Hallo Christian, hallo zusammen,
mir ist dieser Beitrag neulich wieder vor die Füsse gefallen.
Im Eingangspost hinterfragst du die Herkunft für die verbreitete Formel für den
Extrakt wirklich Ew:
christianf hat geschrieben: ↑Montag 21. Februar 2022, 12:07
... ich versuche gerade die verschiedenen Formeln ums Brauen zu verstehen und die meisten lassen sich ja auch aus einfachen physikalischen Zusammenhängen elementar ableiten. Beim Zusammenhang zwischen dem scheinbaren Restextrakt und dem tatsächlichen Restextrakt stecke ich allerdings fest.
Die Formel für den tatsächlichen Restextrakt,
die überall mitgeteilt, aber nie begründet wird, lautet (***)
Er = 0,8192 · Es + 0,1808 · Eo
(
E steht bei mir für Extrakt und die Indizes
r für "Rest",
s für "scheinbar" und
o für "original", also für die Stammwürze.)
Geschrieben/publiziert wird die Formel für den
Ew mehrheitlich so.
Formel 01:
Ew = 0,8192 x Es + 0,1808 x P
- Ew = Extrakt wirklich [%]
- Es = Extrakt scheinbar [%]
- P = Stammwürze [%]
Erneut hab' ich mich auf die Suche nach Quellen gemacht, die diese Formel für den
Ew zusammenhängend erklären oder gar herleiten.
Ergebnis: Fehlanzeige!
Selbst ist der Brauer, und manchmal auch etwas trotzig: dann mach' ich es eben selbst.
Hier die Herleitung für
Formel 01:
Los gehts mit einer Kernaussage aus den Ballingschen' Attenuationslehren. Zitat 01
[1]:
"
Dieser Attenuationsquotient zeigt daher an, um wie vielmal die scheinbare Attenuation größer ist als die wirkliche"
Diesen
Attenuationsquotienten den Balling beschreibt, der liegt aktuell bei:
1,2207
Ob dem so ist, das hab' ich mit ein paar Echtdaten aus dem HBCON-Labor überprüft:

- Berechnung Attenuationsquotient aus Vs und Vw
- attenuationsquotient_berechnetausechtdaten.PNG (20.38 KiB) 3640 mal betrachtet
Kommt hin.
Jetzt ist der
Attenuationsquotient 1,2207 in der Brauermathematik nicht wirklich verbreitet, sein Gegenpart, der
Ballingsche' Attenuationsfaktor 0,8192 , hingegen schon. Um dort hinzukommen, müssen wir die Aussage von Balling (Zitat 01) ins Gegenteil verkehren und begleitend dazu den Kehrwert aus dem
Attenuationsquotient bilden:
"
Dieser Attenuationsfaktor zeigt daher an, um wie vielmal die wirkliche Attenuation kleiner ist als die scheinbare"
Ballingsche' Attenuationsfaktor = 1/1,2207 =
0,8192
Der Zusammenhang zwischen
wirklich und
scheinbar ist hergestellt. Was noch bleibt ist der Rückschluss auf eine nicht vergorene Extraktmenge
Ew aus den Angaben zu einer scheinbaren Extraktkonzentration
Es und den Angaben zu einer ursprünglich vorhandenen Extraktkonzentration. Der Stammwürze
P.
Für den nötigen Durchblick sorgt die Betrachtung einer
scheinbar vergorenen Extraktmenge, einer
wirklich vergorenen Extraktmenge und die Differenz dieser beiden Werte. Die Differenz dieser beiden Werte beschreibt das, was uns als "
Alkoholfehler" bekannt ist. Balling bringt es ein weiteres mal' auf den Punkt. Zitat 02
[2]:
"
Der Verlust an der Dichte der gährenden Flüssigkeit während ihres Gährungsverlaufes hat zwei sich bedingende Ursachen, nämlich einmal: das Verschwinden des Zuckers aus derselben durch sein zerfallen in Alkohol und Kohlensäure, und zweitens: die Bildung von Alkohol, eines Körpers, welcher spezifisch leichter ist als Wasser."
Die scheinbar vergorene Extraktmenge ist
Formel 02:
vEs[%] = P[%] - Es[%]
Beispiel: P=12, Es=2 -> vEs = 10
Die wirklich vergorene Extraktmenge ist
Formel 03:
vEw[%] = P[%] - Ew[%]
Beispiel: P=12, Ew=4 -> vEw = 8
Der Extrakt wirklich
Ew ist uns zumeist unbekannt, weswegen sich vEw[%] nicht so einfach berechnen lässt. Hier hilft der
Ballingsche' Attenuationsfaktor 0,8192 weiter.
Die wirklich vergorene Extraktmenge ist
Formel 04:
vEw[%] = vEs[%] x 0,8192
Beispiel: vEs=10, vEw=10 x 0,8192
Die
Formel 04 bringt die Abhängigkeit zwischen einer
scheinbar vergorenen Extraktmenge und einer
wirklich vergorenen Extraktmenge auf den Punkt. Übersichtlicher schauts so aus.
Formel 05:
vEs x 0,8192 = vEw
Um jetzt wieder die Stammwürze P und den Extrakt wirklich Ew ins Spiel zu bekommen, wird vEs durch "P-Es"(Formel 02) ersetzt und vEw durch "P-Ew"(Formel 03).
Formel 06:
(P-Es) x 0,8192 = P-Ew
Im letzten Schritt der Herleitung wird die
Formel 06 nach dem gesuchten
Extrakt wirklich Ew aufgelöst.
Klammern entfernen:
0,8192 x P - 0,8192 x Es = P - Ew
Nach Ew umstellen:
Ew = P - 0,8192 x P + 0,8192 x Es
Segment
P - 0,8192 x P behandeln:
1 x P - 0,8192 x 1 x P -> (1 - 0,8192) x P -> 0,1808 x P
Segment einsetzen/
Lösung:
Ew = 0,1808 x P + 0,8192 x Es
P.S.: Nicht alle Lösungsschritte für den gesuchten Extrakt wirklich
Ew sind hier dokumentiert. Bitte bei Bedarf die
Formel 06 selber nach
Ew auflösen oder auflösen lassen.
Zusammenfassung:
Die Grundlage für die Formel
Ew = 0,8192 x Es + 0,1808 x P ist die Abhängigkeit zwischen einer
scheinbar vergorenen Extraktmenge vEs und einer
wirklich vergorenen Extraktmenge vEw, die nach den
Ballingschen' Attenuationslehren in folgender Beziehung besteht:
vEs x 0,8192 = vEw
oder
vEw x 1,2207 = vEs
Hinweis für alle Selbstrechner, Bieranalytiker und Softwareentwickler!
Der über die Formel
Ew = 0,8192 x Es + 0,1808 x P berechnete
Extrakt wirklich ist nicht der
Extrakt wirklich, der sich final im Bier einstellt. Vielmehr wird durch den Ergebniswert beschrieben, welches Potenzial für den
Extrakt wirklich in der Würze steckt. In welcher Menge Bier er sich am Ende der Herstellung aufkonzentriert, das bleibtin der Formel unberücksichtigt. Siehe hier
#15.
Quellen:
[1] Balling, Carl Joseph Napoleon:
Die Gährungschemie wissenschaftlich begründet und in ihrer Anwendung auf die Bierbrauerei, Branntweinbrennerei, Hefenerzeugung, Weinbereitung und Essigfabrikation practisch dargestellt,
Band 1, S.203, Verlag F. Tempsky, Prag 1845; Abgerufen am 05.08.2023
[2] Balling, Carl Joseph Napoleon:
Die Gährungschemie wissenschaftlich begründet und in ihrer Anwendung auf die Bierbrauerei, Branntweinbrennerei, Hefenerzeugung, Weinbereitung und Essigfabrikation practisch dargestellt,
Band 1, S.189, Verlag F. Tempsky, Prag 1845; Abgerufen am 05.08.2023