Safari-Guide hat geschrieben: ↑Donnerstag 26. September 2024, 10:36
Jenseits aller Pauschalierungen - der "durchschnittliche Deutsche" ist in seinem Biergeschmack schon relativ einseitig und auf einen klaren Geschmack festgelegt - früher vor allem Export, dann gab es den Trend zum Pils, jetzt kommt das Helle. Zusätzlich etablierte sich irgendwann auch das Weißbier außerhalb von Süddeutschland ...
Muss es nicht heißen "Diesseits aller Pauschalierungen"? Das ist doch nur eine rhetorische Figur, die die Pauschalisierung fortschreibt.
Ein paar Gedanken meinerseits, um die Pauschalisierung etwas aufzuschlüsseln: Soziologisch hat die Unterscheidung nach Biersorte keinerlei Aussagekraft und ist aus der Zeit gefallen. Vielmehr ist es besser nach urbanen und ländlichen Regionen zu unterscheiden, nach Schichten und Bildungsgrad, Einkommen und Alterskohorten und Marketing-Budget, Stichwort Fernsehbiere. Da spielen dann Faktoren wie soziale Erwünschtheit, In-Group-Verhalten und vor allem Vertriebsmöglichkeiten eine Rolle. Vor allem letztere formen auf der Produzentenseite des Deutschen Geschmackserwartung.
Dann haben wir die rechtliche ordoliberale Seite. Da ist das deutsche vorläufige Biergesetz und mehr noch das deutsche und bayerische Reinheitsgebot. Beide sind unterscheidlich streng und dimmen Neuerungen unterschiedlich. So ist allgemein im Norden Deutschlands mehr erlaubt als in Bayern. Und selbst dort gibt es Unterschiede nach Landkreis. Mit Ausnahmegenehmigung darf ein Milk Stout in NRW gebraut werden, in Oberbayern muss es in den Gulli geschüttet werden.
Aussagekräftiger sind mithin sozialgeographische und sozialpsychologische, juristische und ökonomische Faktoren.
Im Zusammenspiel mit den unteren Verwaltungsbehörden betreiben Brauereien und Braubünde eine Verhinderungspolitik nach Sprengel, um Konkurrenz nicht aufkommen zu lassen. Auf dem Land, möchte ich behaupten, ist diese Politik erfolgreicher als in einer diverseren Großstadt.
All dies regelt und formt unseren Eindruck von Einseitigkeit und Vielfalt und Verfügbarkeit, wenn es um das Genussmittel Bier geht. Es gibt allerdings eine Ausnahme - und die ist wiederum rechtlicher Natur:
Europarecht bricht Bundesrecht bricht Landesrecht heißt diese. Das - vereinfacht gesagt - deutsche Reinheitsgebot gilt nicht für ausländische Biere. Also alles was außerhalb gebraut wird, darf eingeführt und in den Verkehr gebracht werden. Die Vielfalt ist also da - in den Biershops in den Großstädten. Nur dass es die nicht in der Breite des Landes gibt.
Und hier beißt sich der Hund in den Schwanz: Das ist wiederum ein Argument für die traditionellen Brauereien zu sagen, ausländische Biere kosten Arbeitsplätze und letztlich Gewerbesteuern. Kein schwaches Argument, gehören in kleinen Gemeinden Brauereien doch oft zu den größten Gewerbesteuerzahlern. Dann sprechen auch die höheren Kosten von Craftbieren eine Rolle. Es ist also ingesamt ein Füllhorn an Faktoren, die eine Geschmacksvielfalt in der Breite verhindert. Der Preis ist nur ein Faktor von vielen - siehe Social Standing.
Ich meine zu ahnen, dass eine Liberalisierung im Sinne von mehr Vielfalt nichts ändern würde. Dafür ist zum einen der organisierte Brauereilobbyismus in diesem Land zu stark, zum anderen lügen wir Deutschen uns beim Bier wie beim Brot wie bei der Wurst nur zu gerne selbst in die Tasche, wenn es um Vielfalt geht. (Bei den Engländern ist es - wie hier aufgezeigt wurde - ähnlich.) Der wichtigste Faktor, meine ich, ist das Supermarktregal. Solange jeder Edeka-Händler vom kleinen Craftbrauer eine Regalgebühr oder einen gehörigen Preisnachlass fordert, um ins Sortiment aufgenommen zu werden, wird es keine Marktdurchdringung geben. Dafür haben wir in Deutschland mit seinem zentralisierten Einkauf im Einzelhandel zu wenig Wettbewerb, zu viel Einzelhandelsmonopol. Bei Stadtfesten o.ä. gibt es eine unheilige Allianz zwischen Stadtverwaltung und lokaler Brauerei. (In meiner zweiten Heimat Rumänien ist das nicht gegeben - da veranstaltet die Stadt selbst einmal im Jahr ein Craftbierfest.)
Was die Craftbrauer meines Erachtens noch nie auf dem Schirm hatten, deswegen trifft sie auch etwas Selbstschuld: Die Geschmacksprägung findet bei Genussmitteln in der Adoleszenz statt (bei Gemüse, Milch und Fleisch im Kindesalter). Danach wird es schwerer für Änderungen. Beim Musikgeschmack kann das wohl jeder aus eigener Erfahrung nachvollziehen.

Radulph