibt nicht nur vollmundigeres, sondern auch alkoholärmeres Bier. Ist diese Annahme richtig? Wenn ja: Wie kann ich wissen, worauf der scheinbare Endvergärungsgrad basiert, der in der Beschreibung der Hefen angegeben wird? Wenn nein: Worin liegt der Fehler meines Gedankenganges?
jaulinho
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#2

Beitrag von jaulinho »

Puuuh, viele Fragen in einer verpackt.

Du hast einen guten und richtigen Punkt mit der Aussage: Maischeführung (Rasten) haben einen Einfluss auf den sAVG (scheinbarer Ausstoßvergärungsgrad, sEVG ist nur für die SVG).

Generell gilt, dass Rasttemperaturen Optima für die Amylasen darstellen. 63° für die Beta, 71° für die Alpha. Das heißt aber nicht, dass auch nicht bei niedrigeren Temperaturen nix passiert. Kau mal etwas Malz und finde heraus, wie schnell dass süß im Mund schmeckt und das bei 37°. Eine Würze, die komplett frei von vergärungsfähigen Zuckern ist, wird Dir auch bei 71° nicht gelingen.

Vereinfacht gesagt: willst Du trockenere Biere (geringer sRE), dann raste lang bei der Maltoserast, mach eine Zwischenrast - oder führe nach dem Schema von Herrmann. Kurze Maltoserasten mit schnellen Aufheizen bedingen weniger vergärbare Zucker, also alkoholärmere Biere. Dafür freuen sich aber andere Mikroorganismen umso mehr über diese Sude, da sie auch komplexe Zucker verdauen können und Dir dein vermeint "fertiges" Bier gerne infizieren.

Wesentlich ist natürlich auch die Schüttung. Caramalze tragen viel unvergärbare Zucker bei (Vollmundigkeit). Andererseits trägt Alkohol auch zur Vollmundigkeit bei, weshalb es mir auf ewig ein Rätsel bleiben wird, warum viele Bockbierrezepte suboptimale Rasten fahren und vor Caramalzen nur so strotzen (Anmerkung: viel Alkohol und viel sRE bei hoher Stammwürze erzeugen mehr als genug Vollmundigkeit). Aber das sei nur am Rande erwähnt.

Interessehalber. ist die Frage interessehalber gestellt oder hast Du ein Projekt im Kopf? Im letzteren Fall könnte man bei Kenntnis selbigens konkreter antworten.

Gruß
Tom
rauchbier
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#3

Beitrag von rauchbier »

Wie schon beschrieben, wirst du über die Maischearbeit nie ein Verhältnis von 100:0 hinbekommen. Das ergibt sich bereits daraus, dass durch das Vermälzen der Gerste vergärbarer Zucker gebildet wird.

Die Angaben zum Endvergärungsgrad einer Hefe hat im ersten Schritt nichts mit dem Maischen zu tun. Bei einem Endvergärungsgrad von 70% vergärt die Hefe vereinfacht gesagt 70% des vorhandenen, vergärbaren Zuckers. Hier kommt dann deine Maischearbeit ins Spiel, also wie viel vergärbaren Zucker (von dem 70% vergärt werden) stelle ich der Hefe zur Verfügung. Unter sonst gleichen Bedingungen würde eine kürzere Maltoserast als bei einem Vergleissud grundsätzlich zu weniger vergärbarem Zucker führen und weniger Alkohol führen. Da hast du recht.
Falls du das Wiki noch nicht kennst, hilfst mir auch immer wieder bei den Grundlagen: wiki/doku.php/endvergaerungsgrad
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integrator
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#4

Beitrag von integrator »

Und wenn du ein sehr süsses Bier haben möchtest ... recherchiere mal nach "Springmaische".
Zuletzt geändert von integrator am Montag 20. November 2023, 08:58, insgesamt 1-mal geändert.
:Bigsmile Selbstgespräche sind nicht schlimm solange du nichts Neues erfährst. :Bigsmile
Lukas123
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#5

Beitrag von Lukas123 »

Danke euch für die schnellen und guten Antworten!

@Tom: Ein konkretes Projekt habe ich nicht vor mir. Generell geht es mir darum, vorhandene Rezepte anzupassen. Bei meinen Planungen bzw. Berechnungen bin ich immer öfter auf die Frage gestoßen, in welchem Verhältnis die Dauer der Raststufen zum später erreichten Alkoholgehalt steht (natürlich unter Berücksichtigung der Vergärfähigkeit der verwendeten Hefe.)
--
rauchbier hat geschrieben: Sonntag 19. November 2023, 03:32 Bei einem Endvergärungsgrad von 70% vergärt die Hefe vereinfacht gesagt 70% des vorhandenen, vergärbaren Zuckers. Hier kommt dann deine Maischearbeit ins Spiel, also wie viel vergärbaren Zucker (von dem 70% vergärt werden) stelle ich der Hefe zur Verfügung. Unter sonst gleichen Bedingungen würde eine kürzere Maltoserast als bei einem Vergleissud grundsätzlich zu weniger vergärbarem Zucker führen und weniger Alkohol führen.
@Rauchbier: Vielen Dank, genau dieser Hinweis hilft mir weiter! D.h. der sEVG kann im Fall einer ausgedehnten Verzuckerungsrast auch deutlich unter jenem Wert liegen, der auf der Hefe angegeben wird - sehe ich das richtig?

@integrator: Danke fuer den Tipp, das schaue ich mir gleich an.
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olibaer
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#6

Beitrag von olibaer »

Hallo zusammen, hallo rauchbier,
rauchbier hat geschrieben: Sonntag 19. November 2023, 03:32 Bei einem Endvergärungsgrad von 70% vergärt die Hefe vereinfacht gesagt 70% des vorhandenen, vergärbaren Zuckers.
Das liest sich missverständlich.
Hat eine Würze einen Endvergärungsgrad von 70 % und diese 70 % werden am Ende der Gärung (als Ausstoßvergärungsgrad) erreicht, dann wurden 100 % der vergärbaren Extraktmenge vergoren.
Gruss
Oli
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#7

Beitrag von rauchbier »

Das ist natürlich richtig. Es ging in der Frage ja um "scheinbare Endvergärungsgrad basiert, der in der Beschreibung der Hefen angegeben wird". Dazu hat tauroplu im alten Forum mal dankenswerterweise Wyeast angeschrieben
Screenshot_20231120_035114_Samsung Internet.jpg
Darauf bezog sich auch mein Hinweis. Die Werte sollen ja nach meinem Verständnis nur so eine Art "Vergärungspotenzial" der Hefe angeben, weshalb sie Wyeast auch am liebsten weglassen würde. Wenn die Hefe fertig ist, sind natürlich 100% des in diesem Bier vergärbaren Zucker vergoren.
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#8

Beitrag von jaulinho »

rauchbier hat geschrieben: Montag 20. November 2023, 04:59 Das ist natürlich richtig. Es ging in der Frage ja um "scheinbare Endvergärungsgrad basiert, der in der Beschreibung der Hefen angegeben wird". Dazu hat tauroplu im alten Forum mal dankenswerterweise Wyeast angeschrieben

Darauf bezog sich auch mein Hinweis. Die Werte sollen ja nach meinem Verständnis nur so eine Art "Vergärungspotenzial" der Hefe angeben, weshalb sie Wyeast auch am liebsten weglassen würde. Wenn die Hefe fertig ist, sind natürlich 100% des in diesem Bier vergärbaren Zucker vergoren.
Ich will nicht pingelig sein, aber Du vermischst hier Begrifflichkeiten. Der scheinbare Endvergärungsgrad sEVG wird nur im Zusammenhang mit der Schnellvergärungsprobe verwendet. Diese wird ja im Normalfall unter optimalen Bedingungen für die Hefe (Temperatur, Hefemenge,...) ausgeführt und stellt quasi das Optimum dar, was die gegebene Hefe mit der gegebenen Würze leisten kann.

Das Ergebnis deiner "normalen" Gärung reflektiert sich im scheinbaren Ausstoßvergärungsgrad sAVG. Da diese Gärung im Normalfall unter für die Hefe schlechteren Bedingungen (kälter, weniger Hefe,...) geführt wird, liegt dieser zumeist unter dem sEVG.

Oli bezog sich daher auf das Verhältnis sAVG zu sEVG - wenn diese identisch sind, dann hast du 100% der vergärteren Zucker einer gegebenen Würze mit einer gegebenen Hefe vergoren.

Warum schreibe ich das so ausführlich?
Weil die Angaben der Hersteller zum Vergärungsgrad - und da hat Wyeast recht - irreführend sind. Alle Vergärungsgrade sind nur sinnvoll, wenn man sie für eine gegebene Hefe in Bezug auf eine gegebene Würze und eine gegebene Gärführung setzt.

Dieselbe Hefe auf zwei unterschiedlichen Suden kann gravierend verschiedene Vergärungsgrade erzielen. Deshalb sind die Angaben der Hersteller mehr oder minder Durchschnittsangaben für die Hefe unter der Annahme einigermaßen vernünftiger Maischarbeit und einigermaßen vernünftiger Gärführung.

Es ist daher auch singfrei, über zu niedrige oder zu hohe Ausstoßvergärungsgrade einer Hefe zu reden, wenn man die Schüttung, die Rasten, die Anstellrate, die Gärführung und das Ergebnis der SVG nicht kennt.

Gruß
Tom
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integrator
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#9

Beitrag von integrator »

jaulinho hat geschrieben: Montag 20. November 2023, 06:18 Es ist daher auch singfrei, über zu niedrige oder zu hohe Ausstoßvergärungsgrade einer Hefe zu reden, wenn man die Schüttung, die Rasten, die Anstellrate, die Gärführung und das Ergebnis der SVG nicht kennt.
[OT an]
Moin Tom aufgrund deiner Antwort habe ich jetzt Bilder im Kopf ... :thumbsup
[OT aus]
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Re: Auswirkungen der Verzuckerungsrast auf EVG und Alkoholgehalt

#10

Beitrag von Colindo »

Bei Hefen würde es völlig reichen, anzugeben, welche Zucker vergoren werden können. Also Maltose - ja/nein, dann Maltotriose - ja/nein und letztlich noch das Zeug, was die ganz trocken vergärenden Hefen wie Nottingham und so hinkriegen. Keine Ahnung, ob das Maltotetraose ist?

Besonders bei englischen Hefen fragen mich immer wieder Leute, warum sie so einen hohen EVG erwarten sollen, wenn der Hersteller doch viel weniger angibt. Dabei wollen sie aber eine Kombirast bei 67°C fahren. Da wird eben auch am meisten vergärbarer Zucker erzeugt...
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